ANGST ESSEN SEELEN AUF

Fassbinders Meisterstück

Weil es regnet und weil sie die Musik interessiert, betritt die Witwe Emmi Kurowski (Brigitte Mira) eine Bar, aus der orientalische Töne erklingen. Drinnen trinken einige arabischstämmige Ausländer bei der Wirtin Barbara (Barbara Valentin) ein paar Biere. Die deutlich ältere Frau wird von einem der Gäste, Ali (El Hedi ben Salem) zum Tanz aufgefordert. Schließlich trinken sie gemeinsam etwas und er bringt sie heim. Er übernachtet bei ihr, weil es stark regnet und sein Heimweg weit ist. So entsteht langsam eine Bindung zwischen beiden, sie verlieben sich ineinander. Ali zieht bei Emmi ein. Obwohl ihr Umfeld – v.a. Emmis Kinder und Schwiegerkinder – sich gegen die Liaison wendet, heiraten sie schließlich. Emmi muß erleben, wie sich die Nachbarinnen das Maul zerreißen, ihre Kinder sich abwenden und ihre Kolleginnen sie schneiden. Als sie und Ali schließlich in einem Biergarten nicht bedient werden, ist dies der Anlaß, die Stadt zu fliehen und eine verspätete Hochzeitsreise zu machen, die den beiden die Gelegenheit bietet, sich vollkommen aufeinander zu konzentrieren. Zurück, stellen sie fest, daß sich die Einstellung der meisten dieser Ehe gegenüber geändert hat – die Nachbarn sind ganz froh, daß Ali ihnen mal helfen kann, die Kolleginnen haben ein neues Opfer gefunden und der Krämer an der Ecke, der Ali nicht bedienen wollte, spürt die Einbußen, wenn Emmi nicht mehr bei ihm kauft. Schließlich entschuldigen sich sogar Emmis Kinder – die nämlich sind auf Omas Dienste als Babysitter angewiesen. Doch mit zunehmender Akzeptanz brechen die inneren Konflikte einer Beziehung auf, in der ein südländischer, zwanzig Jahre jüngerer Mann und eine ältere deutsche Dame eben auch verstrickt sind. Ali bleibt häufiger fort und trifft sich wieder mit seinen alten Freunden in der Kneipe. Schließlich geht Emmi ihn dort suchen und die beiden wiederholen ihr anfängliches Ritual – er fordert sie zum Tanz auf und während sie sich unter der billigen Beleuchtung einer traurigen Tanzfläche bewegen, sagt sie ihm, daß sie ihn liebe und das nichts damit zu tun hätte, wenn er mit anderen, jüngeren Frauen schliefe. Ali bricht zusammen, im Krankenhaus sitzt Emmi weinend an seinem Bett, während der Arzt ihr mitteilt, daß Gastarbeiter leider keinen Kuraufenthalt bekämen, weshalb solche Geschwüre – es ist der Magen – immer wieder aufbrächen.

Fassbinder selbst wies darauf hin, daß er nicht einfach nur das Drama einer Beziehung zwischen einer Deutschen und einem Ausländer, die sich einer feindlichen Umwelt stellen müssen, drehen wollte, sondern durchaus daran interessiert war, das Innenleben dieser Beziehung zu untersuchen und also kein sentimentales Bild einer alles überstrahlenden Liebe zu zeichnen (wie es einem erklärten Anhänger des großen Melodramatikers Douglas Sirk ja auch zuzutrauen gewesen wäre). Er veranschaulicht dies mit teils brillianten filmischen Mitteln. So bleibt der Film ein Meisterwerk, auch wenn die Thematik von heute aus gesehen überholt, bzw. vollkommen anders gelagert erscheint. Schon die ersten zehn Minuten, in denen kaum gesprochen, dafür aber sehr viel geschaut wird und eine meist statische, dann moderat bewegliche Kamera den Innenraum der Kneipe einfängt und über Ransprünge und plötzliche Rücksprünge Distanz und Nähe definiert, in welcher Blicke mehr sagen, als es Worte könnten, wo Achsensprünge und „falsche“ Blickrichtungen den Zuschauer desorientieren und somit zu einer grundlegenden Verunsicherung beitragen, die die der einsamen Frau gegenüber dieser fremden Gesellschaft spiegeln, ist ein Meisterwerk filmischen Schaffens. Allein dafür gebührt dem Film ewige Aufmerksamkeit.

Doch sind es – über den ganzen Film verteilt – v.a. die SchauspielerInnen, die dieses Drama tragen und glaubwürdig machen, allen voran die wundervolle Brigitte Mira. Allein ihr zuzuschauen, ihrer Art, sich zu bewegen, wie sie beim Tanz mit Ali den kleinen Finger abspreizt und damit dieser Figur – die eine eher unbedarfte Putzfrau ist, voller naivem und ungebrochenen Interesses für „den Hitler“, in dessen Stammlokal sie mit Ali ihr Hochzeitsmahl einnehmen will – eine tiefe Würde verleiht, ist es wert, diese knapp 90 Minuten zu schauen. Ebenso El Hadi ben Salem, der Ali ebenfalls mit einer ruhigen Würde ausstattet und dennoch glaubhaft rüberbringt, wieso dieser Mann auch ausbrechen will und muß. Doch neben ihnen brilliert auch Barbara Valentin, der es gelingt, ihre Figur undurchsichtig zu gestalten – erst spät wird dem Zuschauer vollkommen klar, daß sie dieser alten Dame auch skeptisch begegnen muß, da die sie bei ihrem Gelegenheitsliebhaber auszustechen droht – indem sie sie nahezu stumm starren läßt, jeder Blick jedoch ständigen Variationen unterliegt, denen eine klare Interpretation zukommen zu lassen schwer fällt. Irm Hermann – festes Mitglied in Fassbinders „Stock Comapny“ in den früheren Jahren – spielt Miras Tochter und erzielt mit wenig Mimik maximale Wirkung und läßt den Zuschauer einerseits die Belustigung, dann aber auch die Empörung spüren, den die mütterliche Beziehung in ihr hervorruft. Fassbinder selbst als Hermanns Ehemann, ein ewig schlecht gelaunter Macho, der sich v.a. abfällig über seien Schwiegermutter äußert, zeigt einmal mehr beeindruckend, daß er auch ein sehr guter Schauspieler sein konnte. Die Nebenrollen sind – wie z.B. mit Walter Sedlmeyr in der Rolle des ausländerfeindlichen, dann jedoch opportunistischen Krämers Angermeyer – ebenfalls hervorragend besetzt.

Rainer Werner Fassbinder gelingt so mit „Angst essen Seele auf“ ein Panorama der bundesdeutschen Gesellschaft Anfang bis Mitte der 70er Jahre. Ein Land, in dem der Krieg als melancholischer Mehltau noch spürbar war, ein Land, das weit entfernt gewesen ist von der heutigen „Multikultigesellschaft“, die so oft beklagt wird; ein Land, in dem Vorurteile und versteckte Ressentiments noch frei grassieren konnten, wo „der Hitler“ auf eine andere Art und Weise präsent war, als in der heutigen Zeit des „Er ist wieder da“-Hitlerismus. Ein fremdes Land, dessen Bewohner traurig erscheinen, in dem Herbst und Winter, also Kälte herrschen. Ein Land, in dem Angst herrscht. Ein düsteres Portrait dieses Landes und (Teile) seiner Gesellschaft. Doch damit nicht genug. Denn es gelingt ihm darüber hinaus, Elementares über die Liebe zu verdeutlichen: Wie sie verstärkt funktionieren kann unter dem Druck von außen und sich gegen sich selbst richtet, wenn der Druck nachläßt; daß es nicht immer der großen Orchester und tiefen Blicke bedarf, um sich zu finden und zu lieben; daß es nicht nur Schwierigkeiten bei unterschiedlicher Herkunft (Alis „Rückkehr“ in die Kneipe symbolisiert auch sein „Mannsein“, denn dort kann er Karten spielen und jüngere Frauen bewundern ihn, was seinem Status als gutaussehender Südländer eher entspricht, als die Liebe einer deutlich älteren Frau) gibt, sondern auch bei solch deutlichen Altersunterschieden; daß auch eine ungewöhnliche Liebe nicht davor schützt, daß sie sich abzunutzen beginnt.

Die eigentliche Meisterschaft des Films liegt darin, daß es dem Regisseur gelingt, all diese Ansätze in seinem Film nicht nur unterzubringen (und den Film damit heillos zu überfrachten), sondern daß sie sich nahezu organisch ineinaderfügen und damit die Handlung nicht nur vorantreiben, sondern nahezu ergeben. Und daß er, der Meisteregisseur einer jungen Generation „neuer“ deutscher Filmemacher, die Mittel besitzt, dies alles kinogerecht zuzubereiten. Sicherlich ist die Kernthematik – Ausländer liebt (ältere) Deutsche – heute überholt, sicher würde man jemanden wie Ali heute anders (vielleicht besser – denn Fassbinders damaliger Lebensgefährte El Hadi ben Salem imitiert die gebrochenen Sprache Alis nur, er konnte nahezu perfektes Deutsch, allerdings ist seine Darstellung ansonsten wirklich großartig) besetzen, auch würde manch sozialromantische Anwandlung – die Kneipenbesucher, aus deren Mitte heraus Ali Emmi kennenlernt, teils deutsch, teils ausländisch, entpuppen sich als die „besseren“ Menschen, stehen sie dieser Liebe doch zumindest nicht feindlich gegenüber – würde heute sicherlich anders dargestellt. Doch dank Fassbinders Kunst – sowohl als Drehbuchautor, aber eben auch seines außergewöhnlichen Könnens als Regisseur – ist hier ein zeitloses Meisterwerk, einer der besten Filme der jüngeren deutschen Filmgeschichte, zu bestaunen.

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