DER LEICHENDIEB/THE BODY SNATCHER – Ein Beispiel dafür, wie sich die Horrorfilme der RKO-Studios von jenen der Universal-Studios absetzten

Robert Wise, Val Lewton und das Horrorfilm-Genre im frühen Hollywood

Edinburgh 1831 – Doktor MacFarlane (Henry Daniell) gilt als Koryphäe und führende Kraft auf dem Gebiet der Anatomie. Er unterrichtet in seinem Haus Studenten. Um diese mit genügend anatomischem Material zu versorgen, lässt er den Leichenräuber Mr. Gray (Boris Karloff) für sich arbeiten. Dieser – von Haus aus Droschkenkutscher – plündert nachts frische Gräber und bringt die eben Beerdigten in MacFarlanes Haus.

MacFarlane wird eines Tages von Mrs. Marsh (Rita Corday) und ihrer Tochter Georgina (Sharyn Moffett) aufgesucht. Georgina hatte einen Unfall, seither ist sie an den Rollstuhl gefesselt. Mrs. Marsh erhofft sich von dem berühmten Arzt Besserung oder gar Heilung des Leidens ihrer Tochter. Doch MacFarlane lehnt ab. Einerseits sei die Operation zu gefährlich, andererseits habe er keine Zeit, da er sich um seine Studenten kümmern müsse. Alles Bitten und Flehen hilft nicht.

Auch der Meisterstudent Donald Fettes (Russel Wade) kann das Herz seines Mentors nicht erweichen. Als Fettes MacFarlane darum bittet, ihn als Studenten zu entlassen, da er sich die Studiengebühren nicht mehr leisten könne, macht MacFarlane ihn kurzerhand zu seinem persönlichen Assistenten.

MacFarlane versteht sich als Wissenschaftler im Sinne der Aufklärung, womit er die ungewöhnlichen Methoden, mit denen er sich sein „Material“ besorgt, gegenüber Fettes rechtfertigt. Fettes wird eines Nachts – er lebt jetzt in MacFarlanes Haus – durch ein Klopfen an der Hintertür geweckt und begegnet so erstmals Mr. Gray in dessen Funktion als Zuträger von Leichenmaterial.

MacFarlane nimmt Fettes bei anderer Gelegenheit mit in ein Wirtshaus, wo sie sich mit Gray treffen. Dieser macht sich über MacFarlane lustig, nennt ihn konsequent „Toddy“, wodurch er seine Geringschätzung für den Arzt zum Ausdruck bringt, und deutet immer wieder an, daß die beiden Männer ein dunkles Geheimnis verbindet.

Da Gray das behinderte Kind und seine Mutter zu MacFarlanes Haus gebracht und die Kleine aufgefordert hatte, mit seinem Pferd Freundschaft zu schließen, liegt ihm am Schicksal des Kindes. Er zieht den Doktor damit auf, daß dieser die Operation an dem Mädchen nicht durchführen will. Auch Fettes, der sich mehrfach mit Georgina und ihrer Mutter auf der Burg hoch über der Stadt getroffen hat, dringt noch einmal in MacFarlane, das Kind zu behandeln. Doch MacFarlane lehnt ab. Er habe nicht das notwendige „Übungsmaterial“, ohne welches er den Eingriff nicht wage.

Mr. Gray macht sich nachts auf, um das „Material“ zu besorgen. In der düsteren, nebligen Nacht verfolgt und tötet er eine Straßensängerin, die immer am Fuß der Burg steht und die Fettes in eben dieser Nacht noch getroffen hat. Der junge Student erkennt sie auch sofort und bezichtigt Mr. Gray des kaltblütigen Mordes. Gray seinerseits erpresst nun MacFarlane, die Operation durchzuführen.

MacFarlane weist Fettes darauf hin, daß dieser als Mitwisser gelten könne, wenn er zur Polizei gehe. Stattdessen solle er ihm, MacFarlane, helfen, die Operation vorzubereiten. Fettes fügt sich widerwillig in sein Schicksal. Er und MacFarlane führen den Eingriff schließlich durch und der Doktor ist der Ansicht, daß das Kind nun wieder gehen können müsste. Doch Georgina behauptet weiterhin, nicht laufen zu können. Während MacFarlane ihr bittere Vorwürfe macht und sie fast quält, versucht Fettes, beruhigend auf sie einzuwirken und ihr gut zuzureden.

MacFarlanes Diener Joseph (Bela Lugosi), der die Vorgänge im Haus genau beobachtet, sucht Mr. Gray auf, um diesen zu erpressen. Gray umschmeichelt den schüchternen Mann und bringt ihn dann um. Den Leichnam liefert er bei MacFarlane als „Geschenk“ ab.

Meg Cameron (Edith Atwater), MacFarlanes Haushälterin, die in Wirklichkeit aber seine Geliebte und sogar seine Frau ist, dringt in Fettes, das Haus zu verlassen. Sie offenbart dem entsetzten jungen Mann, wie Mr. Gray und MacFarlane miteinander verbunden sind. Beide waren einst in die Morde rund um den Anatom Dr. Knox verwickelt und Gray schwor einen Meineid, um MacFarlane vor dem sicheren Tod am Galgen zu bewahren.

MacFarlane begibt sich zu Mr. Gray, um sich von diesem frei zu kaufen. Doch der Kutscher lehnt ab. Er verhöhnt den Doktor ein weiteres Mal und erklärt ihm, daß er dessen Nemesis sei, bis an sein Lebensende in seinem Nacken säße und es genießen würde, MacFarlane wie eine Marionette tanzen zu lassen. Er, Mr. Gray, sei nur ein kleiner, unbedeutender Mann, aber er sei auf immer mit MacFarlane, dem berühmten und angesehenen Arzt, verbandelt. Zwischen den Männern kommt es zu einem erbitterten Kampf in dessen Verlauf es MacFarlane gelingt, seinen Widersacher zu erschlagen.

Derweil hat sich Fettes erneut mit Georgina und Mrs. Marsh auf der Burg getroffen. Er spricht der Frau gut zu. Während die beiden miteinander reden, hört Georgina unter der Mauer der Burg Hufgeklapper, das sie für jenes von Mr. Grays Pferd hält. Der hatte ihr ja einst gesagt, sie solle immer auf dieses Geklapper hören, denn sein Pferd sei ihr Freund. Da weder Mrs. Marsh noch Fettes der Kleinen zuhören, als diese darum bittet, aus dem Rollstuhl gehoben zu werden, steht sie schließlich auf und macht einige Schritte zur Mauerkrone. Fettes sieht das und begreift: MacFarlanes Operation war erfolgreich, das Kind hatte nur eine psychische Sperre, kein Vertrauen mehr in ihre Beine und die Fähigkeit, laufen zu können.

MacFarlane ist in eine Stadt nahe Edinburgh gefahren, um dort Mr. Grays Kutsche und Pferd zu verkaufen und damit die Spuren seines Tuns zu verwischen. Fettes, der seinem Mentor erzählen will, was geschehen ist, folgt ihm und trifft den betrunkenen MacFarlane in einem Landgasthaus. Der Arzt erklärt, ab nun selber für die Leichenbeschaffung zuständig zu sein.

So brechen die beiden in Mr. Grays Kutsche, die sich noch im Besitz von MacFarlane befindet, auf, um aus einem frisch ausgehobenen Grab auf einem kleinen Landfriedhof die Leiche einer kürzlich Verstorbenen zu klauen. Mit dem toten, in ein Tuch gewickelten Leib zwischen sich, treten sie die Rückfahrt an. Es stürmt und gewittert und durch den Donner vermeint MacFarlane Grays Stimme zu hören, die ihn ruft und ihm immer wieder jene Worte zuraunt, die Mr. Gray kurz vor seinem Tod so selbstsicher geäußert hatte – daß nämlich der Arzt ihn nimeals los würde.

Je intensiver das Unwetter wird, desto mehr nimmt MacFarlanes Wahn zu. Schließlich fällt Fettes durch die waghalsige Raserei der Kutsche aus dem Wagen. MacFarlane, nun allein mit dem Leichnam, sieht entsetzt, wie das Leichentuch sich öffnet und den nackten, weißen Leib von Mr. Gray offfenbart. Die Pferde gehen schließlich durch und die Kutsche stürzt eine Böschung hinab. Als Fettes die Unglücksstelle erreicht, findet er den toten Doktor und neben ihm die Leiche einer Frau.

In jenen goldenen Tagen der klassischen Ära Hollywoods – gemeint sind die Jahre zwischen 1920 und ca. 1940 – standen einzelne Studios durchaus für bestimmte „Produktlinien“. Zwar stellten alle großen Studios[1] Filme her, die in den unterschiedlichsten Genres angesiedelt waren, doch für das Melodrama, „bigger than life“, stand MGM, der harte, auch sozialkritische Gangsterfilm wurde zumeist bei den Warner Bros. produziert, beide standen auch für bestimmte Schulen des Musicals. Western waren in ihrem damaligen Erscheinungsbild als serielle Massenware entweder eine Angelegenheit jener kleinen, heute vergessenen Studios der Poverty Row oder aber einzelne Prestige-Produktionen der großen Firmen. Der Horrorfilm hingegen hatte sein natürliches Zuhause unter dem Dach der damals vergleichsweise kleinen Universal Studios, wo Klassiker wie DRACULA (1931) oder FRANKENSTEIN (1931) den Ruhm der Produktionsgesellschaft maßgeblich mit begründeten. Das bedeutete natürlich nicht, daß sich nicht auch andere Studios an ihnen eher fremden Genres versuchten: So wollte MGM unbedingt den Erfolg von DRACULA kopieren und gar übertreffen, engagierte dessen Regisseur Tod Browning und ließ ihn, unter der Aufsicht des Produzenten-Tycoons Irving Thalberg, FREAKS (1932) drehen, der für das Studio dann aber ein großes Verlustgeschäft bedeutete und intern alles andere als wohlgelitten war.

Der Film ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein Studio mit ihm eher fremden Material umgehen konnte: FREAKS wurde etliche Male um- und neu geschnitten, teils regelrecht verstümmelt, was ihn jedoch nicht davor bewahrte, sowohl in einigen Staaten der USA, als auch im Ausland mit massiven Zensurauflagen und Verboten belegt zu werden. Ähnliches wiederholte sich bei MGM im Fall des ‚Film Noir‘-Beitrags THE POSTMAN ALWAYS RINGS TWICE (1946), dessen moralische Doppeldeutigkeit die Studiobosse erzürnte und seinem Produzenten in arge Bedrängnis brachte. Zwar wurde der Film weder verboten, noch stark gekürzt, MGM ließ danach allerdings weitestgehend die Finger vom ‚Film Noir‘, wie es nach der Erfahrung mit Brownings Film auch lange Zeit nicht mehr als maßgeblicher Produzent von Horrorfilmen hervortrat.

Die Grusel-Schocker der Universal Studios sind auch deshalb so erfolgreich und berühmt geworden, weil sie den mythischen Stereotypen, den klassischen Halbwesen wie dem Vampir, dem Werwolf oder Frankensteins Ungeheuer, einen einmaligen und ikonographisch bis heute gültigen Look verpassten. Während sich auch fast 90 Jahre nach seinem Erscheinen viele an Boris Karloff in der Maske des Ungeheuers erinnern, wird man das kaum über jenes Wesen sagen können, das Christopher Lee in der Version der britischen Hammer Studios von 1957 verkörperte. Hingegen ist sein Graf Dracula auch deshalb präsent, weil Terence Fisher, der seine Version des Vampir-Stoffes 1958 für Hammer realisierte, auf Bela Lugosis Erscheinung im älteren Film rekurrierte. Wenn also im klassischen Hollywood ein anderes Studio ebenfalls im Bereich des Horrorfilms reüssieren wollte, musste es sich deutlich von den Universal-Filmen absetzen. Von den großen Studios war dies vor allem RKO.

Die Radio-Keith-Orpheum Pictures Inc., wie der Name vollständig lautete, produzierte querbeet und erschloß sich ein weites Spektrum an Genremöglichkeiten, war also mitnichten so festgelegt, wie bspw. MGM, wo alles groß und glamourös sein musste. Das lag nicht zuletzt an den Besonderheiten der Organisation bei RKO. Anders als die meisten anderen Major-Studios, stand RKO nicht streng hierarchisch geordnet unter der Leitung eines alles beherrschenden Bosses. So ertanzten sich Ginger Rogers und Fred Astaire hier ihre größten Erfolge, wurde der Western CIMARRON (1931) die erste Produktion des Studios, die einen Oscar als „Bester Film“ erhielt, und unter dem Regisseur und Produzenten David O. Selznick wurden auch im Bereich des Melodramas und der Komödie Erfolge erzielt. Es war schließlich Merian C. Cooper, der mit KING KONG (1933) auch den Horrorfilm bei RKO etablieren konnte. Zu voller Blüte brachte das Genre jedoch der Regisseur und Produzent Val Lewton. 1942 als Chef der Horrorfilm-Abteilung eingesetzt, die bewusst billig produzieren und so Gewinne ohne allzu hohes Risiko generieren sollte – gedacht als Mittel gegen und Antwort auf die erste wirtschaftliche Krise des Kinos in den Jahren der großen Depression, als die Zuschauerzahlen merklich sanken – machte sich Lewton die organisatorisch flexiblen Möglichkeiten des Studios zunutze. Die Strukturen erlaubten den ausführenden Produzenten größere künstlerische Freiräume, was Lewton u.a. die Möglichkeit gab, jungen Regisseuren die Chance zu geben, sich auszuprobieren. Bestes und vielleicht berühmtestes Beispiel ist Jacques Tourneur, der für RKO später den Noir-Klassiker OUT OF THE PAST (1947) drehen sollte, zuvor aber mit CAT PEOPLE (1942) und I WALKED WITH A ZOMBIE (1943) zwei Perlen des Horrorfilms realisierte, die bei Fans, Afficionados und Filmhistorikern auch heute noch hoch angesehen sind. Lewton, der schließlich elf Filme für RKO produzierte, gab auch anderen Talenten eine Chance, darunter dem jungen, aufstrebenden Robert Wise.

Wise hatte seine ersten Schritte beim Film als Editor gemacht, war also für den Schnitt verantwortlich. Ein leider unrühmlicher Höhepunkt dieser Jahre, die er bereits bei RKO verbracht hatte, war seine Beteiligung an der eigenmächtigen Schnittfassung des Studios von Orson Welles´ allgemein als Meisterwerk gehandelten Film THE MAGNIFICENT AMBERSONS (1942), für den er in Abwesenheit des Regisseurs auch einige Szenen nachdrehte. Als hauptverantwortlicher Regisseur hatte er sich nur kleinere Meriten verdient, u.a. als Co-Regisseur bei THE CURSE OF THE CAT PEOPLE (1944), offizieller Nachfolger von Tourneurs Film, ohne daß der Regisseur des Originals beteiligt war. Darüber, wie dieses Werk zu betrachten oder gar zu beurteilen ist, wird in der Filmwissenschaft auch heute noch gern gestritten, inhaltlich hatte er mit dem Vorläufer nur wenig zu tun. Wise hatte hier jedenfalls erste echte Erfahrungen als Regisseur erwerben können, drehte dann zwei kleinere, eher unbedeutende Filme und bekam von Val Lewton 1943 das Angebot, eine Kurznovelle des schottischen Autors Robert Louis Stevenson zu verfilmen. THE BODY SNATCHER (gedreht 1943 oder 1944, die Angaben variieren[2]; erschienen 1945) wurde zu einem Erfolg für RKO, seinen Regisseur und auch für Boris Karloff, der hier eine der besten Performances seiner Karriere ablieferte. Der Film funktioniert und überzeugt auch noch mehr als 60 Jahre nach seiner Erstaufführung. Er ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie ein Studio sich seine Vorbilder – in diesem Fall Universal und seine Horrorstoffe – zunutze machen und zugleich davon absetzen und etwas Eigenes entwickeln konnte. Neben KING KONG und Tourneurs Filmen, ist es THE BODY SNATCHER, der aus den RKO-Produktionen im Bereich des Horrorfilms hervorsticht.

KING KONG ähnelte mit seinen rassistischen Untertönen, einer bei aller ambivalenten Sympathie für den Riesenaffen doch eindeutigen Zuordnung von Gut und Böse und den Schau- und Schockeffekten, die er bot, durchaus den Universal-Horrorfilmen. Tourneurs Filme, vor allem die ersten beiden, die er für RKO drehte, gingen da schon anders an ihr Sujet heran. Bewusst verzichtete der Regisseur auf Schocks, mehr noch: Man sieht in CAT PEOPLE, außer in einer einzigen Szene im Büro der männlichen Hauptfigur, in der plötzlich ein Panther auftaucht und die Protagonisten bedroht, eigentlich nie, worin die Bedrohung wirklich besteht. So bleibt alles in der Schwebe, symbolisch, wird eher vage angedeutet oder bleibt der Interpretation des Zuschauers überlassen. CAT PEOPLE ist ein frühes Meisterwerk des psychologischen Horrors, bei dem Tourneur vor allem auf Atmosphäre setzte. Der Gegensatz aus damals modernem Art-Déco und dem archaischen Aberglaube, ein mythisches Halb-Wesen zu sein, das Spiel aus Licht und Schatten, die Andeutungen und Möglichkeiten sind es, die den Film spannend machen, dabei jedoch einen eher subtilen, fast stillen Horror hervorrufen. In I WALKED WITH A ZOMBIE ging Tourneur etwas weiter und sorgte in einer Szene für wirkliche  Schreckmomente, wenn die Hauptdarstellerin Frances Dee sich nachts im Urwald verirrt und einem jener Zombie-Wesen begegnet, die hier aber Sklaven eines Voodoo-Zaubers sind, keine Untoten, wie in späteren Variationen des Themas. Aber auch in seinem Karibik-Abenteuer bleibt sich Tourneur weitestgehend treu und lässt das Grauen auf eher leisen Sohlen an den Zuschauer herantreten. Auch hier beweist er sich als Meister des Schattenspiels und liefert eine Atmosphäre, die auch seine späteren ‚Film-Noir‘-Beiträge auszeichnete, inklusive des melodramatischen Ansatzes.

Robert Wise hingegen drehte mit THE BODY SNATCHER eine brillante Fusion aus für die Universal-Horrorfilme typischen Momenten des Schreckens und einem tiefgreifenden psychischen Unwohlsein, welches die Story, mehr noch die Darstellung der einzelnen Charaktere, hervorruft. Während er erste perfekt, weil spärlich, einzusetzen verstand, lässt Wise letzteres – eine moralische Mehrdeutigkeit, die den ganzen Film bestimmt – durchgehend zu, womit er sein Publikum nachhaltig zu verunsichern versteht. So lieferte er nicht nur einen hervorragenden Horrorfilm, sondern auch eine wirklich gelungene Literaturverfilmung.

Robert Louis Stevenson gehörte zu jenen Autoren des 19. Jahrhunderts, die oberflächlich betrachtet Abenteuer-, gelegentlich Schauergeschichten schrieben, ihr Sujet aber immer dazu nutzten, Beobachtungen des und Erkenntnisse über den Menschen und seine seelische Verfassung zu vermitteln. Das funktionierte sowohl auf der moralischen, als auch auf der psychologischen Ebene. Seine Figuren sind oftmals Situationen ausgesetzt, die sie ihre Fassung und Haltung verlieren lassen, in denen sie ihren eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht werden können. Zugleich weist Stevenson aber auch immer wieder nach, daß der Mensch ein zwiegespaltenes Wesen ist, in dem Gut und Böse zu etwa gleichen Anteilen vertreten sind. Und ebenso kreiert er immer wieder Szenarien, in denen der einzelne nicht mehr Herr seiner selbst ist, nicht zwingend entscheiden kann, was Gut, was Böse eigentlich ist. Klassisches Beispiel dafür ist seine Erzählung STRANGE CASE OF DR. JEKYLL AND MR. HYDE von 1886, deren Verfilmung die Paramount Studios 1931 mit Fredric March in der Hauptrolle herausbrachten. Sie besitzt bis heute Gültigkeit und kann als der herausragende Horrorfilm dieses Studios betrachtet werden.

Ähnlich wie beim Fall des Dr. Jekyll, hat man es auch in THE BODY SNATCHER zunächst einmal mit einem Mann der Wissenschaft zu tun, der bereit ist, für seine Profession weit, schließlich zu weit zu gehen. Anders als im ersteren Fall, ist der Handelnde hier nicht bereit, sich selbst als Objekt seiner Experimente zu nutzen, sondern geht wortwörtlich über Leichen. Denn hier geht es um anatomische Versuche an eben solchen, die dafür – natürlich gesetzeswidrig – eigens ihren frischen Gräbern entnommen werden und auf dem Seziertisch eines Arztes landen. Eindeutig als Schauerstück zu erkennen, versteht Stevenson es dennoch, in seiner Geschichte psychische Versehrtheit durch die Untaten, die man begangen hat, herauszuarbeiten. Zudem verdeutlicht er eine moralische Schranke zwischen einem Schurken und einem Mörder. Letzterer scheint in Stevensons Betrachtung für jedwede moralische Läuterung verloren, während der Schurke, der sich aus niedrigen Gründen oder aber auch Eitelkeit an Verbrechen beteiligt, zumindest an seinem Tun leidet. Und auch den Wahn, der sich eines Geistes bemächtigen kann, der das eigene Tun nicht mehr zu rechtfertigen weiß, vermittelt Stevenson eindringlich.

Vorbild für den Autor war der reale Fall der Leichenräuber und Mörder William Burke und William Hale, deren Taten als „West-Port-Morde“ in die an grausigen und unheimlichen Begebenheiten nicht gerade arme Geschichte Edinburghs eingingen. Stevensons Geschichte nimmt direkten Bezug auf die historischen „West-Port-Morde“ und den darin verwickelten Dr. Robert Knox, dem die Mörder zuarbeiteten. Das Motiv, daß Knox im Sinne der Aufklärung tätig war, weil er als Anatom maßgeblich zu Erkenntnissen über den menschlichen Körper betrug, lässt der Autor anklingen, spielt es jedoch nicht wirklich aus. Haltbar ist diese These aus heutiger Sicht sowieso nicht mehr, da Knox thematisch eher ein Vorläufer jener Rassentheoretiker war, die schließlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihre hässlichste Ausformung in der Eugenik fand.

Philip MacDonald und Val Lewton, die gemeinsam das Drehbuch des Films erarbeiteten und schrieben, modelten Stevensons Geschichte dann auch entsprechend um, verschoben die Schwerpunkte und stellten den ambivalenten Aspekt, einer guten Sache mit bösen Mitteln zu dienen, deutlicher heraus, bauten zugleich aber auch Nebenhandlungen ein, die es dem Zuschauer erlaubten, sich moralisch an einigen Figuren auf-  und auszurichten. Dazu zählt vor allem der Fall der kleinen Georgina Marsh, die seit einem Unfall nicht mehr laufen kann, in einem Rollstuhl sitzt und zu vereinsamen droht. Zudem brauchten die Autoren natürlich ein dramaturgisches Gerüst, um die Geschichte in eine damals gültige Spielfilmlänge von ca. 80 Minuten bei eindeutig als B-Movies markierten Produktionen zu packen. So wird aus dem in Stevensons Erzählung moralisch verkommenen Dr. Fettes im Film der strahlende Held, der bei Dr. MacFarlane seine Ausbildung zum Arzt absolviert. In der Vorlage sind die beiden gleichrangig Studenten bei Knox. Im Film war MacFarlane einst dessen Schüler, tritt nun aber selbst als Koryphäe und Ausbilder in Erscheinung, der Fettes unter seine Fittiche nimmt. Die Rahmenhandlung lassen die Autoren vollkommen entfallen, doch gibt es mehrere eindringliche Dialogpassagen zwischen Henry Daniell als Dr. MacFarlane und Boris Karloffs Mr. Gray, dem Leichendieb, die die schicksalhafte Verbundenheit aufgrund der gemeinsamen Vergangenheit in Knox´ Diensten verdeutlichen. Man kann also sagen, daß Lewton und MacDonald die Rahmenhandlung in abgewandelter Form in die eigentlichen Geschehnisse als wesentliche Motivation für Grays Verhalten eingebaut haben. Ein gutes Beispiel für klassisches Script-Writing in Hollywood, dafür, wie Dramaturgie und erzählerische Ökonomie oft erstaunliche Ergebnisse zeitigten.

Robert Wise konnte also, als er mit dem Dreh begann, auf ein hervorragendes Buch zurückgreifen. Folgt man den Angaben der IMBd, wurde zwischen dem 25. Oktober 1944 und dem 17. November desselben Jahres gedreht. 23 Tage Drehzeit waren für ein Produkt, das eindeutig dem Billigsektor zuzurechnen war, durchaus normal, wenn nicht sogar großzügig angesetzt. Daß THE BODY SNATCHER dennoch wie eine aufwendige Produktion wirkt, verdankt er der Tatsache, daß Lewton Wise die Kulissen anderer, älterer und teurerer Filme zur Verfügung stellen konnte. So sind sowohl die Außendekors eines früheren Edinburghs – inklusive der imposanten Burg, die die Stadt überragt und wo Fettes sich mehrfach mit Mrs. Marsh und ihrer Tochter trifft, sowie der düsteren Gassen der Old Town – als auch die Innenausstattung in MacFarlanes Haus durchaus erlesen und ansehnlich. Wise setzte vor allem auf Atmosphäre und diese nicht als die üblichen Studiokulissen zu betrachtenden Bauten tragen maßgeblich dazu bei, daß ihm jene eindringliche wie teils bedrückende Atmosphäre gelang, die den Film auch heute noch trägt. Es ist eine Atmosphäre des Grand Guignol, des viktorianischen Theaters und Schauerromans, die auf durchaus dramatische Effekte wie nächtliche Nebel, Düsternis und Regensturm setzt und dadurch umso stärker mit der aufklärerischen und ambivalenten moralischen Seite der Geschichte, wie Wise und Lewton sie erzählen, kontrastiert. Andererseits gilt es zu bedenken, daß das Theater des Grand Guignol seinerseits eine Fortführung des Theaters der Aufklärung gewesen ist, des sogenannten ‚Theaters der Empfindsamkeit‘. So kommt in der Art und Weise, wie Wise seinen Film in Szene setzt, die innere Struktur der Erzählung auf verschiedenen Ebenen zum Tragen.

Robert de Grasse sorgte hinter der Kamera für kongeniale Bilder zu Wise´ meist hintergründiger Inszenierung. Es gelingt ihm, die Bedrohlichkeit, die sich hinter Figuren wie Mr. Gray verbirgt, in der Düsternis der Stadt zu spiegeln. Das Spiel aus Licht und Schatten – wobei die Schatten gerade in den Nachtaufnahmen oft jedes Licht, alle Wärme und damit auch Menschlichkeit zu schlucken scheinen und Mr. Gray in seiner Kutsche wie das einzige Lebewesen wirkt, das hier überhaupt existieren kann – verweist auf den ‚Film Noir‘, wo gerade der Wechsel zwischen Helligkeit und Dunkel so viel nicht nur zur Atmosphäre, sondern auch zur Haltung der Filme, ihrer Aussagen und Deutungen beitrug. So auch hier. Edinburgh mit seiner Universität und den dort Lehrenden spielte eine wesentliche Rolle in der Geschichte der europäischen Aufklärung. „Enlightenment“, der englische Begriff dieser für Europa und die Vereinigten Staaten so wesentlichen Epoche, beinhaltet seinerseits schon das Wesen des Lichts, welches die Schatten erhellt – die Schatten menschlichen Wissens, die in der Düsternis nach Religion oder Aberglaube greifen, um sich gegen die Furcht zu wappnen. De Grosse gelingen in seinen Bildern somit brillante Metaphern des Gedanken, der in  „Enlightenment“ steckt, wenn er Räume mal im Dunkeln zeigt, sie dann teils erhellen lässt und doch auch wieder der Dunkelheit anheim gibt, sie nahezu von dieser fressen lässt. So spielen diese Bilder also nicht – wie im ‚Film Noir‘ vielleicht – nur auf die Finsternis der menschlichen Seele an, wo sich Gutes und Schlechtes einen ewigen Kampf liefern, sondern auch ganz konkret auf die Zeit, in der der Film spielt.

In diesem Zusammenhang unvergessen bleibt im Falle von THE BODY SNATCHER eine der grausigsten Szenen, die das klassische Hollywood-Kino zu bieten hat. Nachdem Mr. Gray sein Pferd aufgesucht und ihm mitgeteilt hat, sie beide müssten noch einmal los, in die Nacht hinaus, es gäbe Arbeit zu verrichten, schneidet Wise auf einen dunklen Torbogen, durch welchen wir die den Film bis dahin begleitende Straßensängerin verschwinden sehen, bis der Schatten sie aufgenommen hat und wir nur noch ihre liebliche Stimme vernehmen. Seit dem Umschnitt hören wir zudem das Klappern von Grays Pferd auf dem Kopfsteinpflaster – ein Geräusch, das den Film prägt und eine eigene dramaturgische Rolle zugewiesen bekommt, wie in THE BODY SNATCHER  generell die Tonspur wesentlich ist – und sehen dann wie die Kutsche ebenfalls langsam in dem Torbogen verschwindet. Die Kamera verharrt auf dem allen Lebens entleerten Bild, wir lauschen aber weiterhin dem hellen, aus der Dunkelheit ertönenden Gesang, hören das Hufgeklapper, bis das Lied des Mädchens unvermittelt abbricht. Mr. Gray hat seine „Arbeit“ verrichtet, MacFarlane wird neues „Material“ für seine Anatomiestunden erhalten und aufgrund der Untersuchungen, die er an dem frischen Leichnam durchführt, schließlich Mrs. Marshs Tochter Georgina operieren und von ihrem Leiden erlösen können…

Selten wurde ein Mord auf der Leinwand fürchterlicher inszeniert, ohne daß man ihn überhaupt zu sehen bekommt.

Robert Wise hatte neben den für eine Billigproduktion so ansehnlichen Kulissen aber auch das Glück, daß Val Lewton ihm eine Besetzung zur Hand gab, die es in sich hatte. Dabei ist Donald  Wade in der Rolle des Studenten Mr. Fettes noch das geringste Lob auszusprechen, da seine Aufgabe im Film darin besteht, einen in sich guten und edlen Gegenpol zu all den ambivalenten Gestalten abzugeben, die ihn umringen. Ähnliches gilt für Rita Corday als Mrs. Marsh. Auch weitere Nebenfiguren sind zwar sehr gut besetzt, allen voran Edith Atwater, die MacFarlanes Haushälterin und heimliche Geliebte spielt, doch sind sie dramaturgisch rein formal, fast funktionalistisch, zu betrachten. Einzige Ausnahme ist Joseph, MacFarlanes Faktotum, den Bela Lugosi in einer recht blutleeren Darstellung gibt. Es ist eine kleine, doch wichtige Rolle, da Joseph wie ein Hofnarr um den Doktor herumscharwenzelt, eine ewige Mahnung, ein ewiges schlechtes Gewissen, und schließlich in jenem Moment einen grausigen Tod findet, in welchem er, möglicherweise zum ersten Mal in seinem Leben, Initiative ergreift und Mr. Gray erpressen will. Lugosi wird gern on top genannt, wenn es um den Film geht, doch rechtfertigt weder die Rolle noch seine Darstellung diese Platzierung. Zurückzuführen ist dies lediglich auf das Zusammenspiel mit Karloff und die Bedeutung, die beide Schauspieler durch ihre jeweiligen Rollen in den Universal-Produktionen als Frankensteins Ungeheuer und Graf Dracula erhalten hatten. Man wollte damit werben, daß sie hier gemeinsam auf der Leinwand zu sehen waren, was durch die unterschiedliche Größe und Bedeutung ihrer Rollen in THE BODY SNATCHER hingegen nicht rechtfertigt wird.

Dr. MacFarlane wurde von Henry Daniell gespielt, der dem Arzt eine Aura des Tragischen verleiht, ihn aber auch angemessen sinister wirken lässt, so daß wir bei diesem herrischen und allzu häufig wenig empathischen Mann nie wissen, woran wir eigentlich sind. Ist er der Arzt, der um seine Fähigkeiten weiß und unter dem engen moralischen Korsett seiner Zeit – die Handlung ist im Jahr 1831 angesiedelt – in einer vom Puritanismus geprägten Stadt leidet? Oder ist er schon vollends der dunklen Seite seines Wesens verfallen, vielleicht gar jenem Wahn, den so viele Ärzte, Wissenschaftler und Psychiater in den frühen Horrorfilmen Hollywoods auszeichnete, die sich meist in der Folge von Dr. Frankenstein als modernen Prometheus, als gottgleich, betrachteten? Es ist eines der hohen Verdienste sowohl des Buches als auch von Wise´ Regie, diese Frage nie eindeutig zu klären, sondern es dem Zuschauer zu überlassen, die Handlungen der Figuren des Films zu beurteilen. Daniell, der häufig Unsympathen spielte, dabei aber nur selten die Gelegenheit bekam, diese vielschichtig  darstellen zu dürfen, gelingt eine hervorragende Leistung als ein Mann, der sich selbst definitiv als Aufklärer betrachtet in einer der Aufklärung verpflichteten Stadt und doch auch ein dunkles Geheimnis mit sich trägt, das ihn mit Männern wie Mr. Gray verbindet und seine Seele zwangsläufig in die dunkleren Gefilde menschlichen Daseins und Handelns führt.

Mr. Gray schließlich ist die heimliche Hauptfigur des Films und findet in Boris Karloff einen Darsteller, der hier wahrlich eine der besten Leistungen seiner Leinwandkarriere abliefert. Karloff wird als Schauspieler gnadenlos unterschätzt, da er allzu häufig Nebenrollen in eher nachrangigen Filmen spielte, die ihn wenig forderten. Einst berühmt geworden durch seine Darstellung des Ungeheuers in FRANKENSTEIN, bleibt er unvergessen, allerdings verborgen hinter Maske und Schminke und weitestgehend sprachlos. Gerade die Sprache aber ist es, die Mr. Gray so furchterregend macht und Karloff die Möglichkeit bietet, sein ganzes Potential auszustellen. Freundlich zu Kindern, Katzen und Pferden, offenbart Mr. Gray eine abgrundtiefe Grausamkeit, wenn er einen weiteren Leichendiebstahl auf dem Friedhof der Stadt begehen will und dafür den trauernden Hund auf dem Grab seines Herrchens gnadenlos erschlägt. Wie weit seine sadistische Neigung geht, wird aber erst in seiner Auseinandersetzung mit MacFarlane deutlich. Dieser bittet ihn in einer wesentlichen Szene inständig, von ihm abzulassen, ihn nicht weiter zu quälen und auf das Geschäft des Leichenraubs zu verzichten, erst recht darauf zu verzichten, dieses Geschäft – wie die historischen Vorbilder Burke und Hare – durch Mord noch lukrativer zu gestalten. Und hier darf Karloff zeigen, was in ihm steckt, wenn Mr. Gray eindringlich schildert, daß er nur ein kleiner Mann sei, unbedeutend, den der Zufall in einem dunklen Geheimnis an einen bedeutenden Mann wie MacFarlane kettet und den er, Gray, der unbedeutende Mann, wie eine Marionette führen, wie einen Lakaien tanzen lassen könne. Nicht nur, aber gerade in dieser Szene kommt Karloffs Talent, auch sprachlich, dialogisch, zu überzeugen, zu voller Entfaltung. Mr. Gray ist beängstigend, er ist grausam, er ist verbittert – aber ist er auch böse? Karloffs Darstellung – und das Drehbuch, das ihm all die wundervollen Zeilen zur Verfügung stellt – lässt dies offen.

Ganz sicher ist Mr. Gray als Nebenfigur konzipiert, doch gerade im Zusammenspiel zwischen ihm und dem sich in den Fallstricken des Bösen verfangenden Doktor entfaltet THE BODY SNATCHER seine Wirkung, erlangt er jene Größe, die ihn ausmacht. In dieser Verbindung kommt die ganze moralische, psychologische und emotionale Verwicklung der Geschichte zum Ausdruck. Gray hat einst – auch um MacFarlane zu schützen – einen Meineid vor Gericht geschworen, er weiß viel, allzu viel, über MacFarlanes dunkle Geschäfte, um das nötige „Material“ für seine Anatomiestunden bereit zu stellen, und er ist bitter genug, aus reiner Boshaftigkeit MacFarlane durch seine pure Anwesenheit in dessen Leben zu quälen. Geld interessiert ihn nicht, weil, wie er sagt, alles Geld der Welt ihm nicht die Freude ersetzen könne, MacFarlanes Antlitz zu betrachten, wenn er bei diesem auftaucht. Gray lebt bescheiden, er verwöhnt sein Pferd und die ganze Ambivalenz der Figur wird schon zu Beginn des Films deutlich, wenn er die kleine Georgina auffordert, dem Gaul die Nüstern zu streicheln und Freundschaft mit ihm zu schließen. Neben Fettes ist es schließlich Gray, der MacFarlane dazu bringt, Georgina zu operieren. Anders als Fettes, der seinen Mentor eindringlich bittet, ja beschwört, die gefährliche Operation durchzuführen, zwingt Gray MacFarlane dazu, indem er ihm mit dem toten Körper der Straßensängerin das „Übungsmaterial“ liefert, ohne welches, wie der Doktor behauptet, eine erfolgreiche Behandlung nicht möglich sei, da er zuvor üben müsse.

Es ist ein brillanter Zug des Scripts, die unschuldige Georgina schließlich – ohne ihr Wissen oder das ihrer Mutter Mrs. Marsh – Nutznießer des Mordes an der Straßensängerin werden zu lassen. Ein Paradebeispiel dafür, wie es Hollywood in seinen besseren Momenten immer wieder gelang, schwierige, durchaus auch philosophische Fragen in Handlung und Aktion zu übersetzen und damit verständlich zu vermitteln. So bleibt in THE BODY SNATCHER kaum eine Figur unberührt von moralischer Doppeldeutigkeit und dem, was man einst gern „das Böse“ nannte. Auf dunklen Pfaden – im philosophischen Sinne unschuldig, weil ohne Kenntnis, schuldig geworden – sind fast alle Figuren in dieses böse Spiel verwickelt, schicksalhaft aneinander gebunden und in ihren Geheimnissen miteinander verwoben.  Mutter und Tochter Marsh setzen die unheilvolle Handlung in Gang, sie stehen symbolisch natürlich für jenen Aspekt, der den Film grundiert. Denn ohne Männer wie MacFarlane, die sich gegen die moralischen Bestimmungen ihrer Zeit auflehnten und letztlich bereit waren, auch auf niederträchtige Weise dagegen zu verstoßen, wäre der Mensch in all seinen Epochen wahrscheinlich niemals voran gekommen, hätte er niemals jenes Wissen erreichen, jene Entdeckungen machen können, die so wesentlich zu unserem Wohlstand, unserer Gesundheit und unseren heutigen Errungenschaften beigetragen haben. Diese, so scheint uns THE BODY SNATCHER zuzuraunen, sind eben nur um den Preis zu haben, den ein Mann wie MacFarlane in seiner Verbindung zu einem Mann wie Mr. Gray zu entrichten hat. Manchmal ist es der Preis der eigenen geistigen Gesundheit, manchmal der des eigenen Lebens und manchmal ist es beides. Da bleibt THE BODY SNATCHER bei aller Ambivalenz, die er bietet, dem moralischen Code seiner Zeit treu: Für soviel mörderisches Tun, so viel seelische Verkommenheit, solch tiefe Abgründe der eigenen Seele, muß ein Protagonist in einem Hollywoodfilm letztlich büßen.

Und so kulminiert alles in MacFarlanes Mord an Gray und dem anschließenden Versuch, sich auf eigene Faust neues „Material“ für die Anatomie zu besorgen. Er und Fettes fahren nachts aus der Stadt, um auf einem Landfriedhof ein frisches Grab zu plündern, womit MacFarlane, der ja immerhin schon zum Mörder wurde, wenn auch aus einer seelischen Not heraus, vollends Maß und Mitte verliert. Fettes seinerseits begleitet seinen Mentor, da dieser völlig außer sich zu sein scheint. Und dieser Eindruck wird spätestens bestätigt, wenn die beiden mit der frischen Leiche in strömendem Regen und tosendem Sturm den Heimweg nach Edinburgh antreten. Das Gewitter bricht los, Blitze zucken über den Himmel, der Donner hallt und durch den Donner vermeint MacFarlane immer wieder die Stimme Grays zu vernehmen, die ihm zuraunt: „Toddy (der Name, bei dem Gray seinen vermeintlichen Freund verächtlich rief)! You´ll never get rid of me!“ – Niemals wirst Du mich los! Das waren jene Worte, die MacFarlane dazu bewogen, sein Gegenüber anzugreifen und in einem wilden Kampf zu töten. Nun fragt er Fettes immer wieder, ob auch er die Stimme höre, doch der junge Mann vernimmt nur den brausenden Wind. Dann fällt er aus der Kutsche, als MacFarlane die Pferde zu immer wilderem Ritt antreibt. Allein mit der Leiche, die schon die ganze Reise hindurch wieder und wieder zwischen dem Arzt und dem Studenten nach vorn zu rutschen drohte, wird MacFarlanes Wahn immer dringlicher, bis sich schließlich das Leichentuch öffnet und den nackten, weißen Leib Grays offenbart. Verrückt vor Angst, stürzt MacFarlane mit der Kutsche einen Abhang hinunter. Als Fettes ihn schließlich erreicht, kann er nur noch den Tod des Arztes feststellen. Ein Blick ins Leichentuch zeigt ihm – und uns – das Antlitz einer toten Frau, keinesfalls das des ermordeten Leichendiebs. Letztlich wurde MacFarlane also Opfer seines Wahns, welcher wiederum eine Folge seiner moralischen Verkommenheit ist, die seine Seele zerfrisst.

Ist dies überhaupt noch ein Horrorfilm im engeren Sinne? Sicher ist es, wie bereits erwähnt, zu allererst eine der wenigen wirklich gelungenen Literaturverfilmungen. Doch auch als Horrorfilm kann er – nicht zuletzt durch das soeben geschilderte Finale im Sturm – überzeugen. Weniger, wie die Produkte aus dem Hause Universal, durch Schockeffekte, sondern gerade durch die Fragwürdigkeit des Personals, dessen Verstrickungen und eben die dichte, unheimliche Atmosphäre, die er bietet. Der Schrecken erwächst aus der Erkenntnis, was MacFarlane und Mr. Gray eigentlich treiben, sowie aus der Ungeheuerlichkeit ihres Tuns. Für einen Film aus den 40er Jahren geht THE BODY SNATCHER sehr weit, scheint nirgends Halt zu machen und noch letzte Tabus – die Totenruhe – zu brechen. Das Tempo des Films ist eher gemächlich, es gibt, sieht man vom Ende ab, keine Action. Wise legt sich eher Zurückhaltung auf, deutet, wie in der zuvor geschilderten Mordszene an der Straßensängerin, eher an, als daß er wirklich zeigt, was vor sich geht. Das geht sicherlich ein wenig zu Lasten der Spannung.

Allerdings erfüllt Wise gerade damit Lewtons Ansatz des eher stillen, psychologischen Horrors, der die RKO-Filme so deutlich von denen der Universal absetzte, wenn auch mit einem in seiner Dramatik durchaus einem FRANKENSTEIN-Film angemessenen Finale. Weniger subtil als Jacques Tourneur, wird Wise damit aber dem viktorianischen Ambiente der Story gerecht. Vielleicht ist es genau dieses Ambiente, der Look des Films, seine Story und die Art des Grand Guignol, in der er umgesetzt wurde, die den Film heute in der Vergessenheit haben versinken lassen. Nachdem die Leinwand etliche Massenschlächtereien gesehen hat, die in ihrer Eindeutigkeit nun wirklich gar nichts mehr ausließen und alles zeigten, wirkt ein Film wie THE BODY SNATCHER gnadenlos veraltet. Ein Schicksal, das er mit solchen Klassikern wie THE OLD DARK HOUSE (1932) teilt. Zudem ist er auf Deutsch nur in arg, teils um fast zehn Minuten gekürzten Fassungen zu bekommen, was ihm einiges von seiner Intensität nimmt. Doch schaut man ihn im Original, was nicht nur den Vorteil besitzt, das Werk ungekürzt begutachten zu können, sondern auch Karloffs eindrucksvolles Spiel inklusive seiner Dialoge zu genießen, wird man schnell bemerken, daß er nicht nur ein interessanter Vertreter einer lange vergangenen Ära des klassischen Horrorfilms ist, sondern nach wie vor auch  unheimlich und bedrückend und dadurch überzeugend.

Robert Wise, der sich in allen wesentlichen Genres Verdienste erwarb, kehrte erst nach fast zwanzig Jahren zum Horrorfilm zurück. Mit THE HAUNTING (1963) schuf er erneut einen eindringlichen Beitrag zum Gruselfilm, erstaunlich altmodisch, aber ähnlich überzeugend wie THE BODY SNATCHER. Val Lewton realisierte danach nur noch zwei weitere Filme für die RKO, bevor er schließlich für Paramount und MGM jeweils einen Film der A-Riege produzieren durfte, die beide aber als eher schwach angesehen wurden. Er starb bereits 1951. So wird sein Name weiterhin für jene Filme stehen, die unter dem Emblem der RKO entstanden und vertrieben wurden und von denen mindestens drei – CAT PEOPLE, I WALKED WITH A ZOMBIE und eben THE BODY SNATCHER – den Anspruch erheben dürfen, auf ewig ins Pantheon der klassischen Werke ihrer Gattung eingezogen zu sein. Bis heute werden sie zitiert, gelegentlich parodiert und erfahren von Zeit zu Zeit die Aufmerksamkeit, die ihnen zweifelsohne gebührt.

 

[1] Die sogenannten „Big Five“ der klassischen Hollywood-Ära waren Metro-Goldwyn-Meyer (MGM), Paramount Pictures, Warner Bros., 20th Century Fox und RKO.

[2] William K. Everson gibt in seinem Buch KLASSIKER DES HORRORFILMS das Jahr 1943, die IMDb (Internet Movie Database) sehr genau den Zeitraum 25. Oktober bis 17. November 1944 an.

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