FRÜCHTE DES ZORNS/THE GRAPES OF WRATH

Ein mutiger und wütender Aufschrei gegen die himmelschreiende Ungerechtigkeit einer auseinanderdriftenden Nation

Oklahoma während der Weltwirtchaftskrise: Tom Joad (Henry Fonda) kehrt, wegen guter Führung vorzeitig entlassen, nach vier Jahren aus dem Gefängnis zurück. Er hat wegen Totschlags gesessen. Die Farm seiner Eltern ist verlassen, lediglich der Prediger Jim (John Carradine) treibt sich noch in den alten Gehöften herum. Tom erfährt von ihm und anderen Nachbarn nach und nach, was geschehen ist in seiner Abwesenheit: Das Land warf wegen der Sandstürme und der Bodenerosion immer weniger Erträge ab, die Großkonzerne haben es sukzessive übernommen, da die Kleinpächter ihre Verträge und Darlehen nicht mehr bedienen konnten. Nun machen sich immer mehr Familien auf den Weg nach Westen, nach Kalifornien, wo laut etlicher in der Gegend verteilter Handzettel Arbeit genug für alle vorhanden sei – als Pflücker auf den Obstplantagen des San Fernando Valley und anderswo. Tom findet seine Familie schließlich wieder und auf dem klapprigen alten Truck machen sich schließlich dreizehn Menschen auf den Weg. Die Großeltern sterben unterwegs und werden am Wegesrand verscharrt, die schwangere Tochter und ihr Mann verschwinden, Vater Joad (Russell Simpson) verzagt, es sind Tom und Ma Joad (Jane Darwell), die die Familie zusammenhalten. Ma jedoch hat große Angst, den Kampf um die Seele ihres Tom zu verlieren, weiß sie doch um die Wut, den Zorn, diesen Dämon, der ihn beseelt. Dieser – im Verbund mit dem Alkohol – hat ihren Tom zum Mörder werden lassen. Ma fürchtet, daß Tom wieder von der Wut befallen wird. In Kalifornien stellt sich schnell heraus, daß die schönen Versprechen nichts weiter als genau das waren: schöne Versprechen. Arbeit ist weit weniger vorhanden als angekündigt, die Fremden, wegen ihrer Herkunft aus Oklahoma „Okies“ genannt, werden in Lager gesperrt, schlecht behandelt und ökonomisch ausgebeutet. Jim Casy, der kein Prediger mehr sein will, weil er und Gott sich nicht wirklich miteinander arrangieren können, schließt sich in einem Lager Streikenden an, er will die Ungerechtigkeit, der er begegnet, nicht länger hilflos mit ansehen. Die Joads fahren weiter und finden in einem staatlichen Lager Unterschlupf, wo sie erstmals freundlich behandelt werden. Als Tom jedoch erfährt, daß Jim von Hilfstruppen und Streikbrechern der Konzerne erschlagen wurde, tötet er seinerseits einen der Männer – aus Rache. Ma ist der Meinung, der Dämon habe wieder Besitz von ihrem Tom ergriffen, doch erklärt er ihr, daß er ab nun ein Kämpfer im Geiste Jim Casys sein will. Er sei immer dort, wo ein Mann geschlagen wird, ein Kind hungert und Familien nicht mehr wissen, was sie essen sollen. Tom verlässt die Familie endgültig, da er sie nicht gefährden will. Er verschwindet im Dunkel der Nacht. Ma Joad trauert um diesen Verlust, doch später, als die Familie wieder im Truck sitzt, erklärt sie noch einmal ihrem Mann: Sie, die Armen, seien das Volk. Die Reichen, die kommen und gehen, aber sie, das Volk, bleibe ewig, es sei das Salz der Erde…

„My name is John Ford. I am a director of westerns.“ – So soll sich der Regisseur einiger der wichtigsten Western der Filmgeschichte einst vorgestellt haben, bevor er sich bei einem Treffen der ‚Screen Director´s Guild‘ einer Anklage und erzwungenen Demission seines Kollegen, des Regisseurs Joseph L. Mankiewicz, widersetzte. Richtiger kann man es nicht sagen, auch nicht unprätentiöser und erdverbundener. Ford machte Western. Sie sind bis heute beliebt beim Publikum – nicht zuletzt dafür, daß sie die amerikanische Ikone John Wayne unsterblich  gemacht haben – aber auch bei Kritikern und Filmwissenschaftlern, Theoretikern wie Historikern. Nicht beliebt waren sie klassisch bei der Linken, gingen sie doch allzu leichtfertig mit den dunkleren Kapiteln amerikanischer Geschichte um. Lange wurden weder der Umgang mit den Indianern, noch die Sklaverei und der damit verbundene, daraus resultierende Rassismus in Fords Filmen thematisiert. Und als er es dann versuchte, wurde er entweder mißverstanden, besonders auffällig im Falle von THE SEARCHERS (1956), oder ihm wurde inszenatorische Schwäche vorgeworfen wie in CHEYENNE AUTUMN (1964).

Ford arbeitete zeitlebens am Mythos. Anders als die europäische Linke, die in der Auseinandersetzung mit der allerjüngsten Vergangenheit zu dem Schluß gekommen war, den Mythos als Narrativ bereits als immanent reaktionär einzustufen und dafür durchaus gute Gründe anzuführen wusste, stand Ford als Amerikaner, aber sicher auch als Angehöriger der Siegerseite, einer Mythisierung, einer Einverleibung selbst der schrecklichsten Schrecken in die große amerikanische Erzählung, kaum skeptisch gegenüber. Der Mythos, davon war Ford überzeugt, war der Kitt, der eine Gesellschaft im Inneren zusammenhielt, da er die Grundnarrative und Grundüberzeugungen definierte, nach denen eine Gesellschaft leben will. Ford versuchte, sie in ein kohärentes System einzugliedern. Wenn dabei Schuld verschüttet und verdeckt wurde, dann zum Wohle des Ganzen. Eine Gesellschaft im ewigen Widerstreit mit sich selbst kommt nicht zur Ruhe, kann nicht  gedeihen. Sie braucht bei allen Konflikten und inneren Widersprüchen eine funktionierende und funktionale Basiserzählung.

Und das sind Fords Themen, das ist seine Erzählung: Wie diese Gesellschaft zusammenwächst, welche Strapazen jene auf sich nahmen, die sie begründeten, das Land nahmen – aus Fords Perspektive eine im wahrsten Sinne des Wortes Pionier- und damit auch Heldentat – die Natur besiegten, wie die Gesetzlosigkeit beseitigt  wurde und sich erste zivile Strukturen entwickelten. Für einen Mann wie Ford, der die Gründungsideen der U.S.A. sehr ernst nimmt – Pursuit of Happiness, Religionsfreiheit, Freiheit des Individuums – und der die Geschichte der Urväter der Nation sehr genau kennt, steht vollkommen außer Frage, daß es diese Menschen sind, die einfachen Arbeiter, die Geschundenen und Geknechteten, die das „Salz der Erde“ darstellen und die eigentlichen Erbauer des Landes und der Nation sind. Sie haben das Land urbar gemacht, sie haben es bevölkert, sie haben den Kampf mit den Urgewalten, der Natur, der gewaltigen Landmasse aufgenommen, sie haben sich wieder und wieder aus Unbilden und Ungemach hervorgekämpft, sie haben die Nation gegründet und groß gemacht, haben der Verfassung gehuldigt und den Glauben an Demokratie und Freiheit lebendig gemacht und lebendig gehalten. Sie sind in Fords Sicht die eigentlichen Amerikaner. Davon will er zugleich realistisch und symbolisch, in märchenhafter, legendenbildender Weise erzählen. Er will zur Grunderzählung dieser Nation, dieser Gesellschaft, beitragen; er will sein Kapitel zum großen amerikanischen Buch beitragen.

Das wirkt natürlich zunächst reaktionär-patriotisch. Ford vertrat persönlich das Ideal eines Kommunitarismus, der vor allem lokale Bedeutung hatte. Die Regierung in Washington solle sich um die Verteidigung des Landes kümmern, die Außenpolitik betreiben, im Innern jedoch sich weitestgehend zurückhalten. Doch als in den 1930er Jahren die soziale Abwärtsspirale für immer mehr Menschen sich immer schneller zu drehen begann, als Massenarbeitslosigkeit infolge des Bankencrashs von 1929 Menschen in ewig langen Schlangen vor die Suppenküchen trieb, als weite Landstriche des Mittelwestens durch Bodenerosion und fürchterliche saisonale Bedingungen zu versteppen und veröden drohten, musste die Regierung einschreiten. Der Rest ist Geschichte: Roosevelts ‚New Deal‘ half, das Land sukzessive aus dem Elend zu holen, wieder auf die Füße zu stellen und der Präsident stieg auf in das Pantheon jener wenigen amerikanischen Führer, die uneingeschränkt zu den „Großen“ gezählt werden – Washington, Jefferson, Lincoln. Natürlich war Franklin D. Roosevelt zeitlebens umstritten, vor allem der Eintritt in den 2. Weltkrieg lässt Historikern auch heute noch keine Ruhe, doch für den Zeitgenossen John Ford – damals bekennend „a social democrat – always“ und Mitglied der ‚Popular Front‘ in Hollywood – war er der Mann der Stunde.

Ford selbst hatte sehr wohl einen Blick für soziale Realitäten. In seinen Western konnte er ein Idealbild malen und an der Mythisierung der amerikanischen Geschichte arbeiten; wenn er sich der Gegenwart zuwandte, kamen sehr wohl ein soziales Bewußtsein und ein starkes Gerechtigkeitsgefühl zum Ausdruck. Dennoch verwundert es zunächst, daß er sich eines Romans wie THE GRAPES OF WRATH annahm, der 1939 erschienen war und sofort für Furore gesorgt hatte. Die politische Rechte rannte Sturm gegen dieses vermeintlich kommunistische Pamphlet, man griff den Autoren John Steinbeck massiv an, es kam sogar vereinzelt zu öffentlichen Verbrennungen des Werkes. Dennoch wurde Steinbeck 1940 der Pulitzer-Preis zugestanden. Und kaum war das Buch erschienen, interessierte sich Ford für den Stoff. Er mag darin zunächst das dramatische Potential gesehen, doch wird ihn durchaus auch die inhaltliche, sowie die soziale Ebene angesprochen haben. Mehr noch aber war es das Motiv des Exodus, des Auszuges, der Landflucht. Ford – irischer Abstammung und immer voller sentimentaler Liebe zum Land seiner Ahnen, aber auch immer an dessen realer  Geschichte interessiert – sah in der Bewegung der sogenannten ‚Okies‘, jener armen Landbevölkerung Oklahomas, Kansas´ oder Arkansas´, die Richtung Kalifornien aufbrachen, wo angeblich Land und Arbeit für alle warteten, eine Analogie zu jener Bewegung gen Amerika, die entstand, als Irland Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts von fürchterlichen Hungersnöten heimgesucht wurde. Vereinzelt wurde sogar behauptet, THE GRAPES OF WRATH sei Fords „irischster“ Film. Er hat eine ganze Reihe von Filmen gedreht, die direkt in Irland spielen und manchmal humorvoll, manchmal dramatisch seiner durchaus sentimentalen Liebe zum Lande Ausdruck verliehen. So erstaunt die Aussage zwar, leuchtet aber durchaus ein vor dem Hintergrund des ungeheuren sozialen Elends, das es darzustellen galt.

Ford hält sich vergleichsweise eng an die literarische Vorlage. Wir verfolgen, wie Tom Joad, den Henry Fonda mit seiner ureigenen Mischung aus Arroganz, Aggression und tiefer Betroffenheit spielt, wegen guter Führung aus dem Gefängnis entlassen heimkehrt und die Farm seiner Familie, irgendwo in Oklahoma, verlassen vorfindet. Wir verfolgen, wie er die seinen sucht, schließlich findet und wie dann die gesamte Familie – angeführt von Tom und Ma Joad, für deren Darstellung Jane Darwell 1941 den Oscar als beste Nebendarstellerin erhielt – gen Kalifornien aufbrechen; unterwegs verlieren sie nicht nur die Großmutter und den Vater, sondern auch gute Freunde; ihnen wird Freundlichkeit zuteil, aber auch müssen sie erleben, wie man versucht, sie auszunutzen, übers Ohr zu hauen und vor allem zu vertreiben. In Kalifornien angekommen, stellen sich die versprochenen Jobs schnell als Hilfsarbeitergelegenheiten heraus, zudem gibt es weitaus mehr Jobsuchende, als Arbeit zur Verfügung steht. Die Joads müssen begreifen, daß sie nirgends willkommen, daß sie in den Augen der meisten anderen Amerikaner lediglich Parasiten sind. Und dennoch kämpfen Ma und Tom – jeder auf seine Weise – dafür, daß die Familie zusammenbleibt und sich ein wenig Gerechtigkeit erkämpfen kann.

Ford zeigt den Weg nach Kalifornien mit frühen, authentischen Aufnahmen des Highway 66, von Tankstellen, dem schroffen Asphalt, heruntergekommenen Bretterbuden, die als Stopps gelten, er zeigt Bilder von der Strecke, die das weite Land erfassen und einen Eindruck davon vermitteln, wie dieses Amerika sich entwickelt hat, dessen Durchquerung in den Pioniertagen er ja schon gezeigt hatte und später erneut zeigen würde. Umso bedrückender die Impressionen, die er zeigt, wenn die Familie nach Kalifornien, in jenes gelobte Land der Shanties, der Zeitungen und der Handzettel, welche Arbeit versprachen, kommt, umso schmerzhafter, wenn er die ganze Wut, ja den Hass zeigt, der den Neuankömmlingen entgegenschlägt. Es ist ein xenophober Hass, der die hässliche Fratze des Faschismus trägt. Die Lager, in denen die ‚Okies‘ sich einzufinden haben, sind mit Stacheldraht gesichert, die Wachen sind brutale Schläger, die die Fremden gängeln und malträtieren. Ford zeigt die Zäune und Tore deutlich wie jene in Gefängnissen oder Konzentrationslagern, sie sind ihm und Kameramann Gregg Toland immer wieder Einzeleinstellungen wert. Konträr verdeutlicht wird diese Sicht des Films durch das Lager, in dem die Joads schließlich erstmals Frieden finden – ein staatliches Camp, das ganz im Sinne des ‚New Deal‘ von einem freundlichen älteren Herren geleitet wird. Ford zeigt metaphorisch die ganze Bandbreite Amerikas: Helles Licht und freundliche Menschen, die bereit sind zu teilen ebenso wie Schläger und Dunkelmänner, die jederzeit bereit sind, Gewalt anzuwenden und denen ein Menschenleben nichts wert ist. Es ist die Diskrepanz zwischen diesen Polen, so scheint es, die entscheidet, ob das Land, die Gesellschaft sich positiv entwickelt oder den übelsten Mächten anheimfällt.

Ford und Toland fangen atmosphärisch dichte, manchmal bedrückend enge Bilder in schwarz-weiß ein. Der überladene Wagen, die unbefestigten Straßen, die Enge in den Zelten, die Enge in den Lagern – oft lässt uns schon die Kadrierung der Bilder spüren, wie prekär die Lage der Familie Joad ist. Toland zeigt in Großaufnahmen die unrasierten, zerfurchten Gesichter der Arbeiter, der Kinder und Frauen, der Wanderer und Wanderprediger, er zeigt ehrlich den Dreck und den Staub, daß seine Bilder manchmal an jene berühmten Fotografien von Walker Evans erinnern, die der zur gleichen Zeit in den Südstaaten für ein Projekt mit dem Journalisten James Agee[1] einfing. Doch dann fängt er das Land ein und lässt uns begreifen, was daran immer wieder solch eine Verheißung gewesen ist.

Groß wird das Drama jedoch nicht nur durch eine adäquate Schilderung sozialer Mißstände. Groß wird es dadurch, daß es diese persönliche, psychologische und zugleich allegorische Ebene aufweist, die Steinbeck mit seinem biblischen Titel bereits andeutet und die im Buch so wesentlich ist. Ford versteht es perfekt, diese Ebene gleichberechtigt im Film unterzubringen. Ma Joads große Sorge ist, daß die Familie zusammenbleibt und zusammenhält. Wenn sie und die ihrigen in Lager gesperrt, verprügelt, belogen und betrogen werden, erleben wir exemplarisch, was passiert, wenn die Familie nicht mehr zusammenhält. Metaphorisch jedoch können wir sehen, daß wenn die Familie zerbricht, nach Ford immerhin das Kernstück der Gesellschaft, es nicht lang dauern wird, bis sich dieser Zerfall auch an anderer, größerer Stelle bemerkbar macht. Es sind sich gegenseitig bedingende Kräfte: Der Prozeß der Zerrüttung wirkt in beide Richtungen: Wenn das Land zerbricht, wenn die Gesellschaft zerbricht, dann zerbricht früher oder später auch die Familie. Tom saß wegen Totschlags im Gefängnis und Ma Joad befürchtet, daß die Wut, die Tom innewohnt, sich wieder Bahn brechen und zu neuem Unglück führen könnte. Daß Tom in Haft kam, daß er diesem Dämon seines Innern nachgegeben hat, das steht für Ma Joad allegorisch für den Niedergang selbst. Es ist ein Bild des Chaos: Toms Wut bringt ihn ins Gefängnis, so ist er nicht da, als das Land schlecht zu werden beginnt und die Kleinpächter es verlieren. Die Familie kann nicht als adäquate Einheit reagieren. Die Situation wird unbeherrschbar.

Wenn Tom dann schließlich wirklich wieder zum Mörder wird, ist es diesmal zwar aus Rache für den Mord an seinem Freund Jim, der als Streikposten den politischen Kampf aufgenommen hat, doch zugleich trifft er den „Richtigen“. Tom begeht diesen Mord nüchtern und also zielgerichtet. Sein früherer Totschlag geschah im Suff, womit er vollkommen sinnlos war und lediglich Toms Ziellosigkeit (und Zügellosigkeit) dokumentierte. Jetzt hat seine Wut ein Ziel: Die Mächtigen, die Ausbeuter, die korrupte Polizei, einen Staat, der die Schwächsten vergisst und die Armen aufeinander hetzt. Der Film endet (fast) mit Toms berühmter Rede an seine Mutter, in der er ihr versichert, daß er immer dort sein wird, wo Unrecht geschieht, wo Kinder hungern, wo Alte vernachlässigt werden, wo Korruption und Hass die Feder führen. Tom wird zu einem Racheengel der Armen, zu einem Symbol für erlittenes Unrecht und dafür, wie schwer es sein kann, als Armer in einer gnadenlosen Gesellschaft ehrlich zu bleiben. Tom Joad ist die Kraft der Veränderung, einer Veränderung, die aus Zorn entsteht und deren Früchte ein erneuertes, besseres, wieder in der (demokratischen) Spur laufendes Amerika sein wird. Da ist Ford sich sicher, da bleibt er (noch) Optimist.

In Ma Joad hingegen wurzelt der Mythos, wie sie aus ihm entspringt. Es ist jener Mythos, den die Pioniere in Fords Western einst angelegt hatten. Ma ist das Bindeglied zu Fords Western. In ihr verdeutlicht sich auch, daß THE GRAPES OF WRATH keineswegs einfach ein John-Ford-Film ist, sondern daß wir es mit einem echten John-Ford-Stoff zu tun haben. Denn Steinbecks Text selbst bezieht schon Mythen ein, beruft sich auf sie. Die Verwurzelung, die Idee des armen, kleinen, ehrlichen Menschen als „Salz der Erde“ ist schon da verankert. Ma Joad, die die Familie zusammenhält, sie ist auch bei  Steinbeck so angelegt: Wie das Land selbst, als Wurzel des Ganzen, eine ‚Mutter Erde‘; sie ist die Furche und der Acker, aus dem sprießt, was Amerika groß sein lässt. Ford inszeniert sie als genau das: eine einfache, erdverbundene Frau, die den Gang der Zeit und der Welt versteht, deren innere Uhr im Gleichklang mit der natürlichen Uhr des Seins schlägt. Sie weiß um das Leid des Lebens, des Daseins, sie versteht essenziell, was das Leben und auch den Tod ausmacht. Wenn der Vater gehen muß, so kann sie ihn zurücklassen, sie kann aber auch beweinen, das tun zu müssen. Sie kennt die Rituale, die innere Reinigung, sie weiß um das, was getan werden muß, damit alles seinen natürlichen Lauf nehmen kann.

So sehr THE GRAPES OF WRATH soziale Mißstände anprangert, so realistisch das Elend der Großen Depression beschrieben wird, so stark Buch und Film in ihren brutalen und bedrückenden Momenten auch sein mögen – Ma Joad ist die Verbindung zum Mythos, und der Mythos ist für Ford auch hier ein immerwährendes  Versprechen auf eine bessere Zukunft. Aus ihm erwächst die Stärke, die das Land ausmacht. Ma Joad entspricht diesem Mythos, sie verkörpert diese Stärke. Zehn Jahre später wird Jane Darwell erneut für ihn das unermessliche Land durchqueren: In WAGON MASTER (1950), Fords grandiosem Treckwestern, ist sie eine der vor Anfeindungen gen Westen fliehenden Mormonen. Wie eine geheime Verbindung führt diese Doppelung von einem Film zum andern. Beide Male ist es das Elend des Gegenwärtigen, das Menschen Aufbrechen und eine bessere Zukunft im Westen erhoffen lässt. Allerdings hat der ältere Film die unmittelbarere Gegenwart zum Thema und ist aufgrund dessen weitaus bitterer. Denn wo WAGON MASTER zwar durchaus brutal und konkret von den Strapazen eines Trails erzählt, dennoch vergleichsweise unbekümmert im Mythos des freien Landes schwelgen kann, ist die äußerste Grenze in THE GRAPES OF WRATH ja längst erreicht. „Go West, Young Man!“ ist keine Option mehr, der Westen nicht mehr die ewige Verheißung, kein Land wo Milch und Honig fließen. Dieser Westen – Kalifornien – wird für die Joads, stellvertretend für Hunderttausende ‚Okies‘, zu einer Hölle. Sie sind unerwünscht, nirgends Verheißung, keine Milch, kein Honig. Schlamm, Dreck, Kälte und der Tod erwarten die Armen, die Geknechteten und die Geschlagenen. Der amerikanische Traum zerschellt an den Zäunen der Lager. Die Gesellschaft hält nicht mehr zusammen. Es droht ein Bürgerkrieg in dem Sinne, daß sich Gewalt nicht mehr gegen ein beängstigendes Außen, wie es bei Ford leider oftmals die Indianer waren, richtet, sondern nach innen. Die einzelnen Kräfte der Gesellschaft arbeiten nicht mehr an einem gemeinsamen Haus, an der Nation, sondern zerfleischen sich gegenseitig. Mythos am Ende, wollte man meinen. Doch das eben stimmt nicht – die Erzählung, der Mythos ist bei Ford auch hier eine der Möglichkeiten, den Riss zu kitten. Und wieder ist es Ma Joad, in der sich genau diese Option verdichtet: Sie wird die Familie zusammenhalten, sie ist die Kraft die aus der Familie erwächst, Tom wird immer bei ihnen sein – in ihrem Herzen – und dieser Zusammenhalt über die Brücke der Zeit hinweg wird Erneuerung, Regeneration bringen. „Regeneration through violence“ hat Richard Slotkin Amerika attestiert – Ford würde wahrscheinlich, mit zunehmendem Alter immer mehr, zustimmen, würde aber eben als der Optimist, der er im Grunde immer war, dem ein „Regeneration through myth“ entgegenhalten. Wohl wissend, daß der Mythos die Gewalt allemal beinhaltet, ausdrückt und absorbiert – aber eben auch bannt.

Doch sollte man sich bewußt machen, daß die Haltung, die THE GRAPES OF WRATH vertritt weit über demokratisches oder gar ein rein mythologisches Grundverständnis hinausgeht. Der Film schlägt definitiv den Ton des Buches an, dem sozialistischen Ideen nicht wirklich fremd sind. Ford zeigt sich als wirklicher Mann des ‚New Deal‘. Er ergreift die Partei des „kleinen Mannes“, er wettert gegen die Macht der Großgrundbesitzer und der Konzerne, er entwirft eine Art rückwirkende Propaganda für Roosevelts Maßnahmen. Da zum Zeitpunkt, da die Dreharbeiten begannen, der Krieg in Europa bereits ein Jahr tobte, mag in dieser klaren Stellung- und Parteinahme auch ein Wink hinsichtlich Roosevelts nächster großen Aufgabe gelegen haben. Denn daß die U.S.A. früher oder später in den Krieg würden  eingreifen müssen, war wohl jedem politisch wachen Kopf klar. Ford allemal. So deutete Ford vielleicht auch seine stillschweigende Übereinstimmung zu diesem folgenden Schritt an.

Man sollte die Spekulation nicht zu weit treiben, THE GRAPES OF WRATH – Fords letztlich einziger Film, der frontal und explizit soziale Fragen aufgreift – ist eine wütende Anklage gegen himmelschreiende soziale Ungerechtigkeit, es ist eine Attacke auf eine Gesellschaft, die ihre besten Seiten zu vergessen scheint und es ist auch eine Warnung, daß in Anbetracht der faschistischen Regime, die Europa zu übernehmen drohten, auch Amerika nicht gefeit sei, einem menschenfeindlichen Impuls nachzugeben. Zugleich ist der Film aber auch ein Manifest: Sich zu wehren, nicht alles mit sich geschehen zu lassen und für ein besseres Leben, ein wenig Glück, das die Verfassung ja nun einmal garantiert, einzustehen und zu kämpfen. Daß es lohnt, sich zusammen zu tun und gemeinsam für die eigenen Rechte einzutreten. John Ford – immer ein Union-, ein Gewerkschaftsmann – wusste seine Vision seines Amerikas wuchtig zu vermitteln. Hier wie in jedem seiner Western.

 

 

 

 

 

[1]Agee/James; Evans, Walker: LET US NOW PRAISE FAMOUS MEN: THREE TENANT FAMILIES. Boston, 1941. Dt: PREISEN WILL ICH DIE GROSSEN MÄNNER: DREI PÄCHTERFAMILIEN. München, 1989.

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