LA LA LAND

Damien Chazelle erweist dem klassischen Hollywood eine wunderbare Reminiszenz

Aufgeteilt in die Jahreszeiten, wird die Geschichte von Sebastian „Seb“ Wilder (Ryan Gosling) und Mia Dolan (Emma Stone) im zeitgenössischen Los Angeles erzählt. Wie so viele unbekannte Schauspieler, Musiker, Autoren, die diese Stadt bevölkern, verdingen sie sich in Gelegenheitsjobs, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, während sie auf die Chance warten, ihre Träume wahr werden zu lassen.

Seb, ein an etlichen klassischen Jazzplatten geschulter Pianist, der sich regelmäßig mit seinen Bossen in diversen Clubs und Gebrauchsbands anlegt, weil die von ihm verlangen, „Jingle Bells“ statt Free-Jazz zu spielen, selber aber vor allem von einem eigenen Club träumt, wo er nicht nur spielen, sondern auch die Musiker auftreten lassen will, die den Jazz spielen, den er mag, und Mia, die die harte Tour der Castings in den Studios durchläuft und in einem Coffee-Shop auf dem Gelände der Warner.Bros.-Studios arbeitet, begegnen sich bei mehreren zufälligen Gelegenheiten, ohne einander wirklich wahr zu nehmen, bevor sie sich auf einer Party näher kennen lernen. Zwar beschließen sie sofort, sich nicht ineinander zu verlieben, doch bei einem weiteren Treffen, das sie nachts in den Griffith Park zum Observatorium verschlägt, passiert es dann doch.

Nachdem Mia bei Seb eingezogen ist, ereilt sie der Alltag eines Künstlerpaars: Er arbeitet zumeist nachts, sie eilt von Vorsprechen zu Vorsprechen, wodurch sie einander selten sehen, beide müssen mit etlichen Enttäuschungen klar kommen, versuchen jeweils, den anderen aufzubauen und müssen, zumindest in Mias Fall, mit starken Zweifeln an der eigenen Leistung fertig werden. Sie glauben allerdings bedingungslos aneinander. Beide wissen, daß man seine Träume auch zwingen muß, damit sie in Erfüllung gehen können. Und beide wollen bedingungslos an ihre Träume glauben. Während Seb Mia an den Jazz heranführt, glaubt sie an seinen Traum vom Nachtclub, den er „Seb´s“ nennen solle, wie sie ihm empfiehlt.

Seb kommt einer Karriere einen entscheidenden Schritt näher, als er einen alten Highschool-Kumpel, Keith (John Legend), trifft, der ihn für ein neues Projekt namens The Messengers gewinnen will, was Seb zunächst ablehnt, da er mit Keiths Vorstellung von poppiger Jazz-, Soul- und Funkmusik nicht viel anzufangen weiß. Durch Seb ermutigt, fängt Mia an, an einem eigenen Theaterstück, einer One-Woman-Show, zu arbeiten, die sie in einem Off-Theater zur Aufführung bringen will. Das Stück orientiert sich an ihrer eigenen Biographie eines Mädchens aus der Provinz, die in einer der großen amerikanischen Metropolen an ihrem künstlerischen Durchbruch arbeitet.

Seb nimmt schließlich Keiths Angebot an, da er sich und Mia ein regelmäßiges Einkommen sichern möchte. Das Projekt nimmt Gestalt an, Keith sorgt für professionelles Marketing und einen professionellen Bühneauftritt und schon die erste offizielle Show wird ein voller Erfolg. Mia, die im Publikum sitzt, ist allerdings schockiert, da das, was da geboten wird, keinesfalls mit dem übereinstimmt, was Seb ursprünglich wollte. Sie verlässt die Show, muß  in der Folgezeit aber gewärtigen, daß die Band ein großer Hit wird. Die Messengers werden landesweit gebucht und es stehen mehrere Tourneen an, lediglich von neuen Plattenaufnahmen unterbrochen. Als Seb, den sie wochenlang nicht gesehen hat, Mia eines Abends mit einem selbstgekochten Essen überrascht, kommt es statt zu einem freudigen Wiedersehen zu einer Szene, weil sie ihm den Ausverkauf seiner Träume vorwirft, er sich verteidigt, indem er behauptet, man müsse nun mal irgendwann erwachsen werden.

Mia debütiert schließlich mit ihrem Stück an einem kleinen Theater. Da das Stück äußerst spärlich besucht ist, nimmt sie schenll wahr, daß Seb nicht erschienen ist. Er wurde von Keith genötigt, an Fotoaufnahmen für die anstehende Tour teilzunehmen und kommt erst zum Theater, als das Stück lange vorbei ist. Seb trifft Mia auf der Straße,wo sie dabei ist, ihren Wagen zu beladen, um zurück zu kehren in ihre Heimatstadt in Nevada. Er versucht sie zu überzeugen, daß sie bleiben solle und entschuldigt sich, doch Mia erklärt ihm, daß für sie die Beziehung beendet sei, ebenso ihr Traum von der Filmkarriere. Sie fährt heim.

Seb versinkt in einer depressiven Phase, fängt an zu trinken, nimmt seine Aufgaben wahr, ohne sonderlich interessiert zu sein an dem, was er tut. Eines Tages schellt das Telefon und eine Agentin meldet sich für Mia. Sie hat Mia auf der Bühne gesehen und will sie unbedingt für einen Film haben. Seb setzt sich in seinen Wagen und fährt nach Nevada, um Mia zu holen. Sie weigert sich erneut, zu ihm und nach Hollywood zurück zu kehren, doch er redet eindringlich auf sie ein und stellt ihr ein Ultimatum: Er führe am nächsten Morgen um 8 Uhr zurück, der Termin sei um halb sechs am Abend, sie müsse also Punkt 8 Uhr vor ihrem Elternhaus stehen, sonst führe er allein.

So kehrt Mia zurück nach Hollywood und erkämpft sich den Part in dem entsprechenden Film mit einer zutiefst berührenden Gesangseinlage beim Casting, bei der sie die Kraft des Traums und die Träumer besingt, die nicht auf-, aber alles dafür geben. Sie muß für die Aufnahmen für Monate nach Paris. Obwohl beide spüren, daß sie einander lieben, drängt Seb sie, das Engagement anzunehmen und den Schritt ins Filmbusiness nun endlich zu wagen. So trennen sie sich nach genau einem Jahr Beziehung.

Fünf Jahre später ist Mia eine erfolgreiche Schauspielerin, ihr Gesicht schmückt etliche Filmplakate, sie ist verheiratet und lebt mit Mann und Kind in New York. Während eines Aufenthalts in Los Angeles kehren sie und ihr Mann in einem Nachtclub ein, aus dem angenehme Jazzklänge auf die Straße dringen. Als sie die Stufen zur Halle hinuntergeht, sieht sie das Zeichen „Seb´s“ und ihr wird schlagartig klar, wo sie sich befindet. Auf der Bühen findet eine wilde Be-Bop-Session statt, nach der Seb die Bühne betritt und die Band vorstellt. Er erblickt Mia, setzt sich ans Piano und spielt das Thema, das er einst selber komponiert hatte und das zu ihrem gemeinsamen geworden war, gleichsam zum Soundtrack ihrer Beziehung. Während er spielt zieht in einer Traumsequenz jenes Leben vor beider Augen vorüber, das sie gemeinsam hätten haben können – vielleicht, wenn ihre erste Begegnung in einem anderen Nachtclub anders verlaufen wäre, vielleicht, wenn er ihre Aufführung nicht verpasst hätte, vielleicht, wenn diese ein Erfolg gewesen wäre. Vielleicht…vielleicht. Sie tanzen gemeinsam durch diesen Traum, und als der letzte Akkord verklingt, verlasssen Mia und ihr Mann den Club. Am Ausgang dreht sie sich um und sucht Sebs Blick. Beide schauen sich einen Moment an – und lächeln einander zu.

Vielleicht ist bei diesem Film eine Warnung angebracht: Wer keinen Spaß an Film-Musicals hat, wer keinen Bezug zum klassischen Hollywood-Kino hat, wer sich nicht für Jazz und Swing begeistern kann und darüber hinaus keine Lust hat, einer Nabelschau beizuwohnen, der sollte LA LA LAND (2016) vielleicht von vornherein meiden!

Alles beginnt mit einem Sinnbild amerikanischen Großstadtlebens: Dem Stau auf den Freeways von Los Angeles. Doch sofort wird diese sehr realistische Darstellung unterlaufen, wenn Dutzende von Wagenhaltern, Fahrern und Beifahrern sich aus ihren Sitzen erheben und in einer atemberaubenden Choreographie über Autos, den Asphalt und die Leitplanken hinweg tanzen und singen und dem staunenden Betrachter dies alles in einem einzigen langen Take dargeboten wird. Damit sind zwei der besonderen Merkmale des Films schon verdeutlicht: Man hat es – trotz aller gegenlautenden Äußerungen, die es in den Feuilletons zu lesen gab – definitiv mit einem Musical zu tun, wenn diese Elemente im Laufe der Handlung auch in den Hintergrund treten mögen zugunsten wunderbarer Jazz-, Swing- und Popeinlagen; man hat es aber auch mit einer Liebeserklärung an die Stadt, die Region, den Lebensraum Los Angeles zu tun. Dafür stehen schon etliche Szenen, die on location gedreht wurden, darunter das Griffith Observatorium, das Chateau Marmont und die Watts Towers, um nur die bekanntesten Drehorte zu nennen. Und da Hollywood in allen Facetten und Ebenen, die dieses Wort beinhaltet, nun einmal an dieses Los Angeles gekoppelt ist, hat man es natürlich auch und vor allem mit einer groß angelegten Hommage an Tinsel Town zu tun.

„Hollywood“ hat sich immer gern selbst bespiegelt, gerade im Musical. A STAR IS BORN wurde nach dem Original mit Janet Gaynor von 1937 gleich noch zweimal verfilmt – 1954 mit Judy Garland, 1976 mit Barbra Streisand, für 2018 ist eine weitere Verfilmung angekündigt –  SINGIN` IN THE RAIN (1952) verhandelte explizit den Übergang vom Stumm- zum Tonfilm; all die Warner Bros.- Musicals, die oft am Broadway spielten, protzten, ähnlich wie die großen MGM-Musicals, aber vor allem mit den Möglichkeiten und der Finesse der Traumfabrik. Abseits des Musicals wurden eher die Schattenseiten des Ruhms behandelt, beispielsweise in Robert Aldrichs THE LEGEND OF LYLAH CLARE (1969) oder auch Irwin Winklers GUILTY BY SUSPICION (1991). Doch so sehr hier die Dramen und Abseitigkeiten gezeigt wurden, es waren immer auch Filme, die sich um eine Welt drehten, die im Kern eine Erfolgswelt war, eine kreative Welt, eine Welt der Phantasie, die von außen bedroht wurde. Aldrich ist einer der wenigen gewesen, die das „System Hollywood“ wirklich anprangerten.

LA LA LAND geht einen Mittelweg. Er bemüht sich um Leichtigkeit in Bild und Ton, die Farben wirken oft wie in Pastell, wodurch nicht nur das faszinierende Licht von Südkalifornien eingefangen, sondern die im Grunde eher traurige Story von den erreichten und den unerreichten Träumen entsprechend hell und fröhlich, manchmal wirklich warm, ausgemalt wird. Die Musik, soweit es sich nicht um Jazz oder Pop handelt, hält sich eng an Musical-Vorgaben, allerdings erlauben die Texte sich wirklich tiefergehende Gedanken und reflektieren nicht nur die Gefühle der Beteiligten, sondern oft gerade das Scheitern an Träumen, die in Los Angeles nahezu jeder zu träumen scheint und die naturgemäß nur den wenigsten in Erfüllung gehen können.

Daß sich Damien Chazelle, der den Film geschrieben und auch die Regie geführt hat, letztlich an die Gesetze des Musicals hält und seinen Protagonisten durchaus traumhafte Karrieren, bzw. die Erfüllung ihrer Träume – die sich im Falle des von Ryan Gosling dargestellten „Seb“ Wilder im Gegensatz zu den erhofften Filmkarrieren mit einem eigenen Jazz-Club eher bescheiden ausnehmen – zugesteht, wird konterkariert, indem er deutlich zeigt, wie wenig Raum und Zeit die Verwirklichung künstlerischer Ansprüche für Gefühle, Familie und auch Freundschaften lässt. Das im Film allerdings nie wirklich zu einem Drama aufgeplusterte Scheitern der Beziehung von Wilder und Mia ist wahrscheinlich der absolut realistische Preis, den viele zu zahlen bereit sind, die auf Bühnen, in Filmen oder Galerien reüssieren wollen. Die Verquickung beider Ebenen gelingt, indem Justin Hurwitz, der den Originalsoundtrack schrieb, „Seb“ Wilder eine kleine, feine Melodie zuschreibt, eine Eigenkomposition, die der Liebhaber von Be-Bop und Free-Jazz immer dann erklingen lässt, wenn er seinen Gefühlen, vornehmlich Traurigkeit oder das Gefühl, verlassen zu sein, Ausdruck verleihen will. Mag da in der ruhigen, bedächtigen Melodie auch ein Hauch von Nino Rotas Hauptthema aus Francis Ford Coppolas THE GODFATHER (1972) anklingen, es ist die perfekte Verbindung von Traum und Realität, von klassischem Hollywood-Melo und der realistischen Einsicht, daß die Erfüllung von Träumen in einem derart harten und die Egozentrik fördernden Business, wie es das amerikanische Show-Biz nun einmal ist, kaum das private, kleine Glück zulässt.

Chazelle hat in etlichen Interviews klar Stellung dazu bezogen, daß sein Film eine Hommage an das große MGM-Musical sei und so wundert es nicht, daß er sich schließlich dafür entschieden hat, diese Seite stärker zu betonen, als ein realistisches Bild von den Demütigungen und den Versagensängsten, den eingebildeten und echten Falschheiten und Freundschaften zu zeichnen. Umso erstaunlicher, daß alle diese Facetten dennoch gerade in Mias Geschichte ernsthaft aufgegriffen und ausgespielt werden. Das Casting, das zu einer demütigenden Erfahrung werden kann, wenn man dauernd durch Handygeklingel oder plötzlich auftauchende Assistenten unterbrochen wird, die Anmache auf Parties, das Ausbleiben der Anrufe, der Zweifel, ob man für das, was man erreichen will, wirklich geeignet ist – nichts blendet er aus. Er erzählt es allerdings als Teil eines Traums, so wie man den ganzen Film wohl als eine Mischung aus Traum und Albtraum betrachten sollte. Wobei der Albtraum selbst wieder eingebettet ist in wunderbare Musik und wunderschöne Settings. Vielleicht kommt LA LA LAND deshalb manchmal etwas zu glatt, zu gekonnt, zu sehr in Übereinstimmung mit sich selbst daher. In einem wunderbaren Schlußakkord tanzen „Seb“ und Mia in einer Kulisse, wie sie direkt aus Vincente Minnellis AN AMERICAN IN PARIS (1951) entliehen sein könnte, ihre alternative Geschichte: Was hätte sein können, wie sie auch gemeinsam hätten Erfolg haben können, wenn sie gewisse Fehler – wie seinen, nicht zu ihrer ersten Theateraufführung zu erscheinen – vermieden hätten, wie sie ein glückliches Paar mit zwei glücklichen Karrieren hätten sein können. Und auch dieses Tableau, zu dem Wilders Komposition erklingt und sich zu einer orchestralen Version seiner Melodie ausweitet, wird von beiden als Möglichkeit in einem Meer aus Möglichkeiten hingenommen.

LA LA LAND vermittelt seinem Publikum den Eindruck, daß alles am Ende so kommt, wie es kommen musste, daß man seine Träume nicht aufgeben sollte, daß man aber auch bereit sein muß, den Preis zu zahlen, den das Leben, die Karriere, Hollywood, L.A. einem dafür abverlangt. Glücklich, das verdeutlichen Ryan Gosling und Emma Stone in einem letzten langen Blick, bevor sie sich wahrscheinlich für immer aus den Augen verlieren werden, glücklich kann man vielleicht nur sein, wenn man bereit ist, all die Fährnisse und Widerstände hinzunehmen und als natürlichen Teil dessen zu begreifen, was man will und erwartet. Das Wunder dieses Films ist es, dem Zuschauer in gut zwei Stunden noch einmal, so, wie es nur die klassischen Melos und Musicals eines Fred Astaire und seine Partnerin Ginger Rogers, eines Vincente Minnelli und Gene Kelly konnten, zu vermitteln, daß es sich lohnt, den großen amerikanischen Traum von Ruhm und Erfolg weiter zu träumen. In einem Cinemascope-Format gedreht, erweist der Film seine Referenz so nicht nur an den klassischen Hollywood-Film, an Los Angeles als Stadt und Rahmen für das klassische Hollywood, an die Musik, die unersetzbarer Teil des Erfolgs ist, sondern auch ganz direkt an die Träumer, die sich nicht unterkriegen lassen und bereit sind, für ihre Ideen immer weiter zu gehen und weiter zu kämpfen.

Kein Wunder, daß mehr als nur ein Oscar an diese letztlich positive Nabelschau vergeben wurde.

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