ROM. TRÄUME

Berichte aus einer lang vergangenen Zeit

‚La Dolce Vita‘ – heute ein geflügeltes Wort, das für das „italienische Lebensgefühl“ ganz allgemein steht, den historisch etwas Bewanderten noch so gerade als Titel eines Films von Federico Fellini im Gedächtnis haftet und denen, die es interessiert, als ein Begriff geläufig ist, der eine gewisse vom Hedonismus der Überlebenden geprägte Zeit unmittelbar nach dem Krieg bis Mitte der 50er Jahre umfasst – ein Begriff, der von seinem Erfinder, Ennio Flaiano, keineswegs schmeichlerisch oder gar verherrlichend gemeint gewesen ist, sondern eher abfällig eine Klasse beschreibt, welche sich keinen Deut mehr schert um das Gestern oder Morgen, sondern in einem scheinbar endlosen Rausch dem ewigen Jetzt frönt. Und sich dabei verliert. Maike Albath nutzt den Begriff im Untertitel ihres schönen Werkes ROM, TRÄUME, in dem sie sich mit „Moravia, Pasolini, Gadda und der Zeit des Dolce Vita“ beschäftigt.

Eines vorweg, damit gleich gar kein falscher Eindruck entsteht: Auch wenn der Fellini´sche Film sich mit Lust der Kolportage, dem Tratsch und Verbreiten von Gerüchten verschreibt – also ebendem, was er durchaus verdammt – , auch, wenn der Begriff des „Paparazzo“, also jenes aufdringlichen Fotografen, der sich an die Fersen der Schönen und Reichen heftet, dem Film entstammt und Teil seines Programms ist, auch wenn die Trennlinie zwischen ernsthaftem Kunstschaffen und dem beschworenen leichten Leben in jenen Jahren keinesfalls so klar gewesen sein mag, Albaths Buch beschäftigt sich eher weniger mit den Schlüssellochgeschichten jener Tage, als vielmehr mit dem Werk einiger der prägenden Figuren. Wobei der Blick auf das Persönliche dennoch nicht verwehrt bleibt. Daß sie im Untertitel zwei reine Romanciers und einen Künstler nennt, der heute eher für sein filmisches Schaffen, denn seine literarische oder gar lyrische Arbeit bekannt ist, deutet schon an, wie vielseitig jene Jahre waren, wie sich die unterschiedlichen Gattungen kreuzten, befruchteten und manchmal – Carlo Emilio Gadda mag da das beredte Beispiel sein – eben auch ausschlossen.

Albath, studierte Romanistin, Italienkennerin und Kulturjournalistin, hatte 2010 bereits ihr Werk DER GEIST VON TURIN. PAVESE, GINZBURG, ENAUDI UND DIE WIEDERGEBURT ITALIENS NACH 1943 vorgelegt, in welchem sie sich vornehmlich dem linken Verlag Enaudi und dessen geistesgeschichtlichem Wirken im Nachkriegsitalien widmete. Es werden die Fundamente jenes Buchs gewesen sein, die sie sich den Literaten/Künstlern der römischen Szene jener Nachkriegsjahre zuwenden ließ. Auf ihren ausgedehnten Italienreisen besucht sie – in Turin, Florenz und natürlich Rom – ehemalige Weggefährten der Genannten. Letzte Überlebende einer heute längst vergangenen Zeit, möchte man meinen. Albath besucht Dacia Maraini – frühere Ehefrau von Alberto Moravia, die ihn intensiv zu seinem Leben befragte; sie spricht mit Nico Naldini, Schriftsteller und Journalist, nicht nur Cousin, sondern auch enger Vertrauter Pier Paolo Pasolinis, der wiederum als Naldinis Förderer auftrat; Albath redet mit Piero Gelli, einem engen Mitarbeiter Gaddas beim Enaudi-Verlag. Überhaupt spricht die Autorin mit einigen früheren Angestellten und Mitarbeitern von Leone Ginzburg, erster Mann von Natalia Ginzburg, der 1944 unter der Folter der Gestapo starb und neben Cesare Pavese und  dem eigentlichen Verleger Giulio Enaudi wesentlich für Ruf und Ansehen des Verlagshauses verantwortlich war.

Die Autorin trägt Eindrücke, Erinnerungen, Gedanken zusammen, die tiefere Einblicke in die Persönlichkeiten beispielsweise eines Emilio Gadda geben, andererseits gelingen ihr aber auch interessante und weiterführende Interpretationen der Werke der besprochenen Autoren. Überhaupt ist Albaths Buch für jene, die sich mit der italienischen Nachkriegsliteratur nicht oder nur wenig auskennen eine Fundgrube zur Orientierung. Mögen Moravia und vor allem Pasolini heutzutage noch durchaus gängige Namen sein (und Pasolinis Werk scheint momentan eh eine längst überfällige Renaissance zu erleben), Fellini sowieso – doch Ennio Flaiano? Elsa Morante? Carlo Emilio Gadda? Leone und Natalia Ginzburg oder Cesare Pavese? Gerade die Namen, die sehr eng mit dem Enaudi-Verlag verbunden waren und maßgeblich für den Neubeginn des Geisteslebens nach den Jahren der Diktatur standen, dürften heutzutage nur Kennern und Liebhabern noch wirklich ein Begriff sein.

So lernt man also, daß trotz der Einflüsse und Ansprüche des ästhetisch wie inhaltlich vorherrschenden Neorealismus Elsa Morante weiter ihre verträumt-vertrackten Geschichten phantasierte und mit LÜGE UND ZAUBEREI (1948) einen für seine Zeit zwar untypischen, aber umso größeren Roman des modernen Italien geschrieben hat – man erfährt aber auch, wie tief verletzt sie war, als Pasolini ihr Spätwerk LA STORIA (1974) in einer zwar analytisch bestechenden, doch zweifellos vernichtenden (und vernichtend gemeinten) Kritik öffentlich destruierte; man erfährt, daß Gadda, trotz der „neuen“ und jungen Literatur, die einen der Moderne entsprechend nüchternen Stil einforderte, an seinen barocken Satzkaskaden festhielt; daß es keine so eindeutige und einheitliche Szene gab, wie man vielleicht glauben möchte; daß „links“ und „rechts“ – ebenfalls anders, als man glauben würde – nicht zwangsläufig die gültigen Kategorien waren, nach denen Freund und Feind, Kollege oder Konkurrent eingestuft wurden; man begreift, wie stark sich die unterschiedlichen Künste, vornehmlich Literatur, Film und Lyrik, beeinflussten und befruchteten; welche Rolle der jeweilige soziale, kulturelle aber auch, gerade für die Frage der Sprache und ihrer Nutzung wichtige geographische Hintergrund für die jeweiligen Autoren spielten und auch erfährt der Leser durchaus, wie die politische Prägung, aber auch die sexuelle und familiäre nicht nur einzelne Autoren, sondern auch deren Beziehungen untereinander bestimmten und formten.

Die Erfahrung des Faschismus spielte für sie alle eine wesentliche Rolle, wenn überhaupt war es Gadda, der das Politische als Kategorie aus seinem Werk ausschließen und die eigene Verstrickung mit Mussolinis Regime zumindest ungern thematisiert sehen wollte. Doch ob Moravia, Morante, Ginzburg oder Flaiano oder eben Pasolini, unter den Regisseuren auch Rosselini, Fellini oder Visconti – sie alle hatten entweder ihre eigenen Erfahrungen mit dem Faschismus gemacht oder unter ihm gelitten. Er war ein Referenzpunkt, auch dort, wo er nicht thematisiert wurde. Jene ausgelassene Dekadenz, die Flaiano und Fellini in LA DOLCE VITA (1960) durchaus denunzierend ausstellen, hat ja selbst ihre Referenz in den düsteren Jahren des Faschismus: Hurra, wir leben noch…

So einfühlsam Albath auch die Wandlungen der Städte beschreibt, den Veränderungen Italiens durch die Dekaden nachspürt und damit unter anderem Pasolini Tribut zollt, für den z.B. die Borgate, die Vorstädte Roms, ein wichtiger Bezugspunkt sowohl beruflich als auch privat waren, so verharrt sie doch nicht in einer nostalgischen oder gar melancholischen Haltung zur Vergangenheit, sondern spürt sehr wohl auch den Umbrüchen, Brüchen und Rissen in den Lebenswelten und in den Beziehungen ihrer Protagonisten nach, die auch durch die äußeren Veränderungen begünstigt wurden. Turin, Rom, Florenz: Man darf sich vom Untertitel des Buches nicht täuschen lassen, es ist dies kein verklärter oder verklärender Blick auf jene Jahre zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Beginn der 60er Jahre, der ganz andere Umbrüche bringen sollte. Es ist ein klarer, manchmal mehr wissenschaftlicher, meist aber feuilletonistischer Blick auf eine Kulturlandschaft, die in einem Italien nach nahezu 20 Jahren „Berlusconismus“ kaum mehr denkbar ist. Ironischerweise gehört das, was vom Enaudi-Verlag heute noch übrig ist, seit Mitte der 90er Jahre zum Medienkonzern des ‚Cavaliere‘. Italien hat einen weiten Weg genommen seit jenen Jahren und man möchte meinen, das eine habe mit dem andern kaum mehr etwas zu tun. Doch es waren gerade Künstler wie Pasolini, in abgemilderter Form auch Flaiano, die schon in den 60er Jahren sehr genau sahen, wohin es mit Italien gehen könnte. Die einen gnadenlosen Konsumismus anprangerten, die eine immer weiter verflachende Kulturlandschaft beklagten, in der das immer stärker in den Vordergrund tretende Fernsehen zur eigentlichen Referenz und Blaupause der Wirklichkeit wurde. Und gerade Pasolini sollte mit vielen seiner in den ‚Freibeuterschriften“ und seinen ‚Lutherbriefen‘ festgehaltenen Voraussagen recht behalten.

Vielleicht weiß Maike Albath den Kennern der Materie nicht mehr allzu viel Neues zu berichten, die Zusammenhänge, die sie herstellt, die Wege, die sie aufzeichnet, die Stimmungen und Atmosphären, die sie einfängt und widergibt, entfalten vor dem Leser durchaus ein Panorama des geistigen Italiens damals und heute und regen wieder und wieder an, sich entweder erneut oder überhaupt einmal mit der Literatur jener Jahre zu beschäftigen. Ein in jeder Hinsicht schönes Buch!

 

 

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