AMERICANAH

Wide across the ocean: Ein afrikanisch-amerikanisches Generationenportrait

AMERICANAH werden jene Nigerianer genannt, die in die USA auswanderten und nach geraumer Zeit zurück kehren, infiziert mit amerikanischem Slang, Idiom, Denken und Statusbewußtsein. Genau diese Bewegung zurück in ihre Heimat steht Ifemelu bevor, die über eine Dekade in den Ostküstenstaaten verbracht hat, einen mittlerweile berühmten Blog betreibt und in ihren Texten einen scharfen Blick auf die Frage der Rasse(n), der Hautfarbe(n), der Abstufungen und Nuancen selbiger wirft – Fragen, die die amerikanische Gesellschaft beherrschen, Ifemelu früher, in Nigeria, hingegen nie wichtig gewesen sind. Der Leser begegnet ihr an einem Morgen, an dem sie eine Haarsalon aufsucht, in dem sie ihre Zöpfe und Extensions neu flechten und anbringen lässt. Eine Arbeit, die Stunden dauern wird. Und während sie auf dem Friseurstuhl sitzt und den Frauen zuhört, die im Salon arbeiten – Afrikanerinnen wie sie selbst, aber mit anderen Hintergründen, Geschichten und Ansprüchen – nimmt sie den Leser mit auf eine Reise des Erinnerns – in weiten, konzentrischen Kreisen. Daran, wie sie war, die Jugend in einem Mittelklasse-Nigeria, das den europäischen, den weißen, den voreingenommenen Leser überrascht. Und durchaus mit sich selbst und der eigenen Voreingenommenheit konfrontiert. Doch davon später. An dieser Stelle sei aber verraten, daß man dabei auch die Erfahrung macht, wie schnell man dann, hat man die Bedingungen erst einmal ans eigene Weltbild angeglichen, schon wieder gelangweilt ist von den Problemen, die man ja aus der hiesigen Mittelschicht ebenso kennt. Das eigene Rezeptionsverhalten steht auf einmal auf dem Prüfstand. In der Konfrontation mit den anderen Frauen im Salon verdeutlicht sich nach und nach jedoch das Privileg, das zumindest Ifemelu genießt, immer genossen hat.

Anhand der unterschiedlichen Haare und der Geschichte des „schwarzen Haars“ verdeutlicht sie uns, was die Zeichen, die ausgesandt werden, bedeuten. Warum geglättetes Haar wichtig ist in einem Amerika, daß sehr genau hinschaut bei der Abstufung der Hautfarbe, bei den Zeichen, die ein Schwarzer aussendet. Ob er bereit ist, sich den Gesetzen einer WASP-Gesellschaft zu beugen? Die Haare werden zu einem Symbol von Gefangensein, Befreiung und Selbstbehauptung. Und von diesem Salon und dem Zeichen der Haare ausgehend, wird dem Leser anhand Ifemelus Geschichte verständlich, was „Rasse“ bedeutet. Dieses nigerianische Mädchen, das sie anfangs ist, das noch recht unbedarft in sein amerikanisches Abenteuer stolpert, lernt erst in Amerika, was „Rasse“ eigentlich ist. Sie sagt das auch sehr deutlich. Und anhand dieser auch für sie, einer Frau mit schwarzer Hautfarbe, was in ihrer Heimat schlicht die Norm ist, existenziellen Erfahrung erleben auch wir, daß Rasse (und eben auch Geschlecht? Die Fragen liegen näher beieinander, als mancher wahrhaben will) durchaus ein soziales Konstrukt ist. Alles immer eine Frage der Kon-Texte. Der Mensch eine Landkarte, ein Zeichen, ein Code, den es zu entziffern gilt. Immerzu und immer neu zu entziffern gilt, unterliegt das Zeichen doch beständiger Veränderung und ununterbrochener Aufpfropfungen.

Eingeflochten in die Erinnerungen – die mit zunehmender Dauer nicht mehr in den Salon und die Situation zwischen Ifemelu und den dort tätigen Frauen zurückkehren, sondern sich zu einer auktorialen Erzählung ausweiten, um dann, wenn sich der Nachmittag dem Ende zuneigt und Ifemelu eine für sie fürchterliche Nachricht erhält, doch wieder am Ausgangsort anzugelangen – sind Beiträge aus ihrem Blog, die die im Text zugrunde liegenden Fragen ‚theoretisch‘ unterfüttern. Hinzu kommen eingeschobene Handlungsstränge, die stark gerafft von Obinzes Erlebnissen in England, später wieder in Nigeria, berichten. Er war Ifemelus große Liebe, zu der sie den Kontakt abgebrochen hatte, nachdem sie die Erfahrung machen musste, daß die Hautfarbe in Amerika durchaus auch darüber entscheiden kann, ob man als Ware oder Mensch wahrgenommen wird. Obinze seinerseits muß erleben, wie kalt, abweisend und brutal das in Nigeria oftmals verherrlichte England sein kann; zugleich macht er dort die Erfahrung, wie sich eigene Landsleute in der Fremde verändern. Eine Tatsache, die auch in Ifemelus Wahrnehmung immer wieder eine enorme Rolle spielt: die Veränderung von Tonfall und Wortwahl je nachdem, wo und mit wem man spricht – in Amerika, in Nigeria; privat, geschäftlich; ob mit Mann oder Frau; wie hell die Hautfarbe dessen ist, mit dem man spricht. Es sind diese kleinen, oft sehr ruhig und unaufgeregt erzählten Nebenstränge und Reflektionen, in denen abgehandelt wird, was in wissenschaftlichen Werken Hunderte von Seiten erfordert: Kulturelle Scham, kulturelles Aufeinanderprallen manchmal nicht miteinander vereinbarer Prägungen. Der Verlust von Sprache wird immer wieder mit dem Verlust von kultureller Identität gleichgesetzt und auch genau so thematisiert. Es gelingt Chimamanda Ngozi Adichie, uns auch die Geschichte von Ifemelu und Obinze – eine im Grunde nicht sonderlich aufregende Jugendliebe, die sich aus den Augen verliert, sich wiederfindet und nach einigen, eher typisch gehaltenen Verwirrungen um die Veränderungen, die man nach 15, 16, 17 Jahren ohne Kontakt zueinander nun einmal am anderen wahrnimmt, auch in zumindest für die Zukunft vielversprechende Bahnen einbiegt – glaubwürdig zu vermitteln, wodurch die starken gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Bezüge des Romans in ein glaubwürdig beschriebenes Leben eingebunden sind.

Es dauert, bis man die stilistische Bewegung, die formale Absicht der Autorin begreift: Denn wie der Leser, der sich zunächst vielleicht etwas überfahren fühlt mit der scheinbaren Verengung auf das Thema „Rasse“, so geht es ja auch Ifemelu, die sich mit dem Thema nie auseinander gesetzt hatte, bevor sie in die U.S.A. kam und dann eine Fülle an Nuancen, Abstufungen und die jeweiligen sozialen Bedeutungen lernen mußte. Die selber aber keineswegs – und das begründet dann wiederum Auseinandersetzungen mit schwarzen Amerikanern; eine Thematik, die den meisten Lesern unserer Breitengrade ebenfalls fremd sein dürfte – das historische Bewußtsein einer im Lande rassistisch unterdrückten „Minderheit“ anzugehören mitbringt. All diese auch für Ifemelu neuen Erfahrungen werden also auch die des Lesers, wobei Adichie es geschickt anstellt, indem sie die Reflexionen über das Erlebte bereits einbaut, wird das alles ja als Ifemelus Erinnerung an ihre frühen Jahre in den Staaten erzählt. Daß uns also eine nigerianische Gesellschaft gezeigt wird, in der die Slums von Lagos für viele der Bürger ebenso weit weg sind, wie für uns – nämlich immer ein TV-Bild, einen Klick entfernt – ist nicht einfach einer, in ihren einzelnen Strängen meist auch recht konventionell erzählten, leicht belanglosen Story geschuldet, es ist vielmehr eine Strategie, die den aufmerksamen europäischen/westlichen Leser eigentlich verstören müsste, weil uns diese nigerianische Gesellschaft, wie das Buch sie präsentiert, so fremd ist. Fremd in seiner Ähnlichkeit und der Diskrepanz die es herstellt zu jenem Katastrophenbild, daß wir meist von afrikanischen Ländern und Gesellschaften haben. Wir werden also immanent mit unserem eigenen Vorurteilen – und mögen die auch noch so sehr aus Mitleid etc. entsprungen sein, es bleiben Vorurteile – konfrontiert, was den Text an sich schon äußerst wertvoll macht. Diese Ifemelu mit ihren Freuden, ihren Freunden, ihren Lieben ist ein Kind der immer stärker werdenden Mittelklasse des bevölkerungsreichsten Landes Afrikas, welches in unserem Bewußtsein zuletzt doch wieder nur durch Gewalt („Boko Haram“) Gestalt angenommen hat. Daß dieses Land jedoch ganz einfach Menschen eine Heimat ist, die genauso zur Schule gehen, genauso studieren und die gleichen Serien im Fernsehen schauen wie wir, die i-Phones ihr Eigen nennen und damit ähnliche Apps herunterladen, wie das Menschen, Jugendliche überall auf der Welt tun, fällt dem durchschnittlichen Mitteleuropäer wahrscheinlich eher schwer, wenn er abends mit Menschenmassen, die verzweifelt versuchen über das Mittelmeer zu kommen, konfrontiert wird. Und dennoch täuscht das Buch keineswegs über die Schwierigkeiten, die Probleme hinweg, die eine bürgerliche/zivile Gesellschaft im Entstehen immer hat – mit Korruption, mit der Tatsache, daß die soziale Schere noch viel zu weit auseinanderklafft, mit der Unvertrautheit mit demokratischen Rechten und Pflichten.

All dies lässt Adichie wie nebenbei in den Text einfließen, ja, sie macht verständlich, inwiefern diese Tatsachen die Erzählung grundieren, inwiefern diese Entwicklungen Ifemelus Geschichte überhaupt erst ermöglichen. Es ist dieses nahezu organische Erzählen, das dennoch einem durchaus auch didaktischen Konzept folgt, zu dem auch die Liebesgeschichte gezählt werden muß, die uns dann wie berichtet ebenfalls mit ihrer Beiläufigkeit und Beliebigkeit überrascht, das es ermöglicht, ein Anliegen derart zu verarbeiten, wie Adichie es in diesem großartigen Roman schließlich gelingt.

Man muß als eine der wenigen Schwächen des Buches konstatieren, daß es einmal mehr die Länge ist, die dem Leser Schwierigkeiten bereitet. Da wird – auch dies häufig zu beobachten – die Stärke schnell zur Schwäche. Einerseits sind die berichteten Beziehungsprobleme, die in weiten Teilen das letzte Drittel des Romans bestimmen, zu konventionell und bekannt, als daß die Erzählung wirklich fesseln könnte, andererseits schleicht sich ein gehetzter Unterton in den Text, so daß der Leser den Eindruck bekommt, es würde ihm Entscheidendes vorenthalten, und sei es „nur“ der ruhige Erzählfluß der ersten zwei Drittel, der sich scheinbar so viel mehr Zeit für Entwicklungen, Details und Gedanken nahm. Ein wenig kommt sich der Roman also selbst in die Quere und vielleicht hätte man besser zwei voneinander getrennte Erzählungen daraus machen sollen. Schon der Schicksalsschlag, der Ifemelus Sitzung im Salon beendet, ist aus Sicht der inneren Erzählung nicht notwendig und dient scheinbar nur dazu, eine Handlungsbewegung zu konstruieren. Vielleicht wäre da ein wenig Mut von Nöten gewesen, diese Geschichte, die ja so offensichtlich – auch in ihren politischen Bezügen, die Wahl Obamas zum ersten schwarzen Präsidenten der Vereinigten Staaten spielt eine wichtige Rolle im Text – noch nicht beendet ist, einfach dementsprechend offen zu lassen.

AMERICANAH ist ein gut lesbares, ein in seiner beobachtenden Genauigkeit spannendes, in seiner Glaubwürdigkeit mutiges Buch. Es ist ein wichtiges Buch und es sollte unbedingt viel gelesen werden, denkt sich dieser Rezensent. Die Auseinandersetzung mit Afrika findet in unseren Breitengraden doch meist entweder (größtenteils) über dauernde Katastrophen- und Schreckensmeldungen in den Nachrichten statt, oder aber es ist immer noch ein Safari-Wunderland der Abenteuer und gefährlichen Begegnungen mit Mensch und Tier. So oder so wird Afrika bei uns als bedrohlich konnotiert wahrgenommen. Es tut also gut, daß mehr und mehr afrikanische Literatur ihren Weg auch zu uns findet, Literatur, die uns ein anderes, vor allem ein afrikanisches!, Bild dieses Kontinents vermitteln kann.

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