MIT STAHLHARTER FAUST/MAN WITHOUT A STAR

Der Western am Wendepunkt: King Vidor definiert die Essenz eines Wechsels

Der Cowboy Dempsey Rae (Kirk Douglas) freundet sich unterwegs mit dem Jungspund Jeff Jimson (William Campbell) an. Gemeinsam heuern sie auf einer Ranch an, deren Besitzer nicht anwesend ist. Nach anfänglichen Händeln leben sich die beiden Texanern ein. Der Vorarbeiter Strap Davis (Jay C. Flippen) führt ein gemäßigtes Regiment und Dempsey fühlt sich wohl. Auch mit den Cowboys der Nachbarranchen und den Besitzern selbiger kommt er gut aus. Er bringt Jeff nach und nach das Handwerk des Cowboys aber auch das Schießen bei. Schließlich taucht eine schöne Frau auf der Ranch auf, mit der Dempsey sofort heftig flirtet. Es ist Reed Bowman (Jeanne Crain) – der Chef, besser: die Chefin. Schnell stellt sich heraus, daß sie es, um ihren Profit zu maximieren, auf Konflikte mit den Nachbarn ankommen lässt. Diese wollen, um Futter für den Winter einfahren zu können, einzelne Weiden abzäunen, damit dort im Sommer das Gras zu Heu wachsen kann. Diese werden aber dringend gebraucht, um Bowmans riesige  Herde zu versorgen. Mehrfach reißen ihre Männer den schon begonnen Zaun wieder ein. Dempsey hasst Stacheldraht, sein Körper ist übersät mit Narben von Wunden, die der Draht ihm einst gerissen hat. Bei dieser Gelegenheit ist sein jüngerer Bruder umgekommen. Er will die Ranch verlassen, denn er weiß: Mit dem Draht kommt der Hass. Jeff bleibt schließlich und ersetzt den Mann an Bowmans Seite, wobei er natürlich – kleineres Kaliber, das er ist – seiner Herrin nie gleichberechtigt begegnet, wie Dempsey dies getan hat. Der wiederum schließt sich nun den Kleinranchern an, denn obwohl er, wie er Jeff mehrfach erklärt hat, den Draht auch deshalb verachtet, weil er die Freiheit des Landes beschneidet, Symbol einer einengenden Ordnung ist, begreift er, daß fürchterliches Unrecht geschieht, wenn Hunderte Familien ihre Lebensgrundlage verlieren, damit Reed Bowman ihre kapitalistischen Träume verwirklichen kann. Es kommt zum Showdown zwichen Bowmans Männern, angeführt von ihrem neuen Vorarbeiter Steve Miles (Richard Boone) und den Ranchern um Tom Cassidy (Edie Waller) und Dempsey Rae…

Der Schriftsteller und hochdekorierte Drehbuchautor Borden Chase stand nie im Verdacht, ausgesprochen linken Ideen anzuhängen, was nicht zuletzt seine Mitgliedschaft in der MPA, der ‚Motion Picture Alliance for the Preservation of American Ideals‘, einer antikommunistischen Vereinigung führender Filmschaffender in Amerika, beweist. Umso erstaunlicher, daß er die Drehbücher zu einigen jener Western schrieb, die dem Genre den Ruf einbrachten, “antikapitalistisch“, zumindest „kapitalismuskritisch“ zu sein. Nicht nur hatte er einen scharfen Blick für die Wirklichkeit der Arbeit auf Ranchen und Farmen, er war sich auch sehr bewußt über das Spannungsverhältnis zwischen Großgrundbesitzern und Pächtern. Wo allerdings in seinem preisgekrönten Script zu Howard Hawks´ RED RIVER (1948) das Thema eher psychologisch abgehandelt wurde – der von John Wayne gespielte Tom Dunson verfällt mehr und mehr einem Größenwahn, der ihn sich als Herr über Leben und Tod aufspielen läßt – liegt die erstaunlich moderne und gar aktuelle Kritik an großkapitalistischen Systemen im vorliegenden MAN WITHOUT A STAR (1955) offen auf der Hand.

Die von Jeanne Crain wunderbar kühl wie verführerisch gespielte Reed Bowman – Chefin der Ranch auf der Dempsey Rae anheuert und schnell zum Verwalter aufsteigt, bevor er sich eines Besseren besinnt und auf die Seite der Kleinrancher wechselt – erklärt es  in einem entscheidenden Moment des Films ganz deutlich: Sie habe vor, das Land auszusaugen bis auf den letzten Halm und sofort zu verschwinden, wenn es nichts mehr hergäbe. Sie wolle schnell und vor allem viel Geld verdienen. Daß bei einer Viehstückzahl von Dreißigtausend die anderen Herden der Gegend – alle weitaus kleiner – nicht mehr bestehen können, da weder Futter noch Wasser ausreichend vorhanden wären, ficht sie nicht an. Es zählt der reine Wettbewerb. Reed Bowman kommt über das Land wie eine Plage – eine Heuschreckenplage. „Heuschrecke“ ist heute das Wort für jene Manager, die kleine Firmen aufkaufen, sie filetieren, rentabel machen und schließlich gewinnbringend weiterverkaufen, meist auf Kosten der Angestellten, der Sozialleistungen und -pläne. Bowman bringt in drei Sätzen das Credo eines jeden Hedgefonds-Managers auf den Punkt. Ihr offenes Bekenntnis zum Dollar und den Methoden, wie sie ihn erringen will, kann sie im Setting eines weiten, noch wenig erschlossenes Landes natürlich sehr viel offener verlauten, als sie es in einer gesitteteren Umgebung könnte. Selten hat man jemanden so offen den Raubtierkapitalismus propagieren hören, wie Reed Bowman in diesem Film.

Chase gelingt mit seinem Drehbuch allerdings eine doppelte Volte, indem er – prägend für jenes Jahrzehnt, in welchem dem Western „psychologische“ Reife attestiert wurde, ja sogar, er sei „erwachsen“ geworden – dem Zuschauer eine Perspektive aufdrängt, die der klassischen Haltung des Westerns entgegenschlägt. Klassisch sind wir natürlich auf der Seite jener Männer, die die Freiheit lieben und Einzäunung, Enge und damit symbolisierte Ordnung verachten. Dempsey wird exakt  als ein solcher Mann charakterisiert. Er will das freie Land vor und unter sich sehen und spüren, er hasst die Enge der Ordnungen, die mit der Einzäunung einhergehen Mehr noch hasst er das Symbol dieser Ordnung: Den Stacheldraht. Er trägt die Narben der Wunden, die dieser ihm einst gerissen hat, wie ein symbolisches Mal, das ihn und wer ihn sieht an den Preis der Freiheit erinnert. Das Sehnen seines Wesens lässt ihn sich Bowman andienen, sein Charakter, die Werte, die er vertritt, lassen ihn schließlich seinen Schmerz überwinden und sich den Kleinranchern anschließen, ja, sogar deren Zaun bauen, als er merkt, welch himmelschreiendes Unrecht hier geschieht.

So findet sich ein typischer ‚Westerner‘ auf der Seite eben jener Ordnung, der er eigentlich entkommen will. Wie so viele seiner Artgenossen, gehört auch Dempsey Rae jener Spezies von Westernhelden an, die mit fortschreitender Zivilisierung feststellen müssen, daß sie dieses Land zwar als erste bereist, es schließlich auch in Besitz genommen und damit der Ordnung der Zivilisation erst den Weg geebnet haben, jetzt, da die Ordnung jedoch Fuß fasst und sich inszeniert, jedoch kein Platz mehr für Männer wie sie vorhanden ist. Die klügeren dieser Männer – Wyatt Earp in John Fords MY DARLING CLEMENTINE (1946) wäre solch ein Typ – stellen sich dort in den Dienst der Ordnung, wo ihre spezifischen Fähigkeiten noch gebraucht werden: sie werden Sheriff oder Marshal. Denjenigen von ihnen, denen dieser Weg aus den unterschiedlichsten Gründen verwehrt ist, bleibt nichts anderes als zu fliehen, zwischen den Winden zu wandern, sich im Mythos zu verlieren: Ethan Edwards in Fords THE SEARCHERS (1956) ist das wohl berühmteste Beispiel für diesen Typus. Dempsey, der seinem Kompagnon Jeff erklärt, er brauche den freien Blick in weites Land, gehört letztlich auch in diese Kategorie. Obwohl er Cassidy und dessen Männern hilft und dadurch zu dem (partiellen) Sieg, den diese über das Großkapital errungen haben beiträgt, kann er nicht bleiben. Dempsey tritt nach getaner Arbeit zurück und flieht weiter vor dem Stacheldraht, der ihn doch immer einholen wird – notfalls bis Kanada, wie er zu Jeff sagt.

Die zweite Volte – Chase verstand sein Handwerk perfekt – liegt darin, Dempsey sich in Bowman verlieben zu lassen. Diese Frau will, nein: muß er erobern, allein schon deshalb, weil es Kirk Douglas ist, der Dempsey Rae spielt.

Douglas war in einer Hochphase seiner Karriere, drehte bis zu drei Filmen im Jahr und schenkt man Joe Hembus´ ‚Westernlexikon‘ Glauben, wurde der Film auf seine Initiative hin schnell und billig in einem Monat zwischen zwei anderen Projekten des Schauspielers abgedreht. MAN WITHOUT A STAR sieht auch genau so aus: Wie ein B-Western, kurz und knackig. Douglas war dabei, sich von den Bedingungen des Studio Systems, das in diesen Jahren eh seinem schnellen Ende entgegenging, zu emanzipieren und traute sich nicht nur, immer häufiger kontroverse Stoffe anzupacken, sondern auch, sich dafür Leute zu suchen, die ihm gefielen. Sei es der damalige Jungregisseur Stanley Kubrick, seien es verschiedene Drehbuchautoren, die auf der nicht zuletzt durch Leute wie Chase ermöglichte ‚Black List‘ gelandet waren und inoffiziell Berufsverbot wegen ihrer angeblich kommunistischen Vergangenheit hatten – Douglas setzte sich zusehends über solche Regeln hinweg. Daß er also bereit war, bei einem wirklich kapitalismuskritischen Stück mitzutun, darf nicht allzu sehr verwundern. Douglas hat oft seine sozial-, wie gesellschaftskritische Haltung bewiesen. Zugleich vermittelte er jedoch eine enorm vitale Männlichkeit. Sein Idealkörper, durchtrainiert und dem eines Turners oder Ringers ähnelnd, sein charakteristisches Grinsen, das sein Kinngrübchen betont, strahlend weiße Zähne entblößt und zugleich lausbübisch charmant wirkt, seine Physis, die ihn zu dauernder Bewegung, kleinen Gesten und ständigen Blicken, auch aus dem Bild heraus, animiert – Douglas war ein Mannsbild, ein Kerl, ein charmanter Macho, dem es dennoch fast immer gelang, seinen Figuren eine gewisse Tiefe, manchmal Tragik zu verleihen, in seinen allerbesten Momenten (und Rollen) konnte hinter seinem Lächeln, dem spitzbübischen Grinsen, etwas Dämonisches, Gefährliches, potentiell Tödliches hervorblitzen, das diese Figuren doppelbödig erscheinen läßt. Momente davon gibt es auch in MAN WITHOUT A STAR[1].

Daß sich ein Kerl wie Douglas durch eine Frau wie Crains Bowmann herausgefordert fühlen muß, liegt auf der Hand. Während sein Sidekick Jeff fast ein wenig lächerlich erscheint, Richard Boones Steve Miles hingegen schon andeutet, was für ein Potential für miese Typen in diesem Schauspieler steckt, ist Reed Bowman die einzige Figur des Films, die es mit Douglas/Dempseys Vitalität, seiner Kraft und seinem Elan aufnehmen kann. Daß sie sich dann aber als kalt und ausbeuterisch entpuppt, verleiht der Figur des Dempsey Rae noch einmal zusätzliche Tragik. Dieser Mann muß, um sich selbst treu zu bleiben und das „Richtige“ zu tun, seine Ideale und schließlich auch seine Liebe verraten. Und er muß erkennen – vielleicht der schmerzhafteste Prozess im Film – , daß er strukturell auf der Seite der Ausbeuter steht, da sie seinem Naturell des Abenteurers weit mehr entsprechen, als die braven Siedler und Rancher. Dempsey muß also auch wider die eigene Natur handeln, um das „Richtige“ zu tun.

So kommt in der Figur der Reed Bowman viel zusammen, was MAN WITHOUT A STAR zu dem Ausnahmewestern macht, der er ist. Sie steht hier ebenso für den gnadenlos kalten Raubtierkapitalismus des 19. Jahrhunderts, doch zugleich – darin nicht unähnlich en Frauen des ‚Film Noir‘ – verkörpert Reed Bowman auch eine neue Frau, einen neuen Typus Frau: Selbstbestimmt, emanzipiert, verhandlungsstark und durchaus bereit, zu „männlichen“ Mitteln zu greifen – sprich Gewalt. Bowman reiht sich problemlos ein in die Riege jener Frauen im Western, die ebenso verführerisch wie furchteinflößend inszeniert wurden: Barbara Stanwyck als Jessica Drummond in Sam Fullers FORTY GUNS (1957), Joan Crawford als Vienna in Nicholas Rays JOHNNY GUITAR (1954), Jean Arthurs Calamity Jane in DeMilles THE PLAINSMAN (1936) und in gewisser Weise auch die von Jennifer Jones gespielte Pearl Chavez in Selznicks DUEL IN THE SUN (1946), den ebenfalls King Vidor inszeniert hat. Sie alle sind zumindest als Verführung eine Gefahr, Drummond und Vienna aber sind, wie Bowman, Geschäftsfrauen. Drummond führt, wie Bowman, eine Ranch, entspricht also nicht dem Westernklischee der alternden Barsängerin, die den Laden mittlerweile übernommen hat – denn diese Figur lebt zwar ebenfalls in und von einem zutiefst kapitalistischen System, steht idealtypisch aber den Huren, Spielern, Trinkern – also den Figuren der Halbwelt, den Aussenseitern – näher, was sie anders verortet und charakterisiert, als jene „echte“ Kapitalistinnen, die Drummond oder Bowman darstellen. Idonee in der Gestalt von Claire Trevor übernimmt diesen Part in MAN WITHOUT A STAR. Daß Rollen von Frauen, die wirtschaftlich erfolgreich sind, die sogar ein klassisches Unternehmen – wie eine Ranch – führen, die als Chef auftreten und Männern Befehle erteilen, zugleich etwas manchmal Böses, oft Kaltes, fast immer Herrschsüchtiges eingeschrieben bekommen, drückt die tiefsitzende Angst eines überkommenen männlichen Systems vor einer Weiblichkeit aus, die seit dem Zweiten Weltkrieg zusehends emanzipierter auftrat, sich zu behaupten begann und vor allem begriffen hatte, daß auch für sie Jobs, Arbeit, ein unabhängiges Leben vorhanden und möglich waren. Wie der Film Noir und seine ‚Femmes fatales‘ und wie die verführerischen aber oft todbringenden Sirenen des Horrorfilms, sind auch die starken Frauen des Western zunächst bedrohlich und werden mit gehöriger Ambivalenz dargestellt. Dabei hatte es bereits durchaus vielschichtige Frauenfiguren gegeben, man denke nur an die von Kathy Jurado und Grace Kelly verkörperten Helen Ramirez und Amy Kane in HIGH NOON (1952).

Chase, Douglas und Regisseur King Vidor ist mit MAN WITHOUT A STAR einer der essenziellen Western der 50er Jahre gelungen. Vielschichtig, tief, dialektisch und doch – wie alle guten Western – vollkommen in die Physis der Handlung eingebettet, im Gewand eines B-Movies, stellt dies einen Moment in der Entwicklung des Genres dar, an dem Vieles zusammenlief, entschieden wurde, eine Weggabelung. Es veränderte sich etwas massiv an der Basis des Western. Eine, wenn nicht die wesentliche, Erneuerung, derer sich das Genre im Laufe von über einhundert Jahren Filmgeschichte einiger unterzogen hat. MAN WITHOUT A STAR markiert eine dialektische Wende im Genre, das bisher noch eher den Helden verehrte und erst seit einigen Jahren bereit war, ihn zu hinterfragen. Hier wird er destruiert, weil sein Umfeld dekonstruiert wird. Die Leitwerte von eben sind überholt, was gestern noch galt, muß heute oder morgen schon lang nicht mehr gelten. Selten wurden Verschiebungen abstrakter Natur derart konkret in Handlung, Bewegung, ja Action umgesetzt, wie in Vidors Film. Er befindet sich durchaus auf Augenhöhe mit Schlüsselwerken wie MY DARLING CLEMENTINE, HIGH NOON oder WINCHESTER ´73 (1950).

 

[1] Man denke nur an seinen Brendan O´Malley in Robert Aldrichs THE LAST SUNSET (1961).

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