NULLNUMMER/NUMERO ZERO

Umberto Ecos letzter Roman verdichtet noch einmal einige seiner Lebensthemen

Colonna, der sich als Schreiberling, Ghostwriter, Anzeigenformulierer und anderen Jobs, die sein Talent für Sprache fordern, über Wasser gehalten hat, wird aufgefordert, sich bei Simei zu melden, der einen neuen, anspruchsvolleren Job für ihn habe. Simei ist ein Journalist, Blattmacher und Herausgeber. Sein Plan: Für den ‚Commendatore‘ eine Zeitung, ein Klatschblatt zu entwerfen, daß der Großfabrikant, Mogul und Medientycoon nutzen kann, um in die bessere Gesellschaft aufgenommen zu werden, indem er denen, zu denen er eingelassen werden will, zeigt, wie er ihnen schaden kann. Dazu sollen 12 Nullnummern, der ganze Jahrgang einer Monatszeitschrift, entworfen werden, die aber nie wirklich erscheinen sollen. Simei hat noch einen ganz anderen Plan: Er will ein Buch über dieses Experiment schreiben, ohne darzustellen, daß es hier um ein abgekartetes Spiel ging, stattdessen will er die Geschichte eines Scheiterns erzählen. Das Buch soll ein Bestseller werden. Schreiben aber soll es Colonna, der dafür an der fingierten, fiktiven Zeitung mitarbeiten muß. So gehen er und sechs Redakteure, die aber alle geflissentlich über die wahren Ziele der Zeitung im Dunkeln gelassen werden, an die Arbeit. Sie sammeln jede Menge Trivia, Schmutz und Gerüchte, es werden Geschichten ent-  und verworfen, neu geschrieben und redigiert, Todesanzeigen und Verrisse fabriziert, bis das dahinterstehende Ziel erreicht ist. Fast immer geht es um Denunziation, um Klatsch, der Promis brüskiert, um Skandale und Kabale. Unter den Redakteuren ist nur eine Frau, Maia, die offenbar einen leichten Autismus ausgebildet hat, was sie extrem anfällig für scheinbare Nebensächlichkeiten macht. Sie und Colonna kommen sich näher und der fast dreißig Jahre Ältere lernt, ein wenig mit ihren Augen zu schauen, wodurch er erschütternde Erkenntnisse über die Welt generell, die seiner Medienprofession im Besonderen gewinnt. Und natürlich verliebt er sich in seine junge Kollegin. Der Redakteur Braggadocio glaubt, einer enormen Story auf der Spur zu sein, die als Fortsetzungsgeschichte über alle zwölf Ausgaben verteilt werden solle. Sie kündet von Mussolini und daß der lebe und ein Doppelgänger gestorben sei, davon, wie im Nachkriegsitalien die Rechte wieder erstarken konnte (mit Hilfe der CIA, natürlich), wie die „Stay-Behind“-Gruppen gegründet wurden, die im Falle einer kommunistischen Invasion sozusagen aus dem Innern der okkupierten Gesellschaft heraus agieren sollten, wie daraus GLADIO wurde, wie der Rechtsterror der 1970er Jahre auch staatlich gewollt und initiiert war, bis hin zu dem Mord an Also Moro und Papst Johannes Paul I. usw. Und es ist schließlich – vielleicht – womöglich – wer weiß? – diese Enthüllungsgeschichte, die das gesamte Projekt schon nach zwei Monaten beendet und Colonna zumindest für einige Zeit in Angst und Schrecken versetzt…

Umberto Ecos letzter Roman von den sieben literarischen Werken, die er in seinem langen und gelehrten Leben geschrieben hat, beschäftigt sich noch einmal – fast exemplarisch – mit einem seiner Lieblingsthemen – den Verschwörungen und den Verschwörungstheorien politischer, ideologischer und religiöser Art, die das 20. Jahrhundert so geprägt haben. Eingebettet in eine Mediensatire (wenn man so will), greift Eco politische Verschwörungen auf, versucht aber ebenso darzustellen, wie die Medien Realität erst machen, wie man Information nutzt, um subtile Gefühlssteuerungen vorzunehmen. Hier, in NULLNUMMER wird jede mediale Kommunikation zur reinen Manipulation. Die Wirklichkeit ein Konstrukt, die Medien ein Apparat zu Herstellung gewünschter Realität, gewünschter Gedanken, gewünschter Gefühle.

Anhand heutzutage gängiger Verschwörungstheorien (die leider nicht nur theoretisch sind), gelingt es Eco erstaunlich hintersinnig, über die Wechselwirkung von Wahrheit, Lüge, medialer Verbreitung und Verstärkung und die Resonanz, die diese Verbreitung auf die Gesellschaft haben kann, zu meditieren. Die Verschwörung als solche interessiert Eco seit jeher. Anders als ein Autor wie Don DeLillo, der sich ebenfalls Verschwörungsdenken widmet, dabei allerdings weitaus höher in die Metaebenen einsteigt und die Zeichen befragt, die in ihrer Symbolhaftigkeit uneindeutig werden, die Sprache als Zeichensystem generell in Frage stellt und der Verschwörung der phänomenologischen Wirklichkeit selbst auf der Spur ist, sind es bei Eco die ganz banalen menschlichen, der Politik oder kulturellen Ressentiments geschuldeten Verschwörungen, die die letzten 150 Jahre (und mehr) der Geschichte (mit)geprägt haben: Die Protokolle der Weisen von Zion, deren Entstehung Eco im direkten Vorgänger DER FREIDHOF IN PRAG (2010) auf höchst raffinierte und hintergründige Weise nachspürte, sei es die Mondlandung, ein mathematisches Rätsel oder die angebliche Verbindung aller mit allen, die nach 1945 die politischen Geschicke Europas und der Blockstaaten bestimmt haben – der Spaß besteht für den Semiotiker Eco darin, die Durchdringung von Faktischem und Fiktionalem zu analysieren und – spielerisch – die Grauzone auszuleuchten, in der das eine das andere befruchtet, ohne das dabei immer klar zu definieren wäre, was nun faktisch und was fiktional ist. Zudem kann der Autor einmal mehr sein nahezu enzyklopädisches Wissen ausstellen.

Die italienische Nachkriegsgeschichte bietet sich für ein solches Spiel geradezu an, hat es in Italien doch nachweislich politische Verschwörungen gegeben. Die P2-Loge, der unter anderem der ‚Cavaliere‘ Berlusconi, eindeutiges Vorbild für den ‚Commendatore‘, angehörte, GLADIO natürlich, man weiß heute aber auch, daß die CIA massiv in die italienischen Wahlen der Nachkriegszeit eingegriffen hat, um ein Erstarken des Kommunismus in Europa zu verhindern u.a.. Wenn Eco also die Räuberpistole um den angeblich ausgetauschten Mussolini in ein Szenario einwebt, das größtenteils stimmig und durch Quellen belegt ist, spielt er damit einmal mehr selbst ein Spielchen mit der (vermeintlichen) historischen Wahrheit; zugleich macht er sich aber auch lustig über die verzweifelten Alt-Nazis und Neo-Faschisten, die so dringend eine Führerpersönlichkeit brauchen, daß sie auch noch die letzte vermoderte Leiche aus den Kellergewölben der nationalen Historie kratzen. Der Schrecken der Geschichte wird so zu einem schaudern machenden Betthupferl für den gelangweilten Bourgeois. Und der sind letztlich wir, die Leser, denen einen Spiegel vorzuhalten, Eco nie eine größeres Problem hatte. Da Eco das Ganze jedoch in den narrativen Rahmen einer wenn auch fiktiven Zeitungsgründung – typischer Eco, wo aus dem Bauch der einen Verschwörung gleich die nächste springt, so daß man manchmal, nicht allerdings hier, etwas den Überblick zu verlieren droht – einbettet, flicht er eine Metaebene, die es durchaus in sich hat, korrespondiert dies nicht zuletzt mit der momentanen Situation eines massiven Ansehens- und Vertrauensverlusts der seriösen Medien in Europa. Es sind die aus Simeis Sicht dummen Fragen der hypersensiblen Maia, welche die Sinnlosigkeit des ganzen Unterfangens schnell durchschaut, die dazu führen, daß der Herausgeber und Enthüllungsautor mit Colonnas Hilfe nach und nach die ganzen Mätzchen und Strategien offenbart, mit der eine Zeitung (vermeintlich) Wirklichkeit generiert. Um nicht zu sagen: kreiert. So kann Autor Eco ein gedankliches Spiel darum entwickeln, wie Literatur entsteht, wie sie sich an der Realität entlang bewegt, wie sie sich der Fakten bedient und diese so umdeutet, daß sie dramatisch stimmen. Indem er Colonna mit Maias Blick die Vorgänge erblicken läßt, kann er zugleich aber auch ein utopisches Pflänzchen in seinen Text setzen, denn in dieser Figur kommt auch die Hoffnung zum Ausdruck, daß es auch eni Zurück auf den „richtigen“ Weg gibt. In der zarten Liebesgeschichte, die er Colonna und Maia angedeihen läßt, kommt sogar die Möglichkeit einer Rettung zum Ausdruck.

Allerdings – und da ist man direkt in der Kritik dieses recht schmalen Bändchens – vergisst Eco bei alldem ein wenig, was Literatur eben auch braucht: Figuren, die sich entwickeln und die den Leser interessieren; eine Geschichte, die zumindest spannend erzählt ist; Eine dramatische Entwicklung, die uns ein Werk zu mehr werden lässt, als reiner These. These aber ist NULLNUMMER ganz sicherlich vor allem andern. Um wirklich eine relevante Analyse zu erstellen, wie Wirklichkeit sich definiert, wie Realität sich darstellt, erfassbar und vermittelbar ist, müssten die oben genannten Kriterien aber besser erfüllt sein. Es reicht nicht, die eigenen Lieblingsthemen zusammen zu rühren und damit feinsinnig die eigene Bildung auszustellen – ein für Eco leider nur allzu typischer Manierismus – , ironisch gebrochen, versteht sich. Hier passiert nahezu nichts, die Handlung plätschert dahin, die einzige Figur, die wirklich interessant ist – auch, weil man ein wenig mehr über sie erfährt, als ihre reine Profession – ist Maia, die immerhin ihr eigenes Geheimnis mit sich trägt, wenn dann endlich aus all dem Gerede eine Handlung entspringt – der Mord an Braggadocio – hat dies nichts weiter zur Folge, als daß alle Protagonisten des Buches beschließen, die Sache mit der Nullnummernrevue besser sein zu lassen, womit das Buch endet. So hat man weder einen befriedigenden Thriller, noch eine wirklich tiefgreifende Analyse (post)moderner Wirklichkeitskonstruktion, der Wirksamkeit alter wie neuer Medien oder eine umfassende gedankliche Meditation über das Verhältnis von Wahrheit und Lüge. All das wird angerissen, vieles wird schlicht behauptet und dann so stehen gelassen, auch, weil ein immerhin 84jähriger emeritierter Professor vielleicht davon ausgeht, gewisse Dinge nicht mehr erklären zu müssen. Rund wird das alles nicht, es ist nicht zwingend und wirkt nicht plausibel. Ein großes „könnte“ beherrscht diesen Text. Und so sehr das „Könnte“ auch die Form der Verschwörungstheorie ist, literarisch tritt es auf der Stelle. So bleibt bei allen klugen Gedanken und hintersinnig bis subtilen Finessen, uns die Realität in ihrem Erscheinungsbild madig zu machen, sie zumindest anzuzweifeln, das Gefühl: Unbefriedigend. Nicht gut für einen Roman; schade, wenn es der letzte eines großen Autors, Theoretikers und Literaten wie Umberto Eco war. Zeit, das FOUCAULTSCHE PENDEL wieder hervorzuholen…

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