VERBORGEN/THE HIDDEN

Manchmal ist der böse Klappentext schuld…der in diesem Falle verhieß, es laut dem ‚Observer‘ nicht nur mit einem „wunderbar komponierten Thriller“ zu tun zu haben, sondern auch mit einem der „besten Romane über unser Zeitalter des Terrors“. Umso besser, denkt sich der politisch und gesellschaftlich interessierte Leser von Spannungsliteratur, da schlage ich doch gleich zwei Fliegen mit einer Klappe! Nicht nur wird man – und das auch noch literarisch! – bestens unterhalten, sondern zugleich befriedigt man seinen Hunger nach Auseinandersetzung mit den großen Themen unserer Zeit. Heureka! 415 Seiten später sitzt man leicht verdutzt da und fragt sich, was denn das jetzt war?

Wir folgen dem Passionsweg des englischen Archäologen Ben Mercer, der aus einem dunklen, nicht näher erläuterten Grund seine Heimat verlassen hat, wo er seine Tochter und seine Exfrau zurücklässt. Letztere hat ein Verhältnis mit seinem ehemaligen Professor, was zu Mercers vermeintlicher Demütigung beiträgt. In Athen trifft er auf einen alten Kommilitonen, den Deutschen Eberhard, von dem er von Ausgrabungen in Sparta erfährt. So macht Mercer sich auf nach Sparta, auch und vor allem, weil seine nie beendete Doktorarbeit die geheimnisvolle, mythenumrankte weil wenig erforschte Stadt an der Südspitze des griechischen Festlands behandelte. Unterbrochen von Auszügen aus eben dieser Doktorarbeit, die nach Jahren des Stillstands von ihrem Verfasser während seiner Zeit in Sparta wieder aufgenommen und weitergeführt wird, wenn auch anders, als ursprünglich gedacht, berichtet uns THE HIDDEN (Originaltitel) von Mercers Begegnung mit einer seltsam anmutenden Gruppe von Wissenschaftlern, einheimischen Angestellten und institutionellen Vertretern, die ihn zunächst massiv verunsichern, bis er sich in einigen zufälligen und dann auch gewollten Ereignissen beweisen kann, wodurch die Gruppe ihn aufnimmt und in einige ihrer Geheimnisse einweiht. Er beginnt eine Affäre mit einer japanischen Kollegin, wird von seiner Chefin umschmeichelt und immer wieder mit Hinweisen konfrontiert, daß die Gruppe noch ganz anderes umtreibt, als die Archäologie. Allerdings begreift Mercer viel, viel zu spät, daß die Kenntnis dieser Geheimnisse sein und das Leben aller ihn Umgebenden nachhaltig und für immer verändern wird…

Es will ein Thriller sein, also soll man nichts verraten. Das zu befolgen ist ehernes Gesetz. Doch soviel darf dann doch angedeutet werden: Wenn man ein Publikum, einen Leser, einen Rezipienten fesseln will, sollte man irgendwann eine Handlung in Gang setzen. Introspektion taugt für Weltliteratur, nur selten taugt sie, um uns in nervenaufreibenden nächtlichen Lektüresitzungen zu bannen. Hier wird viel geraunt und angedeutet, im Grunde nichts je erklärt oder ausgearbeitet, was an sich kein Fehler sein muß, darf eine gute Geschichte doch ruhig ihren Anteil an Geheimnis bewahren, darf ein kluger Roman den Leser einbinden und Mit- wie Nachdenken einfordern. Doch sollte sich ein Text, bevor er veröffentlicht wird, mit sich selber in einen Dialog treten, was eigentlich er sein will? Sicher, die Größten sind in der Lage, aus Krimis Weltliteratur zu formen, aber auch das sei verraten: Tobias Hill ist definitiv nicht Dostojewski.

So mäandert dies zwischen selbstmitleidiger Eigenzerfleischung eines uns fremdbleibenden Protagonisten, der die dunkleren Seiten seines Wesens ganz offenbar auch vor sich selbst versteckt, einer Liebesgeschichte, die nie so recht in Gang kommen mag und selbst, als sie es dann wohl ist, dem Leser nie nah kommt, nie fesselt, bangen macht oder gar sehnsüchtig, einem Gruppenportrait mit Spannungsbeilage, die allerdings so im Ungefähren bleibt, daß „Thriller“ dran zu pappen schon als reiner Verkaufsanreiz zu betrachten ist, und schließlich, in seinen, fast muß man sagen: besten Momenten, einer flott geschriebenen und durchaus fesselnden Abhandlung über Sparta, seine Geschichte, soweit bekannt, die Mythen und Legenden, die es umranken und schließlich einer Rezeptionsgeschichte, die generell Interesse an der Geschichte des Wissens erwecken kann. Vielleicht hätte der Autor es dabei bewenden lassen sollen?

Man bleibt etwas ratlos zurück mit einem Ende, das zwangsläufig erscheint, nicht nur, weil die ganze Narration darauf hinläuft, sondern mehr noch, weil das Denken des Autors am Ende der Lektüre gar nicht anders zu funktionieren scheinen kann, als genau so, wie es dann kommt. Der eigentliche Vorwurf – und es ist ein für einen Thriller tödlicher, sorry – lautet: Langeweile. Das Buch fängt irgendwo in der Mitte, vielleicht etwas früher, kaum später, an zu langweilen. Wenn man seinen Lesern nichts bietet als Personen, über die man nichts erfährt, zugleich eine Atmosphäre steter Bedrohlichkeit zu kreieren versucht (und nicht nur versucht, es gelingt Hill durchaus), dann aber scheinbar nie einen Schritt, schon gar nicht denn entscheidenden, weiter geht, entsteht Verdruss. Da muß die Atmosphäre und die Art, wie sie erzeugt wird, schon außergewöhnlich sein, da müssen die Figuren schon fesseln, muß sich hinter viel Nebel und Ornament etwas Substanzielles abzeichnen und dieses Erkennen muß auch gefüttert werden – doch all dies ist hier nicht der Fall. Es erscheint, als habe der Autor uns ein wenig redundant mitteilen wollen, daß wir in Zeiten Leben, in denen „Terror“ zu definieren kaum möglich erscheint, weil seine Ziele nicht nur austauschbar erscheinen, sondern nahezu inkonsistent. Doch wird er zum Selbstzweck, ziellos, was ist es dann? Noch Terror? Eine an sich spannende Frage, auf deren Antwort man nicht in diesem Text hoffen sollte.

Dagegen die Spartaner, wie der Mythos sie uns schildert: Entschlossen und zielgerichtet, brutal und in ihrer Brutalität funktional bis zur Selbstaufgabe. An Insektenstaaten erinnern die deterministisch argumentierenden Einlassungen in Mercers Dissertation, die von Heloten und Hopliten künden und eine Sehnsucht nach Klarheit und Eindeutigkeit zum Ausdruck bringen, die Mercer in der Flucht vor einer unsagbaren Schuld in die karge Landschaft Lakoniens treibt. Klar sehen, durchblicken, erkennen – und doch bleibt hier alles „verborgen“. Zuviel, wie der Leser zu spät feststellt. Und dann sind sie um, diese 415 Seiten und es bleibt ein Gefühl zurück, wie wenn man zu viel Fast Food in sich hineingestopft hat: Leere und heiße Luft.

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