DIE SCHLANGE/LE SERPENT

Henri Verneuil treibt ein zynisches Spiel um Agenten und Doppelagenten

Oberst Alexej Wlassow (Yul Brynner), Legionsrat an der sowjetischen Botschaft in Paris, tritt nach seiner Dienstzeit die Heimreise nach Moskau an der Seite seiner Gemahlin nicht mehr an. Er will zu den Amerikanern überlaufen. Dazu begibt er sich zunächst in die Obhut der Franzosen, namentlich in die des Abteilungsleiters des französischen Geheimdienstes, Lucien Berthon (Philippe Noiret), der sich allerdings Erkenntnisse für die eigene Behörde verspricht. Doch alle Tricks verfangen nicht und so wird Wlassow schließlich an die Amerikaner übergeben. Er behauptet, Wissen über ein Netz aus sowjetischen Agenten zu besitzen, die die französischen und bundesdeutschen Behörden infiltriert hätten.

In den U.S.A. angelangt, wird Wlassow als Chefsache behandelt. CIA-Chef Allan Davies (Henry Fonda) nimmt sich des Russen höchstselbst an und überwacht die Überprüfungen, u.a. bei einem Lügendetektortest, denen Wlassow unterzogen wird. Zwar werden gewisse Unstimmigkeiten festgestellt, doch Wlassows Informationen sind zu verlockend. Philip Boyle (Dirk Bogarde), Vizechef des britischen MI-6, des Auslandsgeheimdienstes, den Davies hinzuzieht, bestätigt die Identität von Wlassow, kennen sich die beiden doch aus ihrer gemeinsamen Zeit in der Türkei. Nun nennt Wlassow Davies Namen, darunter einige von hohen Beamten im bundesrepublikanischen BND. Daß sich zwei ranghohe Mitarbeiter bald darauf umbringen, bzw. auf mysteriöse Weise sterben, scheint Wlassows Aussagen zu bestätigen. Sowohl der BND als auch die Franzosen beginnen damit, ihre Dienste zu säubern.

Auf der Beerdigung einiger deutscher Opfer eines Flugzeugabsturzes trifft Berthon Boyle, der ihm erklärt, es handle  sich dabei unter anderem um den deutschen Doppelagenten Felsen, den der BND unschädlich gemacht habe und nun den Opfern der Flugzeugkatastrophe untergeschoben würde. Während Boyle Berthon die Zusammenhänge erklärt und spöttelnd damit garniert, so sei das eben, wenn man aus der NATO austrete, da sei man von den wesentlichen Informationen abgeschnitten, zieht er ein Zigarettenetui hervor, das mit dem Profil einer sich aufrichtenden Schlange verziert ist – ein Symbol, das zuvor auch einer der Männer trug, die Felsen getötet haben.

Davies trifft Boyle in London und teilt ihm mit, daß auch der MI-6 zwei feindliche Agenten in seinen Reihen habe. Boyle ist erstaunt. In Paris gerät Berthon unter Druck, als die Presse anonym erhaltenes Material veröffentlicht, daß Berthon als Nazi-Kollaborateur entlarvt. Während einer Live-Sendung im Radio wird er zudem mit einem Folteropfer konfrontiert, das ihn beschuldigt, während des Algerienkrieges sein Peiniger gewesen zu sein. Berthon begreift, daß seine Karriere zuende ist und er wahrscheinlich auch der Sowjetspionage bezichtigt werden wird. Und genau so kommt es. Seine ehemaligen Kollegen, allen voran sein ehemaliger Stellvertreter Tavel (Michel Bouquet), sind ihm auf den Fersen und setzen alles daran, ihn der Spionage zu überführen. Und es deuten auch eine Reihe von Indizien darauf hin. Berthon kontaktiert Boyle und kann, um ihn zu treffen, seinen Beschattern entkommen. Boyle gibt sich als Kopf eines internationalen, für die Sowjets arbeitenden Spionagerings zu erkennen. Berthon ist entsetzt und wird dafür von dem Briten, der sich jovial gibt, belehrt, dieser sei – trotz seiner adligen Herkunft – seit seinem neunzehnten Lebensjahr ein überzeugter Marxist. Berthold kann seine republikanische Verachtung für das eine wie das andere nicht verhehlen und weist Boyles Angebot, nach Moskau zu gehen, weit von sich. Als er in seinen Wagen steigt und fahren will, eröffnet ein in Boyles Wagen versteckter Scharfschütze das Feuer auf ihn. Berthon, verwundet, kann den Wagen noch starten, rast dann aber unkontrolliert in einen Verschlag.

In Langley will Davies ein abschließendes Gespräch mit Wlassow führen, bevor dieser nach sechs Monaten Isolation in die Freiheit entlassen werden soll. Davies gibt sich zufrieden damit, daß es über ein Dutzend Kaltstellungen und Selbstmorde gegeben habe und der Spionagering wohl zerschlagen sei. Er will mit Wlassow anstoßen und berichtet ihm von den zwei britischen Agenten, die er selber entlarvt habe. Wlassow stutzt, nie habe er auf seinen Listen britische Agenten genannt, er habe überhaupt nie mit dem MI-6 zu tun gehabt. Nun ist es an Davies, zu staunen, beweisen doch verschiedene Belege, daß Wlassow und Boyle sich zumindest in der Türkei kannten. Wlassow erinnert sich nun, doch Davies will es genauer wissen. Und so gelingt es ihm nach und nach mit Hilfe technischer, linguistischer und geographischer Methoden, Wlassow als eigentlichen Spion zu entlarven: Er und Boyle hatten eine große Aktion geplant und durchgeführt, um wichtige Beamte und hohe Mitarbeiter der deutschen und französischen Dienste zu diskreditieren und so auszuschalten. Vollkommen Unschuldige sind umgekommen oder um ihr bisheriges Leben gebracht worden, einer davon: Berthon, der den Anschlag auf sein Leben schwer verletzt überlebt hat.

Sechs Monate später kommt es zu einem Gefangenenaustausch: Ein amerikanischer Pilot, dessen Aufklärungsflugzeug über der Sowjetunion abgeschossen wurde, wird gegen Wlassow ausgetauscht. Berthon, der Zeuge der Übergabe sein darf, fragt Davies, wieso der hichgradig schuldige Wlassow nicht hingerichtet worden sei. verschmitzt erklärt Davies, daß er den Piloten gut gebrauchen könne, um rauszufidnen,w ie es zu dem Abschuß habe kommen können, Wlassow hingegen habe vom süßen GIft des Westens gekostet und sei für den Kommunismus verdroben…

LE SERPENT (1973) kann zu jenen in den 1960er und 70er Jahren so äußerst populären Euro-Produktionen, die, international finanziert (in diesem Fall eine französisch-italienisch-deutsche Koproduktion), mit Hollywood-Stars glänzten und oftmals den Genres des Kriegs- oder des Spionagefilms zuzuordnen waren. Die besseren dieser Produktionen können heute zumindest noch als Politthriller und Zeichen ihrer Zeit überzeugen. Bei der Kritik und auch in der Fachliteratur kommen sie allerdings meist nicht gut weg. Zu propagandistisch, zu manipulativ, zu oberflächlich lauten die Vorwürfe.

Sicher, die Klischees, derer Filme wie LE SERPENT oder der amerikanisch finanzierte, aber in Europa produzierte SCORPIO (1973) sich bedienen, zeugen von einer vermeintlichen Kalten-Krieg-Romantik, die schaudern lässt, weiß man heute doch so viel genauer, mit welch kühler, zynischer Kalkulation in jenen Jahren Menschenleben geopfert wurden. Da muten all die Freundschaften über den Eisernen Vorhang hinweg arg sentimental an – ein Verdikt, unter dem vor allem SCORPIO zu leiden hatte. Allerdings wird dabei gern vergessen, daß dieselben Filme von eben jenem Zynismus befeuert sind, den sie angeblich zu wenig ausstellen. Mehr noch: Uns heutigen, die wir mehr von James Bond und seinen diversen Epigonen und Wiedergängern geprägt sind und „Spione“, „Agenten“ und „Geheimdienste“ mit weitaus profaneren Aktionen verbinden, vermögen Filme wie die genannten doch etwas vom Geist jener Ära zu vermitteln. Denn sie sind selbst durchtränkt mit dem Kommunistenhass und der Paranoia, die gerade die 1960er Jahre geprägt haben. Romane und deren Verfilmungen wie die Smiley-Romane von John Le Carré oder die später entstandenen, doch vollkommen im selben Geist getränkten Romane Frederick Forsyths, dessen THE DAY OF THE JACKAL 1971 für Furore sorgte – ebenso wie sein 1972 erschienenes Werk THE ODESSA FILE – und deren Verfilmungen zu  genau den Werken gezählt werden dürfen, von denen oben die Rede war, waren vielleicht fiktional – wobei gerade Forsyth permanent mit Versatzstücken der Realität spielt und offen lässt, wie weit seine Erzählungen wahren Begebenheiten entsprechen – doch ihre Autoren wussten sehr genau, wovon sie sprachen, hatten sie doch, wie übrigens auch Bond-Autor Ian Fleming, in den britischen Diensten gedient. So sind viele der gängigen Klischees dieser Werke – ob literarischer Natur oder auf der Leinwand – auf eben genau diese Autoren zurück zu führen.

LE SERPENT gibt sich mit einer ausgesprochen seriös wirkenden Over-Voice im Grunde einen dokumentarischen Charakter. Für den die Rasanz postmodernen Actionkinos gewohnten Zuschauer geradezu bieder anmutend, entwickelt der Film eine gewisse Spannung aus der Frage, wer von den vielen Verdächtigen denn nun wirklich Spion, wer nur Lockmittel ist. Dabei mäandert die Inszenierung von Henri Verneuil ein wenig: Denkt man zunächst, das Augenmerk des Films läge auf Wlassow, was durch die Wahl Brynners als charismatischen Überläufer und die Ausführlichkeit, mit der sein Überlaufen gezeigt wird, auch naheliegt, wird man nach etwa einem Drittel der Laufzeit des Films eines Besseren belehrt, denn nun verlagert sich die Handlung nahezu komplett nach Europa und dort vor allem nach Paris und dreht sich um den von Philippe Noiret routiniert gegebenen Berthon. In gewissem Sinne ist er die Hauptfigur des ganzen Films, gedeckt von Allan Davies, Fondas Portrait des langjährigen CIA-Chefs Allen Dulles, der wirklich war, was Davies vom Kommentar zugeschrieben wird: Chef eines Staats im Staate, vielleicht der zweitmächtigste Mann in den U.S.A. seiner Zeit – nach J. Edgar Hoover, dem Chef des FBI.

Fondas erster Auftritt ist brillant inszeniert, die Kamera verfolgt Davies auf einem morgendlichen Gang durch die CIA-Zentrale in Langley bei Washington, D.C., ohne Rücksicht auf das Star-Image Fondas – Verneuil lässt ihn wie nebenbei im Bildhintergrund auftauchen und gönnt ihm kein Quäntchen besonderer filmischer Aufmerksamkeit. Trotz der imposanten ihm zur Verfügung stehenden Besetzung aus amerikanischen und europäischen Stars, scheint der Regisseur unbedingt die Story in den Vordergrund schieben zu wollen, dabei sein Ensemble zwar nicht versteckend, durchaus aber hinter den Figuren zurücktreten lassend. Ebenso verzichtet Verneuil hier fast komplett auf Action, sieht man einmal von Berthons Autounfall ab; Verfolgungsjagden werden ebenfalls unaufgeregt und alles andere als spektakulär inszeniert; der Regisseur lenkt unser Augenmerk ganz auf die verwickelte Handlung um Agenten, Doppelagenten und die Mechanismen der Enttarnung, bzw. der Gegenspionage, die der Film in einer manchmal schon aufdringlichen Didaktitk vorführt. Durch diese Unaufgeregtheit, die Distanz, die der Film zu seinen Figuren und dem Geschehen einnimmt – Figuren, die nie mehr als Funktionsträger in einer funktionalistisch dargestellten Welt sind – setzt der Film einen sachlichen Ton, den er dann auch durchhält – ein Ton, den man ähnlich auch aus LE CLAN DES SICILIENS (1969) kennt und der später auch I…COMME ICARE (1979) bestimmen wird. Es ist gerade die Distanz des Erzählens, die die gezeigten Vorgänge manchmal so extrem kalt und dadurch extrem brutal wirken lassen. Menschen, so gewinnt man den Eindruck, sind hier wirklich nichts weiter als Verschiebemasse, Figuren auf einem unüberschaubaren Brett – in einem Spiel, dessen Regeln sich alle Augenblicke ändern.

Störend in dem Ganzen ist Ennio Morricones enervierender Soundtrack, der, sich – dem letztlich nichtssagenden Titel des Films entsprechend – an den Zischlauten einer Schlange orientierend, fast wie ein Stück moderner Klassik anhört, bis er zum Gefangenenaustausch am Ende des Films die des Komponisten typischen Pathoshöhen erreicht, die Durchschnitt höhere Weihen verleihen sollen. Und in diesem Fall eher kontraproduktiv wirken, wenn man bedenkt, wie kühl und distanziert Verneuil auch dies inszeniert und damit noch einmal den Zynismus dieses „Spiels“ betont. Ein Haufen Menschen, einige davon allerdings durch den Film recht naheliegend als Alt-Nazis markiert, die meisten jedoch in der Narration des Films gesichtslos, sind gestorben, vergessen, vergraben, was Wlassow, Davies und Berthon nicht mehr als ein Witzeln über amerikanische Zigaretten wert ist. Agenten überall in Westeuropa mussten ihr Leben aufgrund von bewusst gestreuten Falschinformationen lassen, die wesentlichen Figuren – und damit ist auch der von Dirk Bogarde mit leichter Süffisanz ausgestattete Boyle gemeint – sind zu wichtig, als daß man sie angriffe. Oder zu unwichtig, wie Davies Berthon erklärt, als der anmerkt, er habe Wlassow auf dem elektrischen Stuhl erwartet. Hier beißt sich die Katze dann in den Schwanz, wird doch in der etwas arg jovialen Runde, die die drei verfeindeten Männer bilden, genau jene Romantik der Männerfreundschaften im Agentenmilieu heraufbeschworen, die dann sauer aufstößt.

LE SERPENT ist unter den Euro-Thrillern der 1970er Jahre definitiv eines der besseren Werke, rund in der Inszenierung, voller Stars, zumindest grundlegend spannend, manchmal zu didaktisch in seinen technischen Erklärungsversuchen, aber dennoch unterhaltsam in mittlerem Tempo, mit vielen Schauplatzwechseln und gutem Timing in Schnitt und Montage. Ohne die tragische Fallhöhe von Winners SCORPIO zu erlangen, vermittelt LE SERPENT doch ein authentisches Gefühl jener Jahre, da der Kalte Krieg geradezu frostig war, immer geprägt von der reellen Möglichkeit eines nuklearen Vernichtungsschlages, was zu einer gewissen Härte, einem gewissen Zynismus führte, die der Film kohärent zum Ausdruck bringt. Nicht Verneuils Meisterwerk, doch zum Verständnis seines künstlerischen Oeuvres trägt dieser Film ganz sicher bei.

 

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