DARKTOWN

Thomas Mullen beschreibt gesellschaftlichen und institutionellen Rassismus im Amerika der Nachkriegsjahre

Daß der Rassismus eines der – wenn nicht das – bestimmenden Themen der U.S-amerikanischen Gesellschaft ist und bleibt, ahnte man immer, wusste es im Grunde auch, bekam es aber in den Jahren, seit Donald Trump das Weiße Haus okkupiert hat und den Präsidenten der Vereinigten Staaten gibt, mit einer Deutlichkeit vor Augen geführt, wie lange  nicht mehr. Es verwundert kaum, daß in Zeiten wie diesen ein so bedeutender Autor wie James Baldwin wiederentdeckt wird und seine Thesen und Ansichten vielleicht einem breiteren Publikum als je zuvor zu Bewußtsein kommen.

Das Thema Rassismus wird aber nicht nur in der hohen Literatur, sondern auch und immer wieder im Genre-Roman abgehandelt, vor allem im Krimi- und Thrillerfach. Das sollte nicht verwundern, denn Rassismus führt allzu oft zu tödlichen Verbrechen. Zudem hat die Genre-Literatur in den U.S.A. einen anderen Stellenwert, als gerade in Deutschland, wo sie meist als Unterhaltungsliteratur abgetan wird. Einige der besten Kriminalromane der letzten Jahre befassten sich mit Fragen nach Rassismus in der Gesellschaft im Allgemeinen, dem institutionellen Rassismus im Besonderen. Oft sind es schwarze Autoren, die sich des Themas annehmen, seltener weiße und seltenst ist es so, daß weiße Autoren dem Thema wirklich gerecht werden. Umso aufschlußreicher, daß und vor allem wie es Thomas Mullen mit DARKTOWN (Original erschienen 2016) gelungen ist.

Anders als bspw. Leonard Pitts Jr. in GRANT PARK, verzichtet Mullen auf zeitgenössische Bezüge und erzählt einen historischen Stoff. Vordergründig ein Kriminalroman, beleuchtet Mullen in seinem Roman die Entwicklung um die erste schwarze Polizeieinheit in Atlanta im Jahr 1948. Sie patrouillieren als Streifenpolizisten im titelgebenden Stadtteil Darktown, der überwiegend von Schwarzen bewohnt wird und wo weiße Polizisten sich ungern blicken lassen, schon gar nicht, wenn Not am Mann (oder der Frau) ist, sondern vornehmlich, wenn es darum geht, Bestechungsgelder von Prostituierten abzukassieren. Die Kumpel Boggs und Smith, Veteranen des Zweiten Weltkriegs, gehören zu dieser Einheit. Boggs ist Sohn einer angesehenen Predigerfamilie, sein Vater hat in der Gemeinde und der Stadt einiges zu sagen, findet Gehör beim Bürgermeister der Stadt und auch beim Senator und dem Gouverneur des Staates Georgia. Smith entstammt eher dem typischen Milieu von Darktown. Beide sehen ihren Job als Aufgabe, als einen Dienst an der schwarzen Gemeinde, die lernen soll, daß ihnen gleiche Rechte, aber auch gleiche Pflichten obliegen, wie den Weißen. Als die beiden eines Nachts Zeuge eines Autounfalls werden, bei dem ein weißer Mann eine schwarze Frau zu mißhandeln scheint, die einige Tage später tot in einem Müllhaufen gefunden wird, beschließen sie entgegen ihrer Befugnisse, Ermittlungen anzustellen und herauszufinden, wer hinter dem Mord steckt. Das führt sie mit Hilfe des weißen Streifenpolizisten Rake in höchste Kreise der Stadt und auf die Spur einer Verschwörung, die es in sich hat.

Mullen nutzt diesen an und für sich eher wenig originellen Plot meisterlich, um gesellschaftlichen, institutionellen und grundlegend kulturellen Rassismus in all seinen Facetten aufzuzeigen. Boggs und Smith machen sich naturgemäß  nicht sonderlich beliebt bei ihren weißen Vorgesetzten, sie suchen die Eltern des toten Mädchens auf dem Land im Umkreis Atlantas auf, was sie in eine vollkommen andere, ihnen als Stadtmenschen unbekannte und extrem rückständige Welt führt, in der das Leben eines Schwarzen genau so viel wert ist, wie die Laune des Sheriffs es gerade erlaubt. Sie werden mit politischen Kreisen konfrontiert, die schwarzes Leben lediglich als Manövriermasse in persönlichen wie politischen Machtspielen begreifen, und sie werden mit der allgegenwärtigen Korruption in der Polizei vertraut. Mullen findet einen sprachlich oft distanzierten, durchaus harten Stil, der das manchmal Unerträgliche der geschilderten Situationen umso kälter ausstellt, und er kreiert einzelne Szenen, die dem Leser in ihrer Brutalität und der geschilderten Menschenverachtung oft die Sprache verschlagen. Nicht unerwähnt bleiben die Erfahrungen der beiden schwarzen Protagonisten im Militär, wo sie letztlich Handlangerdienste verrichten mussten und ihnen Kampfeinsätze verwehrt blieben, wodurch Mullen den spezifischen institutionellen Rassismus amerikanischer Prägung auch außerhalb der Polizei verdeutlicht und als gesellschaftliche Normalität brandmarkt.

Aber auch die Parallelhandlung um den weißen Polizisten Rake, ebenfalls ein Kriegsveteran, der unter anderem zum Wachpersonal in Dachau nach der Befreiung des Konzentrationslagers gehörte, wirft ein Schlaglicht auf eine Gesellschaft, die die Erfahrungen und Bedürfnisse von Menschen, die etwas an den herrschenden Bedingungen ändern wollen, bestenfalls ignoriert, meist jedoch offensiv mit Einschüchterung, Drohungen und Gewalt bekämpft. Eine Gesellschaft, die ihre dunkleren Seiten allzu gern verdrängt, die von den Erfahrungen, die die Menschen – zum Beispiel im Krieg – machen mussten, nichts hören, nichts  wissen will, könnte sie doch auf eben diese Gesellschaft zurückfallen, die sich auf der Seite des Guten wähnt und die himmelschreiende Ungerechtigkeit in ihrer Mitte nicht zur Kenntnis nehmen mag. Die Erfahrung des Ignoriert-Werdens teilen Boggs, Smith und Rake, ohne daß sie sich dabei auf einer Ebene bewegen. Mullen macht es sich und seinen weißen Lesern nämlich keinesfalls leicht, wenn er bei aller sympathischen Schilderung, die er Rake angedeihen lässt, auch dessen Zurückhaltung, ja Feigheit in Situationen zeigt, in denen es wichtig und angebracht wäre, zu schwarzen Kollegen oder Nachbarn zu stehen.

Als Kriminalroman betrachtet ist DARKTOWN kein sonderlich aufregendes Buch, die Konstruktion des Falles ist hinlänglich aus allerlei Vorbildern bekannt, erinnert gelegentlich an James Ellroys L.A.-Quartett, für das jener Autor sich ebenfalls einer harten, manchmal an Zynismus grenzenden Sprache bediente. Mullen ist ganz offensichtlich am Stil der Hardboiled-Krimis des Noir geschult und lässt seine Helden durch eine Welt irren, die vor Gewalt, Verachtung und Verderbtheit nur so strotzt. Seine Qualität gewinnt der Romana aus der ebenso harten wie realistischen Beschreibung jener Nachkriegsjahre, die gerade im Süden noch weit von den Veränderungen der Bürgerrechtsbewegung der 50er und 60er Jahr entfernt waren. Schwarze – Negroes, wie es im Buch heißt, ein Jargon, der gerade für europäische Leser gewöhnungsbedürftig ist – blieben unter sich, die Gesellschaft war noch deutlich segregiert, jede Ethnie hatte ihre eigenen Toiletten, Wasserspender oder Sitzgelegenheiten in den Bussen und Bahnen zu nutzen. Das Leben eines Schwarzen konnte problemlos mit Füßen getreten werden und die Rechte eines schwarzen Menschen erst recht. Mullen macht die Wut, die Hilf- und Wehrlosigkeit gegenüber einer Gesellschaft spürbar, die die damals größte und bedeutendste Minderheit im Lande schlichtweg aussperrte. Gleich, wie intelligent, gebildet oder ehrgeizig der einzelne sein mag – seine Hautfarbe bestimmt über Chancen, Aufstiegsmöglichkeiten oder Beförderung. Anerkennung dürfen Menschen wie Boggs und Smith nicht einmal von ihren eigenen Leuten erwarten, wirken sie auf diese doch wie Handlanger der Weißen.

An einigen Stellen tritt ein junger Reverend namens King auf, womit Mullen auf die spätere Bewegung gerade der 60er Jahre verweist und verortet seinen Roman auch damit historisch genau. 1948 trauten sich einige Geistliche gegen die Rassentrennung aufzubegehren, in der breiten Masse aber war noch kein Bewusstsein entstanden, daß man überhaupt eigene Rechte haben sollte oder, so man sich ihrer doch bewußt war, daß man sie wahrnehmen, sie verteidigen und dafür eintreten muß. Mullen schildert also anhand dieser Einheit schwarzer Cops das sehr frühe Stadium einer immer stärker werdenden Bewegung und zugleich schildert er die Ängste und Unsicherheiten, die damit einhergehen, die Selbstzweifel, die sich einstellen, und stellt auch die Frage danach, was wichtiger sei – das eigene Leben, der persönliche Erfolg, oder das Eintreten für eine größere Sache? Gerade Boggs mit seinem Bildungshintergrund wird immer wieder mit dieser Frage konfrontiert und muß sie unter Bedingungen und Umständen beantworten, die es eigentlich einfach machen würden, zu gehen, dieses Leben hinter sich zu lassen und im Norden oder gar in Europa ein besseres Dasein zu fristen. Boggs entscheidet sich schließlich dafür, zu bleiben und für die größere Sache zu  kämpfen. Mullen stellt diese Entscheidung aber nicht als eine heroische dar, sondern eher als eine Zwangsläufigkeit, die sich auch aus den Erlebnissen ableitet, die der junge Mann im Laufe der Romanhandlung machen musste. Das lässt sie ernsthaft, wahrhaftig und umso gefährlicher erscheinen.

Vielleicht ist ein weißen Autor, der über Alltags- und institutionellen Rassismus schreiben will, gut beraten, ein historisch verortetes Sujet zu wählen und nicht aus der Gegenwart zu berichten, deren Spezifika er möglicherweise nicht versteht, gar nicht verstehen kann. Mullen nutzt das Genre und die zeitliche Verortung seiner Story, um mit Verve und sehr, sehr eindringlich von Unterdrückung und Aufbegehren zu berichten und verweist doch immer auch auf unsere Gegenwart, die sich zwangsläufig aus den Entwicklungen der vergangenen 60, 70 Jahre ergibt und die nominell viele Verbesserungen aufweist. Und dennoch bleibt nach der Lektüre eines Romans wie DARKTOWN ein bitterer Nachgeschmack, der sich eben aus der Kenntnis unserer Zeit speist und dadurch hervorgerufen wird, daß wir, als Leser, wissen, wie wenig sich wirklich im Bewußtsein gerader vieler weißer Menschen geändert hat. Und das ist beängstigend.

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