Noch mehr von der Meinungsfreiheit

Die einen krakeelen, die andern - halten sich vornehm zurück

MEINUNGSFREIHEIT !! dröhnt es durch die Straßen, wenn die besorgten Bürger marschieren…also, spazieren gehen. Meinungsfreiheit – ein hohes Gut, keine Frage, manche sagen: Das höchste! Und sofort will man sich anschließen und auf die Barrikade springen und rufen: JA! Schützt die Meinungsfreiheit! Wo sind sie, die Unterdrücker, HA!, wir merzen sie aus, die liederlichen…doch Halt!

Worum genau geht es, wenn die Spaziergänger nach „Meinungsfreiheit“ rufen? Ist es die Freiheit, wirklich einfach zu sagen, was man denkt? Und was denkt „man“ so? Einige denken, es gehöre zur Meinungsfreiheit, die Welt wissen zu lassen, wem man alles die Pest an den Hals wünscht, andere wiederum sind der Überzeugung, wenn man einen selbstgebastelten Galgen mit sich rumtrüge, an dem die Konterfeis diverser ungeliebter Politiker hängen, sei dies ebenfalls eine gängige und tolerierbare Meinungsäußerung. Wobei sich der stille Beobachter fragt, warum diese Leute eigentlich Politiker wollen, die sie lieben können…aber gut, das ist eine andere Frage…

Je länger man also zuhört, was bei einigen unter „Meinung“ fällt, desto mehr fängt man zu seinem eigenen Erschrecken an, an dem Gebot der freien Meinungsäußerung zu zweifeln. Nicht so sehr, weil man all diese „Meinungen“ verbieten will, eher aus ästhetischen Gründen, will man doch zumeist lieber nicht wissen, was sich in den Köpfen der meisten so abspielt – und der kreativen Ergebnissen, diesen Vorgängen des Innern Ausdruck zu verleihen, will man erst recht nicht ansichtig werden. Es gibt auch, wenn auch nicht gesetzlich geregelt, ein Recht darauf, nicht mit jeder gedanklichen Diarrhö belästigt zu werden.

Ist das jetzt Unterdrückung von freier Meinungsäußerung? Oder fällt die Bezeichnung gedanklicher Anstrengungen anderer als „Durchfall“ noch unter freie Meinungsäußerung? Und habe ich nicht das Recht dazu? Habe ich nicht sogar das Recht, die angeblich politisierte Wut all dieser besorgten Bürger schlichtweg in Abrede, die Kategorien, nach denen diese Wut meint, sich entfalten zu dürfen, in Frage zu stellen? Denn meiner Meinung nach, unterliegen die gesamten dieser Wut zugrundeliegenden Gedanken solch elementaren Fehlern, Folgen eben nicht konsequenten Denkens, daß ich finde, man sollte sich allein schon des GEdankens selber schämen und erst recht seiner Veröffentlichung. Mich macht diese gedankliche Lethargie, die hinter dieser angeblichen Wut steckt, so wütend, ich bastel mir gleich mal nen Gal…aber nein. Nein. Nein, tu ich nicht. Ich schreibs nicht mal auf. Ich behalt es für mich.

Meinungsfreiheit umfasst übrigens auch die Freiheit, keine Meinung zu irgendwas zu haben. Vielleicht ist dies die vornehmste und edelste Haltung, die man überhaupt einnehmen kann: Sich jeglicher Meinung zu allem möglichen enthalten, die Flusen vom Ärmel schnippen, den Hut zurechtrücken und seines Weges gehen, darum bittend, doch den störenden Galgen aus dem Wege zu nehmen, danke.

Der Begriff ‚Meinung‘ ist natürlich so oder so doppelbödig, denn eine Meinung ist ja zunächst nichts weiter als eine persönliche Ansicht zu was auch immer. Vernünftig oder auch nur realisitisch muß sie selbstredend nicht sein. Ich kann durchaus der Meinung sein, die Erde sei eine Scheibe, kein Problem. Im Internet wird es das zugehörige Forum irgendwo schon geben. Beweise gibt es schließlich auch: Schon mal auf dem Meer gewesen? So, aha. Und? Ist Ihnen etwas aufgefallen? Eben – das endet irgendwo, an einem Strich. Den nennen die „Horizont“. Und wer bitte will mir nun beweisen, daß dahinter nicht Schluß ist? Niemand hat die „Horizontlinie“ je erreicht, also kann auch niemand behaupten, dort ginge es NICHT steil bergab. Wenn das also kein Beweis dafür wäre, das die Erde eine Scheibe ist – na bitte.

Überhaupt sollte man nur glauben, was die eigenen Augen sehen und die eigenen Ohren hören können, dann wäre man nicht so der Meinung anderer ausgeliefert, die die dann per Dekret oder Leitartikel zu einer allgemeingültigen machen. Schließlich verstehe ich vom Russen mindestens so viel wie der Außenminister, mein Opa hat immerhin 4 Jahre Sibirien hinter sich. Und ich hab ein Buch dazu gelesen. Nein, zwei. Sicher, schwierig wird sowas, wenn der Onkologe aus dem Labor kommt und erste Anzeichen eines Tumors entdeckt zu haben glaubt, die das bloße Auge nicht wird erkennen können – und ein Mikroskop kann immer manipuliert sein. Auf die Meinung des Arztes hören wir dann doch zumeist. Zumindest die meisten von uns. Und lässt uns klein und hilflos zurück.

Es ist schwierig mit den Meinungen, weil wir tief im Innern wissen, daß wir von den allermeisten Dingen schlicht keine Ahnung haben und dringend auf die Meinungen anderer angewiesen sind. Die dann so gar keine Meinungen mehr sind, sondern Ansichten, Analysen oder sogar klare An- und Aussagen. Und das gilt nicht nur für die sogenannten „Fachleute“ und „Experten“, die Geräte lesen und Analysen interpretieren können, das gilt auch für Bereiche und Felder, die als „weich“ verlacht werden: Politik, Sprach- oder Gesellschaftswissenschaften, ganz sicher, was die Geschichte in all ihren Facetten betrifft. Es ist ein schreckliches Gefühl, zu merken, daß man mit der eigenen Meinung nirgendwohin gelangt, weil sie vollkommen unbedeutend ist. Diese Erkenntnis ist dem Zweijährigen ein Trauma, möglicherweise, bitter, wenn sie dem Zwanzigjährigen immer noch zum Trauma gereicht.

Wenn also ein ordentlich mutig getrunkener Spaziergänger in Dresden oder Leipzig, ein Wutbürger in Stuttgart oder Hamburg oder ein Besorgter in München oder in Rostock sich hinsetzt, ein Plakat bekritzelt, damit auf die Straße geht und seinem Unmut mal so richtig Luft macht, dann muß man konstatieren, es ureigentlich mit einem Akt der Verzweiflung zu tun zu haben, doch nicht, wie der Wutbürger glaubt, weil er ungehört bleibt, weit gefehlt! Es ist die Verzweiflung darüber, sich gar keine „Meinung“ zu irgendetwas erlauben zu können. Aus mangelnder Kenntnis der Sachlage, aus Bequemlichkeit, sich das notwendige Fachwissen anzueignen – ein Faktum, das vor allem in der unseligen Diskussion um das sogenannte „Gendermainstreaming“ immer wieder auffällt, haben die meisten derer, die da so vollkommen unqualifiziert ihre Meinung zum Besten geben, doch so offensichtlich noch nie irgendein Werk zum Thema „Gender“ oder „Gender Studies“ gelesen, sodaß ihre Äußerungen in Kreisen der Kundigen immer wieder für heiteres Gelächter sorgt – oder schlicht, weil es ihnen kognitiv nicht gegeben ist, die Komplexität des Themas, zu dem sie ihre „Meinung“ verlauten lassen, zu erfassen. Man muß es so sagen, leider.

Es wäre so schön, es täte so gut, wenn der von den Wutbürgern so gern ins Feld geführte „gesunde Menschenverstand“ endlich wieder greifen würde und als allererstes ein klitzekleines bisschen Reflektion in die Diskurse zurückbrächte. Dann würden vielleicht wieder mehr Leute kühlen Kopf bewahren und sich mit ihrer Meinung zurückhalten, ganz freiwillig, wohl wissend, daß man sich in 90% aller Fälle lächerlich macht, wenn man seine Meinung ungefragt äußert, einfach deshalb, weil man keine Ahnung hat.

So aber werden wir wahrscheinlich noch eine Weile in einer Gesellschaft leben, die das Sich-Entblöden bereits zu einem lukrativen Wirtschaftszweig in diversen Casting Shows des Fernsehens entwickelt hat. Ertragen wir es, freundlich lächelnd und unsere Meinung vornehm für uns behaltend.

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