DAS VERSCHWINDEN DES PHILIP S.

Ein Blick auf den Aufbruch der 68er-Generation

Im Mai 1975 kommt es auf einem Kölner Parkplatz zu einem Schußwechsel zwischen den Insassen eines im Zuge der damaligen Rasterfahndung angehaltenen PKW und der Polizei. Der Polizist Walter Pauli stirbt dabei im Kugelhagel, die vermeintlichen Terroristen Karl Heinz Roth und Roland Otto werden verhaftet, der schwer verwundete Terrorist Philip Werner Sauber erliegt seinen Verletzungen noch auf dem Weg ins Krankenhaus.

Welcher Weg führte Philip Werner Sauber – Kind reicher Schweizer Eltern, Bruder des späteren Formel-1-Rennstallbesitzers Peter Sauber, Fotograf und Student an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin, Lebensgefährte der Autorin des hier vorliegenden Werkes DAS VERSCHWINDEN DES PHILIP S. (2013) – in den so entscheidenden Jahren um 1968  dorthin, in diesem Auto auf jenen Parkplatz in Köln-Gremberg?

Ulrike Edschmid spürt in ihrem Kurzroman (wenn es denn einer ist) dieser Frage nach. Sie beschreibt in einer prosaischen, dem Geschehen manchmal nahezu distanziert begegnenden Sprache, die sich lediglich seltene Ausflüge ins Poetische (und somit Emotionale) erlaubt, den Weg einer Generation, die sich aufmacht, es – die Erziehung der Kinder, den Umgang mit und in der Gesellschaft, miteinander und der Welt – „anders“ zu machen, natürlich besser als die Elterngeneration. Der Tod Benno Ohnesorgs 1967 wird ihr – wie so vielen, die aus diesen Jahren berichten – zum Fanal. Sie lernt den an Politik zunächst eigentlich wenig interessierten Philip S. (alle Namen in diesem Buch werden – ob Vor- oder Nachname, lediglich mit dem Anfangsbuchstaben gekennzeichnet, außer den engsten Betroffenen der Handlung) kennen, der an der Filmakademie studiert und der den halbstündigen Film DER EINSAME WANDERER (1968) dreht, eher ein Werk der Innerlichkeit, als des politischen Aufbruchs.

Erst nach und nach werden Philip S. und die Autorin mit hineingezogen in die bewegten Zeiten in Berlin, wo sie leben. Schließlich jedoch engagieren sie sich zunehmend in der Studentenbewegung, ziehen in WGs mit anderen zusammen (unter anderem mit dem später in einem fürchterlichen Hungerstreik verstorbenen Holger Meins), gründen einen Kinderladen (die Autorin hatte einen damals kleinen Sohn, dessen sich Philip S. an Vaters Statt annahm). Spätestens mit dem Attentat auf Rudi Dutschke im April 1968 und der anschließenden gewaltsamen Demonstration am Springergebäude, beginnt die Radikalisierung bei dem Paar, v.a. bei Philip S.. Die Hausdurchsuchungen werden häufiger, wieder und wieder werden die Bewohner der WG von der Polizei schikaniert. Nachdem sie schließlich für einige Wochen in Haft genommen und dann – in Ermangelung gerichtsverwertbarer Beweise, schließlich entlastet durch die Aussage einer anderen Person – freikommen, beginnt ein schleichender Entfremdungsprozeß zwischen den beiden. Die Autorin will nie mehr ins Gefängnis, will nie mehr ihr Kind verlassen und zieht daraus die Lehre, sich aus den radikaleren Kreisen, bzw. deren Kämpfen, zurückzuziehen; Philip S. hingegen taucht geradezu in die Radikalisierung ein, schließt sich der „Bewegung 2. Juni“ an, bzw. agiert in deren Umfeld. Daraus erwächst eine immer  stärkere Distanz, die schließlich nicht mehr überbrückbar ist. Philip S. zieht aus und das  Paar sieht sich nur noch einige wenige Male. Ulrike Edschmid macht Philip S.‘ Schwur, nie mehr ins Gefängnis zu gehen, mitverantwortlich für seine Kompromißlosigkeit in Köln, seinen Fluchtversuch und die Bereitschaft, selbst zu schießen und den Tod anderer in Kauf zu nehmen.

Das wird alles auf gerade einmal 150 schmalen Seiten erzählt – stringent, schnörkellos, ohne Umschweife. Was dabei erstaunt, ist die Tatsache, daß es Edschmid nicht nur gelingt, ihren einstigen Lebensgefährten als Charakter auferstehen zu lassen, sondern auch eine Art Generationenportrait zu zeichnen. Den Duktus der Literatur jener Jahre nutzend, dadurch sehr nüchtern in der Betrachtung der damaligen Entwicklungen, läßt sie den Leser nachvollziehen, warum aus dieser Generation so viele zunächst widerständig, einige dann wirklich radikal wurden. Auch ist nachvollziehbar, wie das Politische und das Private sich zu durchdringen begannen. Fast organisch mutet es an, wie diese Lebenswege in die Radikalisierung führen und welche inneren Kämpfe oft durchzustehen waren, um sich vor sich selbst zu rechtfertigen, weil man dann doch das Persönliche vorzog – in diesem Falle die Sorge um ein Kind. Die Parole, daß man zur Not für den Kampf bereit sein müsse, sich von den eigenen Kindern zu trennen (und was Ulrike Meinhof ja exemplarisch grausam vorexerziert hatte), wird im Buch erwähnt und, wenn man so will, widerlegt.

Das Portrait ihres Lebensgefährten Philip S. gerät Ulrike Edschmid stellenweise vielleicht zu positiv, ein guter Mensch, der mit Kindern umgehen kann, der über eine hypersensible Art der Wahrnehmung anderer und der Welt verfügt, die sich in seinem Film Ausdruck verleiht – manches gerät doch etwas zu eindimensional, zu lobpreisend. So werden die Monate der Entfremdung nicht beschrieben, lediglich erwähnt. Edschmid ist manches Mal bereit, Sprünge und harte Schnitte in der Erzählung in Kauf zu nehmen, um dem Rhythmus des Erzählens, das ja eher einen Panoramablick auf den Aufbruch einer Generation bietet, als daß es ein in die spezifische Situation eintauchendes ist, gerecht zu werden. Bedenkt man jedoch, daß hier klaren Blickes auf eine nahezu 40 Jahre zurückliegende Liebesgeschichte, eingebettet in die Geschichte dieser spezifischen Generation, zurückgeschaut wird, soll ein vielleicht an manchen Stellen geschönter Blick nicht verstellen, wie genau, klar und präzise diese entscheidenden Jahre der jüngeren Republik erfasst werden. Das wird dieser Geschichte z.B. weitaus gerechter, als es bspw. Steve Sem-Sandbergs Versuch eines Portraits von Ulrike Meinhof – THERES (1996) – gewesen ist. Möglicherweise liegt es daran, daß Edschmid diese Jahre eben wirklich hautnah mitbekommen hat. So wird hier auch Holger Meins auf eine sehr stille und vorsichtige Art und Weise noch einmal betrauert.

Ein kleiner, knapper Text, der weit ausholend wesentliche Jahre dieses Landes erzählt und zu deren Verständnis beiträgt, der die Geschichte eines jener Toten erzählt, deren Namen nicht sofort erinnerlich sind, wenn man von den Jahren der RAF, des deutschen Terrorismus generell und der „bleiernen Zeit“ spricht. Ein eindringliches Buch.

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