DIETRICH & RIEFENSTAHL

Eine Doppelbiographie, die ihre Möglichkeiten verschenkt

Den Traum von der „neuen Frau“ – gibt es den? Und wenn ja – wer träumt ihn? Eie Frau? Oder doch wieder ein Mann? Und worin drückt er sich aus? Und woran merken wir, daß es sich um einen Traum handelt?

Karin Wieland legt die solide Doppelbiographie zweier Frauen vor, die das 20. Jahrhundert kulturell maßgeblich mitgestaltet haben sollen: Marlene Dietrich und Leni Riefenstahl. Das Traumwesen der Traumfabrik, geschaffen von einem Mann, Josef von Sternberg, und eine verhinderte Tänzerin, die skrupellos die sich ihr bietenden Möglichkeiten ihrer Zeit nutzte und dabei nötigenfalls buchstäblich über Leichen ging. Sind sie exemplarisch? Kann man sie überhaupt zusammenbinden in einen solchen Text?

Zunächst einmal muß man sagen, daß man es hier in beiden Fällen mit gut recherchierten Biographien zu tun hat. Allerdings muß man auch konstatieren, daß jeder, den gerade Hollywood und seine Stars interessieren, die Informationen über die Dietrich weitestgehend kennen dürfte. Ihr Leben ist mehrfach beschrieben, es gibt ihre Memoiren, es gibt den „Marlene“-Film von Maximilian Schell und für die, die den Dietrichkanal dann noch nicht voll haben, auch noch den Film von Joseph Vielsmeier mit Katja Flint. Sei er, wie er sei. Was die Riefenstahl angeht, sieht die Sache anders aus. Und das merkt man auch hier: Es gibt nicht viel Material über sie, das meiste stammt entweder aus ihrer eigenen Hand (so wie Riefenstahl ja eh ihr Leben lang darauf erpicht war, Deutungshoheit über selbiges zu haben) oder der von sagen wir: zweifelhaften Quellen. Daß Goebbels noch einmal zum Kronzeugen GEGEN jemanden werden würde, hätte man denn auch nicht gedacht.

Die ersten Probleme des Buches sind also angesprochen. Wir erfahren eine Menge über das Leben beider, v.a. über ihre Arbeit, was so ja auch sein soll, zudem über ihre Liebschaften. Darüber etwas zu erfahren ist an sich ja auch nett, hat allerdings das Geschmäckle der Kolportage, des reinen Tratschens. Auch dagegen ist nichts einzuwenden, ganze Verlage und Zeitschriften gründen ihre Daseinsberechtigung genau darauf. Nur stellen sie es nicht als eine Frage hin, die wie eine wissenschaftlich-theoretische wirkt. Und genau das tut dieses Buch und genau daran scheitert es. Denn wo ist die ins Auge stechende Verbindung zwischen Marlene Dietrich und der Riefenstahl? Wollte man sie exemplarisch heranziehen, dann müsste man sie viel mehr, als Wieland dies tut zueinander in Bezug setzen und sich etwas trauen. Dann müsste man über die spezifischen Bedingungen der Moderne und auch über ihre Ambivalenzen nachdenken. Peter Gay hat genau das in seinem großartigen Buch DIE MODERNE: EINE GESCHICHTE DES AUFBRUCHS getan. Denn sowohl die italienischen Faschisten als auch die Nazis mit all ihrem rückwärtsgewandten Symboliken und Ideologien sind ja Kinder der Moderne, der stalinistischen Sowjetunion nicht unähnlich, zumindest artverwandt. Diese seltsame Mischung aus Rückwärtsgewandtheit (die ja auch in Riefenstahls Werk zentral ist: Ihre Körperlichkeit, ihr Hang zum Schmerz, zum Durchleiden usw. haben ja auch einen Geschmack der „neuen Barbarei“) und Technikfaszination, aus rückwärtigem Sehnen und einem „Voran!“, das die Zukunft erobern will (damit verbunden der Jugendfetischismus der Nazis) ist sicherlich hochgradig interessant und könnte anhand exemplarischer Figuren dargestellt werden. Nur: Warum diese beiden?

Gerade die Dietrich passt da nicht rein. Sie ist, und Wieland erwähnt dies öfters, im Grund ein Geschöpf des 19. Jahrhunderts. Tochter eine Polizisten, deren Mutter v.a. der soziale Aufstieg wichtig war, die eiserne Disziplin forderte und lehrte, die nach dem Tod des Ehemanns einen Adligen (von Losch) heiratete und in ihrem Wesen dem wilhelminischen Vorkriegsdeutschland verpflichtet blieb. Marlene Dietrich empfand sich als heimatlos, ihr Leben lang. Denn Heimat umschließt ja nicht nur einen Ort, der Begriff umfasst ja auch Zeit. Sie war verloren im Berlin der Zwischenkriegsjahre, tingelte, nutzte ihre Schönheit, versuchte sich auf der Bühne, in Klubs, auch in Filmproduktionen, bis sie schließlich vom damals schon bekannten Josef von Sternberg „entdeckt“ und in DER BLAUE ENGEL (1930) eingesetzt wurde. Damit begann ihre Karriere als göttliche Diva, die sie dann in Amerika fortsetzte, die aber eigentlich schon Mitte der 30er Jahre am Verglühen war. Die Dietrich – und das stellt Wieland auch sehr gut dar – war ungewöhnlich in ihrem Leben, sowohl als Filmstar, als auch als Frau im Liebesleben und als Mutter. Restlos egozentrisch hatte sie zwar den schon in Berlin geheirateten Rudi Siebert nie aus dieser Ehe gehen lassen, sich jedoch auch nie an in das Korsett einer herkömmlichen Liebe gezwängt. Unzählige Liebschaften und einige echte große Lieben – Remarque, Gabin wohl die ehrlichsten und eindringlichsten – überdauerte diese Ehe, die sie unbedingt wollte und brauchte. Siebert war so etwas wie ihr Lebenssekretär. Er diente und die Dietrich war sowohl für ihren eigenen Lebensunterhalt als auch für den von Siebert, dessen Geliebter (Tamara Matul, deren Leben in mancherlei Hisnicht in seiner ganzen Tragik das weitaus bessere Beispiel für ein Frauenschicksal im 20. Jahrhundert wäre), und ihrer eigene Tochter mit Siebert, schließlich auch noch deren verschiedener Verlobter verantwortlich. Sie war eine unglückliche Frau, in Amerika nie wirklich heimisch, dennoch an der amerikanischen Staatsbürgerschaft interessiert, in Paris verliebt (wo sie ja auch die letzten Jahre verbrachte, allein) und an Deutschland verzweifelt. Im Krieg stellte sie sich wie keine(r) sonst in den Dienst der Armee, tingelte 4 Jahre lang über die Schlachtfelder, war sich nicht zu schade, im Feld zu schlafen, mit den Soldaten zu essen, sich tagelang nicht zu waschen. Sie war eine wirkliche Kämpferin gegen Nazideutschland. Die wiederum, die Nazis, hatten mehrmals versucht, sie einzufangen, sie mit goldenen Angeboten gelockt usw. Schließlich bauten sie sich mit der Leander eine eigene, vermeintliche Ikone auf. Eine andere Geschichte.

Fragt sich, inwiefern das alles exemplarisch für die „neue Frau“ war? Der Umgang der Dietrich mit Liebesdingen wirkt erst einmal extravagant und sehr ungezwungen. Wieland verschweigt auch nicht, daß sie wohl homoerotische Beziehungen hatte, da gerade diese Seite der Dietrich wenig klar belegt ist, wird hier allerdings auch nicht zu viel Gewicht auf dieses Detail gelegt. Doch bleibt beim Lesen eben auch hängen, daß dieses Verhalten wohl eher einer extravaganten Diva möglich war, als einer Normalsterblichen. Daß Marlene Dietrich für viele Frauen eine Projektionsfläche gewesen sein wird, steht außer Frage, doch da gab es zum einen sehr viele weibliche Stars und zum anderen auch modernere. Mae West oder Jean Harlow scheinen weitaus eher dem 20. Jahrhundert entsprungen, als die unnnahbare und unerreichbare Marlene Dietrich. Das Traumgeschöpf; das schon – aber der Traum, dem dieses entstammt, scheint dann doch eher ein sehr typischer Männertraum gewesen zu sein. Eben der des Josef von Sternberg.

Anders liegt der Fall bei Leni Riefenstahl, doch auch hier scheint nicht unbedingt das Exemplarische hervorzustechen. Bedauerlicherweise kommt sie dem „Traum“ von der „neuen Frau“ allerdings im Sinne der Moderne näher. Sie war – anders als die Dietrich – wirklich ungebunden, brauchte auch keine Scheinehe, um sich geschützt zu fühlen, hatte keine Kinder und war meist Herrin ihrer Projekte. Wahr ist: Auch sie wurde zunächst von einem Mann „geschaffen“: Arnold Fanck. Seine Berg- und Schneefilme mit der Riefenstahl und später Luis Trenker machten sie erst bekannt. Doch spätestens mit DAS BLAUE LICHT, der 1932 entstand, also ohne Naziprotektion, emanzipierte sich Leni Riefenstahl. Und blieb es. Interessant an diesem Film ist v.a. die Mitarbeit von Bela Balázs, eines bekennenden Kommunisten (und Filmtheoretikers). Man merkt: Die Riefenstahl, ebenfalls mit unzähligen Liebhabern verbandelt (darin dann wirklich mal der Dietrich ähnlich – aber ist das die „neue Frau“?), war in Bezug auf ihre Kunst einerseits nicht wählerisch, Talent erkannte sie bei allen Unterschieden an, andererseits aber auch egozentrisch, denn sie erwähnte Balázs Mitwirken erst wieder, als es opportun war; zunächst wurde seine Beteiligung nämlich totgeschwiegen.

Kennt man die vielfältigen Publikationen zum Alltag und den sozialen Bedingungen im Dritten Reich v.a. der letzten 10 bis 15 Jahre (ich denke hier v.a. an Götz Alys HITLERS VOLKSSTAAT: RAUB, RASSEKRIEG UND NATIONALER SOZIALISMUS), dann weiß man, daß die Nazis in vielerlei Hinsicht wirklich moderne Möglichkeiten boten: Die Klassenschranken waren zwar nicht gänzlich aufgehoben, doch sehr viel durchlässiger geworden, Frauen konnten problemloser am Arbeitsleben Teil nehmen. Natürlich war die ‚Blut & Boden‘-Ideologie angewiesen auf Frauen, die ununterbrochen Kinder für den Führer produzierten (Kanonenfutter), doch konnten Frauen durchaus gleichberechtigt arbeiten und leben. Für die Riefenstahl war das wesentlich: Sie war Chef ihrer Produktionen, sie hatte das Sagen am Set und sowieso bei Schnitt und Montage. Doch sie scheute auch keine Beschwerlichkeit. Exemplarisch dafür: Monatelange Dreharbeiten auf Grönland, bis sie sich eine Nierenkrankheit zugezogen hatte, die sie ihr restliches Leben beeinträchtigen sollte.

Es ist viel über beide Frauen geschrieben, doch eigentlich sind sie nie in Bezug zueinander gesetzt worden. Das hat, denke ich, seine Gründe. Wahrscheinlich käme man gar nicht so einfach auf diese Verbindung, außer in Bezug auf den Nationalsozialismus. Da wären sie erbitterte Gegnerinnen gewesen, wenn sie sich füreinander interessiert hätten. Interessanterweise tauchen auch nur einmal Äußerungen der jeweils einen über die andere auf: Die Dietrich ließ sich abfällig über Riefenstahls Memoiren aus, die Riefenstahl wiederum war zeitlebens überzeugt, schönere Beine als die Dietrich zu haben. Na dann.

Leni Riefenstahl hat ihr ganzes Nachkriegsleben darauf bestanden, sich nie die Hände schmutzig gemacht zu haben an den Verbrechen der Nazis. Selbst in den späten 80er Jahren ging sie gerichtlich gegen die Behauptung vor, die Zigeuner, die sie aus einem KZ hatte herbeischaffen lassen, um als Statisten in ihrem nie fertig gestellten Film TIEFLAND (1940/44) zu dienen, seien größtenteils vergast worden. In früheren Jahren hatte sie sich sogar zu der Aussage verstiegen, sie alle nach dem Krieg lebend wieder getroffen zu haben. Wahrscheinlich hätte sie auch gern behauptet, nie etwas von einem Krieg mitbekommen zu haben (verhalten hat sie sich so im Krieg). Sie war – so ihre zentrale Aussage – nur und nur, durch und durch, Künstlerin. Sie war gegen die „Industrie“, sie war gegen den Kommerzfilm, sie war immer nur einem verpflichtet – Adolf Hit…nein, der Kunst! Daß sie mit ihrer Haltung, ihrem Starrsinn und schließlich (leider) auch ihrer Ästhetik spät im 20. Jahrhundert noch einmal reüssieren konnte, daß es gerade auch die Popkultur war, die sie wieder hoffähig machte, daß sie sich als unpolitische Künstlerin, sogar als frühe Umweltschützerin und als Feministin gebaren konnte: All diese Zusammenhänge werden von Wieland auf den letzten 20 Seiten des Buches durchgehechelt. Doch gerade anhand dieser Details wäre die Frage nach dem „Traum der neuen Frau“ abzuarbeiten gewesen. Und wahrscheinlich, leider, wäre man mit der Riefenstahl diesem Traum näher, als mit der entrückten Marlene Dietrich.

Wielands Buch bietet auf jeden Fall gute, übersichtliche Biographien zweier zumindest interessanter Frauen des 20. Jahrhunderts. Sie verfehlt jedoch in gewissem, hier hoffentlich nachvollziehbar dargelegter Sinne, ihr selbstgestecktes Ziel. Zu wenig theroetisch, zu wenig vom Spezifischen ins Allgemeine gehen die Überlegungen. Und hinzu kommt, aber da weißt Wieland klar drauf hin, eine Schwäche der Recherche, eben wenn sie bestätigt, daß die Riefenstahlinfos hauptsächlich auch von der stammen.

Ein anderes Problem ist das häufige Rekurrieren auf Photographien, die im Buch aber nicht vorhanden sind. Immer wieder werden uns – für die Narration des Buches wesentliche – Details anhand von Photos beschrieben. Es wäre nett gewesen, wenn der geneigte Leser selbst die Möglichkeit gehabt hätte, die Äußerungen anhand der besprochenen Bilder zu überprüfen. Leider gibt es formal einige Anmerkungen zu machen. Zum Ende hin wirkt das Lektorat holprig, Satz- und Zeichenfehler häufen sich. Aber das nur nebenbei. Daß im Text selbst allerdings manchmal Sprünge auftreten – eben war man in einer eingehenden Beschreibung Riefenstahl’scher Tätigkeit, da kommt ein Zeilenbruch und Hoppla!, da ist plötzlich, erstmals, Adolf Hitler im Bilde – macht das Lesen etwas anstrengend. Man wundert sich, wie lapidar scheinbar Wichtiges manchmal behandelt wird. Und die Schilderungen einzelner Personen sind manchmal nicht unbedingt nachzuvollziehen. Wie schon erwähnt, wird die Dietrich als zwar heillos egozentrisch, doch in ihrer entrückten Divenhaftigkeit auch mit viel Sympathie gezeichnet. Es wird schon erwähnt, daß andere darunter viel zu leiden hatten, doch da geht der Text mit viel Nonchalance drüber hinweg. Doch es ist ja wahr: Ob der schon erwähnte Sieber oder seine Mätresse, ob die gemeinsame Tochter Maria Riva und erst Recht die diversen abgelegten Liebhaber – sie alle hatten unter der Dietrich sicherlich zu leiden. Das mag ja manchmal ganz lustig gewesen sein, wie im Falle des jahrelang in der Provinz schmachtenden Jean Gabin (der die Dietrich massiv falsch eingeschätzt haben muß, wenn er wirklich dachte, sie wäre für ein beschauliches, ruhiges Leben gemacht), in anderen Momenten war es das sicherlich nicht. Die Schilderung Remarques gerät doch reichlich abwertend. Ein Kosmopolit, der der Dietrich nicht unähnlich heimatlos durch das 20. Jahrhundert driftete, der ihr nachschmachtete und sich von ihr hinhalten, ausnutzen und verächtlich machen ließ und ob dessen zur traurigen Gestalt mutiert? Bedenkt man, daß Remarque zwar ein Lebemann und sicherlich kein Kostverächter war, kann man ihn natürlich so zeichne; doch sei bitte nicht vergessen dabei, daß sein Leben wirklich nah dran war an den Verbrechen der Nazis – seine Schwester wurde wegen Wehrkraftzersetzuung nach einer Denunziation unter dem Fallbeil hingerichtet. Remarque musste also durchaus die Schrecken des Naziterrors in der eigenen nahen Umgebung erfahren.

Was die Beschreibung Riefenstahls angeht, hält sich Wieland angenehm zurück. Manches mal, vielleicht damit kein falscher Eindruck entsteht, wird ihr Schreiben über Hitlers Lieblingsregisseurin, arg abfällig, manchmal sogar verächtlich. Vielleicht muß das so sein, vielleicht sollte man aber sogar gegenüber einem sehr unsympathischen Studienobjekt (und das ist die Riefenstahl in ihrer grenzenlosen Selbstverliebtheit, Verlogenheit und in ihrem maßlosen Anspruch an alles und alle ganz sicherlich) eine gewisse Äquidistanz wahren. Man muß nicht in jedem dritten Satz den eigenen Abstand zur Besprochenen mitschwingen und –klingen lassen.

Es ist schade, daß mit dem Untertitel der Eindruck erweckt wird, man hätte es mit einer kulturellen oder gesellschaftlichen Studie zu tun. Es ist eine Doppelbiographie. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Schade.

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