AM GRÜNEN RAND DER WELT/FAR FROM THE MADDING CROWD

Der erste der "Wessex-Romane" des großen Romanciers Thomas Hardy

FAR FROM THE MADDING CROWD – so lautet der lyrisch anmutende Originaltitel von Thomas Hardys AM GRÜNEN RAND DER WELT, dem ersten jener Romane, die in der von ihm erdachten fiktionalen südenglischen Grafschaft Wessex spielen und gern unter dem Sammelbegriff „Wessex-Romane“ subsumiert werden. Es war sein insgesamt fünfter Roman, der vierte, der veröffentlicht wurde und der erste, der ihm soviel literarischen Erfolg bescherte, daß er vom Schreiben leben konnte. Erschienen ist er 1874.

Man kann gerade im Kontrast zu späteren Werken wie dem berühmten TESS OF THE D´URBERVILLES, welches 1891 erschien, Hardys Entwicklung, vielleicht auch seine steigende Verzweiflung erkennen. Vieles mutet hier noch leicht an, was später bitter wurde. Fast spielerisch gelingt es dem Autor, seine manchmal – gerade aus heutiger Sicht – etwas angestaubten Ansichten zur Weiblichkeit im Allgemeinen in perfekt dahinfließende, fast mäandernde Sätze voller poetischer Schönheit zu kleiden, die voller warmen Humor auf das Menschlich-Allzumenschliche blicken. Und zugleich bietet Hardy eine fast schon sezierend genaue Sicht auf die sozialen Bedingungen, unter denen gerade eine Frau im England des 19. Jahrhunderts bestehen musste, wollte sie sich nicht vorbehaltlos in die herrschenden Regeln und das normative Korsett stecken lassen, welches die Klassengesellschaft ihr bot. Darüber hinaus ist es aber in FAR FROM THE MADDING CROWD fast mehr noch der Blick auf die männlichen Protagonisten der Handlung, der ebenso entlarvend wie manchmal bösartig und wahrlich bloßstellend ist.

Die junge und durchaus schön zu nennende Bathsheba entfacht in dem aufstrebenden Farmer Gabriel Oak durch einige eher zufällige Begegnungen ein starkes Gefühl, das er für Liebe hält. Doch als er sich ihr offenbart, weist sie ihn fast brüsk zurück. Dennoch wird sie bei einem Unglück zu seiner Lebensretterin. Sie wird Erbin einer gut gehenden Farm, die ihr Onkel einst gepachtet hatte. Hier beginnt sie, ihre eigene Wirtschaft aufzubauen. Gabriel, den die Unbilden des Lebens seine Farm gekostet haben, heuert bei ihr als Schäfer an. Derweil spielt die immer noch junge und in emotionalen Dingen durchaus naive Bathsheba gemeinsam mit einer Vertrauten dem Farmer Boldwood, einem eingefleischten Junggesellen und Hagestolz, einen Streich, der seine bis dato vollkommen brach liegenden Gefühlswelten hinsichtlich des weiblichen Geschlechts in Aufruhr versetzt. Er wirbt um seine junge Nachbarin und verzweifelt im Laufe der kommenden ca. 2 Jahre, die die Handlung umfängt, schier an Bathshebas Zurückweisung. Diese ihrerseits entflammt für den Draufgänger und Hedonisten Troy, ein Soldat Ihrer Majestät, der seinerseits die junge Fanny hätte ehelichen sollen, als sie in „andere Umstände“ gerät. Aus dieser Konstellation entwickelt sich eine zunehmend dramatische Handlung, die schließlich in einer völligen Katastrophe endet – um dann in einem ruhig sich einstellenden Zirkelschluß  zu enden.

Wie es bei Hardy oft der Fall ist, werden die drei männlichen Figuren Oak, Boldwood und Troy nahezu exemplarisch eingeführt, ein jeder der drei steht für eine als typisch zu erachtende männliche Umgangsweise mit Gefühlen, Schmerz und Zurückweisung. Bathsheba, von Hardy durchaus mit Allgemeinplätzen wie dem bedacht, daß es sie „kränkte und schmerzte, daß Gabriels hoffnungslose Liebe, die sie als unkündbaren Besitz auf Lebenszeit betrachtet hatte, ihr auf diese Weise entzogen werden sollte, nur weil es ihm so passte“ (S.407/08), als Oak ihr erklärt, er wolle auswandern und sein Glück in Übersee suchen, ist – und man merkt dies erst vergleichsweise spät in der Lektüre – in vielerlei Hinsicht nichts weiter als eine Projektionsfläche für den männlichen Blick auf Frauen. Ja, in gewisser Weise bleibt sie eine Stereotype, obwohl stark und sehr eigen, die in ihrer scheinbaren Unnahbarkeit auch die Distanz zwischen den Geschlechtern markiert, die das viktorianische Zeitalter durchaus auszeichnete. Was also zunächst wie ein  gelegentlich Ärgernis hervorrufender Roman über das weibliche Geschlecht und darüber, wie Frauen mit den Männern spielen, anmutet, entwickelt, ja entpuppt sich geradezu als genaue, schmerzhaft genaue Untersuchung männlicher Unzulänglichkeiten, wenn es um Emotionen geht.

Am besten kommt dabei sicher Gabriel Oak weg, der exemplarisch dafür steht, wie man(n) es machen sollte: Zurückweisung ertragen, seinen Weg gehen und dabei guter Dinge sein und hoffen, daß sich einst zum Besseren wende, was doch verloren scheint. Oak ist sicherlich der Mann, den Hardy gern sähe. Der Halunke in dem Spiel ist Troy. Ein Hasardeur, der seinen Charme einzusetzen versteht, den Frauen den Kopf verdreht und letztlich doch nur den eigenen Vorteil sucht. Kaum ist er Bathshebas Gatte, hat er weder Sinn, die Farm richtig zu bewirten, noch Skrupel, ihr Geld beim Pferderennen zu verwetten. Doch als Fanny schließlich ein gar grausiges Ende findet und an purer Erschöpfung stirbt, die Troy ihr zwar angesehen aber nicht gelindert hatte, holt ihn sein Egoismus, ja, wir Modernen würden sagen: seine Egozentrik, ein. Er erkennt die eigenen Verfehlungen und kann doch nicht aus seiner Haut, lässt Lüge auf Lüge, Vergehen auf Vergehen folgen, immer in der Hoffnung, mit der nächsten Wendung endlich wieder den Pfad der Tugend zu beschreiten. Boldwood schließlich ist die tragische Figur in diesem Reigen. Ein Mann von Kälte, scheint es, wird seine Liebe – oder was wiederum er dafür hält – durch einen Streich entfacht und entwickelt sich schließlich zu einer Obsession. Hardy beobachtet dies genau und kühl. Zwar gehört sein Mitleid durchaus diesem sich selbst Entfremdeten, doch versteht er gerade an dessen Reaktionen zu verdeutlichen, wie männliches Besitzdenken funktioniert. In zwei eindringlichen Szenen bedrängt er Bathsheba, ihm die Ehe zu versprechen, denn, so seine Logik, sie schulde ihm etwas für den Streich, den sie ihm einst gespielt habe.

Es sind diese Beobachtungen, die auch den frühen Hardy zu einem aufregenden Autoren seiner Zeit machen. Und gelingt es dem geneigten Leser, mehr noch der geneigten Leserin, über gelegentliche Anflüge allzu offensichtlicher Klischees wie dem angeblichen „Instinkt der Nachahmung, der den Frauen eigen ist“ (S.310) oder dem „Großmut einer Frau, deren Selbstsucht ihr statt Liebe nur Kummer eingetragen hat“ (S.333) hinwegzusehen, bleibt er auch für uns Heutige ein aufregender, weil genauer Autor, der psychologisch treffend den Mensch seiner Zeit, zumindest den männlichen, zu beschreiben und zu analysieren versteht. Die Frau, gerade Bathsheba, ist eine Idealvorstellung, scheint es. Hardy begreift sie als Charakter sehr genau, er versteht es, sie mit Würde auszustatten, vor allem aber lässt er sie, ohne daß sie dies als rebellische Natur oder Aufwieglerin wider den Zeitgeist auszeichnen würde, als eine eigenständige und starke Frau auftreten. Sie macht Fehler und Hardy gesteht ihr genau das zu – daß sie, wie alle Menschen, Fehler macht, aus diesen lernt und sie bereut. Doch leitet er daraus weder eine Schuld ab – dies tut Boldwood – noch, daß aus weiblichen Fehlern männliche Ansprüche erwachsen. In dieser Betrachtung ist Thomas Hardy seiner Zeit dann wirklich weit voraus.

Manches Mal mit Dickens verglichen, ist Hardy in vielem doch eher an einer realistischen Beschreibung seiner Wirklichkeit gelegen, sind seine Typen weniger karikaturistisch wie das Dickens´sche Panoptikum der Mr. Bubbles´, Artful Dodger, Ebenezer Scrooge, Uriah Heep, Magwitch und wie sie alle heißen mögen – Figuren, die ob ihrer exemplarischen Natur oftmals fest in der englischen Alltagskultur verankert sind. Hardys Figuren mögen manches Mal ähnlich stereotyp sein, gelten sie doch oft sogar als reine Vehikel, die Ansichten des Autors zu transportieren, immer aber wirken sie näher an der Realität, verbundener mit der Lebenswirklichkeit des Autors und damit auch des Lesers. Es sind Charaktere, die der Leser erfassen und zu unterscheiden versteht jenseits von eingängigen Namen und Zügen der Karikatur. Und so sind ihre Handlungen auch als Nebenfiguren durchaus ergreifend und auf manchmal schmerzhafte Weise nachvollziehbar. Mag es auch so scheinen, reine Funktionsträger sind sie nicht.

Auch ist Hardys Humor hintergründiger, weniger satirisch, dafür aber manches Mal treffend zynisch und gelegentlich wie erwähnt schon boshaft. Hier, in FAR FROM THE MADDING CROWD, gelingt es ihm wahrlich meisterlich, den anfänglichen Humor mit dem zunehmenden Drama der Handlung zurücktreten zu lassen, ohne daß der Roman an der einen oder der anderen Stelle unter dem Humor oder einem Mangel daran litte. Hardys spätere Werke weisen diese Art des Humors weniger auf, oft ist er einem  durchaus bitteren Blick auf eine Welt gewichen, die in dem engen Korsett einer rigiden Moral zu ersticken droht. So findet man hier einen schönen Einstieg in die Welt dieses wunderbaren und manchmal auch wunderlichen Wessex, das sich Thomas Hardy aus den Grafschaften Dorset, Hampshire, Devon und Somerset zusammenbastelte und dem er in seinen Romanen ein wundervolles Denkmal setzte, in dem die tiefe Liebe zur englischen Landschaft, der Natur und den Wundern, die dieses Land zu bieten weiß, in grandiosen Landschaftsbeschreibungen zum Ausdruck kam. Beschreibungen, die seinen Beobachtungen der menschlichen Natur in nichts nachstanden.

Ein frühes Meisterwerk eines meisterlichen Autors des an meisterlichen Autoren so reichen 19. Jahrhunderts.

 

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