SPOTLIGHT

Tom McCarthy liefert einen hervorragenden Beitrag zu dem nicht existenten Genre des Journalistenfilms

Boston 2001. Marty Baron (Liev Schreiber) wird der neue Chefredakteur des Boston Globe. Als Auswärtiger kennt er weder die Gepflogenheiten der Stadt, noch die der Redaktion. Er wird auf einen kurzen Artikel im eigenen Blatt aufmerksam, in dem ein Priester der katholischen Kirche des sexuellen Mißbrauchs an Kindern verdächtigt und desweiteren angedeutet wird, daß der Kardinal von Boston, Bernard Law (Len Cariou), davon wusste, den Vorgang jedoch vertuschte.

Das hausinterne Investigativteam von Spotlight unter der Leitung von Walter „Robby“ Robinson (Michael Keaton) wird von Baron auf den Fall angesetzt. Sie sollen herausfinden, ob sich mehr hinter der Story verbirgt, möglicherweise ein System an Mißbrauch und Vertuschung. So legen Robinson, Michael Rezendes (Mark Ruffalo), Sacha Pfeiffer (Rachel McAdams) und Matt Carroll (Brian d´Arcy James) mit ihren Recherchen los.

Sie stoßen dabei auf den Anwalt Michael Garabedian (Stanley Tucci), der einige Opfer vertritt und ihnen nach anfänglichem Zögern Kontakte vermittelt, zunächst aber skeptisch gegenüber der Arbeit der Zeitung bleibt. Auch der Anwalt Eric MacLeish (Billy Crudup), der einst für die Kirche Vergleiche mit Opfern ausgehandelt hatte, gibt sich höflich und bedingt hilfsbereit, lässt gegenüber Robinson und Pfeiffer jedoch mehrfach anklingen, daß er sich nicht viel von ihren Untersuchungen verspricht.

Baron seinerseits wird nicht nur vom ihm unterstellten Redakteur Ben Bradlee Jr. (John Slattery), der hauptverantwortlich für Spotlight ist, darauf verwiesen, daß sich der Globe mit einer solchen Geschichte wenig Freunde macht, sondern auch vom Kardinal höchstpersönlich, bei dem er zu einem Nachmittagstee eingeladen ist. Eine Stadt wie Boston sei ein enges Geflecht aus Netzwerken und ineinander verzahnten Institutionen, die besser zusammenarbeiten sollten, denn gegeneinander.Doch Baron bleibt unbeirrt.

Nach und nach decken die vier Journalisten von Spotlight ein System von Mißbrauch  und Vertuschung auf. Auffällig gewordene Priester wurden häufig versetzt, teilweise in sogenannten Hilfszentren untergebracht, wie Matt Carroll eines in seiner direkten Nachbarschaft entdeckt. Zugleich ließ die Kirche offenbar sogar staatsanwaltliche Akten verschwinden, obwohl diese als offizielle Beweisstücke gelten. Durch den Kontakt zu einem Ex-Priester, der mittlerweile seit nahezu 30 Jahren wissenschaftlich über Mißbrauch in der katholischen Kirche forscht, wird ihnen klar, daß sie einer weitaus größeren Sache auf der Spur sind, als sie dachten. Allein in Boston könnten nicht die von ihnen angenommenen 13, sondern bis zu 90 Priester betroffen sein.

Als im September 2001 die Flugzeuge ins World Trade Center einschlagen, muß auch der Boston Globe zunächst alle anderen Recherchen einstellen. Rezendes wird sogar nach Florida geschickt, um an einer der Flugschulen zu recherchieren, an denen die Attentäter einst Flugstunden nahmen. Gerade in der Woche, in der er im Süden ist, wird am Gericht in Boston darüber entschieden, ob die betreffenden Unterlagen, die der Globe zum Fall des Mißbrauchs einsehen will und deren Freigabe er eingeklagt hat, wirklich freigegeben werden.

Da dies der Fall ist, bekommt Rezendes das Ok von Robinson, seine Untersuchungen in Florida einzustellen und umgehend zurück zu kehren, um als erster – mittlerweile hat auch der Boston Herald von der Mißbrauchsgeschichte Wind bekommen – die Akten zu begutachten. Aus diesen geht hervor, daß Kardinal Law selbst wusste, was vorgeht und er maßgeblich in die Vertuschung der Fälle eingebunden war.

Die Journalisten merken aber auch, daß der Globe bereits Jahre zuvor im Grunde alle nötigen Unterlagen besaß. Sowohl Anwalt Garabedian, als auch MacLeish hatten die Zeitung auf die Vorgänge hingewiesen und zudem notwendige Dokumente geschickt. Schlimmer allerdings wiegt die Tatsache, daß auch die Unterlagen von Phil Saviano (Neal Huff), Gründer und Leiter einer Selbsthilfegruppe Betroffener, im Archiv vorhanden waren. Offensichtlich hat sich auch der Boston Globe beizeiten wenig um die Geschichte bemüht. Robinson muß zudem gegenwärtigen, daß er selber damals für Lokales verantwortlich war und also unter seiner Leitung die Dringlichkeit und Brisanz des Themas nicht erkannt wurden.

Er bittet seinen Freund Jim Sullivan (Jamey Sheridan) darum, ihm die Liste der 87 Priester, für die im Bistum Boston einst Vergleiche mit Opfern geschlossen wurden, um den Skandal zu deckeln, zu bestätigen. Sullivan macht Robinson schwere Vorwürfe. Der spiele sich auf und mißachte die Art und Weise, wie die Dinge in einer Stadt wie Boston geregelt würden. Die Kirche sei wichtig für die Menschen, gerade in Zeiten wie diesen, in denen das Land sich in Gefahr befinde. Dennoch bestätigt er schließlich die Vorgänge und dient damit als geheime Quelle für die Ermittlungen.

Anfang 2002 wird die Story schließlich exklusiv als Spotlight-Recherche gedruckt. Als das Team am Morgen der Veröffentlichung in die Redaktion kommt, beginnt ein unglaublicher Telefonmarathon. In kürzester Zeit melden sich etliche Opfer priesterlichen Mißbrauchs.

In einigen Schrifttafeln wird dem Publikum mitgeteilt, wie sich der Skandal ausweitete, daß an die 600 Artikel zum Thema allein im Globe erschienen und schließlich werden in einer Liste weltweit die Orte aufgeführt, an denen Mißbrauch durch katholische Priester aufgedeckt wurde.

Mit der Definition von einzelnen Genres sollte man immer vorsichtig sein, da sie nur in den seltensten Fällen eindeutig zu bestimmen sind. Der Western und der Horrorfilm mögen recht klar umrissen werden können, doch auch hier gibt es Ausfransungen, Überschneidungen, Zusammenwüchse mit anderen Gattungen. Eein offizielles Genre des Journalisten- oder Reporterfilms gibt es nicht, meist werden diese Werke dem Politthriller zugeordnet, bilden hier allenfalls eine Subkategorie. Dabei gibt es seit frühesten Zeiten in der Geschichte Hollywoods Filme, die sich dezidiert mit der Profession des Reporters beschäftigen, von Lewis Milestones THE FRONT PAGE (1931), offiziell eine Komödie, über Billy Wilders ACE IN THE HOLE (1951), ein Drama mit Zügen eines ‚Film Noir‘-Thrillers, bis hin zu Alan J. Pakulas ALL THE PRESIDENT´S MEN (1976), der sich mit der Watergate-Affäre befasste und eindeutig ein Politthriller ist. In jüngerer Zeit befasste sich unter anderem Steven Spielberg in THE POST (2017) erneut mit dem Thema Journalismus, wenn auch mehr von der verlegerischen Seite und mit eindeutigen Anleihen eines Emanzipationsdramas.

Zwischen all diesen Werken fügt sich Tom McCarthys SPOTLIGHT (2015) perfekt ein. Es ist eine Bearbeitung jenes Skandals, der um die Jahrtausendwende Boston erschütterte, als der Boston Globe einen massiven Skandal in der katholischen Kirche aufdeckte. Jahrelang hatten in und um Boston herum Priester der Kirche Kinder und Jugendliche sexuell mißbraucht und waren von oberster Stelle – u.a. dem Kardinal Bernhard Law – gedeckt worden. Das Team von Spotlight, einer reinen Investigativabteilung innerhalb der Redaktion des Globe wird vom neuen Chefredakteur beauftragt, dem Fall nachzugehen und stößt in der von der katholischen Kirche mitgeprägten Stadt nicht nur auf Bedenken, sondern auch auf massiven Widerstand. Es gelingt McCarthy, der gemeinsam mit Josh Singer, seinerseits verantwortlich für das Script zu THE POST, das Drehbuch geschrieben hat, in einer weitgehend ruhigen Inszenierung, unterstützt von den manchmal distanzierten, dann wieder intensiv nahen Bildern von Kameramann Masanobu Takayanagi, die Arbeit der Journalisten ebenso glaubwürdig zu vermitteln, wie er den Schmerz der Opfer, die Erschütterung über das Geschehene, spürbar macht.

Natürlich verzichtet McCarthy nicht auf jene Eindrücke, die fast schon zu Stereotypen eines nicht existenten Genres geronnen sind: Die Hektik einer Redaktion, die Bescher und Tassen, die überall herumstehen, die übervollen Schreibtische, die Treffen an Snack- und Kaffeeautomaten, die ewigen Telefonate, die Verzweiflung, wenn die Recherchen scheinbar zu nichts führen, die Opfer, die sich verlassen fühlen, die Anspannung und plötzliche Aktion, wenn neue Erkenntnisse alle Beteiligten zu großer Eile treiben. Bis zu einem gewissen Grade erwartet der Zuschauer genau diese Momente, wie er in einem Western erwartet, daß es Pferde, Colts und Hüte gibt. Doch umgeht McCarthy auch jene Fallen, die immer in der Mottenkiste des Klischees lauern. So wird keiner aus dem Rechercheteam von dunklen Mächten bedroht, persönliche Verwicklung – einer der Journalisten lebt in unmittelbarer Nähe eines jener Erholungs-  und Behandlungszentren, in denen auffällig gewordene Priester untergebracht sind – wird dezent angedeutet, Schuld bei jenen, die wohl Bescheid wussten, zwar benannt, jedoch eher hintergründig verhandelt. So gelingt es McCarthy, viel Wesentlicheres auszustellen, als vordergründig spannende Verwicklungen.

Die Verwicklungen gesellschaftlicher Institutionen in einer vergleichsweise kleinen, allerdings sehr reichen Stadt, der untergründig anklingende Antisemitismus – der neue Chefredakteur Marty Baron ist jüdischen Glaubens – , die Schwierigkeit, seinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, wenn persönliche Freundschaften auf dem Spiel stehen und nicht zuletzt die Erkenntnis, an entscheidender Stelle versagt zu haben – all dies sind Themen, die SPOTLIGHT ruhig, glaubhaft und nachvollziehbar behandelt, ohne übermäßig zu dramatisieren oder gar ins Melodrama abzudriften. So wird die Reibung, der ein Journalist in einer Stadt ausgesetzt ist, in der er aufwuchs, die eng vernetzt ist, deren Elite sich oft schon aus Schule und Studium kennt, deutlich nachvollziehbar. Gerade in der Figur von Walter „Robby“ Robinson, den Michael Keaton in einer weiteren Glanzleistung seiner an solchen nicht gerade armen Karriere brillant, weil zurückhaltend, spielt, wird dieser Konflikt offenbar. SPOTLIGHT wird damit – und da ist man wieder bei der Frage, wie man ein Genre eigentlich genau festlegen sollte – eben auch zu einem Gesellschaftsportrait. Einem schmerzlich treffenden Gesellschaftsportrait.

Natürlich ist der Film aber auch spannend. Ein Problem von Filmen, gerade Politthrillern, die auf „wahren Begebenheiten“ beruhen, ist die Tatsache, daß das Publikum ja meist weiß, wie das Ganze schließlich ausgeht. Im Falle von SPOTLIGHT lag der Skandal zudem – ein Schicksal, das er mit ALL THE PRESIDENT´S MEN teilt – nicht weit genug zurück, als daß man die Details bereits vergessen hätte. Zumal die Recherchen des Boston Globe lange und weitreichende Folgen zeitigten, deren Auswirkungen teilweise noch heute spürbar sind. Umso größer das Verdienst von Buch und Regie, daß der Film Spannung erzeugt. Wesentlich dafür verantwortlich ist sicher das Ensemble, das McCarthy zur Verfügung steht. Neben dem bereits erwähnten Michael Keaton gehören Mark Ruffalo, Rachel McAdams, Liev Schreiber dazu, die in einem Werk ohne klare Hauptrollen die führenden Figuren spielen. Doch auch in den Nebenrollen ist der Film mit Darstellern wie Billy Crudup, Jamey Sheridan oder John Slattery hervorragend besetzt.

Es verwundert also nicht, daß der Film für immerhin sechs Oscars nominiert wurde, gewonnen hat er zwei der renommiertesten: Für den besten Film und für das beste Originaldrehbuch. Verdient gehabt hätte er sicherlich auch jene für die beste Regie und den besten Schnitt. Rachel McAdams und Mark Ruffalo, die beide als beste Nebendarsteller nominiert waren, aus dem Ensemble herauszuheben, wäre allerdings unfair gewesen. Nicht umsonst bekam der Film bei den Critics Choice Movie Awards 2016 den seit 2002 existierenden Preis für das beste Schauspielerensemble.

Tom McCarthy ist ein im besten Sinne des Wortes altmodischer, vielleicht sogar konservativer Film gelungen, der journalistisches Ethos hochhält, einen Skandal anprangert, den Schmerz spürbar werden lässt, der hier ausgelöst wurde und sich dennoch davor hütet, mit erhobenem Zeigefinger moralische Anweisungen zu geben. Er zeigt Menschen bei der Arbeit, er zeigt, daß diese Arbeit nicht möglich ist, wenn man sich von seinem Thema nicht berühren lässt und zugleich scheut er sich nicht, die Härten und Verhärtungen zu verdeutlichen, die die amerikanische Gesellschaft gerade heute prägen, ohne dabei je plakativ zu werden. Ein gutes Beispiel dafür, daß Hollywood auch Relevantes zur gesellschaftlichen Entwicklung beitragen kann. Und ein höchst würdevoller Beitrag zu einem Genre, das es gar nicht gibt.

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