MEIN GROSSER FREUND SHANE/SHANE

Es war einmal...im Westen

George Stevens´ SHANE (1953) ist im engsten Sinne des Wortes ein fabel-hafter Film. „Edelwestern“ wurde er genannt und damit eingereiht zwischen Werken wie Fred Zinnemanns HIGH NOON (1952) oder Edward Dmytrycks WARLOCK (1959). Vorsicht sei geboten bei jedweder Bezeichnung dieser Art. Als sie gedreht wurden, wussten die genannten Filme noch lange nicht, daß sie einmal als „Klassiker“ bezeichnet werden würden. Das ist im Falle von SHANE anders. Stevens, der nicht als ausgewiesener Westernfachmann angesehen werden muß, und sein Kameramann Loyal Griggs machen ihrem Publikum praktisch von der ersten Einstellung an klar, daß man es hier mit einem Hochglanzprodukt zu tun hat. Laut Joe Hembus wurde der Film seinerzeit auch genau so angepriesen: Als etwas, was es so noch nicht gegeben habe. Ein an sich seltener Anspruch für einen Western, galt das Genre doch – bei aller Beliebtheit – nicht als wirklich satisfaktionsfähig, was allein schon die Tatsache beweist, daß bis 1991, als Kevin Costner DANCES WITH WOLVES vorlegte, kein Western je den Oscar als bester Film erringen konnte und der Großmeister des Westerns – John Ford – alle seine Regie-Oscars für Filme erhielt, die nicht dem Westerngenre zuzurechnen sind. Und auch SHANE ging leer aus, lediglich Griggs bekam den Preis für die Beste Kamera. Was durchaus nachvollziehbar ist.

Stevens und sein Drehbuchautor A.B. Guthrie Junior legen – basierend auf einem Roman von Jack Schaefer – eine Geschichte vor, wie sie einfacher nicht sein könnte. Und wie sie dem Western in seinem urtümlichen Wesen grundlegend zueigen ist: Die Siedler – Farmer –  werden von den Großgrundbesitzern bedroht, weil sie das Land einzäunen und damit die Wege des Viehs zu den Wasserstellen verbauen. Die Großgrundbesitzer sind den Farmern sowohl an Ausrüstung wie an Männern überlegen und drohen mit Vertreibung. Es kommt ein Held in weißer Rüstung und tritt für die Farmer ein. Die Bösen werden ihrer gerechten Strafe zugeführt, der Held wird verletzt und reitet davon. Entkleidet man das Handlungsgerüst seiner diversen Tricks und Kniffe, bleibt nicht viel mehr als diese Kerngeschichte aller Legenden und Sagen. Doch wissen Autor und Regisseur viel zu genau, daß es damit – wir schreiben das Jahr 1953 und spätestens mit HIGH NOON aus dem Vorjahr war bewiesen, daß der Western „mehr“ kann, als „nur“ unterhalten – bei Weitem nicht getan ist. Inhaltlich wie formal muß alles so eingekleidet werden, daß es den Zuschauer überwältigt. So richten sie es ein, daß die gesamte Geschichte durch die Augen eines Kindes erzählt wird, was perspektivisch interessante Möglichkeiten eröffnet, nicht zuletzt die, durch Kindesmund Unerhörtes aussprechen zu lassen.  Der eigentliche Clou aber ist, eine Fabel-Gestalt, einen Messias, einen Mann vom Berge in einem übernatürlich weißen, sauberen und extrem künstlich wirkenden Trapperkostüm in eine Umgebung zu setzen, die erstaunlich viel Realistik bietet.

Selten zuvor dürfte man eine Stadt im Western gesehen haben, wie sie hier zu sehen ist. Es verwundert nicht, daß Clint Eastwood sich für das Set seines Meisterwerks HIGH PLAINS DRIFTER (1973) auf SHANE berufen hat. Derselbe Clint Eastwood übrigens, der 1985 mit PALE RIDER nicht nur eine astreine Neuverfilmung geliefert hat, sondern zugleich eine rezeptionsgeschichtliche Neuinterpretation des angeblich „besten Western aller Zeiten“. Stevens und seine Set-Designer haben sich da eine Ansiedlung hingestellt, die ausgesprochen realistisch wirkt mit ihren fensterlosen Häusern, der matschigen Straße, improvisierten Laufstegen etc. Ebenso sehen die Farmen, die im Film gezeigt werden, realistisch „unfertig“ aus. Der Zuschauer sieht, daß diese Menschen noch nicht lange da sind, wo sie sind. Womit man beim nächsten Punkt wäre, wo Stevens gängige Westernmythen unterläuft: Klassisch, im idealistischen Western, gehört das Herz der Macher wie des Publikums jenen, die das freie Land lieben, die es nicht begrenzen oder einzäunen wollen, denen ihre Freiheit über alles geht. Shane – von Alan Ladd mit der ihm ganz eigenen Lakonie gespielt – stammt im Grunde aus jener Zeit, als die Großgrundbesitzer die Herren des Landes waren. Und der lokale Bösewicht – Rufus Ryker (Emile Meyer) – sagt das auch offen zu Shane: Die Zeit für Männer wie sie sei vorbei. Ryker, der mit seinem Bart wirkt wie ein Spätabkömmling der Mayflower-Puritaner und somit als Figur einer ganz anderen Zeit markiert ist, wird vom Buch mit genügend Psychologie ausgestattet, um sich dem Farmer Joe Starrett (Van Heflin) gegenüber derart zu äußern, daß er das Wasser brauche, daß die Farmer ihm seine Lebensgrundlage nähmen, daß er zuerst dagewesen sei. Er geht sogar so weit, den Farmern wiederholt Jobs anzubieten. Man kann also sagen, daß der objektive Film es sich keineswegs einfach macht, sondern einen wirklichen Konflikt zeigt, in dem Starrett als relativ halsstarrig dargestellt wird, der wenig Mitgefühl mit den Anliegen seines Widersachers zeigt. Der, so Starrett, sei auch nicht der erste auf dem Land gewesen und habe es seinerseits wem weggenommen und so weiter ad infinitum – womit ein amerikanisches Gesetz (des Stärkeren) nicht nur definiert wäre, sondern positiv etabliert.

Auf der psychologischen Ebene ist SHANE ein durch und durch erwachsener Film. Die Annäherung zwischen Shane und Marion Starrett (Jean Arthur) spielt der Film nie aus, sondern lässt alles in Blicken, Andeutungen, nahezu minimalistischen Gesten aufgehen. Denen, die die Blicke zwischen Martha und Ethan in John Fords THE SEARCHERS (1956) schon nicht als angedeutete Liebelei akzeptieren wollen, wird diese Ebene hier vollends entgehen, denn Stevens verlässt sich wirklich darauf, daß ein erwachsenes Publikum diese Blicke, Gesten und Andeutungen auch versteht. So, wie Buch und Regie auch darauf vertrauen, daß das Publikum begreift, wieso Starrett dem Treiben scheinbar gleichgültig beiwohnt. Stevens baut ein enges Geflecht aus psychologischen Abhängigkeiten und Verbindungen, Beziehungen, die zu lösen nicht einfach wäre. Er versteht seine Figuren, versteht deren Stolz ebenso, wie die Dummheit, die aus diesem Stolz entsteht. Er versteht, wieso es so dringend geboten ist, daß die Siedler zusammenbleiben und nicht einzelne sich absetzen: Das sich mit schneebedeckten Spitzen in der Ferne dräuend vom Horizont abhebende Bergmassiv verdeutlicht uns subtil, was es bedeuten kann, in dieser Wildnis mit dem Winter konfrontiert zu werden. Ryker hingegen – auch da ist der Film psychologisch genau – ist da anders, als Kapitalist in Reinkultur: Wenn es darum geht, sich schmutzig zu machen, verläßt er sich nicht auf seine Brüder oder Angestellten, sondern er heuert sich die richtigen Leute dafür eben an, hier in der Gestalt des Profischützen Wilson (Jack Palance). Ryker ist dabei sehr darauf bedacht, daß dieser dafür sorgt, sich immer in Notwehr seiner Waffen zu bedienen. Alles muß seine Ordnung haben, zumindest formal legalistisch sein. Die neue Zeit geht also auch an jenen nicht spurlos vorüber, sie wissen, daß sie nicht mehr in ihr zuhause sind.

Der eigentlich brillante Kunstgriff des Films ist die Wahl der Perspektive: Wir sehen in den ersten Einstellungen mit Joeys Augen, wie sich vor dem gewaltigen Panorama der Berge Wyomings die Gestalt des Reiters in der scheinbar weißen, gleißenden Montur nähert. Seine ersten Worte des Films richtet Shane an den Jungen, läßt ihn wissen, daß er wisse, wie genau der ihn beobachtet habe. Shane stellt sich von allem Anfang an mit Joey auf eine Stufe…oder vice versa? Joey ist der einzige, der in Shane vom ersten Moment an das Besondere, das Heldische, den Ritter sieht. Diesen erkennen kann. Und auch da greift die psychologische Perspektive des Films im Blick auf eine kindliche Psyche. Nur ein „unschuldiges“ Kind kann – und vor allem: DARF – einen Fremden so sehen und sich dann herausnehmen, dies sogar auszusprechen. Die Schlägerei, die Shane mit Rykers Leuten im Warenhaus anzettelt, mag die Allianz zwischen Starrett und Shane, die während der  Rodung vor Starretts Haus begonnen hatte, vollenden – doch der sonst so besonnene Shane provoziert die Auseinandersetzung. Das Motiv wird bei Joey zu suchen sein – der nämlich darf seinen Glauben an Shane nicht verlieren. Das verlangt die Narration. Verlieren die Kinder den Glauben an die Helden und deren Strahlkraft, dann ist die Zeit der Helden endgültig vorbei. Und die Kindheit. „Mother wants you!“ brüllt Joey in der Originalfassung hinter dem in der Dämmerung verblassenden Shane her – dieses Kind versteht zu viel in einem harten Land, einem harten Leben. Davor wird ihn der Held nicht schützen können. Wie ein Geist – den Eastwood aus ihm macht – oder eine Traumgestalt – die die Literatur oft in ihm sehen wollte – entschwindet Shane aus dem Film und der realistischen Welt der Farmer. Seine Mission ist erfüllt, auch andere brauchen Hilfe, so seine Aussage gegenüber Joey. Shane übergibt diese Lektionen an einen in die Erwachsenenwelt, die psychologische Welt, eintretenden Jungen. Obwohl Shane im Auftreten wie seiner Kleidung eigentlich eine Figur aus den Zeiten ist, da ein Tom Mix den Western definierte: Schwarz und weiß – Gut und Böse, wird auch er momentweise psychologisch gedeutet: Zweimal zu Beginn des Films lassen Geräusche ihn herumfahren und den Colt ziehen. Natürlich braucht es dieser Beweise seiner außergewöhnlichen Schnelligkeit, diese jedoch mit Angst zu kombinieren, ist ungewöhnlich. Shane als Mensch.

Shane als Messias, Shane als Engel, Shane als Märtyrer – Shane auf jeden Fall christlich konnotiert. Seit Erscheinen des Films setzten sich die Filmkritiker und -wissenschaftler damit auseinander, wie man dieses seltsame Gemisch aus Hyperrealismus und Mythos zu deuten habe. Man kann der Inszenierung jedenfalls nicht absprechen, es auf diese Interpretation anzulegen. Wollte man Shanes Verängstigung bei Joeys Spielerei mit seinem Gewehr eingangs des Films heranziehen, zudem bedenken, daß Shane Wilson offenbar kennt, könnte man der ‚Märtyrer-These‘ zustimmen: Hier scheint wer schwere Buße leisten zu müssen. Dann wieder betrachtet man sich die bildliche Verschränkung seiner Figur mit den aufragenden, entrückt erscheinenden Bergen, betrachtet Shanes Outfit, spürt seine Aura, und es drängt sich eben doch die Idee auf, daß er sehr wohl und sehr bewußt als eine Messias-Figur inszeniert wurde. Oder als Engel? Schutz- oder gar Racheengel?

So oder so verweist die Figur deutlich in das Reich des Mythischen. Diese Komposition – inhaltlich, formal wie metatextuell – ist für einen Western der 50er Jahre sicherlich schon außergewöhnlich. Aber so, wie Stevens inszeniert, ist es eben auch prätentiös. Es wurde häufig gesagt, man kann es dennoch wiederholen: Der Film ist sich auf jedem Millimeter Zelluloid, jede Sekunde seiner Dauer bewußt, etwas Wichtiges zu sagen zu haben, ja, wichtig  zu sein. Und diese Zurschaustellung der eigenen Wichtigkeit nimmt ihm viel von einer möglichen Spannung. Wir wissen sowieso, daß Shane gegen Ryker und dessen Männer antreten wird, wir wissen nur nicht, wie genau es ausgehen wird. Daß Shane Starrett die Frau wegnimmt –  wir können es uns nicht vorstellen, denn dazu ist Shane einfach zu „gut“. Außerdem – Märtyrerthese – muß er ja sowieso Buße leisten, da kann er sich unmöglich darauf einlassen, einem andern, den er auch noch respektiert, die Frau abspenstig zu machen. All dies bedenken wir, während wir der in mäßigem Tempo erzählten Handlung folgen. Und wir bedenken, was den Film eigentlich so bedeutsam macht. Es sind schon die grandiosen Landschaftsaufnahmen, die Schönheit, die hier eingefangen wird, ist atemberaubend. Wir verstehen, wieso man dieses Land besiedeln will, wir begreifen die Weite und denken: Dort ist Platz für alle! Wir lassen den Blick schweifen, wie die Kamera schweift und versenken ihn in der Tiefe. Es ist Gottes eigenes Land. Und Gott scheint hier nah. Sehr nah.

Im Grunde also ist alles richtig an diesem Film. Zu richtig, vielleicht. Er erobert nicht die Herzen, wie es HIGH NOON konnte und er fordert auch nicht zu einer intensiven und kontroversen Auseinandersetzung heraus, wie es ein Film wie Fords THE SEARCHERS tat. Vielleicht ist SHANE ein Beispiel für Kunst, die sich zu sicher ist, Kunst, die sich für schlauer als ihr Publikum hält. Man mag staunen, wenn man das sieht, aber man wird sich kaum darin verlieren und wiederfinden und Herzensbindung aufbauen. SHANE kommt das Verdienst zu –  mehr als viele Filme seiner Zeit generell, seines Genres allemal – unter Beweis zu stellen, was eigentlich möglich ist, wenn man den Western nutzt, um an seinem Gerüst über das Medium selbst, das Erzählen, den Mythos und sein Entstehen nachzudenken. Dafür muß man ihm natürlich Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Zudem ist es – in den Bildern – einer der schönsten Western, die es gibt, wofür ihm ebenfalls Respekt zu zollen ist.

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