CAN THE SUBALTERN SPEAK? POSTKOLONIALITÄT UND SUBALTERNE ARTIKULATION

Zu einem der Schlüsseltexte der 'post colonial studies'

Wer den französischen Poststrukturalismus angreifen oder gar verächtlich machen will, muß  nur entweder die Frage nach der Verständlichkeit bspw. des Derrida´schen Schreibens und Philosophierens stellen oder aber jene danach, wozu all das Differenzieren, das Nachdenken über das Uneigentliche und vorursprüngliches Werden eigentlich gut sein solle? Wen die Frage aber ernsthaft interessiert, der sollte unbedingt Gayati Chakravorty Spivaks CAN THE SUBALTERN SPEAK? lesen, findet sich darin doch nicht nur eine ausgesprochen weitreichende Beantwortung der oben gestellten Fragen, sondern auch und vor allem ein Schlüsseltext sowohl postkolonialer wie auch feministischer Literatur. 1988 erstmals in einer wilden, wildes Denken in nahezu unstrukturierter Weise ausdrückenden Version erschienen, ist dies neben Edward Saids ORIENTALISMUS-Buch vielleicht der Schlüsseltext schlechthin, was das Nachdenken hinsichtlich dessen, was lange Zeit „die Dritte Welt“ genannt wurde und deren Entwicklung hin zu einem historischen Subjekt betrifft, zugleich aber auch einer der zentralen Texte der (Post)Moderne in Bezug auf ein (post)modernes Verständnis des  Marxismus und, möglicherweise, des Sozialismus.

Es ist ein – das sollte man wohl allen geneigten Lesern fairerweise vorausschauend ans Herz legen – schwieriger Text, ein vielschichtiger Text, der sich die Mühe macht, den eigenen Standort  und den Weg zu diesem Standort permanent mitzudenken. Spivak gelingt es, sich gegenseitig befruchtende, bedingende Ebenen fast gleichwertig zu benennen und sie immer wieder in ihrem Text kenntlich zu machen, was die Lesbarkeit allerdings beeinträchtigt, was wiederum keine Kritik sein soll. Wir erleben in diesen Tagen ja eine immense Abneigung gegen jedwede Form des Intellektualismus, komplizierte Sachverhalte sollen bitteschön auf, wenn möglich, 144 Zeichen runter gebrochen werden etc. Das ist allerdings eben nicht mit jedem Sachverhalt möglich. Der Philosoph der frühen Bundesrepublik Karl Popper forderte einst, man solle bitte so sprechen (und schreiben), daß das, was man zu sagen habe, allgemeinverständlich sei. Mag sein, daß das einem Denker der Demokratie gut zu Gesicht steht – es gibt aber Bereiche des Denkens, gerade was historische, soziale und auch emotionale Bereiche und Entwicklungen betrifft, die  sich nicht „einfach“ sagen lassen, sondern nur in komplizierten Denkbewegungen darstellbar sind. Ganz besonders gilt dies dann, wenn man versucht denen eine Stimme zu geben, die bisher nicht einmal wussten, daß es „Stimmen“ gibt.

Kann das/die Subalterne sprechen? Was ist das/die Subalterne? Spivak grenzt sich in einer weitausholenden Bewegung zunächst von den gängigen europäischen Intellektuellen ab, die „für“ die unterdrückten Massen in der damals noch so genannten Dritten Welt sprechen – und ihnen damit erneut den Subjektstatus verweigern, indem sie sie nicht „für sich“ sprechen lassen. Namentlich Gilles Deleuze und Michel Foucault sind hier angesprochen, die dieses Gespräch de facto geführt haben. Das hier genannte ‚Subjekt‘ leitet sich aus dem Marxismus ab, aus dem proletarischen Subjekt, das Spivak allerdings in Frage zu stellen wagt, wenn sie fragt, ob es das Marx´sche Proletariat in der Dritten Welt überhaupt gebe? Sind die eurozentrischen Theorien – Ideologien – unmittelbar auf die Bedingungen Afrikas, Südamerikas oder des indischen Subkontinents zu übertragen, dem Spivak selber entstammt? Um den marxistischen Proletarierbegriff zu umgehen, nutzt Spivak den Begriff der „Subalternen“ in dem Sinne, wie er auf der Basis von Gramscis Definition von der ‚Subaltern Studies Group‘ genutzt wurde. Doch stellt sie ihn massiv in Frage, wenn sie ihn zwar gültig findet in dem Sinne, daß in der Dritten Welt genau die Gruppen zu finden sind, die von jedwedem Diskurs durch den Hegemon wie durch die sozialen, die infrastrukturellen und institutionellen Bedingungen ausgeschlossen sind, ihn jedoch weiter ausdifferenziert und spezifisch auf die arme, schwarze Frau anwendet.

Anhand des Beispiels des britischen Verbots des Witwen-Opfers – der Selbstverbrennung von Frauen bei der Beerdigung ihrer Männer – dekonstruiert Spivak den Begriff der Subalternen und weist durch eine literaturwissenschaftliche Lektüre gültiger Wahrheiten – Sätze wie: „Weiße Männer beschützen braune Frauen vor braunen Männern“ nach, daß die Bedingungen, die das Subalterne definieren, eine Diskursfolge – auch eine Folge eines männlichen, eines weißen, eines eurozentrischen Diskurses – sind. In ihrer Abgrenzung gegen Foucault und Deleuze und deren aus Spivaks Sicht typisch eurozentrischen Blicks auch und gerade der sich links oder kritisch gebenden europäischen Intellektuellen, gelingt es ihr, sich aus vorgefertigten Kategorien und Narrativen verschiedener intellektueller Diskurse zu  befreien und dennoch keine Haltung einzunehmen, die in Opposition gehen muß.

Sich des Beitrags der Foucault´schen Theorien zu Machtbildung und Machtdiskursen vollends bewusst und diese sehr wohl würdigend, kann Spivak – und diese Wechsel der Ebenen und der dauernden Hinweise der Relais-Stellen, wo die Ebenen ineinander übergehen, bzw. sich bedingen, machen die Lektüre oft anstrengend – nutzen, was ihrer Argumentation nutzt und dennoch Kritik üben, wo sie begreift, welchen Begrenzungen Wissenschafts- und Ideologietheorien unterliegen. Im Rückgriff auf den Dekonstruktionsbegriff, wie Jacques Derrida ihn in seiner GRAMMATOLOGIE entwickelt und definiert hat, kann Spivak scheinbar unvereinbare Ebenen kritischen Diskurses, kritischer Betrachtung, zusammenbringen und dringt tief ein in die Konstruktion dessen, was diskursiv als „Dritte Welt“ bezeichnet wird.

Gerade mit dem Beispiel der Witwenverbrennung und anhand der doppelten Dekonstruktionsbewegung, die sie unternimmt, kann Spivak die sich oft widersprüchlich verheddernden Ebenen aufzeigen, die aus diskontinuierlichen Zeitabläufen entstehen. Mag die urbane, emanzipierte, weiße, mitteleuropäische oder amerikanische Frau einen Diskurs über die Metaebene feministischer Diskurse führen, darüber, ob man viral feministisch sein kann oder welche seltsamen Bündnisse es einzugehen gilt, wenn die verstärkten Einflüsse eines patriarchalen islamischen Denkens in unsere Gesellschaften zurückgedrängt werden müssen – der „Feminismus“ einer Subalternen in Spivaks Sinne besteht schlicht darin, sich zunächst einmal selbst als Subjekt zu begreifen.

Wenn in den Kasten, von denen Spivak spricht, also einige Frauen bereit waren, ihren Männern in den Tod zu folgen – was de facto nur in wenigen Fällen zutraf, während weitaus häufiger Zwang dahinter gestanden haben mag – mag das aus europäischer Sicht ein grausames und barbarisches Verbrechen sein, es war jedoch auch ein Moment, der diese Frauen einmalig zum Subjekt machte (sic!). Da die Briten in ihren Kolonien das Prinzip anwandten, die herrschenden Systeme zu  belassen, solange die britische Oberherrschaft und deren Rückzugsräume akzeptiert wurden, wodurch die Briten meist von den Bevölkerungen der jeweiligen Länder, die sie unterwarfen, separiert blieben, dauerte es lange, bis sie gegen die Witwenverbrennung einschritten und dann auch eher auf Geheiß, sprich in Folge einer Öffentlichkeit, die sich zu erregen begann, was also selbst wieder auf einen eurozentrischen Movens hindeutet. Der Weg, den die britische Besatzung dann wählte, war der des formaljuristisch institutionellen Verbots, also ein rein bürokratischer Terminus, in dem weiße Männer schwarzen Männern Vorschriften machten, wie sie mit ihren Frauen umzugehen hätten. Im Kern aber – also strukturell – bleibt es ein männlicher und europäischer Diskurs, der einer schwarzen Frau das Subjekt-Sein nicht nur einfach nicht  erlaubt, sondern in dessen Analyse und Dekonstruktion ergibt, daß die schwarze Frau hier als Subjekt nicht einmal gedacht wird. Man sollte dieses Beispiel nicht als irrelevant abtun, wie man auch den ganzen Text, weit über 20 Jahre nach seiner Veröffentlichung abtun sollte, denn seine sozialen und historischen Implikationen sind bis heute nicht zufriedenstellend beantwortet worden, siind nach wie vor in Indien, in Teilen Asiens und vor allem in Afrika mehr denn je vorhanden.

Spivaks Text– mag er in seiner ursprünglichen Form auch schwer zugänglich sein und in der Vielfalt in seiner Themen und Ebenen, die er durchmischt und zueinander in Bezug setzt manchmal fast wirr erscheinen; Schwächen, die in späteren Ausgaben bereinigt wurden – selbst stellt schon eine Subjektwerdung innerhalb eines Diskurses dar und ist damit schon in seiner reinen Existenz und seinem Zugang zu europäischer Philosophie ein Beitrag auch zu durchaus Europa bestimmende Themen. Spivak – sie weist mehrfach im Text darauf hin – erlaubt sich einen sehr freien und deshalb durchaus auch befreienden Umgang mit den postmodernen Theorien, wodurch sie gerade dem Denken Derridas ganz neue, über seine innere „Grammatik“ hinausweisende Möglichkeiten entnimmt und ihn – wie durchaus von ihm gewünscht – in offene kulturelle Diskurse einspeist, in denen dekonstruktives Denken durchaus zu einem Mehr an sozialem, kulturellen und historischen Verständnis führen kann. Zugleich überführt sie diese Theorien aber auch derer oft engmaschigen eurozentrischen Horizonte und kann, wie nebenbei, nachweisen, wie gerade die, die es doch oft „gut“ meinen, zur Verfestigung von Herrschafts- und Machtstrukturen, von diskursiver und terminologischer Hoheit und somit der Zementierung teils uralter Klischees und daraus resultierender Vorurteile beitragen.

Das macht CAN THE SUBALTERN SPEAK? zu mehr als einem historisch relevanten Text, es macht ihn zu einem Referenztext, den sich europäisches Denken – neben anderen, jüngeren – immer vor Augen halten, ja, dessen er sich unumwunden bedienen sollte, weist er doch vielerlei Anschlußmöglichkeiten auf, die gerade in Zeiten kultureller „Clashs“ bitter Not tun.

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