EIN FEINER DUNKLER RISS/A FINE DARK LINE

Joe R. Lansdale entführt den Leser auf einen spannenden Trip ins Texas der späten 1950er Jahre

Der Vielschreiber Joe R. Lansdale ist hierzulande einem breiteren Publikum durch die Serie um die Freunde Hap und Leonard bekannt geworden, die mittlerweile auch verfilmt wurde und recht erfolgreich bei Amazon gezeigt wird. Sticht die Serie vor allem durch ihre humoristischen Untertöne, einen gewissen Zynismus gepaart mit durchaus brutalen Momenten, hervor, kann man Lansdales wahre Kunst besser in seinen Einzelwerken erkunden. Sind es nominell immer Kriminalromane oder Thriller, manchmal Western, gelegentlich Science-Fiction, bzw. Untergangsszenarien mit Streifzügen ins Horrorfach, kann Lansdale hier sein Bild einer Südstaatengesellschaft zeichnen, die von Rassismus, Bigotterie und Hass zerfressen ist. Allerddings, da ähnelt er seinem Kollegen Stephen King, bezieht Lansdale fast immer eindeutig Stellung und macht aus seinem liberalen Weltbild keinen Hehl. Auch verbreitet er keine allzu zynische Weltanschauung, seine Helden bleiben menschlich, sie bedienen sich der Gewalt dann, wenn sie dazu gezwungen werden, nie ist sie Selbstzweck, selten findet jemand Gefallen daran. In diesen Mustern unterscheidet er sich von solch berühmten Vorbildern wie bspw. Jim Thompson.

A FINE DARK LINE (Originaltitel) macht da keine Ausnahme, sticht aber qualitativ noch ein wenig aus Lansdales sonstigen Werken hervor. Auch hier haben wir es mit einem Krimi zu tun, alten Geheimnissen, Mord und Totschlag, ein wenig Spuk kommt vor – doch vor allem ist es eine im klassischen Sinne amerikanische Sommer-, eine Entwicklungsgeschichte, wie man sie von Mark Twain über William Faulkner, Stewart O´Nan bis eben Stephen King kennt. Ein Junge verbringt die in den USA klassisch monatelangen Sommerferien damit, sich vom Elternhaus abzunabeln, seiner eigenen Wege zu gehen, seine ersten eigenen Erfahrungen zu machen und schließlich älter, erwachsener und reifer in das neue Schuljahr zu starten. Dazu muß er sich – klassisch – durchaus auch Gefahren stellen und diese bestehen, er muß gegenwärtigen, daß Vieles nicht so ist, wie es ihm sein bisheriges Leben suggeriert hat und er wird anerkennen müssen, daß ‚gut‘ und ‚böse‘, schwarz und weiß nicht die Formen sind, in denen man die Welt erkennen oder einteilen kann und sollte. Und er wird mit dem Tod konfrontiert.

Hier ist es der Ich-Erzähler Stanley, der uns von dem heißen Sommer berichtet, in dem er, damals 13jährig, eine Schatulle im Wald hinter dem Autokino seines Vaters fand, darin Briefe und Tagebucheinträge, die auf ein lang zurückliegendes Verbrechen schließen lassen, ja, sogar auf eine Verbindung zwischen zwei niemals aufgeklärten Verbrechen, die Jahre zuvor in ein und derselben Nacht geschahen. Mit Hilfe seiner fast erwachsenen Schwester Callie, die den Jungs der kleinen texanischen Stadt die Köpfe verdreht und ihren kleinen Bruder erstmal aufklären muß, was Mädchen und Jungs eigentlich anziehend aneinander finden und so miteinander treiben, der Hilfe seines Freundes Richard, dessen Vater ein religiöser Fanatiker und übler Schläger ist und schließlich der Unterstützung seines neu gewonnen Freundes Buster – seines Zeichens Filmvorführer im Autokino und eine Art Faktotum dort – versucht Stan Licht in das Dunkel der Vergangenheit zu bringen. Dabei lernt er nicht nur, daß nicht alle Menschen einander wohl gesonnen sind, daß sein Vater, wenn man seinem „Mädchen“ zu nah kommt, durchaus zu rabiaten Methoden neigt und seine Mutter weitaus emanzipierter und selbstbewusster ist, als das für die späten 50er Jahre im Süden typisch gewesen sein mag, sondern er lernt vor allem, was es bedeutet, in einer hassenden, von Weißen dominierten Gesellschaft schwarz zu sein. Anhand der Erlebnisse des Hausmädchens Rosy, die auf der Flucht vor ihrem trinkenden und schlägernden Mann eine Heimstatt bei Stanleys Eltern findet, mehr noch aber durch Buster, den er mehrfach in dessen Viertel besucht, einem Viertel, wohin Weiße selten, 13jährige weiße Jungs so gut wie nie kommen, erlebt Stan durchaus, was es heißt, den Gefahren ausgeliefert zu sein, denen ein schwarzes Leben ununterbrochen ausgeliefert ist.

Lansdale erzählt seine Geschichte warmherzig und mit viel Liebe zum Detail. Kleine Anekdoten sorgen für Lokalkolorit, aber auch dafür, daß all die Figuren, auch jene, die eher am Rande der Erzählung auftreten, mit Leben, mit Eigenem erfüllt und dadurch sehr glaubwürdig werden. Naturgemäß wird Stanley im Laufe der Ereignisse mit teils übler Gewalt konfrontiert und nicht immer geht sie von jenen aus, die er als die „Bösen“ auszumachen sucht. Und selbst dort, wo er meint – und das bspw. von Buster auch suggeriert bekommt – daß sie dem ein oder anderen durchaus zurecht widerfährt, holt ihn sein noch kindliches Gewissen ein und instinktiv erfasst er, daß Menschen nicht von Natur aus Böse sind, sondern durch die Art der Behandlung, die sie in einer Gesellschaft erfahren, zu dem werden können, was sie sind. Und ebenso muß er gegenwärtigen, daß auch die Menschen in seiner Umgebung, Menschen, die er liebt, namentlich sein Vater, nicht frei sind von den Ressentiments und den Alltagsrassismen, die diese Gesellschaft prägen. Wie schnell einem Mann eine abwertende Bezeichnung für Schwarze über die Lippen geht, Lansdale verschließt die Augen davor nicht. Das eigentliche Wunder dieses Buches ist es aber, daß er bei seinen Beschreibungen und Beobachtungen durch die Augen eines 13jährigen weder kitschig, noch aufgesetzt kindlich wirkt, sondern dem Leser die Sicht dieses Jungen absolut glaubhaft zu vermitteln versteht.

So entsteht ein ebenso liebevolles wie gelegentlich unheimliches, vor allem aber ein unheimlich starkes, fast intensives Portrait einer texanischen Kleinstadt kurz vor der Zeitenwende der US-Gesellschaft, die die 60er Jahre mit sich bringen sollte und im Süden naturgemäß etwas später ankam. Der junge Stanley, Sproß eines eher liberalen Elternhauses, wird nach diesem Sommer vieles besser verstanden, einiges schmerzhaft begriffen haben und daraus seine ersten erwachsenen Schlüsse gezogen haben. Und der Leser wird für einige Stunden ein paar gute Freunde dort im staubigen, heißen Süden der USA gefunden haben, deren Erlebnissen zu folgen manchmal lustig, oftmals auch traurig und immer spannend gewesen sein wird.

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