DIE INSEL DES DR. MOREAU/DIE INSEL DER VERLORENEN SEELEN/ISLAND OF LOST SOULS

Die erste Verfilmung des klassischen Stoffes von H.G. Wells kann heute nur noch bedingt überzeugen

Nachdem Edward Parker (Richard Arlen) nach erlittenem Schiffbruch von einem Frachter aufgenommen wurde, setzt dessen brutaler Kapitän ihn auf einer Insel aus, die er beliefert. Hier residiert Dr. Moreau (Charles Laughton). Schnell findet Parker heraus, daß der Arzt und sein Handlanger Montgomery (Arthur Hohl) seltsame Experimente vornehmen: Vivisektionen an Tieren, ohne jedwede Anästhesie. Als Parker fliehen will, trifft er auf eine Horde entstellter Wesen, Mutanten. Moreau rettet ihn, indem er die Meute mit einer Peitsche in die Schranken weist. Der Arzt erklärt Parker seine Experimente, bei denen er der Evolution ein wenig auf die Sprünge helfen will, zumindest was die Geschwindigkeit angeht. Seine Krönung soll Lota (Kathleen Burke) sein, die er Parker zuführt. Wie dieser schmerzhaft herausfindet, ist sie das Ergebnis eines Experiments, bei dem Moreau einen Panther zu einem Humanoiden umgeformt hat. Moreau wollte anhand der Anwesenheit des jungen Mannes sehen, wie weit Lotas „Menschwerdung“ in Bezug auf ihre Emotionen vorangeschritten ist. Derweil ist es Parkers Verlobter Ruth (Leila Hyams) gelungen, Genaueres über das Schicksal ihres Geliebten herauszufinden. Sie kommt auf die Insel, wird dort allerdings von einem von Moreaus Wesen angegriffen. Kapitän Donahue (Paul Hurst) will Hilfe vom Schiff holen, wird jedoch von Ouran (Hans Steinke), einer weiteren Kreatur Moreaus, auf dessen Geheiß getötet. Dies hat zur Folge, daß Moreaus „Gesetz“, das der ‚Sprecher des Gesetzes‘ (Bela Lugosi) regelmäßig ausruft und das besagt, daß man kein Blut vergießen, keine Gewalt anwenden dürfe, außer Kraft gesetzt wird. Moreau hat seine eigenen Gesetze gebrochen, „LAW NO MORE!“ skandieren daraufhin die von ihm geschaffenen Wesen. Und zerfleischen ihn.

Der vorliegende Film ist die erste von drei offiziellen Verfilmungen von H.G. Wells 1896 veröffentlichtem Roman THE ISLAND OF DOCTOR MOREAU. Sicher gehört ISLAND OF LOST SOULS (1932) zu den Klassikern seines Fachs und kann in gewisser Weise auch heute noch überzeugen, wenn auch auf andere Art und Weise, als man denken würde.

Es ist ein Pre-Code-Film, also entstanden, bevor die MPPDA, die Motion Picture Producers and Distributors of America, Inc. ihren legendären ‚Production Code‘ vorlegte, der zwischen 1930 und 1934 auf freiwilliger Basis Anwendung fand, ab 1934 dann bindend für die Studios wurde. Hollywood war den Sittenwächtern zu freizügig geworden, was allerdings in erster Linie den Umgang mit der Erotik betraf. Allerdings hatten Filme wie Howard Hawks SCARFACE (1932) auch Diskussionen um die auf der Leinwand gezeigte Gewalt aufgebracht. Manchmal jedoch braucht es gar keinen offiziellen Kodex, damit die moralische Empörung hochschwappt – wie Tod Brownings im selben Jahr erschienener und oft mit diesem im Double Bill gezeigter Film FREAKS (1932), wurde auch ISLAND OF LOST SOULS des gewollten Tabubruchs verdächtigt und in England als „widernatürlich“ gebannt. Man versteht, was so empörend an dem Film gewesen ist – zu seiner Zeit.

ISLAND OF LOST SOULS ist ein gutes Beispiel dafür, was im Pre-Code-Hollywoodfilm alles möglich war. Die teils entsetzlich entstellten Kreaturen sind überzeugend. In den entscheidenden Momenten ist der Film brutal und setzt damit wahrlich Schocks ein. Die Grundatmosphäre der Insel ist – darin KING KONG (1933) nicht unähnlich, der sich von den frühen Bildern der Insel hier etwas abgeschaut haben dürfte – bedrohlich, bedrückend und angsteinflößend (gedreht wurde auf Catalina Island vor San Pedro, südlich von Los Angeles). Ausstattung und Set Design sind großartig und grundieren den Film. Die Maske und die Make-up-Effekte von Charles Gemora und Wally Westmore sind ebenfalls hervorragend. Manchmal werden dem Betrachter Blicke auf Gesichter, fast muß man sagen: Fratzen, geboten, die in ihrer Realistik wirklich beunruhigend sind. ISLAND OF LOST SOULS ist drastisch, wohl dosierte Schocks versetzen das Publikum in Angst und Schrecken und seine ganze Thematik und Methodik – der Mensch, der sich in seiner Hybris Gott gleich sieht; der Eingriff in die Natur; Sadismus und nicht zuletzt offen in Kauf genommener Kannibalismus – besteht aus Tabubrüchen. Ein Film, der es offenbar auf Skandal anlegt. Dr Autor der Vorlage  war not amused.

Regisseur Erle C. Kenton erzielt dadurch, daß er uns die Kreaturen schon früh zeigt, einen für den späteren Verlauf des Films ebenso wesentlichen wie erstaunlichen Effekt: Wir gewöhnen uns an ihren Anblick und können sie somit als Leidende wahrnehmen. Wesentlich ist dieser Effekt deshalb, weil Moreaus „Blasphemie“, sein „Forschen wider die Natur“ nur so als moralisch verwerflich dargestellt werden kann. Ähnlich wie Browning in FREAKS, nimmt auch Kenton vergleichsweise früh Partei für seine fremdartigen Protagonisten und in seinem Fall gegen den „verrückten Wissenschaftler“, den „weird scientist“, für den Moreau gerade in Laughtons eher zurückhaltender Darstellung ein gutes Beispiel ist. Anders als den meisten seiner Kollegen, merkt man diesem Exemplar seinen Wahnsinn allerdings nur momentweise an. Kenton nutzt zwei seiner seltenen Groß-, bzw. Portraitaufnahmen, um Laughton verhalten diabolisch lächeln zu lassen. Allerdings ist man damit auch beim Problem des Films: Er entsetzt uns nicht. Er schockiert, er ist brutal, er weiß mit einzelnen Szenen zu überzeugen, er hat teils grandiose Bilder, aber Moreau macht uns keine Angst. Sein Argumentieren ist zunächst einmal ein vernünftiges Argumentieren und er macht auch keine Anstalten, seinen Besuchern ernsthaft Schaden zuzufügen. Im Grunde dient ihm Parker als Versuchskaninchen für die emotionale Belastbarkeit der Panther-Lady. So ist der ganze Schrecken, der all den schockierenden Momenten zugrunde liegt, die reine Wissenschaft in ihrer ganzen amoralischen Hybris. Wir stehen vor einem moralischen, bestenfalls einem philosophischen Dilemma. Doch ein solches taugt selten als Basis eines Horrorfilms. Bestenfalls als Hintergrund.

Was also macht den Film dann interessant? Für den geneigten Freund des klassischen Horrorfilms sind es nicht nur Laughtons Darstellung, die gelungene Maske und die gelungene Atmosphäre, sondern mindestens genauso die Möglichkeit, Bela ‚Dracula‘ Lugosi (der genau so in den Credits angekündigt wird) in einem Primatenkostüm zu bestaunen. Der Mann war für Vieles zu haben. Doch ist das, was den Film heutzutage eben interessant macht, eng mit seinem Part verbunden. Denn an ISLAND OF LOST SOULS läßt sich auch hervorragend ablesen, wie im Genrefilm generell die heikelsten und auch tiefsinnigsten Themen abgehandelt werden konnten. Denn Lugosis ‚Sayer oft he Law‘, der Moreaus Gesetze herausruft zur Mahnung an seine Mitstreiter, ist auch derjenige, der als erster den Chorus „LAW NO MORE!“ anstimmt, in den die andern nach und nach einstimmen. Moreau wurde von der Maske mit einem Bärtchen ausgestattet, welches wahlweise – je nach Beleuchtung des Films und Assoziationsvermögen des Zuschauers – chinesisch anmutet (und damit – Dr. Fu Manchu gleich – „den Asiaten“ als „das Fremde“ an sich diffamiert) oder aber an gewisse europäische Diktatoren erinnern kann.

Und diktatorisch ist Moreaus Auftreten. Mehr noch: Einem Gott gleich tritt er vor seine „Schöpfung“ (wie er Parker und damit dem staunenden Publikum anvertraut, waren seine frühesten Versuche noch rein pflanzlicher Natur). Spricht er zu ihr, so spricht er stets von einer erhöhten Position aus. Er hebt sich in seinem weißen Leinenanzug, der so wenig von einem Wissenschaftler, hingegen viel von einem dandyhaften Edelgangster hat, einer Lichtgestalt gleich von seiner Umgebung ab. Der Dschungel, die zumindest von außen betrachtet eher ärmlichen Häuser (die in der Innenausstattung enorm in Größe und Interieur abweichen von dem, was ihr Äußeres vermuten läßt), die Kreaturen, die er erschaffen hat – nichts von alldem passt zu ihm, korrespondiert mit seiner Person, seinem Auftreten oder seinem Reden. Moreau ist seiner Schöpfung extrem entäußert. Und beim ersten Anzeichen, daß dieser ‚Gott‘ verletzbar, seine Lehre angreifbar, seine Urteile fehlbar sein könnten, begehrt diese Schöpfung gegen ihren Schöpfer auf. Wenn Lugosi seinen Schlachtruf ausstößt, dann haben wir es mit einer astreinen Subjektwerdung zu tun. Geschichte ereignet sich immer zwei Mal? Was sich hier vor des Betrachters Auge abspielt, ist die Schöpfungsgeschichte als Farce. Vielleicht muß man darin den Grund sehen, daß Laughtons Moreau so seltsam unbeteiligt durch diese Geschichte schreitet, so, als sei es ihm lieber, grandios unterzugehen, als daß die Legende seiner Schöpfung unerzählt bliebe.

Anders als James Whales THE OLD DARK HOUSE (1932) oder Edgar J. Ulmers THE BLACK CAT (1934), hat ISLAND OF LOST SOULS die Zeit weniger gut überstanden. So kann der Film heute eher akademisch interessieren, wirklich ängstigen oder spannend unterhalten kann er nicht mehr. Allemal macht es Spaß, Laughton bei einer weiteren seiner superben Performances zuzuschauen, obwohl auch er anderswo deutlich eindrucksvollere Leistungen hinterlassen hat. Um die Sammlung jener klassischen Filme eines lange vergangenen Jahrhunderts zu komplettieren, ist der Film allerdings nicht weg zu denken.

 

One thought on “DIE INSEL DES DR. MOREAU/DIE INSEL DER VERLORENEN SEELEN/ISLAND OF LOST SOULS

  1. Andreas Bierschenk sagt:

    Guten Tag,

    ich möchte noch einmal nachfragen, ob die Veröffentlichung dieses Textes in einem Booklet zum Film möglich wäre.

    MfG

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