MACHT

Karen Duve vermisst das Geschlechterverhältnis

Als im Frühjahr 2016 Karen Duves neuer Roman MACHT erschien, dauerte es nicht lang, bis die Diskussionen eher unsachlich bis unappetitlich wurden, erdreistet sich hier doch eine Frau, mit den Mitteln zugegeben bissiger Satire, Männern – zumindest einem guten Teil davon – deren doch recht typisches Verhalten und – in Anbetracht der doch recht gewagten Entwicklungen im Buch noch weitaus gefährlicher – ihnen ihr Denken zu spiegeln. In einer brutalen Dystopie bietet sie den gewillten Leserinnen und Lesern einen Parforceritt durch ein Umweltkatastrophenszenario, das es wahrlich in sich hat, vermischt mit Anklängen an die Kampusch/Fritzl-Skandale um in Kellerräumen weggesperrte Frauen bis hin zu einem waschechten Thriller um einen sich langsam extremen psychopathischen Bestrafungsvisionen hinsichtlich des weiblichen Geschlechts hingebenden Mannes, der uns die Geschichte auch aus seiner Sicht erzählt – der Sicht eines verletzten (alten) weißen Mannes, dem seine Privilegien abhanden gekommen sind. In diesem sich langsam steigernden Wahnsinn kann Duve eine ganze Reihe von gängigen und weniger gängigen Thesen und Theorien zum Geschlechterkampf, zur Zukunft unserer Demokratie und den Fragen nach dem Überleben des Planeten unter verschärften klimatischen Bedingungen verhandeln.

Im Jahr 2031 haben die Frauen die Regierung übernommen, wenn auch unter einem Kanzler „Olaf Scholz“, und so wurde das Alltagsleben der Deutschen stark vermeintlich weiblichen Bedürfnissen angepasst. Dank diverser pharmakologischer Mittel ist es möglich, sich extrem zu verjüngen, so daß nicht mehr unbedingt zwischen echten und falschen Jungen zu unterscheiden ist. Sebastian Bürger, der in der ‚Demokratiezentrale‘ arbeitet, hält seit zwei Jahren seine Gattin, ehemalige Ministerin der Regierung, in seinem Keller gefangen, wo er sie sich zu einer willfährigen Sklavin abzurichten versucht. An ihr will er seine beschnittene Männlichkeit ausleben – in jeder Hinsicht. Als er jedoch auf einem Klassentreffen seine ehemalige Schulkameradin Elli trifft, in die er immer unterschwellig verliebt gewesen zu sein meint, will er mit ihr ein neues Leben beginnen. Da er seiner Frau seit Wochen die Verjüngungsmittel vorenthält, sie deshalb schnell altert und ihn zusehends anekelt, fällt es ihm leicht, sie schließlich zu töten. Seinem neuen Leben mit Elli steht nichts mehr im Wege – denkt er, bis Elli eines Tages den geheimen Raum im Keller entdeckt und Sebastian sein Spiel nun aufs Neue beginnen muß…

Ein eher grober Abriß einer Handlung, die sich nicht scheut, zu den billigsten Mitteln der Kolportage zu greifen, um die Story voranzutreiben. Einer der Vorwürfe an die Autorin lautete dann auch gleich, daß sei nur bösartiges Wortgeklingel, ohne literarischen Mehrwert. Ganz davon abgesehen, daß Literatur nicht grundsätzlich immer und nur Meisterwerke hervorzubringen, sondern auch ein paar andere Funktionen und Bedingungen zu erfüllen hat, stimmt es auch einfach nicht, sondern wirkt eher wie das letzte Mittel zu Tode Beleidigter, denen argumentativ das Pulver ausgegangen ist. Ganz bewusst legt Duve es darauf an, daß ihr Buch als eine Art Thriller gelesen werden kann. Das muß sie auch, weil ihre Handlungskonstruktion – wie häufig in Thesenromanen – nur bedingt aufgeht. Je weiter Bürger (sic!) sich in seinen frauenfeindlichen Furor hineinsteigert, desto mehr entfernt er sich natürlich nicht nur von seinen Geschlechtsgenossen im Roman, sondern auch von denen, die den Roman lesen. Zusehends wird dies auch zu einer schon passenden Binnenbeschreibung eines immer gefährlicheren Psychopathen. Doch ist Sebastian Bürger erst einmal als „krank“ stigmatisiert, fällt es natürlich auch leichter, sich von ihm zu distanzieren.

Es sind also die Nebenfiguren, die hier die Träger der Thesen sind. Da ist Sebastians Bruder, der sich einer obskuren neuartigen Sekte angeschlossen hat, die gegen den herrschenden Zeitgeist Tiere schlachtet und isst, da sind ehemalige Schulfreunde, die in unterschiedlichen (gesellschaftlichen) Funktionen auftreten und anhand derer Fragen nach Umwelt, Politik oder Geschlechterverhältnisse verhandelt werden können. Da ist Sebastians Schwiegermutter, da sind die Kinder aus seiner Ehe mit der im Keller gefangenen Christine, da gibt es Nachbarn und Nachbarinnen und in den jeweiligen Begegnungen Sebastians mit all diesen Menschen schafft Duve es, ihre Anliegen organisch, ohne allzu didaktischen Duktus, darzulegen. Das macht sie mit Witz, manchmal beißender Ironie, manchmal schon mit Zynismus. Und ja, es stimmt, man kann aus diesem Buch auch eine gewisse Bitterkeit herauslesen. Und warum auch nicht?

Die Reaktionen auf das Werk, die Wut, die Duve entgegenschlägt – vor allem, von wem sie ihr entgegenschlägt – ist in vielerlei Hinsicht fast ebenso interessant, wie das Buch selbst. Bedenkt man, was sich Frauen in ca. 300 Jahren, die der Roman nun als mediale Form existiert, von Männern literarisch haben gefallen lassen müssen, ist es schon aufschlußreich, wenn es Männer gibt, die ernsthaft der Meinung sind, sie lege es bewusst darauf an, zu beleidigen, zu verletzen und damit einen tiefen Keil zwischen die Geschlechter zu treiben. Ohne dies nun verifizieren zu können, möchte man die Behauptung aufstellen, daß es die gleichen Leute sind, die gegenüber „locker room talk“, wie leicht man an Frauen herankommen kann, wenn man berühmt sei, eben als Schuljungengeschwätz abtun. Ist eben ein Unterschied, ob man Frauen herabwürdigt, verletzt und entmenschlicht oder ob selbiges den Herren der Schöpfung widerfährt. Allerdings führt das Geschrei meist zu den Schreihälsen selbst zurück, zeigt es doch, daß getroffene Hunde eben doch bellen, aber auch, mit welch einem Mangel an Reflektion aber auch an Konzentration man konfrontiert wird.

Der aufmerksame Leser – LESER, nicht LeserIn (die sowieso) – wird schnell merken, daß, gleich wie verrückt dieser Sebastian Bürger auch anmuten mag, einige seiner hasserfüllten Gedanken gar nicht so selten sind, erinnert man sich an so manche Äußerung, die man im Laufe der Jahre mitbekommen hat, wenn Männer unter sich sind, manche – und es fällt nicht so leicht, das zuzugeben – einem nicht einmal selber fremd sind. Duve gelingt es schon auf erschreckend beiläufige und ebenso treffende Weise, männliches Denken einzufangen, zu konkretisieren und darzustellen. Teils auch zu denunzieren. Doch kommt hinzu, daß sie auch ihre Geschlechtsgenossinnen nicht so leicht vom Haken lässt. Das Buch ist durchzogen von kleinen, gemeinen Anmerkungen und Hinwiesen, daß die „feministische Revolution“, wenn es denn je eine war, auch nicht ganz so erfolgreich gewesen ist wie erhofft, nicht zuletzt, weil die Damen der Schöpfung eben auch nicht ohne männliche Begleitung sein wollen. Wenn man so will, kann man Duve unterstellen, einfach ein zutiefst pessimistisches Zukunftsbild unserer Gesellschaft gezeichnet zu haben. Das Bild einer Gesellschaft, die nach und nach an ihren inneren Widersprüchen zu zerbrechen droht. Die zwischen den Geschlechtern wäre dann nur eine von vielen Sollbruchstellen.

Man sollte ganz genau hinschauen, welche Männer behaupten, „solche“ Gedanken nie zu haben, das sei alles an den Haaren herbeigezogen. Vor denen sollte man – und frau – sich wahrscheinlich in Acht nehmen. Duve gelingt es geschickt, eine ganze Reihe aktueller, also akuter Themen, wie die Flüchtlingsproblematik oder die Konfrontation mit dem Islam in das Hintergrundrauschen ihres Romans einzubauen. Dabei gelingt es ihr auch, die seltsamen Allianzen aufzuzeigen, die auf einmal entstehen, wenn einst „linke“ Ideen und „rechte“ Aktionen nun auf denselben Humus aus Gewaltbereitschaft und Hass treffen. Mit der Idee der Ephebos, jener Verjüngungspillen, die in der Welt von MACHT eine solch große Rolle spielen, kann sie auch das Thema „Jugend“ und „ewige Jugend“ auf recht witzige, aber ebenso hintersinnige Weise abhandeln. Wenn ihr Buch – und viele ihrer auch in Zeitungen und Kultursendungen vertretenden Haltungen und Meinungen – vor allen die Wut und den Zorn jener viel zitierten „alten weißen Männer“ auf sich zieht, darf man nicht vergessen, daß unser Erzähler Sebastian Bürger ebenfalls ein „alter weißer Mann“ und dazu sehr, sehr zornig ist. Er sieht vielleicht nicht so aus, doch vertritt er exakt die Haltung gegenüber Frauen, die uns heute aus so manchem hasserfüllten Facebook-Kommentar entgegenspringt.

Es hat in der Geschichte des (literarischen) Feminismus immer wieder radikale Bücher gegeben, die Männern durchaus Angst machen konnten. Marilyn French wurde für ihr aus heutiger Sicht eher wenig radikales Buch THE WOMEN´S ROOM von 1977 harsch angegangen, Anne Fine erlebte für ihr Duves Werk themenverwandtes Buch THE KILLJOY (1989) ähnliche Anfeindungen, wie Duve sie gegenwärtig erleben muß. Und immer wieder der Vorwurf, wie sich eine Frau anmaßen könne, aus Männersicht zu schreiben? Einmal davon abgesehen, daß Männer sich nun seit nahezu 250 Jahren das Recht herausnehmen, Frauenfiguren nach ihrem Gutdünken zu entwerfen und auch durchaus aus der Sicht von Frauen zu erzählen (man schaue von EFFI BRIEST bis zu den Werken eines Christoph Hein oder auch Amos Oz, dessen brillanter Roman MEIN MICHAEL komplett aus Frauensicht erzählt wird), könnte man(n) sich natürlich auch die Frage stellen, ob Frauen nicht weitaus besser dazu prädestiniert sind, aus Männersicht zu schreiben als umgekehrt, sind sie männlicher Sichtweise, Handlung und den daraus resultierenden Strukturen und Schemata schließlich sehr viel länger ausgeliefert, als Männer dies weiblichen Pendants je waren. Vielleicht haben Männer einfach sehr viel weniger Ahnung von Frauen, als diese von ihnen.

Beunruhigend – für alte, weiße Männer…

2 thoughts on “MACHT

  1. Melanie sagt:

    Hallo Gavin,
    eine provokante Rezension zu Duves Roman, die auch – wie schön! – durchaus die kritischen Stimmen zum Thema macht. Warum löst dieser Roman so viel – ich möchte nicht das Wort „Wut“ benutzen – aber offenbar doch Ressentiments gerade bei Männern (aber auch bei Frauen) aus? Hat mich neugierig gemacht, ich habe bisher noch keinen Roman von Karen Duve gelesen, werde das mit diesem aber jetzt jedenfalls nachholen. Wenn ein Roman es schafft, ebenso konträre wie empörte Reaktionen auszulösen, kann er nicht ganz „schlecht“ sein ;).
    Lieben Gruß,
    Melanie

  2. Gavin Armour sagt:

    Hallo Melanie!

    Erstmal danke für den Kommentar!

    Eigentlich wollte ich gar nicht provozieren, aber wahrscheinlich lässt es sich kaum verhindern, wenn man über diesen Roman etwas schreibt. Daß er solche Reaktionen hervorruft, wundert mich nicht wirklich. Die Darstellung der Männer ist teils schon sehr bösartig. Allerdings – m.M.n. ein Problem vieler, die „provokante“ Romane schreiben – kann man an den Reaktionen auch ablesen, daß da sehr selektiv gelesen wird, denn bei Duve bekommen die Frauen durchaus ihr Fett weg. Ich halte den Roman eher für eine pessimistische Dystopie, denn für ein feministisches Pamphlet, das so viele so gern darin erkennen wollen.

    Bin gespannt, was Du sagst, wenn Du es gelesen hast,
    auf bald,
    Gavin

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