DAS BIEST MUSS STERBEN/QUE LA BÊTE MEURE

Chabrols verstörender, dunkler und zynischer Film von 1969

Der Witwer Charles Thénier (Michel Duchaussoy) kann nur noch den leblosen Körper seines Sohnes in die Arme schließen, als er die Unfallstelle erreicht, an der dieser von einem rasenden Wagen mitten in einem kleinen Dorf angefahren wurde. Nun will der Mann, der nichts mehr hat, v.a. nichts mehr zu verlieren hat, nur noch eines: Er will den Mörder seines Kindes finden und töten. Das macht er sich und uns, den Zuschauern, vollkommen unmißverständlich anhand eines vorgelesenen Tagebucheintrages klar. Durch Zufall erfährt er, daß in dem Unfallwagen die Schauspielerin Hélène Lanson (Caroline Cellier) saß. Er wird ihr Geliebter und es gelingt ihm, daß sie ihn mitnimmt zu ihrer Familie. So wird Charles dem Schwager Paul (Jean Yanne) vorgestellt, Besitzer einer Autoreparaturwerkstatt ebenso, wie eines Schrottplatzes. Paul – einst Hélènes Geliebter, jetzt Mann ihrer Schwester – ist ein Scheusal, das seine Familie, v.a. aber seinen Sohn Philippe (Marc di Napoli) schikaniert. Nahezu jeder in dieser Familie will den Tod des Patriarchen. Statt Paul nun zu töten, rettet Charles ihm an einem windigen Tag sogar noch das Leben, als dieser an einer Klippe abrutscht. Charles lädt Paul, der nicht schwimmen kann, zu einem Segeltörn ein, nur sie zwei, ein Männertrip, sozusagen. Auf See will Charles den dann Hilflosen über Bord werfen. Doch unterwegs zieht Paul eine Waffe und erläutert Charles, daß er das Tagebuch gelesen, an sich genommen und seinem Anwalt übergeben habe. Er wisse genau, was Charles vorhabe. Zurück an Land verhöhnt Paul seinen Gast und wirft ihn dann aus dem Haus. Charles eröffnet Hélène nun seine eigentlichen Beweggründe. Sie offenbart ihm, daß sie seit dem entscheidenden Tag, als sie mit Paul in jenem Wagen saß, der dann den Jungen tötete, traumatisiert, in Kliniken gewesen und noch immer nicht über das Erlebnis hinweggekommen sei. Sie und Charles fahren zurück nach Paris, als sie unterwegs im Fernsehen eine Sendung sehen, die vom Giftmord an dem lokalen Autogroßhändler berichtet. Sie kehren um und Charles stellt sich der Polizei, die mittlerweile sein Tagebuch erhalten hat. Mitten in die Vernehmung platzt Philippe herein und gesteht, daß er seinen Vater getötet habe. Die Polizei muß dies akzeptieren, zumal Philippe Täterwissen offenbart. Charles schreibt an Hélène einen Abschiedsbrief, der zugleich ein fingiertes Geständnis des Mordes ist. Er segelt allein aufs offene Meer hinaus.

Claude Chabrol war – wie die Kollegen Godard, Rohmer, Truffaut oder Rivette – ein Kind der CAHIERS DU CINÉMA, jener legendären Filmzeitschrift, die nicht nur den amerikanischen Genrefilm auch für Europäer erneut entdeckte, sondern deren Redaktion mit den Genannten auch jene Regisseure entstammten, die dann selbst Filme drehten und damit die „Nouvelle Vague“ begründeten und ins Rollen brachten. Chabrol ist unter diesen derjenige, der sich vordergründig dem Spannungskino verschrieben hatte, der Thriller produzierte, die manches Mal von schauerlicher Kälte zeugten. Hintergründig war Chabrol jedoch ein Sezierer. Er sezierte die bürgerliche Gesellschaft in all ihrer Bigotterie und Doppelmoral. Damit war er natürlich v.a. in den 60er und 70er Jahren vollkommen auf der Höhe der Zeit, des Zeitgeistes. Unter diesen sezierenden Arbeiten sticht QUE LA BÊTE MEURE (1969) noch einmal gesondert hervor, denn dies ist einer der auch für seine Verhältnisse düstersten Filme Chabrols.

Ob Charles, ob dessen Geliebte Hélène, ob Philippe oder Pauls Frau Jeanne (Anouk Ferjac) – sie alle wirken lebendig schon tot. In dieser Welt, die Chabrol entwirft, ist nur einer voller Lebendigkeit und Lebensdrang: Das Biest. La bête. Paul. Er scheint vor Lebenskraft und -lust schier zu bersten. Er ist ein brutaler, selbstbezogener Mann, der scheinbar alles und alle verachtet, der für seine Familie (ausgenommen seine Mutter) nichts übrig hat und in Charles zunächst einen Mann erblickt, der es mit ihm – zummindest intellektuell, ist er doch Autor – aufnehmen kann. Daß dieser Mann sein Mörder sein soll, kann sich dieses Monstrum in Menschengestalt, dieser Egozentriker vor dem Herrn, nicht vorstellen. Und Charles‘ Hass scheint sich ja auch zu verwässern. Tötet er Paul nicht, weil dieser den Beweis gegen Charles sichergestellt hat? Oder ist seine Rache schlicht zu schal? Und ist es ausgleichende Gerechtigkeit, wenn er dann – um dem so viel jüngeren und eben auch mutigeren Philippe das Leben zu „retten“ – ein falsches Bekenntnis ablegt?

Jeder in diesem Film ist tot, emotional tot oder sozial tot. Und exakt dies muß es gewesen sein, was Chabrol zeigen wollte: Eine bourgeoise Gesellschaft, die an Dekadenz erkrankt ist, nahezu daran erstickt, deren Mitglieder verstört sind, selbstmitleidig oder schlichtweg böse. Diese Gesellschaft tötet dann eben auch ihre eigenen Kinder, die sie eh nicht leiden kann (denn mit der gleichen Leichtigkeit, mit der Paul den Jungen anfangs überfährt, verhöhnt und verspottet er später den eigenen Sohn). Schönheit ist erstarrt in dieser Welt. In einer Szene will Pauls Frau von Charles wissen, was dieser vom – damals, 1969, wirklich neuen – ‚Nouveau Roman‘ hält und kommt dabei doch nicht über das für Cocktailparties typisch leere Geschwätz hinaus; an anderer Stelle liest ihr Mann der gesamten Gesellschaft eines ihrer Gedichte vor und macht es lächerlich. Es sind Momente wie dieser, die den Film stellenweise unerträglich machen, ganz ohne gezeigte Gewalt oder Action. Hier generiert sich das Grauen aus den Blicken und den versteinerten Gesichtern, aus einer Atmosphäre der Kälte und Distanz (die mit den „Vier ernsten Gesängen“ von Johannes Brahms und dem teils enervierenden Soundtrack von Pierre Jansen unterlegt noch eine Steigerung erfährt) und die Gewalt, von deren Vorhandensein der Zuschauer ja weiß, drückt sich auch bei Paul eher durch die Härte seiner Blicke, die mahlenden Backenzähne und sein von Hohn und Spott gezeichnetes Gesicht aus – bis sie sich dann in Form von Ohrfeigen oder geworfenen Gegenständen plötzlich doch Bahn bricht.

Chabrol macht dabei auch nicht halt vor Kolportage und ist bereit, sich aller Mittel zu bedienen: Wenn der Hausherr, während die gesamte Familie bereits zu Tische sitzt, ins Heim getrampelt kommt, so drückt sich dies zunächst durch Gerumpel und Gemecker hinter der verschlossenen Stubentür aus. Die Kamera in diesem sonst eher von Halb- und Ganztotalen beherrschten und damit recht distanziert das Geschehen beobachtenden Film fährt dann wie in einem klassischen Horrorfilm auf eben diese geschlossene Tür zu und vermittelt uns somit, daß wir uns auf etwas gefasst machen müssen. Nur ist das „Biest“, das „Monster“ eben nicht ein grün-glubschäugiges Wesen der Nacht, wie es das in einem „echten“ Horrorfilm wäre, sondern unser ganz normal anmutender alltäglicher Nachbar, dem es nichts ausmacht, ein Kindsmörder zu sein, der die Großartigkeit des eigenen Lebens derart feiert, daß ihm die Leben anderer dabei nunmal ziemlich gleichgültig sind. Der wahre Horror also.

So bleibt – anders als in Sean Penns entfernt an diesen Film angelehnte Arbeit THE CROSSING GUARD (1995) – nicht Erlösung und Vergebung, sondern Bitternis und Schmerz, dem der Witwer Charles, seines Lebens müde, nur noch insofern einen Sinn abzugewinnen weiß, indem er sein nun nutzlos scheinendes Leben gibt, um dem Ersatzsohn Philippe eines in Freiheit zu ermöglichen. Doch auch dies kann den Zuschauer nicht aus all der Tristesse erretten, derer er  in den vorangegangenen 112 Minuten ansichtig wurde.

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