HOCHDEUTSCHLAND

Alexander Schimmelbusch macht sich Gedanken über das Wesen des Kapitalismus und dessen populistische Versuchungen

Es gibt diese 500-Seiten-Schinken, die man in 3 Tagen liest, oft der Unterhaltungsliteratur zuzuordnen, manchmal aber auch durchaus anspruchsvoll, strotzend vor Handlung, kluger Gedanken und fesselnden Figuren, daß man das Werk nicht aus den Händen legen kann. Es gibt aber auch Bände mit schlanken 200 Seiten, für die braucht man eine Woche, weil sie so hintersinnig, tiefgründig, voller Gedankenschwere sind, daß man Satz für Satz das Buch weglegt, um das Gelesene Revue passieren zu lassen. Und es gibt jene, für die man eine Woche braucht, weil sie sterbenslangweilig sind. Leider ist Alexander Schimmelbuschs mittlerweile vierter Roman HOCHDEUTSCHLAND in letztere Kategorie einzuordnen.

Da tritt uns also Victor entgegen. Der Mann, der uns hier seine Gedanken mitteilt, ist Besitzer einer Investmentbank in Frankfurt a.M., Sprössling einer Bankiersfamilie, Absolvent eines humanistischen Gymnasiums und der ‚London School of Economics‘, darob hochgebildet, nicht nur vollgestopft mit reinem Wissen, sondern auch moralisch gefestigt, ein in Scheidung lebender Vater einer kleinen Tochter und vor allem von seinem Dasein als Superreicher arg gelangweilt. Während er einen „Pitch“, in seiner Branche der Fachausdruck für eine Art Werbegespräch, mit dem Finanzminister der Bundesregierung vorbereitet, entwirft er wie nebenher das Programm für eine neue Partei, die sich weder links noch rechts, weder liberal noch nationalistisch, weder allzu sozialistisch noch konservativ aufstellen sollte, sondern, als ‚Deutschland AG‘ firmierend, die Bevölkerung des Landes hinter sich vereinen will, damit ein „Ruck“ durchs Land geht, Leistung sich wieder lohnt, die Schere zwischen Arm und Reich (mittels einer Vermögensobergrenze von 25 Millionen, die er selber locker reißt) geschlossen wird und jene Tugenden, die Deutschland einst groß werden ließen – Kultur, technische Innovationskraft, Ausdauer und Fleiß – sich auszahlen. So soll Deutschland wieder Marktführer in so ziemlich allem werden, worin man Marktführer sein kann. Er gibt sich Mühe, bei den drängenden Problemen, bspw. der Migrations- und Flüchtlingsfrage, nicht allzu populistisch zu wirken, bedient aber das „gesunde Volksempfinden“ durch harte Verfahrensweisen mit straffällig gewordenen Asylanten, u.ä. Schließlich übermittelt er seine Idee einem alten Freund, der Abkomme einer Döner-Dynastie und Abgeordneter der Grünen im Bundestag ist, mittlerweile jedoch genug von seiner Partei hat. Während Victor hofft, den Auftrag der Regierung und ein Teilsorgerecht für die Tochter von seiner Frau zu bekommen, macht sich sein Kompagnon dran, die Idee einer Massenbewegung umzusetzen.

Eine an sich gelungene Idee. Und ganz sicher ein Roman zur rechten Zeit, scheint das Land doch gerade vor einer Zerreißprobe zu stehen, sich von Populisten jedweder Couleur seine Themen diktieren zu lassen und demnächst alten, längst vergangen geglaubten , durchaus finsteren Verhaltensweisen anheim zu fallen. Doch wie so oft reicht eine gute Idee nicht aus. Das fängt bereits bei der Figur Victor an. Schimmelbusch schöpft da wohl tief aus seiner eigenen Biographie und seiner Erlebniswelt, denn vergleicht man seinen Werdegang mit dem seines Protagonisten, tun sich erstaunliche Ähnlichkeiten auf. Vielleicht aus mangelnder literarischer Kenntnis, vielleicht aus mangelndem literarischen Einfallsreichtums ist ihm leider nicht aufgefallen, daß die Figur so, wie sie dem Leser entgegentritt, nichts Originelles aufweist, ja, nachgerade zum Klischee erstarrt. So, wie sie da auf dem Papier steht, verhält sich ein Banker, denkt ein Banker und lebt ein Banker in der Vorstellung des gemeinen Lesers, und Schimmelbusch weiß ihr nichts hinzuzufügen, was sie aus dem Sumpf des Trivialen hervorheben könnte. Ermüdend werden dem Leser Luxusartikel – Autos, Weine, Haushaltsgeräte, oft mit Markennamen –  aufgezählt, werden menschenverachtende Betrachtungen zu Untergebenen angestellt, werden Sexualpraktiken mit verschiedenen, meist in Abhängigkeitsverhältnissen stehenden, Frauen geschildert, deren Namen sich Victor kaum merken kann, und das ganze mit sentimentalen Beobachtungen und Erinnerungen an seine Tochter, die ihm, natürlich, alles bedeutet, konterkariert. Daß dieser Mann sich Gedanken über Deutschlands Zukunft macht und diese in einer „gesamtdeutschen“ Kraftanstrengung positiv wenden will, nimmt man ihm aufgrund der geschilderten Bildung, seines Werdegangs und der ihn umtreibenden Langeweile, zwar noch gerade ab, auch, daß das Programm seiner Bewegung jenseits von rechten und linken Klischees sich aufschwingt, die Probleme mit der Wirtschaft entnommenen und durchaus den reinen Kapitalismus bändigenden Rezepten anzugehen, doch den humanitären, nicht einmal den dringenden  Aspekt der Sache kann Schimmelbusch nicht glaubhaft machen. Man muß Victor, und damit auch dem Autor, zugute halten, daß der Entwurf ursprünglich eben auch nur das ist – ein Entwurf, eine skizzierte Idee, der Langeweile in einem Berliner Hotelzimmer geschuldet. Doch das, was daraus entsteht – eine Massenbewegung, die schließlich die Macht im Lande übernimmt – soll vielleicht warnendes Beispiel dafür sein, wie Leute ohne wirkliche Konzepte und mit zu viel Geld und Zeit sich bemüßigen, Politik zu einem Hobby zu machen, doch verkennt Schimmelbusch dann, mit welchen Mitteln die realen Populisten dieses „Hobby“ betreiben.

Vielleicht war es so geplant, daß hier eine Figur aus dem Auge des kapitalistischen Taifuns in seiner ganzen Perfidie vorgeführt wird, ausgestellt als haltloser, sich in Oberflächlichkeiten verlierender Gewinner des herrschenden Neoliberalismus, den leise das schlechte Gewissen plagt. Durchaus werden Erinnerungen an Bret Easton Ellis´ Yuppie-Monster Patrick Bateman aus dem Epochenroman AMERICAN PSYCHO evoziert, doch gelingt es – und da setzt die Kritik dann viel fulminanter auf der formalen, stilistischen Ebene an – Schimmelbusch eben nicht, die Figur entweder derart zu überzeichnen, wie Ellis dies tat und damit etwas schuf, was in der Literatur vielleicht einmalig geblieben ist, noch ist sie in eine literarisch hinreichende Umgebung eingepasst, die signifikant Eigenständiges zu bieten hat, um realistisch zu wirken und somit auf eine Weise zu überzeugen, wie dies bspw. die politischen Figuren eines Wolfgang Koeppen seinerzeit taten. Schimmelbusch mag die Welt seines Victor genau kennen, doch weiß er aus dem Innern dieser Welt, noch dem Innenleben dieser Figur. irgendetwas wirklich Überraschendes zu generieren. Sollte es schlicht so sein, daß Typen wie Victor einfach exakt den Klischees entsprechen, die der Normalbürger von ihnen hegt? Dann, mit Verlaub, sind sie als literarische Protagonisten ungeeignet.

Leider setzt sich die  Oberflächlichkeit des Personals stilistisch in der Anwendung der Mittel fort. Da verliert sich der Leser in einem Gewitter aus Metaphern, die zunächst durchaus humoristisch, manchmal mit Schlag ins Sarkastische gefallen mögen, recht bald aber entpuppen sie sich als reiner Selbstzweck. Fast tautologisch mutet das an, wenn all diese Bilder, die Victor findet, um seine Fahrten durch den Taunus, Berlin, Frankfurt a.M. oder das Verhältnis zu andern Menschen zu charakterisieren, letztlich immer nur auf sich selbst und ihren Erfinder zurückweisen, sich in sich selbst verleiren. Vielleicht ist auch das so gewollt. Vielleicht soll die Oberflächlichkeit und Verliebtheit in Luxusgüter, die als ständige metaphorische Referenz genutzt werden, eben die Oberflächlichkeit der Figur bestätigen. Aber als Stilmittel ist das zu wenig, weil es eben nur Oberflächlichkeit zeigt und bedient. Genau darin besteht eben der Unterschied zu einem Großmeister wie Ellis, dem es gelang, der Oberflächlichkeit Batemans eine tiefere Ebene abzugewinnen, wenn auch mit drastischen Mitteln. Ein Leben, eine Welt als Label. Die Zeichenhaftigkeit als Inhalt, bei dem zwischen einer Flasche ‚Dom Perignon‘ und literweise Blut kein Unterschied mehr besteht. Beides ist flüssig.

Gänzlich jeglicher literarischen Verarbeitung abhold ist dann aber der Schluß des Romans. In einem Abriß, nachdem der eigentliche Handlungsfaden zu einem unentschlossenen Ende inklusive eines Ausflugs ins leicht Esoterische kommt, wird uns der Erfolg von Victors Programm und der daraus entstandenen Bewegung berichtet. Daß das – natürlich – in eine leicht verschwurbelte Diktatur führt, in der illiberale Werte gängige rechtsstaatliche Prinzipien verdrängt haben, ist sich Schimmelbusch als Analyse wohl schuldig, doch überzeugt das weder inhaltlich noch formal. Ein wenig hat man den Eindruck, daß hier jemand unbedingt das Buch zur Stunde schreiben wollte, eine durchaus spannende Idee hatte, aber weder Lust noch die Fähigkeit, dieses doch arg klapprige Gerippe mit dem nötigen literarischen Fleisch auszuschmücken, um eine überzeugende Erzählung zu liefern. Leider, möchte man sagen. Es täte gut, wenn aktuelle Literatur der Verquickung von Politik und Wirtschaft, von Populismus und Beliebigkeit, die Gegensätze und die Dialektitk von reich und arm genauer auf unter die Lupe nähme und so verdeutlichte, was uns da drohen könnte. Dies hier aber ist zu unentschlossen, hin und her gerissen zwischen Satire und ernsthafter Literatur, zwischen Übertreibung und realistischer Abbildung, um wirklich einen gelungenen Anfang zu markieren.

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