MÖGEN SIE IN FRIEDEN RUH´N/REQUIESCANT

Ein italienischer Politwestern der besseren Sorte

Der Großgrundbesitzer Ferguson (Mark Damon), ein Südstaatler, wie er im Buche steht, rottet mit seinen Schergen ein mexikanisches Dorf aus. Außer einem kleinen Jungen überlebt niemand. Der Junge wird von einem Wanderprediger und dessen Familie aufgegriffen und wächst dort auf. Als erwachsener Mann (gespielt von Lou Castel) macht er sich auf, seine Stiefschwester Princy zu suchen, die weggelaufen ist. Während seiner Wanderschaft entdeckt er, daß er über eine außergewöhnliche Gabe verfügt: Er kann wie kein Zweiter mit dem Colt umgehen. Da er sich grundsätzlich bekreuzigt und ein kurzes Gebet spricht, wenn er jemanden getötet hat, hat er bald den Spitznamen „Requiescant“ („sie ruhen“) weg. Er trifft unterwegs auf einen seltsamen Priester, Don Juan (Pier Paolo Pasolini), der mit einigen mexikanischen Verbündeten durchs Land zieht und offensichtlich revolutionär predigt. Schließlich trifft Requiescant in einem Städtchen auf seine Schwester, die als Prostituierte in einem von Fergusons Männern geführten Bordell untergekommen ist. Nun entsteht ein Wettkampf um sie, dem nach und nach Fergusons Männer, aber auch Resquiescants Schwester zum Opfer fallen. Zu guter letzt treffen an eben der Stelle, an der Ferguson einst das Massaker an der Dorfbevölkerung beging, alle Beteiligten aufeinander. Requiescant, der die Erinnerung an die damaligen Vorkommnisse komplett verdrängt hatte, erinnert sich und löscht Ferguson aus. Dsr Prediger bittet ihn dennoch, den Ort wieder zu verlassen, denn er, Requiescant, sei der Lockung der Gewalt erlegen, längst sei das Töten Teil seines Wesens geworden.

Wenn man ein Interesse hat, herauszufinden, inwiefern gerade der Italowestern seine Zeit – die politisch linksbewegten 60er Jahre – spiegelt aber auch aufnimmt und integriert, dann hat man es hier sicherlich neben Petronis TEPEPA (TEPEPA – 1968) und Leones GIÙ LA TESTA (TODESMELODIE – 1971) mit einem der Paradebeispiele dafür zu tun.

Carlo Lizzani, der Regisseur dieses außergwöhnlichen Italowesterns, war ein Linker seit seinen Jugendtagen, da er im Widerstand gegen die Faschisten kämpfte. Hier schaffte er es, dem Film trotz einer gewissen didaktischen, seiner Zeit angemessenen Struktur, Spannung und ein geschlossenes Drama zu geben, wodurch er fesselt. Und trotzdem gelingt es eben auch, den politischen Aussagen und Aspekten Gewicht zu geben und sie dynamisch in die Handlung einzubauen, ja sogar, sie zum treibenden Movens der Handlung zu machen. Daß ausgerechnet der linke Regisseur, Lyriker und Publizist Pasolini dem Priester Don Juan sein herbes, fast granitenes Gesicht leiht, entbehrt dabei nicht einer gewissen Logik. Pasolini galt in seiner Heimat als einsamer Kämpfer wider neuere faschistische Tendenzen, als Verteidiger des „kleinen Mannes“ auch gegen die Anfeindungen der 68er, die er im Verdacht hatte, Modelinke zu sein. Dieser Don Juan hat etwas durch und durch Unnahbares. In seinem heiligen Zorn und seinem Eintreten für die armen Bauern, ist er fast ein Heiliger der Favelas. Daß sein Name – Don Juan – jedem halbwegs seiner Zeit vertrauten Jugendlichen und jungen Menschen auch Synonym war für eine Gestalt der damals aufkommenden psychedelischen Literatur, nämlich den Indio Don Juan, der Carlos Castaneda zu dessen ersten Yage- und Pilztrips verhalf und im im gleichen Jahr wie der Film erschienenen DIE LEHREN DES DON JUAN  seinen ersten Auftritt hatte, sei dabei nur am Rande erwähnt, ohne dem zuviel Aufmerksamkeit beizumessen. Die ganze Rolle Pasolinis war im alten Schnitt, dem gut 18 Minuten fehlten, so gut wie verloren. Daß diese Szenen – und auch einige mit Ferguson, in welchen dieser sein Weltbild anschaulich darlegen darf – jetzt wieder in den Film intergriert sind, ist der neueren Ausgabe von Koch Media zu verdanken und sei hier erwähnt.

Die interssanteste Rolle des ganzen Films spielt Mark Damon. Ferguson ist ein Vampir, jedenfalls hat Lizzani dies in der Art, wie er ihn auftreten läßt, assoziativ so angelegt. Bleich geschminkt und gekleidet wie ein Landedelmann aus dem 18. Jahrhundert, entspricht er dem Auftritt der Vampire der 60er Jahre in den Hammerproduktionen und auch jenen in den Filmen eines Mario Bava. Seine Reden sind unzweideutig faschistisch gekennzeichnet. Ebenso ist sein Weltbild faschistisch geprägt. Er verbreitet sich darüber, daß die Bauern schlichtweg Untermenschen seien und das Leben, welches er ihnen als seine Leibeigene biete, sei für diesen Menschenschlag schlichtweg das einzig mögliche. Gerade die Monologe, die diese Aussagen betreffen, wurden jetzt wieder eingefügt. Lizzani eröffnet damit natürlich eine ganze Reihe von Ebenen zur Interpretation. Daß ein Südstaatler, der sich über die Grenze nach Süden, also Mexiko geflüchtet hat um dort ein eigenes „Reich“ zu begründen, in dem er schalten und walten kann, wie er will, einen aristokratischen Anstrich erhält, dabei jedoch klar gekennzeichnet ist als Blutsauger, läßt sowohl an Mussolinis Kurzzeitrepublik Salò, am Gardasee gelegen und einige Jahre später Kulisse für Pasolinis eigenen SALÒ O LE 120 GIORNATE DI SODOMA (1975), denken, wie auch an die marxistische Analyse, daß Großgrundbesitzer, Industrielle oder Kapitalisten eben Blutsauger, Vampire am proletarischen Volkskörper seien. Lizzani bringt dies gekonnt und geschickt in dieser Figur zusammen. Daß Damon schlichtweg ein sehr schöner Mann war damals, trägt noch eine ganz eigenen Note in diese analytisch zu interpretierende Figur. Denn so wird auch gleich die Werbewelt der 60er Jahre und ihr hang zur Oberfläche mit verhandelt. Pasolini wiederum, der am Drehbuch mitgearbeitet haben soll, stand schon früh für eine sehr kritische Sicht auf die Werbewelt als Wegbereiter eines neuen, eines Warenfaschismus.

REQUIESCANT funktioniert als Western ebenso, wie er als politisches Kino, fast Agitprop funktioniert. Er bleibt spannend, was ihn von anderen politisch bemühten Filmen abhebt, die meist mit dem erhobenen Zeigefinger arbeiten. Und der Film nimmt schlußendlich eine fast pazifistische Haltung ein, wenn Don Juan Requiescant bittet, zu gehen, da er mit dem Virus der Gewalt infiziert sei. Damit nimmt der Film auch Stellung zu John Sturges THE MAGNIFICENT SEVEN von 1960. Dort ziehen die überlebenden Söldner am Ende aus freien Stücken ab und bleiben damit – wenn auch auf melancholische Art – Herren ihres Handelns. Daß der Revolvermann hier, in REQUIESCANT gebeten wird zu gehen, gibt dem „kleinen Mann“, dem Priester und Bauern auch eine Würde als historisches Subjekt. Diese Männer lassen sich nicht mehr herumschubsen, sie entscheiden selbst, wen sie in ihrer Mitte dulden.

Man mag Italowestern mögen oder nicht – hier liegt jedenfalls ein sehr guter Abkömmling dieser Gattung vor und ein guter Western im Allgemeinen.

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