SANTIAGO, DER VERDAMMTE/THE NAKED DAWN

Edgar G. Ulmers Kleinod des B-Western

Der Bandit Santiago (Arthur Kennedy) überfällt mit seinem Kumpan Vicente (Tony Martinez) einen Zug, wobei Vicente getötet wird. Santiago versteckt die Beute und flieht.

Er stößt auf das Paar Manuel (Eugene Iglesias) und Maria (Betta St. John) Lopez, die im Grenzland zu Mexiko eine Farm betreiben. Schnell merkt Santiago, daß es Unstimmigkeiten zwischen den beiden gibt. Er überredet Manuel, der im Besitz eines Wagens ist, ihm zu helfen, die versteckte Beute zu holen und in die Stadt zu fahren.

Dort treffen sie Guntz (Roy Engel), der für die Ware – Uhren – zahlt. Allerdings nur die Hälfte der vereinbarten Summe, da Vicente ja tot sei, Santiago erpresst mit brachialen Methoden das gesamte Geld von Guntz, läßt den jedoch am Leben. Dem ob dieser Gnade verdutzten Manuel erklärt er, nicht zum letzten Mal, daß man immer großzügig sein müsse. Die beiden gehen feiern und Santiago tanzt in der Cantina mit Tita (Charlita) zur Mariachimusik, spendiert Manuel Cerveza und Tequlia und feiert das Leben. Diese Haltung verwirrt Manuel, gefällt ihm aber auch.

Zurück auf der Farm wird Santiago erneut Zeuge, wie Manuel Maria schlecht behandelt. Maria will mit ihm weggehen, Santiago versucht, ihr zu verdeutlichen, daß sein Leben, ein Banditenleben, nur allein zu führen und zudem nur dadurch zu ertragen sei, indem man sich belüge. Sie will dennoch mit ihm gehen. Manuel derweil beschließt, Santiago zu töten und das Geld, das bei ihm besser aufgehoben sei, an sich zu bringen. Er versteckt sich und wird gerade, als er den Anschlag verüben will, von einer Klapperschlange angegriffen. Santiago rettet ihn, verliert jedoch allen Respekt vor dem Jüngeren, als er merkt, was der vorhatte. Nun erlaubt er Maria, ihn zu begleiten, was Manuel verhindern will. Maria entscheidet sich jedoch für Santiago.

Gerade als die beiden die Farm verlassen, kommt Guntz mit zwei Männern auf die Farm gefahren und droht, Manuel aufzuhängen, sage dieser ihm nicht, wo Santiago und das Geld seien. Santiago kommt Manuel zur Hilfe, wird allerdings von dem sterbenden Guntz so schwer angeschossen, daß auch er sterben wird. Er schickt Manuel und Maria mit dem Geld über die Grenze, er habe einen anderen Weg zu reiten. Die beiden verabschieden sich mit den Worten „Adios, padre!“…

Edgar G. Ulmer, einer jener fast vergessenen Regisseure, die in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts mit der Immigrantenwelle aus Europa kamen, realisierte den ungewöhnlichen B-Western THE NAKED DAWN (1955). Er spielt in der Gegenwart, wie uns bewußt wird, wenn Guntz und seine Leute in einem zeitgenössischen Automobil auf die Farm gefahren kommen. Und ebenso anachronistisch, wie sich ein Bandit wie Santiago in diesem Setting ausnimmt, wirken auch die Anliegen dieses Films. Nicht Rache, nicht der Kampf um Land, Vieh oder eine Frau, nicht die Eroberung unbewohnten Raums oder gar der Kampf gegen die Eingeborenen sind die sonst in Western üblichen Motive hier, sondern es ist die Frage nach der Moral, die Ulmer umzutreiben scheint. Er selber – geprägt durch Max Reinhardt – wies (laut Hembus‘ WESTERNLEXIKON) auf die Mysterienspiele hin, bei denen er mitgewirkt hatte.

In THE NAKED DAWN hat man es ab dem ersten Moment mit der Frage zu tun, wodurch sich moralisch einwandfreies Verhalten auszeichnet? Besser: Ist moralisch einwandfreies Verhalten überhaupt möglich? Kann ich richten über andere? Santiago versucht, dem sterbenden Vicente die Angst vor dem Tod zu nehmen, schließlich bietet er sich ihm sogar als (Ersatz-)Priester an. Dieser Santiago ist ein Freigeist, ein Libertin, einer, der das Leben genießt, laut und in vollen Zügen, und der damit doch nur die eigenen Ängste zu überdecken sucht. Manuel, der uns als rechtschaffener Farmer begegnet, freundlich, ein wenig zu leutselig vielleicht, behandelt seine Frau schlecht und wird durch die Aussicht auf Geld plötzlich gierig, ja, ist sogar bereit zu töten. Maria wiederum scheint eine rechtschaffene Farmersfrau, hat jedoch lediglich geheiratet, weil ihre Leute das so wollten, bzw. daß es eine Hochzeit gab, musste sie sogar erzwingen. Sie will raus und läßt sich von Santiago die „große Stadt“ Vera Cruz schildern, was dieser zunächst auch tut, nur um sofort, als er merkt, worauf ihr Ansinnen hinausläuft, vom Dreck der Stadt zu berichten. Alle drei haben große oder kleine Träume und Anliegen und jeder sieht im anderen mittel- oder unmittelbar die Lösung seines vorhandenen Problems. Und im Geflecht dieser ebenso auf Beziehungs- wie auf Sachebene ausgetragenen Konfliktsituation geht jede moralische Eindeutigkeit verloren.

Ulmer bietet wenig, was den Westernliebhaber den Western so lieb haben läßt: Kaum werden wir irgendwelcher Landschaftspanoramen ansichtig; Arthur Kennedy, der, nebenbei bemerkt, eine sehr gute Performance abliefert, ist mit seinen schwarz gefärbten Haaren und dem Schnauzer kaum zu erkennen (überhaupt kennt der Film lediglich Mexikaner als Helden/Personal; der einzige Weiße ist der Bösewicht Guntz), die Action fällt eher karg aus. Dieser Western verhandelt seine Anliegen im Dialog. Und wir merken gerade in den Dialogen, daß und wie sehr diese drei Menschen sich mögen; daß also hinter dem Horizont des Filmendes entweder ein noch viel tödlicherer Konflikt, ein echter Westernkonflikt – der zwischen zwei Männern um eine Frau – dräut, oder aber ein utopisches Miteinander. Was 1955 als Möglichkeit stehen gelassen zu werden nicht möglich gewesen sein dürfte.

Allerdings bieten – neben Santiagos Tod als Königsweg, solchen Konflikten zu entgehen – die Abschiedsworte der beiden weit über das Klären der Verhältnisse hinausgehende Deutungsebenen. „Padre“ verweist Santiago natürlich in den Bereich der nichtsexuellen Beziehungsmöglichkeiten (was seinem Habitus, so wie wir ihn im Film gesehen/erlebt haben, allerdings nicht entspricht), doch erhebt es ihn, den Banditen, den Libertin, den Hedonisten – unter Verweis auf sein priesterliches Angebot gegenüber Vicente anfangs des Films – moralisch auch zu einer letztlich reinen Figur. Ulmer weiß geschickt und hintersinnig mit all diesen Versatzstücken und verschiedenen Ebenen zu spielen und dennoch gelingt es ihm auch, bei aller Symbolik einen wirklichen Western abzuliefern, bleibt er doch in den 82 Minuten Filmzeit immer konkret, immer in Bewegung, immer hart an der Story.

Ein Schmankerl nebenbei: Francois Truffaut, Meister des französischen Autoren-Kinos, wies darauf hin, daß THE NAKED DAWN ihm im Grunde den Weg gewiesen habe zu JULES ET JIM (1962). Erst durch die Konstellation der Figuren dieses Westerns hätte er eine Möglichkeit gesehen, einen Zugang gefunden, wie die Dreiecksbeziehung aus Rochés Roman zu übernehmen und auf die Leinwand zu bringen sei. Ein wahrlich interessanter Nebenaspekt, der der Betrachtung von Ulmers Kleinod noch einmal eine ganz andere Perspektive beimischt.

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