EINE REISE DURCH DEN HORRORFILM

Ein herrlicher Streifzug durch die Geschichte des Horrorfilms

Allgemeine Aussagen über den Horrorfilm zu treffen ist schon allein deshalb so schwierig, weil es „den Horrorfilm“ so nicht gibt. Das Genre, wenn man denn in diesem Klassifikationsmuster verharren will, splittet sich spätestens seit den 50er Jahren auf, generiert zusehends Subgenres und franst an den Rändern schließlich vollkommen aus, wenn kaum mehr zu unterschieden ist, ob man es mit einem klassischen Horrorfilm zu tun hat, oder doch eher mit einem Science-Fiction-Film oder einem Psychothriller. Gerade zu diesen beiden benachbarten Genres hin wird die Abgrenzung unscharf, entstehen Grauzonen, die eine klare Einordnung nicht mehr zulassen. Erschwerend kommt hinzu, daß neuere Subgenres sich nicht einmal mehr durch inhaltliche Merkmale – Spukhäuser oder Geistererscheinungen – definieren, sondern durch formale Erscheinung und Härtegrad: Splatter-, Gore-, Terror-, Torture- oder Slashermovies. Wobei die jüngeren Werke dieser Kategorien meist mehrere Variablen aufweisen und somit ebenfalls nicht eindeutig zuzuordnen sind.

So läßt sich vielleicht lediglich eines mit Sicherheit über DEN Horrorfilm sagen: Er gehörte fast seit allem Anfang an zur Geschichte des Films dazu. Mit noch größerer Sicherheit läßt sich diese Aussage treffen, wenn man bereit ist, den Begriff „Horrorfilm“ einzutauschen gegen den von Georg Seeßlen einst eingeführten des „Phantastischen Films“. Der Vorteil ist dabei, daß dieser Begriff jede Art des Unnatürlichen umschreibt, also das Beängstigende ebenso, wie das Märchen- oder Traumhafte. Dennoch sollte eine gewisse Distanz zum moderneren Genre des Fantasyfilms eingehalten werden, der sich wiederum durch andere Schwerpunkte auszeichnet. Wobei auch hier – wie in Bezug auf den Science-Fiction-Film oder den Psychothriller – die Genregrenzen an den äußersten Rändern durchaus verschwimmen.

Philipp Stroh hat sich – sicherlich in erster Linie als Fan – im vorliegenden Band die Mühe gemacht, einen Streifzug durch die fast hundertjährige Geschichte des Unheimlichen zu unternehmen, ohne dabei Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Man merkt dem Text an, daß sein Verfasser vor allem ein Liebhaber des modernen und postmodernen Horrorfilms ist. Dementsprechend fällt der erste Teil, der sich mit der Geschichte des klassischen Horrorfilms beschäftigt, ein wenig mager aus, wirkt eher wie eine Pflichtaufgabe. Dabei ist doch gerade von heute aus der phantastische Film deutscher Prägung oder auch jener mittlerweile sicherlich putzig anmutende Universalhorror der 30er Jahre einen Blick wert, so weit von all den CGI-gestützten Effekten des modernen Kinos scheinen sie entfernt zu sein.

Der frühe Horrorfilm hatte seine Heimat im deutschen expressionistischen Film, der mit DAS CABINET DES DR. CALIGARI (1920) vielleicht den erste Horrorfilm generell, mit NOSFERATU, EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (1922) definitiv den ersten ernstzunehmenden Vampirfilm hervorbrachte. Daneben entstanden mit Filmen wie DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM (1920) oder DER STUDENT VON PRAG (1926 – dies schon die Neuverfilmung eines Films von 1913) eine ganze Reihe phantastischer Filme, die nicht einfach dem Horrorgenre zuzurechnen sind, dennoch aber jede Menge Charakteristika aufweisen, die den Horrorfilm ebenfalls kennzeichnen. Die nächste wesentliche Station nahm das Genre in Hollywood unter Kuratel der Universalstudios. Nachdem deren Gründer Carl Laemmle – ein ausgesprochen geschäftstüchtiger Mann, der neuen Ideen gegenüber immer aufgeschlossen war, vor allem, wenn sie sich als günstig in der Produktion erwiesen – die Firma an seinen Sohn Carl jr. überschrieben hatte, reüssierte dieser als Produzent mit einer ganzen Parade diverser Monster in diversen Horrorfilmen, die dem Studio in den 30er Jahren sein unverkennbares Markenzeichen gaben: DRACULA (1931), FRANKENSTEIN (1931) und THE BRIDE OF FRANKENSTEIN (1935), hinzu kamen THE MUMMY (1932), THE INVISIBLE MAN (1933) und später der Wolfsmensch in der Darstellung von Lon Chaney jr. Universal produzierte darüber hinaus eine ganze Reihe Klassiker wie die Edgar-Allen-Poe-Verfilmung THE BLACK CAT (1934). Nur wenige der damaligen Horrorfilmproduktionen – MGM mit FREAKS (1932) oder RKO mit KING KONG (1933) beispielsweise – kamen nicht aus dem Universal-Stall. All diese Filme kann man im engeren Sinne als Horrorfilme bezeichnen, spielen sie doch auf diese oder jene Art und Weise mit dem Übernatürlichen, bieten uns Monster an, machen unsere Ängste klassisch sichtbar, indem sie sie als äußere, fremde Bedrohung präsentieren.

Die nächste Welle echter Neuerungen brachten dann die 50er Jahre. Die Ungeheuer blieben, wurden aber, wenn sie nicht gerade unbekannte Lebensformen aus dem Amazonas – THE CREATURE FROM THE BLACK LAGOON (1954) – oder dem All – THE THING FROM ANOTHER WORLD (1951) – darstellten, natürlicher, nur meist (über)groß: riesige Spinnen, Ameisen oder Gottesanbeterinnen fielen nun über die Menschen her, monströse Mutationen, die meist Opfer von radioaktiver Strahlung geworden waren. Und genau hier beginnt sie, die Aufsplitterung, denn Filme wie TARANTULA (1955) oder THEM! (1954) waren längst nicht mehr eindeutig dem Horrorfilmgenre zurechenbar, sie waren aber auch nicht schlicht Science Fiction, denn sie arbeiteten formal deutlich mit Versatzstücken des Gruselgenres. Unterstützt wurde diese Art des Grauens ab 1954 aus Japan, wo mit GODZILLA (1954) neben dem Riesenaffen King Kong das andere maßgebliche Urviech kreiert wurde, das seine letzte Inkarnation im Jahr 2014 gefunden hat.

Ab Ende der 50er Jahre griffen die britischen Hammerstudios die alten Universalmythen noch einmal auf und schufen ihren eigenen Kosmos aus Dracula, Frankenstein, der Mumie oder dem Wolfsmenschen, wobei sie den klassischen schwarz-weißen ‚Grand Guignol‘ der älteren Produktionen durch poppiges Technicolor und vor allem jede Menge nackte Haut und plastisch dargebotene Gewalt ersetzten. Der Fürst der Finsternis hatte nun die berüchtigten spitzen Zähne und wenn er biß, floß Blut, roter als rot.

Die wirkliche Neuerung im Genre kam 1960. In diesem Jahr änderten sich die Parameter grundsätzlich im Horrorfilm. Alfred Hitchcock legte mit PSYCHO (1960) DEN modernen Horrorfilm schlechthin vor. Zugleich schuf Michael Powell mit PEEPING TOM (1960) einen der frühen Metafilme des Genres. Wesentlich war beiden, daß ihre „Monster“ keine Vampire oder Wolfsmenschen mehr waren, die Bedrohung also nicht mehr äußerlich und damit auch verdrängbar war. Nein, die Monster in diesen Filmen waren relativ smarte junge Männer, die lediglich seltsamen Hobbies nachgingen. Der eine stopfte gern Vögel aus, der andere fotografierte gern leicht bekleidete Mädchen. Daß ersterer nicht nur Vögel ausstopfte, lernten Janet Leigh und das Publikum auf äußerst anschauliche Weise, daß letzterer die Mädchen nicht nur fotografierte, musste ein damals entsetztes Publikum gegenwärtigen. Ein vollkommen neuer Typus des Monströsen war geschaffen: Der Psychopath. Ab hier war alles anders: Die Täter waren anders, die gezeigte Gewalt war anders und die Art der Bedrohlichkeit dieser Filme war anders. Das Terrorkino war geboren, auch wenn der Begriff erst gut fünfzehn Jahre später mit Filmen wie THE TEXAS CHAIN SAW MASSACRE (1974) aufkam.

Spätestens mit George A. Romeros THE NIGHT OF THE LIVING DEAD (1968) fand der moderne Horrorfilm seine Vollendung, der sich durch explizite Gewalt – bis hin zum sogenannten Splatter- und Gorefilm – , durch ein oft unglaublich pessimistisches Weltbild und mitunter blanken Zynismus und reine Menschenverachtung auszeichnen sollte.

Die Geburt des modernen Horrorfilms liegt somit ebenfalls schon über 40 Jahre zurück und es kann nicht verwundern, wenn Jüngere also schon die Filme der 70er und 80er Jahre teils als veraltet wahrnehmen. Philipp Stroh flicht in seine doch relativ subjektiven Betrachtungen immer wieder „Nahaufnahmen“ bestimmter Filme/Serien (ab den späten 70ern wurde praktisch alles zur Serie verwurstet, was sich einmal als erfolgreich erwiesen hatte) ein und beginnt damit bei den durch Romero hervorgebrachten …DEAD-Filmen. Den Zombiefilmen also. Er bleibt dabei dicht an den mittlerweile sechs Zombiefilmen des Altmeisters und richtet sein Augenmerk nur in Nebensätzen auf jene harte Zombiefilmwelle, die Romero ebenfalls beeinflusst hatte und die sich in den Jahren 1980-84 von Italien her ausbreitete. Wirklich bei sich und seinen ureigenen Interessen angekommen scheint der Autor dann bei jenen Serien um die sogenannten Slasher, denen er besondere Aufmerksamkeit widmet – Michael Myers aus den HALLOWEEN-Filmen (ab 1979), Jason Vorhees, der Mörder der FRIDAY THE 13th-Reihe (ab 1980) oder Freddy Kruger, jenes Traumwesen mit Allmachtphantasien, das die Elm Street heimsuchte in den NIGHTMARE ON ELM STREET-Filmen (ab 1984). Der Einfluß dieser Serien ist bis zu den postmodernen Filmen der SAW-Reihe (ab 2004) um den moralinsauren Kill-Spieler Jigsaw spürbar, auch wenn dieser seinen Ahnen vor allem intelligibel um Längen voraus ist. Am ehesten verwandt ist er mit Freddy Kruger, der zwar zu Lebzeiten ein Schwein war, dennoch aber ein fürchterliches Schicksal ohne irgendein vorhergehendes Verfahren erlitt. Nur kurz streift diese Reise durch den Horrorfilm jene Werke, die mittlerweile für Furore sorgen – die französischen Terrorfilme postmoderner Prägung wie HIGH TENSION (2003) oder MARTYRS (2008).

Der positive Ausblick, den Stroh bietet, ist der aus der CABIN IN THE WOODS (2011) und der auf die sogenannten Found-Footage-Filme, jenen Werken im Nachklapp zu der Jahrhundertmarketingsause THE BLAIR WITCH PROJECT (1999) wie [•REC] (2007) oder CLOVERFIELD (2008). Hier sieht der Autor Potenzial und die Möglichkeit neuer Entwicklungen. Das mag so sein, Fakt ist, daß der Horrorfilm und seine unzähligen Subgenres immer wieder für tot und erledigt erklärt wurde und – anders als z.B. der Western, der ein Schattendasein im Garten der Liebhaber führt – doch immer wieder enormen Erfolg an der Kinokasse hatte, oft sogar im Mainstream ankam. Als mit Jonathan Demme und David Lynch zu Beginn der 90er Jahre zwei Vertreter des (gehobenen) Mainstream in WILD AT HEART (1990) und THE SILENCE OF THE LAMBS (1991) Elemente des Splatter- und Gorefilms im kommerziellen Kino untergebracht und damit (mal wieder) eine Diskussion darüber ausgelöst hatten, wie viel Gewalt auf der Leinwand zulässig sei, war der Weg für eine neue Welle des (durchaus harten) Horrorfilms geebnet, obwohl man den mit all den Slasherfilmen der 80er Jahre eigentlich an seinem Ende gewähnt hatte. Es blieb dem Freddy-Kruger-Erschaffer Wes Craven vorbehalten, mit der SCREAM-Reihe (ab 1996) nicht nur eine neue Slasherserie aufzulegen, sondern auch den ultimativen Horror der Postmoderne abzuliefern. Nie zuvor war der Horrorfilm derart selbstreferenziell gewesen, wie er es hier wurde.

Der vorliegende Band liefert eine gute Übersicht, ist aber deutlich von den (amerikanischen) Vorlieben seines Autors geprägt. Filme wie Clive Barkers HELLRAISER-Serie (ab 1987), die schon erwähnte Zombieschwemme aus Italien oder aber, früher, das europäische Schreckenskino eines Georges Franju, der mit LES YEUX SANS VISAGE (1960) ) einen der poetischsten Horrorfilme aller Zeiten vorgelegt hat, bleiben weitestgehend ausgespart. Mario Bava, immerhin, findet Erwähnung. Erwähnung findet zwar auch Barkers S/M-Serie, doch scheint der Autor nicht wirklich viel damit anfangen zu können. So sollte man diesen Band zur Unterhaltung heranziehen; will man einen wirklichen Überblick über die Entwicklung des modernen Horrorfilms, sollte man zu anderen Werken, z.B. Kim Newmans NIGHTMARE MOVIES. HORROR ON SCREEN SINCE THE 1960s, greifen. Dort nämlich erhält man wirklich erschöpfende Auskunft noch zu den abseitigsten Werken, mit viel Humor, ebenfalls gnadenloser Subjektivität und vor allem enzyklopädischem Wissen aufbereitet.

2 thoughts on “EINE REISE DURCH DEN HORRORFILM

  1. Laura Mangiapane sagt:

    sehr gut!

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