INSIDER/THE INSIDER

Einer der besten Filme der 1990er Jahre: Ein Meisterwerk von Michael Mann

New York, zu Beginn der 90er Jahre. Lowell Bergman (Al Pacino) ist Producer für das News-Magazin 60 Minutes. Er, ein Schüler von Ludwig Marcuse, steht für das hehre Ideal des investigativen Journalismus. Für den Anchorman Mike Wallace (Christopher Plummer) bereitet er die heiklen Interviews und Features vor. So u.a. ein Interview mit einem Hisbollah-Führer vor Ort im Libanon.

Eines Tages erhält er einen Packen Unterlagen über die Laborarbeit der Tabakindustrie. Er bittet einen seiner Verbindungsleute, ihm jemanden zu besorgen, der ihm das, was die Tabellen enthalten, erklären und übersetzen kann.

So kommt der Kontakt zu Jeffrey Wigand (Russell Crowe) zustande. Dieser wurde, weil er sich Anweisungen der Konzernspitze widersetzte, von einem der führenden Tabakhersteller Amerikas entlassen. Wigand war Laborkraft und Leiter einer Forschungsabteilung. Zunächst widerstrebt es dem Chemiker mit Doktortitel, gegen die Verschwiegenheitsklausel in seinem Abfindungsvertrag zu verstoßen, doch als die Konzernleitung ihn massiv unter Druck setzt, eine weitere, sehr viel weitreichendere Klausel zu unterschreiben, wird Wigands Widerstandgeist geweckt.

Obwohl ihm eine Klage und der Verlust von Abfindung sowie der Krankenversicherung für sich und seine Familie droht, hilft er Lowell, die Papiere zu entschlüsseln. Lowell versteht, daß er explosives Material in den Händen hält. Für 60 Minutes ein gefundenes Fressen, ist die Sendung doch dafür bekannt, heiße Eisen anzupacken. Auch Mike Wallace und Chefredakteur Don Hewitt (Philip Baker Hall)  stimmen zu, daß man Wigand dazu bekommen müsse, sein Wissen vor der Kamera mit einem Millionenpublikum zu teilen.

Der Konzern beginnt derweil, zunächst subtil, dann mit immer drastischeren Methoden bis hin zu Morddrohungen, Wigand und dessen Familie unter Druck zu setzen. Wigand braucht dringend eine neue Arbeit, ist in der Branche alledings ein Aussätziger. So bewirbt er sich um den Posten eines Chemielehrers an einer Highschool. Seine Frau Liane (Diane Verona) wird zusehends nervöser und hat immer mehr Angst, vor allem um die beiden Töchter des Ehepaars.

Bergman lädt das Ehepaar nach New York ein, wo das Interview schließlich aufgezeichnet wird, obwohl Jeffrey Liane bis zum Abend vor dem entscheidenden Tag nicht gesagt hat, daß er bereits zugestimmt hat.Im Interview bestätigt er, daß die Tabakkonzerne Zigaretten bewusst Suchtmittel zufügen und erklärt in einfachen Worten, wie dies vonstatten geht und was dabei im Gehinr passiert. Mike Wallace, der das Interview wie gewohnt führt, weist auf eine Senatsanhörung im Jahr zuvor hin, bei dem alle sieben Konzernchefs der in den USA beheimateten Tabakkonzerne aussagten, es gäbe keine Suchtmittel in Zigaretten und daß sie Nikotin nicht für suchtbildend hielten. Wigand bestätigt vor laufender Kamera, daß dies eine bewusste Lüge gewesen sei.

Die Rechtsabteilung von CBS, dem Sender, der 60 Minutes produziert, teilt Bergman die diversen juristischen Schwierigkeiten mit, die bei der Ausstrahlung des Interviews entstehen würden. Vor allem die Verschwiegenheitsklausel macht ihnen Sorge. Bergman findet heraus, daß Wigand seine Aussage zunächst in einer öffentlichen Anhörung aktenkundig machen müsste. Er nimmt Kontakt zu zwei Staatsanwälten von Mississippi, Richard Scruggs (Colm Feore) und Ron Motley (Bruce McGill), auf, die derzeit an einer Klage des Staates gegen die Tabakindustrie en gros arbeiten. Sie zeigen sich sehr interessiert an Wigands Aussage.

Wigand überlegt hin und her, der Druck des Konzerns steigt, er entschließt sich jedoch, zu der Anhörung zu fliegen. Bergman hat derweil einen privaten Sicherheitsdienst damit beauftragt, die Wigands zu schützen. Liane erklärt Jeffrey am Abend vor dessen Abreise, daß sie dem allen nicht mehr gewachsen sei. Wigand reist dennoch ab.

Nach weiteren Zweifeln, macht er seine Aussage trotz massiven Drucks des Anwalts der Tabakkonzerne. Motley weist den Anwalt in die Schranken und tritt dabei bewusst derb auf.

Als Wigand heimkehrt, ist Liane mit den Kindern abgereist, sie zieht zunächst zu ihrer Schwester. Jeffreys Leben zerbricht vollends. Er lebt in einem Hotelzimmer, geht seiner Arbeit als Lehrer nach und trinkt mehr, als ihm gut tut.

Derweil bereitet Bergman die Ausstrahlung der Sendung vor, die das Interview enthält. Kurz bevor sie über den Sender gehen soll, werden Bergman, Wallace und Hewitt in ein Meeting gebeten. Hier erklärt ihnen die Leiterin der CBS-Rechtsabteilung Helen Caperelli (Gina Gershon), daß sich CBS weigere, die Sendung in der vorliegenden Form auszustrahlen. Zu unsicher seien die juristischen Folgen. Man solle eine Zweitversion herstellen, in der das Interview fehle.

In der Redaktion kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Bergman und Hewitt, Wallace versucht zu vermitteln. Bergman findet heraus, daß CBS offenbar kurz vor dem Verkauf an einen Großkonzern steht, der kein Interesse an einer möglichen Milliardenklage der Tabakindustrie hat. Darüber hinaus findet er aber auch heraus, daß sowohl Caperelli, als auch der Chef der Nachrichtenabteilung und CBS-Vorstandsmitglied Eric Kluster (Stephen Tobolowsky) an einem etwaigen Verkauf des Senders in Millionenhöhe beteiligt wären. Bergman greift vor allem Wallace frontal an, weil die beiden ein alteingespieltes Team seien und Bergman sich und seine Arbeit verraten fühlt.

Bergman muß Wigand die neuesten Entwicklungen mitteilen. Wigand macht ihm schreckliche Vorwürfe, behauptet unter anderem, Bergman habe ihn bewußt ausgenutzt und dann fallen gelassen. Bergman, dessen höchstes Gut in seinen Augen seine Glaubwürdigkeit gegenüber Quellen und Informanten ist, fühlt sich zutiefst gekränkt. Er erfährt aber auch, daß auf Druck des Gouverneurs von Mississippi die Ermittlungen der Staatsanwaälte eingestellt wurden, der Fall liege auf Eis. Bergman begreift, daß Wigand sich verraten und verkauft fühlen muß.

Bergman geht nun mit auch unter Journalisten als unlauter geltenden Mitteln gegen seinen Arbeitgeber vor, bietet befreundeten Kollegen bei der New York Times und der Washington Post Material an, das belegt, daß CBS einen Beitrag zurückhält, weil dieser den Sender in seinen eigenen Geschäften stören könnte. Zudem sieht sich Jeffrey Wigand einer Schmutzkamoagne gegen seine Person ausgesetzt. Er soll eine Frau verlassen haben, die ein Kind von ihm hat, er soll Ladendiebstahl begangen haben etc. Auch diese Angriffe versucht Bergman mit Hilfe von Kollegen, die er gegenrecherchieren lässt, zu entkräften.

Derweil geht die gekürzte Sendung über den Äther, was Wallace in Rage versetzt, da auch diese Version von CBS eigenmächtig umgearbeitet wurde. Doch auch zwischen ihm und Bergman kommt es zu einem tiefen Zerwürfnis, als die New York Times schließlich mit einem Seite-Eins-Artikel und einem Kommentar aufmacht, der CBS und in Persona Mike Wallace die Sendung 60 Minutes angreift, feige zu sein und ihrem journalistischen Ethos nicht gerecht zu werden. Wallace gibt Bergman gegenüber schließlich zu, daß es ihm in seinem Alter möglicherweise wichtiger sei, wie die Nachwelt über ihn denke. Und dieses Gedenken habe Bergman nachhaltig zerstört.

Bergman wird zwangsbeurlaubt und fährt mit seiner Frau Sharon (Lindsay Crouse) in Urlaub, bleibt aber mit Wigand in Kontakt. Der verfällt zusehends dem Alkohol und seinem Jähzorn, den er zuvor gegenüber Bergman schon eingestanden hatte.

Bergman arbeitet schließlich an andren Themen, unter anderem gelingt es ihm durch Kontakte zum FBI, bei der Festnahme von Ted Kaczynski, dem sogenannten Una-Bomber, anwesend zu sein und damit einen echten Scoop zu landen. Dennoch lässt ihn Jeffreys Schicksal nicht ruhen. Im Sender gibt es erneut heftige Auseinandersetzungen, die auch unter dem Druck der Öffentlichkeit schließlich dazu führen, daß die gesamte, ursrpüngliche Sendung inklusive des Interviews mit Jeffrey Wigand ausgestrahlt wird. Der Bericht geht landesweit auf Sendung und hat enorme Wirkung. Wigands Renommee ist wieder hergestellt, seine Familie und sein Privatleben hingeben sind und bleiben zerstört.

Bergman teilt Wallace mit, daß er gekündigt habe. Wallace fragt ihn, wieso jetzt, wo sie doch „gewonnen“ hätten? Bergman erwidert, daß das, was bei dieser ganzen Sache kaputt gegangen sei, nicht mehr zu reparieren wäre. Er könne keinem zukünfitgen Informanten mehr Sicherheit zusagen. Er sei verbrannt.

Dann verlässt Lowell Bergman die Sendezentrale von CBS.

Über einige Filme muß man im Grunde nicht viel sagen, weil ein einziges Wort reicht: Grandios! Es sind Filme, bei denen schlicht alles zu stimmen scheint – der Plot, die Bilder, das Timing, der Schnitt und die Montage, die Atmosphäre, die Musik und wie sie eingesetzt wird, die Schauspieler, natürlich. Es sind Filme, die einen beim ersten Sehen packen und man kann nicht wirklich sagen, weshalb. Es ist zunächst ein Gefühl. Beim zweiten oder dritten Durchgang beginnt man, auf Einzelheiten zu achten und findet nach und nach heraus, was es ist, was den Film so großartig sein lässt. Und dennoch behalten solche Filme ein Geheimnis, eine Aura, die nicht letztgültig zu durchdringen ist.

Michael Manns THE INSIDER (1999) ist ein solcher Film. Kaum daß man wüsste, wo anfangen. Die Geschichte ist ein Thriller-Plot, ohne wirkliche Thriller-Elemente. Es gibt keine Action, keine Gewalt, das Sujet – die Tricks der Tabakindustrie zur Verharmlosung ihrer Produkte – könnte unspektakulärer kaum sein, geht es doch um Chemiezusätze, Formeln und Tabellen. Und doch entsteht von Beginn an ein Sog, der den Zuschauer packt und fast zweieinhalb Stunden nicht wieder loslässt. Mann und sein Kameramann Dante Spinoth fangen Bilder erlesener Qualität ein. Monochrom schimmernd, bieten sie Oberflächen, hinter denen immer ein Mehr zu lauern scheint, das doch nie erscheint und damit eine Grundspannung erzeugt, die in den gesamten 157 Minuten Laufzeit nicht abreißt. Gestochen scharf ziehen sich Horizontallinien durch diese Bilder, die von Vertikalen durchschnitten werden. Die Eleganz der Linie der Windschutzscheibe eines Autos, hervorgehoben durch die Regenschlieren, die über das Glas ziehen, die abkippende Horizontlinie, beobachtet durch das Bullauge eines Privatjets, eine nächtliche Golfanlage, die im Dunkeln sich aufzulösen scheint und darauf Hunderte Golfbälle wie schimmernde Sterne. Und bei aller Ruhe, die der Film ausstrahlt, doch auch immer wieder extrem nahe Bilder, mit Handkamera aufgenommen, die uns fast unangenehm eng an Personen und das Geschehen heranführen und ein permanentes Gefühl von Dringlichkeit, Anspannung und Bedrohlichkeit entstehen lassen. Da ist der Soundtrack von Lisa Gerrard und Pieter Bourke, der oft fast sakral wirkt und den Niedergang der Figuren – fast schicksalhaft, der griechischen Tragödie entlehnt – begleitet, orchestriert. Das alles scheint hier zueinander zu passen, scheint sich perfekt ineinander zu fügen. Es entsteht eine Atmosphäre, die den Zuschauer sowohl die paranoid anmutenden Ängste der Hauptfigur Jeffrey Wigand nachempfinden lässt, als auch die Hektik des Journalistenberufs, die in den Redaktionen der Nachrichtensender, bei der Jagd nach Informationen herrscht, und der der Redakteur Lowell Bergman ausgesetzt ist. Es entsteht ein seltsames, nicht zu beschreibendes Wechselspiel aus Hyper-Realismus und einem entrückten Dasein der Protagonisten, vor allem der Hauptfigur. Wir glauben, was wir sehen und begreifen zugleich, wie sich im Alltag dieser Menschen etwas ausbreitet, das nur mit Tragik zu umschreiben ist. Wir begreifen den Moment, wenn das ganz normale Leben in etwas Größerem, unkontrolliertem aufgeht.

Mann verfügt mit Al Pacino und Russell Crowe natürlich über zwei Ausnahmetalente der Schauspielkunst, die ihr Bestes abrufen, um den Figuren all jene Nuancen einzuschreiben, die nie explizit werden und doch erst die Glaubwürdigkeit, ja Wahrhaftigkeit, begründen, die sie und den Film ausmachen, ihn umgeben, ihn strahlen lassen. Crowes Leistung wurde einst gewürdigt, indem sie unter den 100 besten Darstellerleistungen der Filmgeschichte auf Platz 23 gewählt wurde. Und man kann dem nur zustimmen, will rufen: Ja! Genau!. Selten wurden Angst, Paranoia, aber auch Verletzlichkeit und innere Distanz, unsympathische Wesenszüge und die Verlorenheit dessen, der sich auf Spiele einlässt, die zu groß für ihn sind, so vielschichtig, so facettenreich und glaubhaft dargestellt, ohne Übertreibung, ohne Manierismen. Dieser Jeffrey Wigand ist eine wahrhaftigsten Figuren, die je auf der Kinoleinwand zu beobachten waren. Doch würde das reichen, um zu begründen, weshalb dieser Film, diese Leistung, so außergewöhnlich ist? Nein, das würde es nicht. Erst im Zusammenspiel mit Pacino tritt das ganze Können von Russell Crowe hervor, der 1999 noch keineswegs der Superstar war, zu dem ihn ein Jahr später Ridley Scotts GLADIATOR (2000) machen sollte. Hier gehört die Show im Grunde ihm, doch Pacino, alterweise und -müde, kann ihn lassen. Sein Lowell Bergman, dieser Idealist, der auch nach Jahren in der Medienbranche nicht zynisch sein will, der mit seinem Wort einsteht für seine Quellen und Informanten, der seine Glaubwürdigkeit als sein eigentliches Kapital begriffen hat, überzeugt auch deshalb so ungemein, weil Pacino nie übertreibt, im Gegenteil: Er hält sich auf eine Art zurück, die Räume für den Zuschauer öffnet, aber auch für das Ensemble drum herum, sich zu entfalten. Interpretationsräume.

Aber auch das reicht noch nicht. Bis in die kleinsten Nebenrollen ist THE INSIDER mit Charakterdarstellern besetzt, die aus wenig nahezu alles herausholen. Allen voran natürlich Christopher Plummer als Mike Wallace, jener Anchorman beim News-Magazin 60 Minutes, der schließlich zugibt, daß der eigene Nachruhm ihm in seinem Alter mehr bedeutet, als das journalistisch saubere Arbeiten. Wie es Plummer gelingt, diesen Journalisten zu interpretieren, seine Ängste herauszustellen, aber auch den Mut, den er irgendwann einmal hatte, das (verlorene?) Ethos als Echo aus einer anderen Zeit anklingen zu lassen, allein dafür hätte auch er jeden Preis der Welt verdient. So könnte man jede einzelne Figur, jeden Darsteller, einzeln durchgehen und hervorheben. Man sieht Menschen bei der Arbeit zu, einer Arbeit, die von permanenten Entscheidungen, manchmal in Sekundenschnelle zu treffenden Entscheidungen, abhängt, Menschen, die sich als Hüter der Wahrheit verstehen, die an das, was sie tun, glauben und doch ahnen, daß die Zeit über sie hinweggeht. Eine der letzten Szenen des Films zeigt Bergman und Wallace. Bergman teilt seinem alten Gefährten  mit, daß er gekündigt habe. Wallace will das nicht glauben, immerhin sei doch letztendlich alles gut ausgegangen, sie hätten gewonnen, das entscheidende Interview sei nach vielem Hin und Her mit der Rechtsabteilung des Senders ausgestrahlt worden. Und wie Bergman/Pacino den Freund anblickt und erklärt, daß das, was geschehen sei, alles kaputt gemacht habe, er nie wieder einer Quelle Sicherheit zugestehen könne, er sein wichtigstes Gut, seine uneingeschränkte Glaubwürdigkeit, verloren habe – diese Szene hat mehr Tragik, ist tiefgreifender, als so manche Abschiedsszene, die die Leinwand in all den Jahrzehnten, in denen sie bespielt wird, hat sehen dürfen. Und es sind winzig kleine Gesten, ein kurzes Verziehen der Lippe, ein rascher Seitenblick, ein kaum merkbar gehobene Braue, die all das sagen und ausdrücken, was nicht verbalisiert wird, nicht gesagt werden kann. Es ist schon allein ein Genuß, diesen wenigen Momenten beizuwohnen, zwei Giganten– Al Pacino und Christopher Plummer – bei ihrer Arbeit zuzuschauen.

Inhaltlich erzählt THE INSIDER natürlich nach einer wahren Begebenheit von einem der größten Industrieskandale der U.S.-Geschichte. Er erzählt davon, wie ein mutiger Mitarbeiter gegen das Recht verstößt und als Informant, als Insider, als das, was heute gern „Whistle Blower“ genannt wird, zur Aufdeckung des Skandals beiträgt. Der Film erzählt von mutigen Journalisten und ihrer Arbeitsweise. Doch das ist eben der Plot. Die Geschichte, die THE INSIDER erzählt, handelt von etwas anderem. Sie handelt im Kern von einem Mann, der Angst hat, von ganz normalen Menschen, die – so sagt es Bergman an einer Stelle des Films – außergewöhnliche Dinge tun und unter dem, was sie losgetreten haben, verschüttet werden. Wigand, den Crowe eben nicht als Helden portraitiert, ist ein arroganter, manchmal  jähzorniger, ein eigenbrötlerischer Mann, der seine Entscheidungen allein trifft, dabei seine Familie in Gefahr bringt, schließlich zerstört, ein Mann, der mit allen Mitteln versucht, seine Würde zu wahren und nicht  merkt, daß er sie längst verloren hat, weil er nicht mehr Herr des Verfahrens ist.

Mann findet für diese Geschichte vor allem kleine Zeichen und Gesten – das Ehepaar Wigand, das fast wortlos darüber streitet, ob man sich die Hände nach der Gartenarbeit im Bad oder der Küche wäscht; die Art, wie Wigand die Brille auf seiner Nase mit einer schnellen, fahrigen Bewegung hochschiebt, wenn er nervös wird; Crowes nahezu steinerne Mine, wenn die Paranoia langsam in ihn hineinkriecht und er doch nicht zu fassen bekommt, was es ist, das ihn da bedroht. Lange, bevor die Drohungen der Tabakindustrie deutlich werden – E-Mails mit Hassinhalt, eine Patrone im Briefkasten – sind es kleine Merkmale, die dieses paranoide Gefühl auch beim Zuschauer anfachen. Die Kamera bleibt einen Moment zu lang an dem Gesicht einer Figur im Bildhintergrund hängen, eine Vorbeigehender, der unscharf durch das Bild läuft, wird plötzlich scharf gestellt, Blicke, die unbeteiligt wirken, erhalten eine kaum erträgliche Intensität, die Kadrierung der Bilder wird zu eng, wir können die Umgebung nicht mehr erfassen, überall kann etwas lauern, dessen wir nicht rechtzeitig gewahr wurden.

Michael Mann zeigt das ganze Arsenal seines Könnens, seiner Erfahrung, seiner cineastischen Meisterschaft, um seinen Film mit Anspielungen, Andeutungen zu spicken, die nichts erklären, die vielleicht nur die Wahrnehmung eines ganz normalen Mannes wiedergeben, der es nicht gewohnt ist, aufpassen zu müssen, für den bisher die Krankenversicherung  seiner Familie und die Raten für Haus und Auto die wesentlichen Probleme seines Alltags waren. Vielleicht sind all diese Anspielungen aber eben doch mehr. Das ist Manns Kunst: Nicht nur Jeffrey Wigand im Unklaren und Ungefähren zu lassen, sondern auch den Zuschauer. Und damit eine Atmosphäre steter Bedrohlichkeit, steigender Paranoia zu entfalten, die schließlich den Film beherrscht.

THE INSIDER handelt aber auch von der Medienarbeit, er handelt davon, wie die vermeintliche Objektivität der Medien in den 80er und 90er Jahren unterwandert wurde, weil das Sagen in den Sendern und Chefredaktionen eben nicht mehr die Redakteure oder Herausgeber haben, sondern die Rechtsabteilungen. Und letztlich die Bosse jener Konzerne, die die Sender aufkaufen. Daß CBS das Interview nicht ausstrahlen will, lediglich eine gekürzte, entschärfte Fassung jener Sendung, die ursprünglich Sprengstoff in der Auseinandersetzung zwischen dem Staat und den Großkonzernen der Tabakindustrie gewesen wäre, hat vor allem den Grund, daß der Sender verkauft werden soll. Und der Käufer nicht an einem Sender interessiert ist, dem eine Milliardenklage ins Haus steht. THE INSIDER versteht es, diese Verquickungen, diese Kontexte, wie nebenbei abzuhandeln und macht doch deutlich, wie gefährlich genau diese Entwicklung für den Journalismus an sich ist. Gerade für Nachrichtenredaktionen und vor allem für jene Journalisten, die investigativ arbeiten, die dringend auf Menschen wie Jeffrey Wigand angewiesen sind, um überhaupt an verwertbares Material zu gelangen. So macht sich die Paranoia also nicht nur ini dem überforderten Jeffrey Wigand breit, sondern auch in den Räumen der Redaktion, wo die Mitarbeiter all zu schnell bereit sind, ihre Grundsätze fahren zu lassen, könnte es doch bei etwaigen Kürzungen der neuen Besitzer auch sie treffen. Und das Gesicht dieser nie näher definierten Macht ist ebenso nichtssagend, ebenso anonym, wie das Gesicht der Menschen, die um Jeffrey Wigand herum existieren und ihn bedrohen – oder auch nicht.

Der Film beginnt mit einem Interview im Libanon, das Bergman für Wallace vorbereitet. Ein Hisbollah-Führer soll befragt werden und wir verstehen, wie mutig diese Journalisten sind, die sich in die Höhle des Löwen begeben. Weder Bergman, noch Wallace lassen sich von bewaffneten Schergen einschüchtern, die sind Profis, die ihre Arbeit nach den Regeln und Standards machen, die sie sich auferlegt haben. Es sind dann aber genau diese Männer – zumindest Wallace, der hier aber stellvertretend für eine ganze Generation in der Branche steht – die schließlich vor der anonymen Macht der Konzerne einknicken. Sie haben keine Angst vor den AK 47 der Hisbollah-Kämpfer, sehr wohl aber vor den Auswirkungen eines Rechtsstreits vor einem amerikanischen Gericht. Gina Gershon hat nur wenige Minuten Leinwandzeit in der Rolle der Helen Caperelli, die die Rechtsabteilung des Senders leitet, doch diese nutzt sie brillant, um zu vermitteln, wie die Machtgefüge innerhalb von CBS sich verschoben haben. Dieses Wegknicken – auch davon berichtet THE INSIDER. Und selbst ein Mann wie Lowell Bergman, der sich zu widersetzen versteht, der dagegenhält und sogar bereit ist, branchenunüblichen Verrat an der eigenen Redaktion zu begehen und auch damit seine berufliche Karriere ruiniert, kann am Ende in diesem Spiel nur verlieren. Aufrichtigkeit kann sich eine Branche, die von Werbegeldern, Sponsoren und dem Wohlwollen nie näher beschriebener Chefetagen abhängig ist, nicht mehr leisten.

Gezeigt werden Menschen bei der Arbeit. Sie alle sind Profis. Wigand ist Doktor der Chemie und kann bei seiner neuen Stelle als Lehrer – seine letzte Möglichkeit, noch Arbeit zu finden – vermitteln, daß die Chemie für ihn etwas mit Magie zu tun hat, weil sie den Kern des Seins, des Lebens, zu erklären helfe. Doch ist seine Profession eine so fachspezifische, daß er schnell wie ein Nerd, ein Fachidiot, wirkt, jemand, der sich auf fast Abseitiges spezialisiert hat. Er wird gebraucht, weil er dem Profi Bergman die Tabellen in dem Material, das dem Journalisten zugespielt wurde, erklären kann, er wird gebraucht, weil er den Staatsanwälten bei einer Anhörung die Informationen geben kann, die sie brauchen, um eine Klage gegen die Tabakindustrie einzureichen, die Hand und Fuß hat. Er ist derjenige, der die Formeln und heimlichen Tricks kennt und erklären kann, die angewandt werden, um das Suchtpotential von Zigaretten zu erhöhen. Auch diese Staatsanwälte sind Profis. Das Auftreten der ebenfalls perfekt dargestellten Anwälte Richard Scruggs und Ron Motley strotzt nur so vor Selbstsicherheit, fast schon Selbstgerechtigkeit. Bergman scheint in jedem Moment zu wissen, was er tut und wie er es zu tun hat, Wallace hat die Aura des Mannes von Welt. Zwischen diesen Profis droht der Profi-Nerd Jeffrey Wigand schließlich zerdrückt zu werden. In einer der bedrückendsten Szenen des Films führen Wallace und Bergman das Ehepaar Wigand in ein nobles New Yorker Restaurant. Am folgenden Tag soll das Interview aufgezeichnet werden. Bei Tisch kommt Bergman darauf zu sprechen und es stellt sich heraus, daß Jeffrey seine Frau nicht eingeweiht hat. Sie ist am Boden zerstört. Wallace wendet sich an Bergman und fragt diesen belustigt, was für Leute der ihm denn da angeschleppt habe? Alles kulminiert hier: Der graue Jeffrey Wigand, der vor einer der schwerste Entscheidungen seines Lebens steht, seine Frau Liane Wigand, die sich nach den Maßstäben der Provinz, wo die Wigands herkommen, wo sie zuhause sind, schick gemacht hat, die weltmännischen Reporter in ihren entweder sportlich-legeren oder hocheleganten Anzügen in ihrer gewohnten Umgebung. Der Profi Jeffrey Wigand und mit ihm seine Familie, für die hier Liane Wigand stellvertretend steht, wird von der Professionalität der Medienmenschen einfach überrollt.

Lowell Bergman/Al Pacino ist in diesem ganzen Setting kein Unsympath, Mann zeigt ihn bis zuletzt als aufrechten Journalisten, der für seine Überzeugungen und damit auch für seinen Informanten kämpft und der erst dann bereit ist, loszulassen, wenn er vordergründig gewonnen hat. Erst mit der Ausstrahlung des Interviews hat er Genugtuung und Wigand seine Reputation zumindest im Ansatz zurückgewonnen. Dann kann Bergman kündigen und gehen. Doch versteht Pacino es auf perfekte Weise, die durchaus auch kalte Professionalität dieses Mannes zu verdeutlichen. Wenn Wigand ihm – in einem Hotelzimmer sitzend, verlustig seiner Familie, verlustig seines Zuhauses, verlustig seines Jobs und verlustig seiner Würde, da der Tabakkonzern, für den er vormals arbeitete, alles daran setzt, ihn in der Öffentlichkeit als verurteilten Ladendieb und schlechten Familienvater zu präsentieren – am Telefon vorwirft, ihn nur mißbraucht und ihn dann fallen gelassen zu haben, hält Bergman vehement dagegen und versteht doch, daß es aus Sicht dieses „einfachen“ Mannes, der nie in die Medien wollte, nie ein Held sein wollte, genau so wirken muß. Mann zeigt dieses Telefonat in einem bitteren Setting: Wigand sitzt unrasiert in seinem Hotelzimmer, Bergman steht an seinem Ferienort bis zum Bauch in der Brandung des Meeres, vornehmlich auf der Suche nach der besten Telefonverbindung. Doch die ganze Hilflosigkeit, die Machtlosigkeit, die auch diesen Journalisten befallen hat, der von der Chefredaktion beurlaubt wurde, kann nicht deutlicher werden: Das Wasser steht ihm immerhin schon bis zur Körpermitte. Wigand steht es längst bis zum Hals. Bergman wird am Ende beschädigt aus der Sache herausgehen, Wigand wird zerstört sein. Selten hat man auf der Leinwand Schönheit (des Meeres, des Strandes, des Abends) und Bitternis so nah beieinander, so metaphorisch aufeinander bezogen, so intensiv erlebt.

So kann man jedes Detail des Films analysieren, und er hätte es verdient – und dennoch ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. THE INSIDER funktioniert auf so vielen Ebenen, in so unterschiedlichen Zusammenhängen, er ist so genau in der Beobachtung und zugleich umgibt ihn ein gewisser Zauber. Michael Mann beweist, was Film als Kunst und zugleich narratives Werk zu leisten vermag. Er erzählt aus der profanen Welt und versteht es, diese zu einem Ort zu überhöhen, der von Erhabenheit zeugt, selbst in den Dingen, die wir uns selber schaffen. Er ist ein Meister der Oberflächen, ein Visionär des Zusammenspiels natürlicher und menschgemachter Schönheit – und kann diesem Wechselspiel zugleich Seiten abgewinnen, die unheimlich sind, verstörend und bedrückend. Diese Meisterschaft hat er sich im Laufe seiner Karriere beim Fernsehen bereits angeeignet. Er war es, der der Serie MIAMI VICE (1984-89) den Look verpasste, die ihr Kultstatus verlieh, der sie ikonographisch für die 80er Jahre werden ließ. Seine – wenigen – Spielfilme zeugen alle von diesem Stilbewusstsein. Oft filmt er seine Szenerien bei Tage, stellt sie aus, hat ein Gespür für Eleganz und Design, dringt aber auch in die Zwischenräume ein, wie in HEAT (1995), wo wir durch die immense Panoramascheibe eines postmodernen Hauses immer wieder der „blauen Stunde“ über dem Pazifik ansichtig werden. THE INSIDER war der direkte Nachfolger von HEAT und man merkt den Filmen eine gewisse Verwandtschaft an. Aber nicht nur stilistisch, denn es ist Manns ganz eigene Kunst, dieses ausgeprägte Stilbewußtsein mit den Charakteren, die er zeigt, mit den Tragödien, die seine Filme oft behandeln, kontrastieren zu lassen. Erst in diesem Wechselspiel entsteht die Magie, der Zauber, von dem weiter oben die Rede war.

Vielleicht ist das gewisse Etwas, das Mehr, das THE INSIDER zu einem so außergewöhnlichen Film macht und damit auch noch über ein Meisterwerk wie HEAT erhebt, daß hier eben nicht von Gangstern erzählt wird – ein Sujet, das immer allegorische Zusammenhänge zulässt, das es immer ermöglicht, auch das menschliche Streben der (Post)Moderne in klassische Tragödien antiken Ausmaßes zu verwandeln – und auch nicht von Übermenschen oder Ausnahmeerscheinungen, sondern von ganz durchschnittlichen Leuten eben, die in Situationen geraten, denen sie nicht gewachsen sind, die sie überfordern und an denen sie zu zerbrechen drohen. Es ist einfacher, das Publikum mit einem wahnwitzigen Schußwechsel, einer intensiven Kampfszene oder der Bedrohlichkeit einer potentiell tödlichen Situation zu überwältigen, zu bannen, einzunehmen. Dies mit den kleinen Gesten, mit Blicken, sich kaum verändernden Mimik, mit fast nebensächlich erscheinenden Bildern und Momenten der Stille zu erreichen, ist hohe cineastische Kunst. Selten, daß der moderne Hollywoodfilm es noch schafft, sich auf die Ebene der Kunst zu erheben, Mann schafft es wieder und wieder und selten ist es ihm so eindringlich, nachhaltig und berührend gelungen, wie in THE INSIDER.

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