DIE LADY VON SHANGHAI/THE LADY FROM SHANGHAI

Orson Welles´ zu seiner Zeit verkanntes Meisterwerk

Michael O´Hara (Orson Welles) verhindert den Überfall auf eine ihm fremde Frau im Central Park. So lernt er Elsa Bannister (Rita Hayworth) kennen, die mit dem bekannnten Anwalt Arthur Bannister (Everett Sloane) verheiratet ist. Dieser bittet O´Hara, der sich als Matrose verdingt, auf seiner Jacht einen Turn von New York nach San Fransisco zu begleiten. Natürlich hat Bannister längst begriffen, welche Anziehung O´Hara und Elsa aufeinander ausüben. An Bord der „Circe“ entspannt sich ein kompliziertes und komplexes Geflecht aus Begehren und Begehrlichkeiten. O`Hara verfällt zusehends Elsa, die ein Geheimnis umgibt, das mit ihrer Vergangenheit in Shanghai zu tun hat. Er erfährt, daß Bannister und Elsa einander mehr hassen denn lieben und sie ihn nur geheiratet hat, weil er ihr Geheimnis kennt und gegen sie auszuspielen versteht. Sie gehört praktisch ihm, der durch eine Krankheit kaum des Gehens fähig und offensichtlich impotent ist. Die Situation verschärft sich, als Bannisters Geschäftspartner George Grisby (Glenn Anders) an Bord kommt, der seinerseits Elsa schon lange verfallen ist, jedoch keine Chance zu haben scheint, ihr je auch nur nah zu kommen. Zwischen Elsa und O´Hara kommt es zu Intimitäten, die Grisby auch sofort bemerkt. Elsa macht O´Hara aber klar, daß sie auf ihren Lebenstil nicht verzichten wolle und eine Trennung von Bannister nicht in Frage komme. Bei einem Landgang fragt Grisby O´Hara, ob der für ihn einen Mord begehen wolle? O´Hara, so wurde bereits deutlich, hat im Krieg getötet. Grisby möchte selber das Opfer sein. Nach und nach entpuppt er seinen Plan: Er wolle verschwinden, wofür es das beste sei, für tot erklärt zu werden. So müsse O´Hara sich als Mörder ausgeben, damit der Tod bestätigt würde, zugleich könne er aber nicht als Mörder verurteilt werden, solange keine Leiche aufzufinden sei. O´Hara willigt ein, doch wird das Komplott von Sidney Broome (Ted de Corsia) durchkreuzt. Bannisters „Mädchen für alles“ glaubt, daß Grisby Bannister töten will, wird selber von Bannisters Partner erschossen, kann sterbend aber Elsa noch warnen. O´Hara erfüllt seinen Teil der Abmachung, als Grisby dann schließlich doch tot aus dem Meer gefischt wird, wird er allerdigns als geständiger Mörder verhaftet. Elsa besucht ihn im Gefängnis und bietet ihm an, daß ihr Mann ihn verteidigen könne. Der hat aber vor, zum ersten Mal im Leben einen Fall zu verlieren und O´Hara so ans Messer zu liefern. O´Hara gelingt die Flucht aus dem Gerichtssaal, allerdings hat er zuvor – in Selbsttötungsabsicht? – eine Handvoll Schlaftabletten genommen. Er entkommt, Elsa folgt ihm nach Chinatown, wo sie ihm anbietet, ihm zu helfen. Doch als er in ihrer Handtasche einen Revolver entdeckt, begreift O´Hara, daß er nur der Sündenbock in einem bösen Spiel gewesen ist: Grisby und Elsa wollten Bannister tatsächlich töten, gemeinsam dessen Erbe aufteilen und verschwinden; als Elsa merkte, daß Broome ihr auf der Spur ist, tötete sie Grisby, um die Verbindung zu sich selbst zu verwischen. Die Tablettten wirken, O´Hara verliert das Bewußtsein und kommt in einem Spiegelkabinett in einem Vergnügungspark wieder zu sich, wo es zur finalen Auseinandersetzung zwischen Bannister und Elsa kommt, die gegenseitig auf ihre Spiegelbilder schießen. Beide werden schließlich getroffen, Bannister stribt, nicht ohne Elsa wissen zu lassen, daß die Staatsanwaltschaft über ihre Geheimnisse unterichtet ist und O´Hara von allen Verdachtsmomenten entlastet wurde. Die schwer verletzte Elsa ruft mit schwächer werdender Stimme dem in die Nacht entschwindenden O´Hara nach…

Wenn THE KILLERS (1946) die Tragödie, OUT OF THE PAST (1947) das Melodrama und DOUBLE INDEMNITY (1944) das garstige kleine Traktat des ‚Film Noir‘ sind, dann ist THE LADY FROM SHANGHAI (1947) möglicherweise der Philosoph des Genres. Selten wurde in Hollywoods Aktionskino, im Thriller oder einem Kriminalstück derart selbstreflexiv dialogisiert, wie in Welles´ Werk nach eigenem Script.

Es sind jene letzten Minuten im Spiegelkabinett, die THE LADY FROM SHANGHAI ins Pantheon jener wenigen Filme hat aufsteigen lassen, die Ewigkeitswert für sich beanspruchen dürfen. Dabei wird allerdings allzu häufig vergessen, was Welles und die Kameramänner Charles Lawton jr. und Rudolph Maté in den davor liegenden ca. 80 Minuten an Bildern, fotografischen Einfällen und Ideen zur Mise-en-Scène liefern und die den Film ebenfalls schon außergewöhnlich machen. Eine enorm bewegliche Kamera und extreme Aufnahmewinkel, Welles schon gewohnte Spiele mit Tiefenschärfe, die Räume und Räumlichkeiten, die die Kamera vermisst, vor allem aber, wie sie sie vermisst – hier liegt ein kleines Wunderwerk formaler Filmkunst vor. Selten wurden bspw. seelische Deformation und ein monströses Ego so perfekt symbolisiert, wie durch jene sich perspektivisch und in der Lichtbrechung mal vergrößernden, mal verkleinernden Fische und Muränen im Aquarium, das Michael O´Hara und Elsa Bannister besuchen. Unheimlich, bizarr und surreal muten diese Einstellungen an, die heftig mit jenen im Vergnügugnspark am Ende des Films korrespondieren, die dann in der Konfrontation im Spiegelkabinett kulminieren.

Kritisiert wurde meist die inhaltliche Ebene des Films, dem zu seiner Zeit kein Erfolg vergönnt war. Die Story mutet klischeehaft an, sie reduziert die Entwicklungen auf ihre symbolische Ebene, sie lässt ununterbrochen Situationen und Momente zu, die eigentlich nicht in einen Abenteuerfilm oder einen Spannungsfilm gehören. Dabei wurde erst Dekaden später erkannt, wie weit Welles über sich und seine Zeit hinauswies. Nicht nur war der Film enorm einflußreich[1], er setzte auch Maßstäbe hinsichtlich seiner eigenen Rezeption – und damit der Rezeption des ‚Film Noir‘ generell – , da er sie in seinen Dialogen bereits anbietet und verarbeitet. Nichts in THE LADY FROM SHANGHAI ist „echt“ in dem Sinne, daß der Film vorgäbe in einer dem Publikum zugänglichen oder auch nur bekannten Realität zu spielen. Schon O´Haras erste Begegnung mit Elsa Bannister ist märchenhaft inszeniert, O´Hara, der die Kutsche kapert, die Kamera, die sich vor Freude ob dieses anarchischen Streichs kaum einkriegen kann und schier auf und ab hüpft zwischen Welles, der hinten auf dem Bock hockt und Hayworth, die in der Kutsche thront. Szenen, wie jene zwischen Grisby und O´Hara, die erstmals aufeinandertreffen, die fast unangenehme Nähe, die die Kamera erzeugt, wenn sie Grisbys Blicke, sein schwitzendes Gesicht in extremer Nahaufnahme zeigt, auch jene, wenn er O´Hara zum Mord an ihm selber anheuern will – das eigentliche Interesse des Films gilt solchen Situationen und diesen Typen. Und der Art, wie sie mit ihren filmischen Vorbildern korrespondieren.

Arthur Bannister, ein Ausbund an Dekadenz und Selbstgerechtigkeit, der meint, sich eben alles kaufen zu können und Elsa, die Frau an seiner Seite, die seine Haltung bestätigt, gnadenlos bis zum bitteren Ende – das ist schon ein tolles Paar, das da auf die Leinwand losgelassen wird. Selten wurden Nihilismus und Zynismus derart genüsslich ausgebreitet, wozu Everett Sloanes Spiel in außergewöhnlichem Maße beiträgt. Dieser Mann ist derart bösartig, daß schon sein Blick gefährlich wirkt. Dagegen fällt Grisby geradezu ab. Sein vermeintlicher Wahn, daß „die Bomben“ nun fielen, wirkt in Anbetracht eines soeben mit zwei Bomben beendeten Krieges nicht unbedingt fehlgeleitet, die grandiose Darstellung durch Glenn Anders lässt hingegen keinen Zweifel aufkommen, daß dieser Mann vollkommen unzurechnungsfähig ist. Doch erst O´Haras Erzählung von den Haien, die er einst beobachten durfte, wie sie sich gegenseitig auffraßen, verdeutlicht, daß man es hier – bei den Reichen, daran lässt der Film keine Zweifel, man hat es hier mit „Stützen der Gesellschaft“, den „oberen Zehntausend“ zu tun – mit der schlimmsten Bigotterie zu tun hat, die man sich nur vorstellen kann. Die Männer glauben, sich alles erlauben zu dürfen, sie „besitzen“ Geld, Macht und damit auch Frauen, sind aber als Männer impotent. Bei Bannister ist das überdeutlich, symbolisieren seine Krücken und sein verkrüppelter Körper doch genau dieses Defizit. Grisby hingegen wird so deutlich vom Wahnsinn gezeichnet gezeigt, daß er zwar als ehrenwerter Vertreter der bürgerlichen Gesellschaft angesehen wird, doch kaum berechenbar wirkt. Seine Impotenz ist seine soziale Untauglichkeit. Wie diese drei – Bannister, Grisby und Elsa – umeinander kreisen, wie sie sich belauern, wie sie jederzeit bereit sind, einander an die Kehlen zu gehen und einander wegzubeißen – Welles, immer Sozialist im Herzen, verpackt neben vielem anderen auch eine klare gesellschaftskritische Pointe in seinem Film: O´Hara ist der klassische Arbeiter, ein Proletarier, der über Bildung verfügt, während vor allem Bannister und Grisby für die verkommenste Bourgeoisie stehen, die sich nur denken lässt. O´Hara betrachtet das Treiben distanziert und dennoch betroffen, da er von dieser Frau besessen ist, ihr vollkommen verfällt.

O´Hara ist der Odysseus, der ein Schiff namens ‚Circe‘ über die Ozeane lenkt, er ist ein Reisender und ein Suchender, er ist ein Naiver, der das, was er sieht, was er wahrnimmt, einzuordnen sucht, er kann die Dinge hinter der Oberfläche erkennen und benennen. Er steht in einer natürlichen Opposition zu den Männern an Bord und daß sie – und auch die Frau – meinen, ihn als Sündenbock nutzen zu können, in be-nutzen zu dürfen, ein(e) jede(r) auf seine oder ihre Art und Weise, zeugt von der maßlosen Arroganz und Verachtung dieser Schicht für den Arbeiter, den „kleinen Mann“, den herkömmlichen ‚common man‘. O´Hara strahlt Tatkraft und eine Haltung aus, er ist ein klarer Geist, ein einfacher Mann, ein Tatmensch, dem die dem Schiff kaum gewachsenen und für eine Bootsfahrt eigentlich auch nicht geschaffenen Herren Bannister und Grisby gegenüberstehen, verkopfte Männer, Männer die ihr Geld – als Anwälte – mit dem Unrecht der anderen verdienen, Männer, die an ihrer eigenen Selbstzufriedenheit und Hybris einzugehen drohen. Man sollte diese Ebene bei aller Betrachtung des Films als Ausdruck reinen Symbolismus´ oder eines entrückten Melos nicht außer Acht lassen. O´Hara sieht früh, was da auf ihn zukommt, auch wenn er das Komplott lange nicht durchschaut. Er lässt sich auf die Fahrt auf der Jacht ein, wissend, daß Bannister ihn durchschaut und seine Affäre mit Elsa in gewisser Weise sogar fördert. Daß Elsa nun ausgerechnet mit Grisby gemeinsame Sache macht, muß man als Ausdruck der ganzen Schlechtigkeit deuten, die dieser Frau zueigen ist. Sie ist es, die letztlich alle gegen alle auszuspielen versucht und erst im allerletzten Moment ihre Gefühle zu entdecken meint – für O´Hara, als niemand sonst mehr da ist.

Elsa, die ganz definitiv Rita Hayworth ist. Sowohl Welles, der zum Zeitpunkt der Dreharbeiten noch mit ihr verheiratet war, als auch die Produzenten von der Columbia wollten, daß ihre Rolle offen mit der in dem ein Jahr zuvor entstandenen und seine Hauptdarstellerin auf ewig zu einer Filmgöttin adelnden GILDA (1946) korrespondierte. Columbia wollte natürlich von Hayworth´ neuem Ruhm partizipieren, Welles hingegen, der zunächst u.a. Ida Lupino für die Rolle favorisiert hatte, wollte das Image seiner Frau dekonstruieren. Die Ähnlichkeiten mit GILDA sind frappant. Hier wie da hat man es mit einer Ménage à trois zu tun, mit einer verführerisch schönen Frau, mit mindestens einem Mann, der ein hintertriebenes Spiel spielt. War Gilda aber eher eine Frau, die zwar ein manchmal übles Spiel mit den Männern spielte, ist Elsa eine eiskalte Intrigantin und Mörderin. Auch äußerlich wurde die Hayworth gegen den Strich gebürstet, statt ihrer langen roten Mähne tritt sie hier mit einer blonden Kurzhaarfrisur auf. Elsa wirkt also wie eine „Gilda“, der man die schöne Maske herunter gerissen hat, die sich in ihrer ganzen eisigen Kälte präsentiert und der man ihre Gefährlichkeit jederzeit abnimmt. Eine Frau, reduziert auf ihre erotische Ausstrahlung und die Gefahr, die sie damit für Männer bedeutet.

Hier bedient THE LADY FROM SHANGHAI erneut eine Metaebene. Elsa ist im Grunde nur noch dieses Symbol, dieses Zeichen. Ihrem Wesen nach einer Phyllis Dietrichson in Billy Wilders DOUBLE INDEMNITY (1944) durchaus verwandt, steht sie für jene bedrohlichen Frauen, die den Männern, die aus dem Weltkrieg heimkehrten, gebrochen und müde, das Heft des Handelns zu entreißen drohten. Sie steht für eine Weiblichkeit, die sich emanzipiert, die eine eigene Erotik ausprägt, sie steht für Frauen, die Subjekte werden und nicht länger bereit sind, lediglich Projektionsflächen männlichen Begehrens und Ausdruck männlicher Ideen von Sexualität und Erotik zu bieten. Anders als Wilders Film und viele andere Beispiele des Noir-Thrillers, versteht es Welles in seinen Film allerdings, die Erkenntnis zu integrieren, daß auch diese Darstellung nur wieder eine männliche ist. Dazu nutzt er die zweite Zeichenebene der Elsa-Figur, nämlich die Tatsache, daß sie von Rita Hayworth, DEM Pin-Up-Girl seiner Zeit, von GILDA und von seiner Noch-Gattin gespielt wird. Man kann die Figur nicht von der Schauspielerin trennen, nicht, nachdem sie in Charles Vidors Film nur ein Jahr zuvor ihre größte Rolle gespielt hatte, zu der sich Elsa wie eine Art Negativ verhält. Welles wusste das und weiß es zu inszenieren.

Daß Hayworth singt, war vom Studio gewollt, wie Welles es inszeniert, die kleinen Gesten und die Blicke, die er zeigt, während sie ihre Stimme in die karibische Nacht hinaus gleiten lässt, lässt den Namen des Schiffes – Circe – deckungsgleich mit dem weiblichen Passagier werden. Hier singt eine Frau namens Elsa, eine fiktive Figur in einem fiktiven Spiel, zutiefst böse und kalt, die damit drei Männer verführt, auf je unterschiedliche Weise, es singt aber „eigentlich“ Rita Hayworth, die gerade zum momentanen Star mit dem größten Sex-Appeal in Hollywood aufgestiegen war, eine öffentliche Figur, eine reine Projektionsfläche männlicher Phantasien, die eine ganze Generation verführte und zugleich – als Privatperson – die Ehefrau von Orson Welles, einem Wunderkind, einem Genie und Intellektuellen, der diese Sexbombe geehelicht hatte und eine öffentliche Ehe des großen Glamours zelebrierte und ihr, wie O´Hara, verfallen war. In der Verquickung hinterteibt der Regisseur die Differenzierung dieser Ebenen, er dekonstruiert sowohl die fiktive Rolle der „Elsa“, als auch die öffentliche Figur „Rita Hayworth“ und schlußendlich destruiert er in der Inszenierung seiner Noch-Gattin seine Ehe, die wiederum auch Teil einer öffentlichen Inszenierung gewesen ist.

O´Hara, der oft so teilnahmslos und fatalistisch ergeben wirkt, ist derjenige, der uns diese Inszenierung begreifen lässt, indem wir sie durch seine Augen sehen und er sie oft ebenso naiv wie philosophisch kommentiert und hinterfragt. O´Hara ist ein Philosoph der Weltmeere, Conrads Marlow verwandt[2], der das Treiben zwar empathisch aber doch distanziert verfolgt. Daß er Elsa „verfallen“ sei, behauptet er uns gegenüber in der  Overvoice, doch sehen können wir es nur momentweise. Wollte Welles das so? Oder war es die eheliche Situation mit Hayworth, die ihn manchmal bei aller Begierde seltsam entrückt wirken lässt? Welles demaskiert jedenfalls – ob gewollt oder ungewollt – die Oberflächlichkeit menschlicher Inszenierung, er entlarvt den Schein, der die Leere des Seins verbirgt und demaskiert zugleich die eigene Verstrickung in diese Inszenierung, indem er – ausgerechnet er – diesen O´Hara spielt.

Masken werden in THE LADY FROM SHANGHAI immer wieder fallen gelassen oder herunter gerissen. Jene Szene im Spiegelkabinett, in der Bannister und Elsa aufeinander und auf die gegenseitigen Spiegelbilder schießen, symbolisiert nichts anderes, als eine grenzenlose Demaskierung. Spiegel für Spiegel werden die Hüllen zerstört, wieder und wieder, wie beim Häuten der Zwiebel, neue Schichten freigelegt, die sich doch als immer gleich entpuppen. Am Ende aller Demaskierung wartet der Tod, die letzte Kugel trifft.  Am Ende aller Masken, Vexierspiele und Doppel- und Dreifachspiegelungen bleibt nur noch die Möglichkeit der letzten Zerstörung. Für Bannister ist es die physische, für Elsa wird es der soziale Tod sein, denn ihr Gemahl hat dafür gesorgt, daß jenes dunkle Geheimnis, das Elsa umgibt und welches der Film nie lüftet, den entscheidenden institutionellen Stellen zugänglich wird. Und wir begreifen, daß das so sein muß. Die Verflechtungen zwischen Bannister, Elsa und Grisby sind schicksalhaft, auch darin wieder der Verweis auf die griechische Tragödie: Zu verwoben miteinander, als ohne einander weitergehen zu können, sind die Figuren in THE LADY FROM SHANGHAI, aber auch die Entwicklungen, die geschildert werden, von allem Anfang an dazu bestimmt, einander zum  Untergang zu gereichen. Der eine einer hoffnungslosen Liebe zu einer unerreichbaren Frau verfallen, der andern von Hass auf die Welt, seine Frau, das eigene Schicksal zerfressen, die dritte verstrickt in die Maßlosigkeit der eigenen Gier, haben diese drei sich ineinander verbissen wie die Haie, von denen O´Hara erzählt.

Wenn der ‚Film Noir‘ nun doch kein eindeutiges Genre sein sollte, wenn er eine genreübergreifende Stilistik und Formsprache benennt, dann kann man getrost sagen, daß in THE LADY FROM SHANGHAI mit den filmischen wie inhaltlichen Mitteln des Noir eine Abenteuergeschichte erzählt wird, die zugleich das Psychogramm einer autodestruktiven, dekadenten Schicht und ebenso die Analyse inszenatorischer Mittel ist. Welles war immer seiner Zeit voraus, hier ist er es auf ganz besonders prägnante Art und Weise. THE LADY FROM SHANGHAI hat mehr mit den selbstreflexiven Werken der Postmoderne gemein, als mit den filmischen Werken seiner Zeit, zugleich ist es aber auch eine Reminiszenz an jene psychologischen und sozialkritischen Abenteuerromane, die Joseph Conrad und auch Jack London um die Jahrhundertwende kultiviert haben. Ein außergewöhnlicher Film, der beim ersten Sehen manchmal fast holprig wirkt in seiner Dramaturgie, manchmal den Eindruck macht, da hätte jemand bei den Montagestellen im Schnitt nicht aufgepasst und erst mit dem zweiten, dritten, vierten Betrachten seinen Zauber endgültig zu entfalten versteht. Man muß sich einlassen auf die Magie dieser Geschichte und den Willen, die Geschichte genau so zu erzählen, dann aber gibt es in nahezu jeder Einstellung, in nahezu jedem Bild ununterbrochen etwas zu entdecken.

Nicht umsonst gehört der Film heute in jenes anfangs erwähnte Pantheon, denn es ist eines jener Werke, die weit über sich selbst hinaus weisen, eines jener Werke, die zu definieren verstehen, was aus ihnen heraus wächst und uns damit Aufschluß über uns selbst, unsere Sehnsüchte, Hoffnungen und Ängste geben.

 

[1] Es gibt Momente in THE LADY FROM SHANGHAI, in denen man den direkten Einfluß des Films auf Hugo Pratts Comic-Serie um den Abenteurer CORTO MALTESE sehen und nachvollziehen kann; vergleicht man Bannister und Grisby auf dem Boot während des Angelns mit verschiedenen Nebenfiguren in Werken in David Lynchs BLUE VELVET (1986) oder WILD AT HEART (1990), kann man sich sicher sein, daß dieser Meister des postmodernen Vexierspiels Wellesß  Meisterwerk genauestens studiert hat.

[2] Welles war ein Verehrer der Werke Joseph Conrads und wollte immer eine Verfilmung von HEART OF DARKNESS realisieren, was ihm jedoch zeitlebens nicht gelang; lediglich einzelne Filmspulen von Aufnahmen eines ‚location shots‘ in Mexiko sollen existieren. In THE LADY FROM SHANGHAI gibt es einmontierte Aufnahmen von Schlangen, Alligatoren, Affen etc. – möglicherweise bediente sich Welles hier bei seinen älteren Probeaufnahmen für das nicht realisierte Werk?

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