GERONIMO: AN AMERICAN LEGEND

Walter Hill bietet ein postmodernes Spektakel und sucht Gerechtigkeit in der Geschichtsschreibung

Der junge 2nd Lt. Britton Davis (Matt Damon in seiner ersten wirklich ernst zu nehmenden Rolle) kommt ins Grenzland zwischen Arizona und Mexiko, kurz bevor der Apachenhäuptling Geronimo (Wes Studi) sich ergibt. Mit seinem Mentor 1st Lt. Charles B. Gatewood (Jason Patric) begleitet Davis den großen Anführer zunächst in das Fort, wo er von General George Crook (Gene Hackman) begrüßt wird, später ins Reservat. Als Geronimo mit einer Gruppe junger Männer, aber auch Frauen und Kindern, aus dem Reservat ausbricht, wobei eine Reihe von Kavalleristen getötet wird, und sich in die Berge Nordmexikos zurückzieht, muß Crook, nachdem seine Bemühungen, den Häuptling erneut zur Aufgabe zu bewegen gescheitert sind, seine Demission einreichen. Der neue Befehlshaber, Nelson Miles (Kevin Tighe), entläßt die indianischen Scouts, die der Armee bisher gute Dienste unter dem Befehl des Chefscouts Al Sieber (Robert Duvall) erwiesen hatten. Doch auch Miles Strategie verfängt nicht. So befiehlt er schließlich Gatewood, sich mit einem kleinen Trupp, zu dem neben Sieber und dessen bestem Indianerscout auch Davis gehört, aufzumachen, Geronimo zu finden und dazu zu überreden, sich erneut in Gefangenschaft und das Reservat zu begeben. Gatewood gelingt dies schließlich. Als „Dank“ für seine Bemühungen wird er in den äußersten Nordwesten der Staaten/Territorien versetzt. Davis, der durch Gatewood und Sieber den Respekt vor der uralten Kultur der Indianer allgemein, der Apachen im Besonderen, gelernt hat, quittiert den Dienst, als er feststellen muß, daß die Indianer einmal mehr den Betrügereien der U.S.-Regierung aufgesessen sind.

Nachdem die 80er Jahre kaum relevante Western gesehen hatten – kommerziell noch am erfolgreichsten war das Brat-Pack-Vehikel YOUNG GUNS von 1988, das aber mehr einem Pop-Magazin denn einem ernstzunehmenden Western glich – konnte Kevin Costner 1990 mit seinem gigantischen Ethno-Spektakel DANCES WITH WOLVES nicht nur das Genre reanimieren, sondern auch Kritikerlob einheimsen, setzte er doch angeblich endlich den Ureinwohnern des Landes jenes Denkmal, das denen längst gebührt hätte. Durch und durch postmodern, bediente Costner nicht nur die damals sich auf dem Höhepunkt befindliche Öko-Bewegung, indem er einen „historischen“ Aussteiger zeigte, der sein Glück erst bei den „Primitiven“ findet (erstaunlich, daß das aufging, hatte Peter Weir doch gerade einmal drei Jahre zuvor in MOSQUITO COAST [1986] gezeigt, wohin der falsch verstandene Kult um den „edlen Wilden“ führen kann), sondern er nahm auch in Anspruch, möglichst „authentisch“ zu sein, was sich daraus ableitete, daß die Indianer ihre eigene Sprache sprechen durften und im Kino untertitelt wurden.

Danach kam Clint Eastwoods Metawestern UNFORGIVEN (1992), bevor Richard Donner (MAVERICK/94) und Sam Raimi (THE QUICK AND THE DEAD/95) das Genre erneut der Komödie zuführten. Doch dazwischen, 1993, drehte Walter Hill, der zuvor mit THE LONG RIDERS (1980) bereits einen an Sam Peckinpah gemahnenden, extrem formalistischen Spätwestern gedreht und in diversen Actiondramen wie SOUTHERN COMFORT (1981) oder STREETS OF FIRE (1984) das Genre in die Gegenwart transferiert hatte, GERONIMO: AN AMERICAN LEGEND (1993). Das Indianerepos orientierte sich weitestgehend an den Fakten und versuchte – darin ebenfalls postmodern wie sein ungemein erfolgreicherer Vorgänger von 1990 – den Indianern nicht nur sprachlich gerecht zu werden, sondern auch in der Darstellung der Begebenheiten dieses Mitte der 1880er Jahre stattgefundenen Indianerkrieges, in der Ausstattung, den Masken und Kostümen, den Settings und auch dem (sozialen) Milieu der unterschiedlichen Apachenstämme.

Hill und sein Drehbuchautor John Milius, der zwar ein Reaktionär erster Güte, jedoch mit einem großen Herzen für die Ureinwohner Amerikas und für historische Genauigkeit gesegnet ist, geben sich viel Mühe, ein möglichst genaues Bild des Abläufe und ein redliches Bild der Apachen zu malen. Der Untertitel des Films – AN AMERICAN LEGEND – verweist allerdings deutlich darauf, daß wir es hier mit einem Film, also einer fiktionalisierenden Narration zu tun haben, desweiteren verweist er aber auch auf das Wesen des Genres, dessen sie sich bedienen: Den Western. Eine der berühmtesten Sentenzen des Genres sind die Worte, die John Ford am Ende von THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE (1962) den Redakteur einer Dorfgazette sagen läßt: When the legend becomes fact, print the legend! Walter Hill, John Milius und viele der am Film Beteiligten, wie die auch hier wieder großartigen Gene Hackman und Robert Duvall, sind sich der Filmgeschichte und dessen, was sie für das Selbstverständnis des Landes ausmacht, viel zu bewußt, als daß sie nicht genau wüssten, was gerade dieser Satz bedeutet.

Das Drehbuch vermeidet also den größten Fehler, den es machen könnte und erzählt keine Geschichte der Indianer aus der Perspektive eines Weißen – was in den 50er Jahren kein Problem gewesen sein mag, ist in der fortgeschrittenen Postmoderne und im Bewußtsein der Aufklärung dieses Themas in Folge der Bürgerrechtsbewegung der 1960er und 70er Jahre nicht mehr möglich – , sondern setzt mit Matt Damons Lt. Davis einen Erzähler ein, der die Geschehnisse als Jungspund erleben durfte und uns Nachgeborenen von den „Alten“ berichtet, den Crooks, Siebers, aber auch Gatewoods – Männern, die heute „verschwunden“ sind. So hält der Film die Balance zwischen einem „authentischen“ Bericht (wobei die Erzählstruktur an mindestens zwei Stellen gebrochen und uns von Dingen berichtet wird, welche Davis als Augenzeuge nicht mitbekommen haben kann) und den Regeln und Normen des Genres. Die zu ignorieren, funktioniert nur bedingt, wie die Vergangenheit bewiesen hat, und so begeben sich Hill und sein Team nicht aufs Glatteis. Und offensichtlich wollen die Autoren den „mythischen“ Grund des Genres auch nicht wirklich verlassen. Viel zu oft gemahnt der Film in Aufbau und Komposition der Bilder seiner Ahnen und Vorbilder, allen voran dem Großmeister des Western, John Ford, zu häufig verweist er direkt auf die Klassiker der 50er und 60er Jahre, orientiert er sich an der filmisch dargestellten Realität des Historischen.

Eine Over-Voice und somit einen Ich-Erzähler im Western zu installieren, ist schon ungewöhnlich genug, braucht der klassisch doch das Präteritum, um seine mythische Struktur zu entfalten. Hier bescheinigt die Tatsache, daß wir, das Publikum, die Geschichte „verbürgt“ erzählt bekommen von einem, der dabei gewesen ist, die Verankerung des Berichts in der Realität. Der Film legt exakt da seinen Maßstab an und Wert darauf, ein historisch faires Bild der Indianer zu zeichnen und der damaligen Geschehnisse wiederzugeben. Doch bedient er sich dabei durchaus des klassischen Personals seiner filmischen Vorbilder: Gatewood ist der Held, ein Tragiker, der um die Vergeblichkeit seines Tuns weiß und, wie Sieber ihm einmal bescheinigt, „nicht an das glaubt, wofür er kämpft und das nicht hasst, wogegen er kämpft“; Miles ist der Technokrat der bürokratischen Macht, wie er uns seit Lt. Col. Owen Thursday in Fords FORT APACHE (1948) geläufig ist, sein Vorgänger Crook die abgemilderte Form davon, ein Mann des Establishments, der die Tragödie, die um ihn herum passiert, begreift und in Geronimo einen ihm Ebenbürtigen erkennt – einen Krieger; Sieber erinnert an die Indianerkämpfer der 40er Jahre, wie Spencer Tracys Major Rogers in King Vidors NORTHWEST PASSAGE (1940), als ein einseitig-ungetrübter Blick auf die amerikanische Geschichte als reines Heldenepos noch möglich war. Wes Studi hat gegenüber seinen filmischen Vorgängern natürlich den Vorteil, sehr viel bessere Dialoge zu bekommen, so erlangt Geronimo durch ihn Würde und Stolz, aber auch die Trauer desjenigen, der um die Vergeblichkeit des eigenen Tuns weiß oder sie zumindest erahnt.

Das Buch ist bemüht, die Situation der Indianer als ebenso verzweifelt wie ausweglos darzustellen. Erstaunlich ist allerdings, daß der abgeschlossene Film zwar ein individuelles Urteil spricht, wenn Davis aus Scham die Armee verläßt und damit deutlich angeprangert wird, daß die Art des Umgangs mit den Ureinwohnern durch die Armee niemals in Ordnung war, zugleich aber akzeptiert wird, daß die Armee ein Instrument in den Händen einer ebenso blinden wie blindwütigen Bürokratie ist. Wie so viele Filme, in denen Hollywood die Armee thematisiert, wird sie institutionell nicht in Frage ge-, sondern einmal mehr als die Nation mit begründendes und definierendes Element dar-gestellt. In dem Willen, der historischen Wahrheit gerecht zu werden und zugleich Referenz an den Western als amerikanisches Mythensystem zu zollen, geht GERONIMO: AN AMERICAN LEGEND einen ambivalenten Weg. Er bleibt den Figuren gegenüber, bei aller Genauigkeit auch in der psychologischen Zeichnung, relativ distanziert. Man betrachtet den Ablauf des Geschehens wie durch die mit Patina besetzten Bilder einer Daguerreotypie. So wird der Weg der Geschichte zu einer Zwangsläufigkeit, beispielweise wenn Crook sich wortlos wegdreht auf Geronimos Frage, wieso bei all dem vielen Land nicht Raum genug für alle Menschen vorhanden ist. Zugleich betrauert der Film aber auch den Verlauf eben dieser Geschichte. Laut der Wikipedia hat der amerikanische Großkritiker Roger Ebert den Film mit Spielbergs SCHINDLER’S LIST (1993) verglichen, was ihn natürlich sehr hoch hängt. Doch geht der Vergleich eben an diesem wesentlichen Punkt des Films vorbei: Im Grunde bringt GERONIMO: AN AMERICAN LEGEND schon mit seinem Titel sein positivistisches Weltbild zum Ausdruck. Ein den Lauf der Historie bejahendes Weltbild, daß zwar Trauer über den Verlust kennt, doch versteht, daß in mythischen Systemen Trost liegen kann. So stellt der Film schon auch den Versuch einer Versöhnung dar, indem er die Verlierer dieser Geschichte herein holt in den Pool nationaler Legenden, Sagengestalten und Referenzfiguren.

Und in diesem Begehren schließt sich wiederum der Kreis zum klassischen Western, dem Hill und sein Film sich ganz offensichtlich mehr verpflichtet fühlen, als dem Spätwestern oder gar dem Italowestern. Wie Eastwoods UNFORGIVEN ist dies ein Metawestern, der auch betrauert, den Westen eben nicht mehr so darstellen zu können, wie es die Meister einst konnten. Hill und sein Kameramann Janusz Kamiński suchen ganz bewußt Ausschnitte und Bildkompositionen, die Fords Ästhetik aufgreifen, reflektieren und doch auch konterkarieren. Ist beim Meister eine strenge Vertikal-Horizontal-Struktur gegeben, reitet Hills Trupp mehr als einmal vor scheinbar in den Wüstenboden getriebenen, schräg abfallenden Felsformationen. Wie in Fords Technicolorbädern der späten 50er Jahre ertrinken auch Kamińskis Bilder im satten Rot des Wüstensandes. Wie Ford, definieren auch Hill und sein Team den Raum durch die darin stattfindende Bewegung der Reiter, der Soldaten, des Stoßtrupps. Und wie bei Ford, wissen auch bei Hill die Bilder von der Unermesslichkeit des Landes, seiner schieren Größe und der Überwältigung des einzelnen durch diese Größe zu berichten. Hill versteht dabei ganz genau, daß das alles bereits erzählt wurde und er nur Relevanz erreichen kann, wenn er bereit ist, der Referenz, vielleicht Reminiszenz, eine neue, erweiternde Dimension mitzugeben. Das gelingt dem Film mit einer bewundernswerten Souveränität. Die aber eben auch einen faden Beigeschmack hinterläßt.

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