DIE 27. ETAGE/MIRAGE

Ein immer noch unterhaltsamer Paranoia-Thriller der 1960er Jahre

Als es in einem Bürohochaus in New York zu einem Stromausfall kommt, nimmt der Buchhalter David Stillwell (Gregory Peck) das Treppenhaus und trifft im Dunkeln eine Frau, die ihn zu kennen scheint, auch wenn er keine Ahnung hat, wer sie ist. Sie verschwindet in den Eingeweiden des Wolkenkratzers, David verfolgt sie noch bis ins 4. Untergeschoss, kann sie aber nicht mehr finden.

Vor dem Gebäude ist es zu einem Menschenauflauf gekommen, da sich scheinbar jemand aus dem Fenster gestürzt hat und zu Tode gekommen ist. Bei dem Toten handelt es sich um den Rechtsanwalt Charles Calvin, der seine Kanzlei im Gebäude hatte und als Kämpfer für den Weltfrieden berühmt war.

Als David ins Gebäude zurückkehrt, muß er feststellen, daß es kein 4. Untergeschoß gibt. Er fährt verwirrt heim, wo er von einem Bewaffneten namens Lester (Jack Weston) erwartet wird, der ihm aufträgt, den Major aufzusuchen. Stillwell hat keine Ahnung, wovon Lester spricht, schlägt ihn nieder, sperrt ihn in einen Wandschrank und flieht aus seiner Wohnung.

Er will Anzeige gegen Lester erstatten, kann aber bei der Protokollaufnahme lediglich seinen Namen und seinen Beruf angeben, nicht einmal sein Geburtsdatum fällt ihm ein. Er läuft davon und trifft im Central Park die geheimnisvolle Frau aus dem Treppenhaus wieder. Diese gibt sich als eine gewisse Sheila (Diane Baker) zu erkennen, die für die Firma UNIDYNE arbeitet, welche im gleichen Haus wie Stillwell und der tote Rechtsanwalt Carver angesiedelt ist. Carver war gut mit dem Geschäftsführer der Firma, Crawford Gilcuttie (Leif Erickson) befreundet. Sheila scheint aber auch David Stillwell sehr gut zu kennen, besser, als dies eine reine Nachbarschaft von Büros vermuten ließe.

Nun drängt sich Stillwell zusehends der Verdacht auf, daß er an Amnesie leidet. Er versucht sowohl mit der Hilfe eines Psychologen (Robert H. Harris) als auch mit der eines des Privatdetektivs Ted Caselle (Walter Matthau), Licht ins Dunkel seiner Erinnerungen zu bringen. Und je weiter er vordringt in diesen Dschungel, desto gefährlicher wird es für alle Beteiligten – bis David Stilwell nach und nach entdeckt, wer er wirklich ist und in was für ein Komplott er verwickelt wurde…

Die 60er Jahre gelten gemeinhin als Hollywoods schwächstes Jahrzehnt und man muß wohl konstatieren: nicht ganz zu Unrecht. Aufgeblasene Megaproduktionen, in Pomp erstarrte Monumentalfilme, schwindsüchtige Dramen und ebenfalls maßlos überproduzierte Musicals beherrschten den Markt. Nicht alles war schlecht – es gab ergreifende Musicals wie WEST SIDE STORY (1961), es gab berührende Dramen wie WHO`S AFRAID OF VIRGINIA WOOLF? (1966), es gab hervorragende Western wie THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE (1962) und sogar ein paar packende Monumental- oder Kriegsfilme. Und es gab ein paar kleinere Produktionen, die wirklich gute Unterhaltung und nervenaufreibende Spannung lieferten. Zu letzteren muß dieser kleiner Thriller – MIRAGE (1965) – unbedingt gezählt werden. Der am Film Noir ebenso wie an Kriegsfilmen und Western sowie etlichen anderen Spannungsfilmen geschulte Regisseur Edward Dmytryk zeichnete für diesen Thriller um eine scheinbare Verwechslung und die eine Verschwörung verdeckende Amnesie eines alternden Gregory Peck verantwortlich. Peck war der Star des Films und hatte offensichtlich Spaß an seiner Rolle, die in gewisser Weise mit der in Hitchcocks SPELLBOUND (1945) korrespondierte.

Es waren die 60er und man konnte allen Ernstes „Kämpfer für den Weltfrieden“ und darob an Leib und Leben gefährdet sein. Zumindest im Kino. Wie in dem etwas früher entstandenen Paranoiathriller THE MANCHURIAN CANDIDATE (1962) von John Frankenheimer, ist auch das Konstrukt von MIRAGE äußerst gewagt, um nicht zu sagen wacklig. Die Story strotzt nur so vor Logiklöchern und die psychologische Motivation einiger Figuren sollte man nicht unbedingt allzu genau unter die Lupe nehmen. Vor allem die ganze Eröffnungsszene stellt – betrachtet man sie nach dem Ende und der Auflösung des Films noch einmal – schon arge Anforderungen an die logische Belastbarkeit des Zuschauers. Aber irgendwie muß jede Story in Gang kommen, irgendwie ist jede Handlung (gerade im Thriller/Krimi-Fach) ein Konstrukt und außerdem gelingt es Dmytryk (und seinen Schauspielern) vom ersten Moment an, das alles derart glaubwürdig an den Mann zu bringen, nur um das Tempo und die Spirale der Geheimnisse und also der Spannung dann sofort noch stärker anzuziehen, daß wir uns keinen Moment fragen, was das eigentlich alles soll, ob das wirklich glaubwürdig ist.

Obwohl der Zuschauer früh spürt, wo die Handlung langlaufen wird (und Dmytryk und sein Drehbuchautor Peter Stone das auch gar nicht verhindern wollen und somit schon in der 3. Szene ein Bewaffneter in Stillwells Appartement rumsitzt), treibt der Film das Spiel um Identitätsklau, Identitätsverlust und die daraus resultierenden Probleme, derart voran, daß die Verwirrung groß ist und somit das Puzzle aus Wahrheit, Lüge, falscher und richtiger Erinnerung sich langsam ausbreiten und nach und nach zusammensetzen kann. Man erwarte bitte keine allzu tiefsinnige Auseinandersetzung mit Fragen der Identität, so ernst der Film das alles nimmt, so sehr gibt er sich mit Tempo und gutem Timing Mühe, uns seriös zu unterhalten, so sehr geht es ihm in erster Linie um Spannung. Spannende Unterhaltung – das ist der Antrieb der ganzen Angelegenheit. Und das erstaunliche ist, daß das nicht nur damals gut funktionierte, sondern auch heute noch hervorragend funktioniert. Auch das liegt an der Seriosität und der Ernsthaftigkeit, mit der die Story erzählt und dargestellt wird – und auch da seien die Darsteller und allen voran Peck noch einmal gesondert erwähnt. Dmytryk hat hier neben seinem Star mit dem zwar nicht mehr ganz so jungen aber damals noch wenig bekannten Walter Matthau, mit Kevin McCarthy, George Kennedy, Leif Erickson und auch Diane Baker ein sehr gutes Ensemble beisammen.

Und daß Dmytryk es versteht, eine Atmosphäre unterschwelliger Bedrohung herzustellen, Verwirrung zu stiften und dadurch sowohl die Protagonisten, die er durch all diese Labyrinthe schickt, als auch den Zuschauer nachhaltig unter Spannung zu setzen, mag im Wesentlichen – aber eben nicht nur – an seiner guten Ausbildung im Studiosystem Hollywoods gelegen haben. Dmytryk hatte die Fänge der Paranoia durch seine Erfahrungen mit dem HUAC – dem Komitee für unamerikanische Umtriebe – allerdings am eigenen Leibe gespürt und wusste wahrscheinlich nur zu gut, wie es sich anfühlt in einer Welt, in der das eben noch durchaus Bewunderte in den Dreck gezogen und mit Füßen getreten werden konnte – die freie Meinungsäußerung, zum Beispiel. Aber man sollte dies auch wieder nicht zu hoch hängen. Dies ist das eher private Drama eines Mannes, der nicht einmal sein Geburtsdatum kennt, der aber nach und nach feststellen muß, daß er wohl in weiterreichenden Verbindungen steht, als er sich das gedacht hätte. Wo der MANCHURIAN CANDIDATE in der ganz großen Weltpolitik startet und dann als ödipaler Bettvorleger endet, muß der kleine Revisor David Stillwell sich damit vertraut machen, tief in den Machenschaften der ganz großen Spieler verheddert zu sein. Verheerende Erkenntnis.

MIRAGE ist ein gelungener kleiner Thriller, der auf fast der gesamten Länge seiner Laufzeit zu überzeugen weiß, der unterhält und dem Zuschauer ein gelungenes Rätsel präsentiert. Es ist kein Film, der mehr problematisieren will als nötig und somit nie den Fehler begeht (wie einige ähnliche Produktionen), sich aufzublähen und zu mehr zu machen, als er eben ist. Produzent Harry Keller, Regisseur Edward Dmytryk und Autor Peter Stone sollen und wollen unterhalten, und sie liefern.

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