CASABLANCA 1943. DAS GEHEIME TREFFEN, DER FILM UND DIE WENDE DES KRIEGES

Norbert F. Pötzl führt uns zurück in jenes entscheidende Jahr des Zweiten Weltkriegs und schließt die Realereignisse mit denen des Kultfilms kurz

Man mache bei diesem durchaus unterhaltsamen und auch kenntnisreichen Band nicht den Fehler, der Suggestion des Untertitels aufzusitzen. DAS GEHEIME TREFFEN, DER FILM UND DIE WENDE DES KRIEGES vermittelt den Eindruck, die drei Ereignisse hingen unmittelbar zusammen, was sie selbstverständlich nicht tun. Der Film soll wohl, indem er hier von den durchaus zusammenhängenden Ereignissen der Konferenz und der Kriegswende flankiert und eingerahmt wird, in seiner Bedeutung in Bezug auf den Krieg aufgewertet werden. De facto haben wir es hier jedoch mit einem jener von einem Journalisten geschriebenen Bände zu tun, in denen jemand persönliche Interessenfelder zusammenbringt, die nicht zwingend miteinander in Bezug stehen.

Die Konferenz von Casablanca im Januar 1943 war eine der großen Konferenzen zwischen den Regierungschefs der Alliierten, auch wenn Stalin nicht teilnahm, war er doch – offiziell – der Meinung, er könne, während die Schlacht um Stalingrad tobte, das Land nicht verlassen, inoffiziell war er beleidigt, weil Churchill ihm schon zuvor mitgeteilt hatte, daß im Jahr ´43 mit keiner „Zweiten Front“ in Westeuropa zu rechnen sei und die Rote Armee also weiterhin den Hauptteil der Kampflast auf dem Kontinent zu tragen haben würde. Doch gingen von „Casablanca“ als Konferenz wichtige Signale aus. Es wurde, statt einer direkten Invasion der französischen Strände, der Umweg über Nordafrika beschlossen, über den man via Sizilien und das Mittelmeer den europäischen Kontinent von Süden her aufrollen wollte, ein Entschluß, den vor allem Churchill präferierte, konnte er sich doch eine Invasion über die Küsten bspw. der Normandie Anfang 1943 noch nicht vorstellen. Noch wichtiger allerdings scheint es, daß in Casablanca erstmals die Redewendung von der „bedingungslosen Kapitulation“ von Roosevelt genutzt wurde und damit ein „Friede ohne Niederlage“ nicht mehr möglich war. Roosevelt wollte die Fehler des Ersten Weltkrieges vermeiden, als man den Deutschen einen „ehrenhaften Friedensschluß“ geboten hatte und dieser zu der berüchtigten Dolchstoßlegende führte und der Aussage, das deutsche Heer sei im „Felde unbesiegt“ geblieben.

In Casablanca trafen aber auch sehr unterschiedliche Charaktere aufeinander. Da war der überzeugte Demokrat Roosevelt, dem eine neue, moderne Nachkriegsordnung vor Augen stand; da war Winston Churchill, ein Mann des 19. Jahrhunderts, ein überzeugter Imperialist und offensiver Vertreter des britischen Kolonialismus, der einen Balanceakt vollführen musste und zu allem bereit war, um seine Ziele durchzusetzen; schließlich kam Charles de Gaulle hinzu, ein eitler und in seiner militärischen Eitelkeit schwer gekränkter General, dem Frankreich wohl am Herzen lag, der aber zugleich sehr genau Vorstellungen davon hatte, wie Frankreich zu gestalten sei – und nebenbei ebenfalls ein Imperialist. Roosevelt mochte de Gaulle nicht und de Gaulle traute Roosevelt – wahrscheinlich zurecht – nicht über den Weg. Dennoch gelang es ihnen in Casablanca gemeinsam, entscheidende Weichen für den Krieg zu stellen und deutliche Zeichen  an die eigenen Bevölkerungen daheim und die Alliierten generell auszusenden, aber auch an die Achsenmächte: Das Kriegsglück wendet sich, Amerika und Großbritannien sind bereit, alles erdenkliche zu tun, um diesen Waffengang für sich zu entscheiden. Anhand der Operation Torch, die 1942 zur Landung der Alliierten an den nordafrikanischen Stränden geführt hatte, hatten die Alliierten bereits bewiesen, daß sie es können, in Casablanca fielen die wegweisenden Entscheidungen, es nun auch mit dem europäischen Festland zu versuchen, wenn auch nicht in der Art und Weise, in der Stalin es gern gesehen hätte.

Nun sind all diese Entscheidungen und auch die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen den Hauptakteuren bekannt; wer sich für den Zweiten Weltkrieg interessiert, weiß um die Bedeutung der Konferenz, Norbert Pötzl erzählt seinem Publikum also wenig bis nichts neues. Allerdings tut er das charmant und in einem sehr gut lesbaren Stil. Sein Ton ist ein plaudernder, zudem ist sein schmaler Band mit einem umfangreichen Quellenverzeichnis ausgestattet und insofern durchaus auch als Studie nutzbar. Man erfährt und erinnert noch einmal die wesentlichen Merkmale der Protagonisten Roosevelt, Churchill und de Gaulle, denen Pötzl jeweils ein eigenes Kapitel widmet, man erfährt den Konferenzverlauf und wie nebenbei, daß der britische Premier noch in Casablanca die Delegationen zu überreden versuchte, nach Marrakesch – für Churchill der „schönste Ort der Welt“ – zu wechseln. Pötzl versteht es, seine Portraits und Beschreibungen mit allerhand solcher scheinbar nebensächlichen Informationen so aufzupeppen, daß durchaus lebensnahe Beschreibungen der Staatenlenker entstehen.

Und CASABLANCA? Der Film? DER Film? Bogart und Bergman? Die „üblichen Verdächtigen“ und „Spiel´s noch einmal, Sam“? As time goes by und die Marseillaise? In einem sehr gut recherchierten Einführungskapitel gibt Pötzl einen fundierten Überblick, wie sich Hollywood gegenüber Nazi-Deutschland verhielt, wie selbst die jüdischen Bosse der großen Studios einerseits Angst hatten, ihre Überseegeschäfte zu verlieren, wenn sie klare Haltung gegen das Regime bezogen, zugleich aber auch Angst um die Haltung der Amerikaner hatten, deren latenter Antisemitismus nicht zu unterschätzen war. Es waren die Warner Bros. Studios, die als erstes – und lange Zeit als einziges – Studio eine klare, deutliche, unmißverständliche Haltung zeigten und so nimmt es nicht Wunder, daß es dieses Studio war, das aus einem vergleichsweise schlechten Bühnenstück einen recht billigen Film machten, den zu seiner Entstehungszeit wohl niemand als den Kultfilm schlechthin auf der Rechnung hatte.

CASABLANCA war, wie viele Filme seiner Zeit, ein Melodrama, zugleich ein klares Propagandawerkzeug (1942, in seinem Entstehungsjahr, standen die USA bereits voll im Krieg sowohl in Europa, als auch, mehr noch, im Pazifik) und vor allem ein schnell herunter gedrehtes Unterhaltungswerk. Es gab keine wirklich großen Stars, am ehesten noch die Bergman, ansonsten hatte man es mit der Besetzungsliste eines herkömmlichen ‚Film Noir‘ zu tun: Sidney Greenstreet, Peter Lorre, Claude Rains – alles Schauspieler, die sich in B-Movies durchschlugen. Und als Held ein Rauhbein, das bisher ebenfalls in Gangsterfilmen und ‚Noirs’ reüssiert hatte – meist als „Baddie“, also als schlimmer Finger – und sich nun anschickte, zu einem der größten Hollywoodstars aller Zeiten aufzusteigen, Humphrey Bogart. So gesehen, war CASABLANCA nicht als großer Kassenschlager, sondern als solider Hit konzipiert, wenn überhaupt. Zugute kam ihm dann, daß die realen Ereignisse ihn pushten, denn die oben bereits erwähnte Operation Torch brachte den Namen Casablanca auf die Titelseiten der Zeitungen. Zugleich mussten Regisseur Michael Curtiz und sein Drehbuchteam die Ereignisse des Films ständig anpassen, um nicht von der Geschichte überholt zu werden. Einer der Gründe, warum es zu jenen legendären Sitzungen kam, in denen die später weltberühmten One-Liner geschrieben wurden, während die Crew vor der Tür saß und wartete, weitermachen zu dürfen.

Pötzl erwähnt all dies und verweist zudem auf viele entscheidende Details, um CASABLANCA als den zeitgenössischen Film zu identifizieren, der er ist. Der Umgang mit Flüchtlingen wird propagandistisch beschönigt, Amerika als lebensrettendes Paradies in der Ferne – das galt in realitas nicht. Gerade Roosevelts Politik machte es Flüchtlingen enorm schwer, nach Amerika zu kommen und die Amerikaner haben sich manchen schlimmen Verbrechens durch Nichtstun oder Unterlassung schuldig gemacht. Richtig ist, darauf verweist Pötzl explizit, daß CASABLANCA voller versteckter Anmerkungen und Kommentare auf die Politik des Präsidenten steckt. Ricks Wandlung am Ende des Films verdeutlicht eine antiisolationistische Haltung. Sich raushalten war keine Option mehr. CASABLANCA optiert eindeutig, was das angeht. Berühmte Szenen wie jene, in der die Franzosen die Deutschen niedersingen und die Marseillaise schmettern, ist nicht nur reine Propaganda – das auch, natürlich – sondern auch Aufforderung und Beschreibung zugleich. Pötzl berichtet von einer Begebenheit, die der Szene als Vorbild diente. Und schließlich verweist er auch auf die Detailgenauigkeit, die dem Film in vielerlei Hinsicht zueigen ist. Aber Pötzl vermittelt auch – durchaus amüsant – wie die Realität dem Film schließlich davon lief und einige der von ihm gezeigten Details zu seiner Veröffentlichung Anfang 1943 bereits überholt waren.

Und was haben nun Konferenz und Film miteinander zu tun? Im Grunde: Nichts. Pötzl hat über beides – Film wie Konferenz – umfassende Kenntnisse und bringt sie in diesem Band zusammen. Ein wenig gewollt wirkt das alles, ein wenig gezwungen. Aber sei´s drum – da das Ganze in geringem Umfang und flottem Stil präsentiert wird, sich gut liest und durchaus informativ ist, sieht man gern über den „McGuffin‘ – den Anlaß, den es nicht gibt – des Buches hinweg, nämlich den, daß der Zusammenhang zwischen den beiden Themen schlicht konstruiert ist.

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