DAS GEHEIMNIS VON MALAMPUR/THE LETTER

William Wyler bringt Melo und Noir zur Deckung

In einer feucht-schwülen Nacht kommt es auf einer malayischen Plantage zu einem Zwischenfall: Leslie Crosbie (Bette Davis) erschießt ihren Nachbarn, Jeff Hammond. Als ihr Mann Robert (Herbert Marshall) und dessen Anwalt Howard Joyce (James Stephenson) sie darum bitten, berichtet sie eindringlich, wie Hammond versucht habe, sie zu vergewaltigen. So lautet schließlich auch die Anklage auf „Notwehr“. Während Joyce Leslie verteidigt, dabei von Anfang an seine Zweifel am Ablauf des Geschehens hegt, wird ihm von seinem Adlatus, Ong Chi Seng (Victor Sen Yung), ein Brief angeboten, der sich im Besitz von Mrs. Hammond (Gale Sondergaard) befindet. Mrs. Hammond, eine Einheimische, ist bereit, den Brief, der die komplette Sachlage der betreffenden Nacht ändert, geht aus ihm doch hervor, daß Leslie Hammond bewußt für diese Nacht, in der ihr Mann abwesend sein würde,  eingeladen hat, gegen ein Entgeld von 10Tausend Dollar an Joyce auszuhändigen. Nach einigem Hin und Her willigen der Anwalt und seine Mandantin ein, wobei Joyce, der sich nachdrücklich bemüht hat, Leslie zu einem Geständnis zu überreden, seine Ehre als Anwalt verletzen muß. Schließlich wird Leslie freigesprochen. Bald darauf muß Robert feststellen, daß der Betrag von 10Tausend Dollar auf seinen Konten fehlt. Er wollte damit eine neue Plantage in Sumatra kaufen, damit er und Leslie neu beginnen könnten. Nun muß er der Wahrheit ins Gesicht schauen: Nicht nur ist seine Frau eine kühl kalkulierende Mörderin, sondern sie hat ihn auch systematisch betrogen. Dennoch will er ihr verzeihen. Während einer Tanzveranstaltung in der amerikanischen Botschaft betrinkt sich Robert und bricht unter der Last der Erkenntnis zusammen. Er und Leslie ziehen sich in ihre Gemächer zurück, doch während sie noch einige Schritte im Garten des Anwesens unternimmt, lauern ihr ehemaliger Diener und  Hammonds Frau ihr auf und richten sie regelrecht mit einem Messer hin. Unbeachtet stirbt Leslie an der Mauer des Botschaftsgeländes, während der Tanz im Innern des Gebäudes weitergeht.

Viele der frühen Großen in Hollywood haben entweder im Film Noir reüssiert oder aber dort ihre Routinen gewonnen, die sie dann verfeinert und in anderen filmischen Zusammenhängen zum Strahlen gebracht haben. Während beispielsweise John Huston oder Howard Hawks originär mit Noirs wie THE MALTESE FALCON (Huston/1941) oder THE BIG SLEEP (Hawks/1946) Klassiker dieses Stils vorgelegt haben, konnten Regisseure wie Otto Preminger, Anthony Mann oder William Wyler hier eine eigene Handschrift entwickeln, sie lernten, eine Geschichte ökonomisch und doch unkonventionell zu erzählen, Figuren zu zeichnen, Charaktere zu entwickeln. Berühmt wurden die drei genannten dann allerdings mit Werken ganz anderer Genres und Stile. Gerade der Name Wyler, der mit DEAD END (1937) bereits einen stilistisch erfolgreichen Abstecher in Noir-Gefilde unternommen hatte, steht eher für Melodram oder große Epen wie MRS. MINIVER (1942) oder BEN HUR (1959). Daß nun der Film Noir und das Melodrama nicht nur viel inhaltlich wie formal gemein haben, sondern geradewegs enge Verwandte sind, die auch noch Tür an Tür wohnen, gilt mittlerweile als Gemeinplatz. So kann es kaum verwundern, daß in THE LETTER (1940) Melo und Noir fast zur Deckung kommen. Ein Meister des Dramas, dem es immer wieder gelang, die großen Gefühle authentisch und psychologisch stimmig auf die Leinwand zu bringen, nutzt hier die Mittel des Film Noir, um eine Story von W. Somerset Maugham, die sich inhaltlich allerdings auch dafür anbietet, atmosphärisch dicht und spannend zu verfilmen.

Getragen von einer mitreißenden Performance Bette Davis´, baut Wyler die Geschichte um die in vermeintlicher Notwehr zur Mörderin gewordene Dame der höheren Gesellschaft vom ersten Moment an stringent auf. Die Kamera – verantwortlich dafür war Tony Gaudio, der viel mit William Dieterle und Michael Curtiz gearbeitet hatte – erfasst die Lager der Plantagenarbeiter, wir spüren die Hitze, die Feuchtigkeit, die Schwüle, bis Schüsse die Stille der Nacht zerreißen. Ein Mann liegt am Fuß der Verandatreppe, eine Frau – Bette Davis – stürmt hinter ihm aus dem Haus, einen Revolver in der Hand. Welch ein Auftakt! Hitze, ein exotischer Handlungsort, ein Toter und eine Dame in Bedrängnis. Kurz darauf sitzt sie mit ihrem Gatten, dessen Vorarbeiter und einem befreundeten Anwalt im Salon des Herrenhauses und wird von letzterem gebeten, exakt und ausführlich zu schildern, was passiert sei. Und so schildert Bette Davis, wie der nun Tote, ein Nachbar, versucht hat, sie zu vergewaltigen. Und es ist eine Meisterleistung, was sie in diesen Minuten vollbringt, wie sie, zerissen zwischen Angst, Ekel und Wut , ihre Verzweiflung schildert, wie sie verloren wirkt in den Verliesen der Erinnerung. Die ganze Klasse ihrer Vorführung indes wird dem Zuschauer erst deutlich, wenn er am Ende des Films angelangt ist und Leslie – die von Davis dargestellte Frau – erneut schildert, was in der Nacht der fatalen Schüsse passiert ist. Diese beiden Auftritte sind die Klammer dieses immer noch erstaunlich gut funktionierenden Films. Und in der Differenz dessen, was jeweils erzählt wird, vor allem aber, wie es erzählt wird, kann man nicht nur die schauspielerische Klasse von Bette Davis bewundern, sondern auch das Feingewebe der Struktur, die Wyler seiner Narration und derer filmischen Umsetzung verpasst. Man könnte nicht mehr auseinander dividieren, wo der Film Noir endet, das Drama beginnt, wann das eine mit den Mitteln des andern arbeitet und vice versa. Wir verstehen diese Frau, immer mehr. Je deutlicher ihre Lügen zutage treten, desto besser verstehen wir, welcher Schmerz sie getrieben hat. Und am Ende wird ein Verbrechen mehr zu einer emotional nachvollziehbaren Handlung, als es ein Lügengebilde je hätte sein können.

Doch auch die Besten sind nur so gut, wie man sie sein lässt. Bette Davis hat hier in James Stephenson als von allem Anfang an skeptischem Anwalt Howard Joyce einen adäquaten Widerpart. Wie die beiden sich umschleichen, Joyce widerwillig seiner Anwaltsehre Genüge tut und die Frau seines Freundes in die Enge treibt, während die grell-heiße Sonne Malaysias durch die Lamellen bricht und Schattengitter um Leslie legt und diese mit weit aufgerissenen Augen nach Auswegen, Lösungen, Fluchtmöglichkeiten zu suchen scheint, dieses Katz-und-Maus-Spiel wird zusehends zu einem Duell dieser Schauspielgiganten. Maughams Geschichte lebt nicht zuletzt auch davon, daß Leslie mit ihrem Verbrechen davonkommt. Daß Hammond, der Ermordete, eine asiatische Frau zur Gattin hat, die Kränkung, die Leslie erfährt, vor dem viktorianischen Hintergrund der Geschichte umso schmählicher ist, wird sie doch zugunsten einer aus ihrer Sicht niedrig gestellten Einheimischen zurück gewiesen, schwächt der Film ab, indem er Hammonds Frau schlußendlich Rache nehmen lässt. Im Hollywood des Jahres 1940 war moralisch Uneindeutiges nicht gefragt. Der durchaus Kolonialismus-kritische Ansatz von Maughams Short Story geht so zwar nicht gänzlich verloren, doch spielt er zumindest keine herausgehobene Rolle. Buch und Regie präsentieren ein klassisches Dreiecksdrama vor exotischer Kulisse, das aber mit Verve, Stil und Grandezza. Mit dieser Gewichtung erhält Stephensons Rolle, sein Part als unter der Last seiner Bürde leidender Anwalt und Freund, noch einmal zusätzliche Bedeutung. Er ist die moralische Instanz, an der Leslies Lügengebäude zu zerschellen drohen.

Wyler findet immer Bilder, Momente, die eine tiefe Betroffenheit über die Tragik, die immanente Tragik noch im Lächerlichsten, zeigen. Leider kann er es sich nicht verkneifen, Hammonds Frau und den Hausdiener, der ihr bei der Ermordung Leslies zur Hand geht, in trüben Klischees des verschlagenen Asiaten zu skizzieren, der lauschend in Ecken hockt, an Hauswänden entlangschleicht und mit dem Messer im Ärmel immer eine diffuse Gefahr ausstrahlt. Doch wenn die Kamera sich dann erhebt und über die Mauer der amerikanischen Botschaft hinwegfährt, dabei Leslies toten Leib streifend, um langsam durch die Wipfel der Bäume auf die Terrasse des herrschaftlichen Hauses hinzugleiten, wo sich die Paare weiterhin im Dreivierteltakt wiegen, als hätte sich nichts gravierendes ereignet, dann hat man einen dieser Wyler-Momente. Bigger than life – und doch wahr. Kunst schafft Wahrheit. Die Filmkunst mag da manipulative Vorteile auf ihrer Seite haben, doch merken wir, wenn wir Wahrheit erblicken. Wyler schafft diese Wahrheiten in den unterschiedlichsten filmischen Momenten, unaufdringlich und elegant mit seiner Technik verwoben, dieser geradezu entsprungen. Sicher, neben den großen Epen der späten 50er Jahre und seinen Spannungsfilmen mag THE LETTER etwas verblassen, doch man kann die Handschrift des Meisters ebenso sehen, wie man sich bestätigen lassen kann, daß die Großen ihres Fachs vor sechzig, siebzig und mehr Jahren Filme schufen, die heute noch zu fesseln verstehen. Man sieht einem Werk wie diesem an, daß es etwas Originäres hat, gleich, wie häufig seitdem seine Struktur kopiert und dadurch zerschlissen worden sein mag – es hat eine Aura an sich, eine Aura des ‚Ersten Mals‘.

THE LETTER ist herausragendes klassisches Hollywoodkino. Grandiose Schauspielerleistungen, eine sehr gelungene Kameraarbeit und eine dichte Inszenierung bieten ein Stück „Traumfabrik“, das noch einmal daran erinnert, warum die Stadt am Pazifik einst dieses Label angeheftet bekam.

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