RITT ZUM OX-BOW/THE OX-BOW INCIDENT

Mehr als ein großartiger Western

Der Film erzählt in einer fast perfekten Ökonomie der Narration von einem Lynchmob, der drei vermeintliche Viehdiebe und Mörder aufstöbert, anklagt und hängt. Nur wenige unter den Mitgliedern der Posse sind bereit, Vernunft walten zu lassen und überhaupt nachzudenken, bzw. der Gerechtigkeit im Sinne eines ordentlichen Gerichtsverfahrens Genüge zu tun. Ein alter Mann, ein schwarzer Prediger, ein „feiger“ junger Mann und ein paar Cowboys, darunter der von Henry Fonda zurückhaltend gespielte Gil. Er und sein Kumpel Art werden eher zufällig Zeugen, wie die Nachricht, ein in der Nachbarschaft angesiedelter Farmer sei umgebracht und beraubt worden, in einem kleinen Kaff die Runde macht. Unter der Führung des vermeintlichen Major Tetley, angefeuert von einem Cowboy namens Smith und ohne Recht vereidigt vom Hilfssheriff, macht der Mob sich auf, die Mörder zu suchen. Sowohl der Richter als auch der alte Mr. Davies versuchen, dem Recht Geltung zu verschaffen, müssen jedoch feststellen, daß die Männer (und auch eine Frau: „Ma“, gespielt von Jane Darwell, die eben diese Rolle mit komplett anderem Impetus 1940 in John Fords THE GRAPES OF WRATH gespielt hatte) nichts von ordentlichen Gerichtsverfahren halten. Sie wollen schnell und unkompliziert Rache. Die Cowboys Gil und Art schließen sich an und reiten mit den andern, wenn auch nicht überzeugt, daß alles mit rechten Dingen zugeht. Schließlich werden drei Männer im Schlaf überrascht und schnell ist beschlossen, daß sie schuldig sind: Sie haben Vieh, das dem Toten gehörte, sie haben keine Quittung, die einen Kauf bestätigen könnte und außerdem wird bei einem von ihnen, einem Mexikaner, was den Mann zusätzlich verdächtig zu machen scheint, der Revolver des Opfers gefunden. Obwohl v.a. der Verantwortliche des kleinen Viehtriebs, ein Mann namens Martin, die Unschuld der drei wieder und wieder beteuert, zeigen die Männer um den Major keine Gnade. Ein letztes Mal lassen sie abstimmen, ob die drei schuldig seien oder nicht. Außer sieben Männern, darunter Davies, Art und Gil und der Prediger, zeigen sich alle unerbittlich. Die Männer werden gehängt. Der Mob reitet zurück, trifft unterwegs den Sheriff, der versuchte, sie einzuholen. Er teilt den anderen mit, daß das vermeintliche Opfer der drei Gehängten lebt, auch wurde kein Vieh gestohlen. Der Mob reitet zurück in die Stadt, der Major, gefolgt von seinem Sohn, den er als Feigling ausgemacht hat, der jedoch einer der wenigen Skeptiker war, geht in sein Arbeitszimmer und erschießt sich. Im Saloon, wo die Männer der Posse schweigend trinken, liest Gil schließlich den Abschiedsbrief Martins an seine Frau vor. Ein glühendes Plädoyer für Recht und GErechtigkeit, für die Zivilisation letztlich. Gil und Art reiten los, der Witwe den Brief zu bringen.

Western haben immer dazu gedient, allerhand zu transportieren: Mythen, Geschichte, deren Verfälschung, manchmal Sozialkritik, manchmal prangerten sie an – ob Rassismus, Gewalt, falsche Loyalitäten. Oft wirken sie dann überkonstruiert und bemüht. William A. Wellmans THE OX-BOW INCIDENT (1943) ist einer der wenigen Western, denen es gelingt, die dabei aber weit über das Genre hinausweisen und zugleich auch noch als Meilenstein der Filmgeschichte gelten dürfen. Und – folgt man Manny Farber, hier zitiert nach Hembus‘ „Westernlexikon“ – auch noch als „bedeutsamer Augenblick der amerikanischen Kulturgeschichte“ gelten dürfen!

Es ist weniger die Spannung der Geschichte, die den Film so bemerkenswert macht, eher ist es die Zeichnung der Figuren. Die Männer des Mob sind wie Karikaturen: Smith, der als gackerndes Männchen mit dem Galgenstrick herumhantiert und dem die Mordlust anzumerken ist, „Ma“, die die Männer als mordendes Flintenweib aufstachelt, der Major, der arrogant meint, sich über Recht und Gesetz hinwegsetzen zu können, dabei seinen Sohn quält, weil dieser kein Pistolero und Macho sein will, Farnley, ein Freund des vermeintlichen Opfers, der als „guter“ Texaner meint, Vergeltung üben zu dürfen. Auch die Verteidiger – Mr. Davies, der Prediger, der Richter – sind stereotyp gezeichnet. Doch all diese Stereotypen funktionieren hier, denn sie machen, auch weil sie alle hervorragend gespielt sind, deutlich, wie man sich hinter diesen Masken des Stereotypen eben auch verschanzen kann, wie man als Teil einer Menge meint, mutig zu sein. Und der Zuschauer meint, diese Typen zu kennen. Gerade solche Kerle wie Smith, der, als klar ist, daß sich alle geirrt haben, nichts besseres zu tun hat, als anzumerken, nun sollte man Major Tetley lynchen, kennt fast jeder: Sie sind es, die in kritischen Situationen im Hintergrund stehen und die anderen anfeuern, ohne je selbst in die Verantwortung zu gehen. Das wird auch noch einmal deutlich, wenn der Major die drei Leute aussucht, die den Pferden einen Hieb verpassen sollen, damit die Männer hängen. Keiner der zuvor so Mutigen meldet sich freiwillig, einer der Aufgeforderten will nicht und Tetleys „feiger“ Sohn wird von seinem Vater gezwungen. Allein Farnley will dabei sein und, als ein anderer sich weigert, kommt „Ma“ und bietet sich an.

Die Figur, deren Charakterzeichnung komplett anders ist, ist Fondas Gil: Schon sein Auftritt zu Beginn des Films – er und Art kommen in die Stadt um das Mädchen Rose wiederzutreffen, die Fonda scheinbar begehrt – zeigt ihn nicht gerade als sympathischen Kerl. Er ist unfreundlich, meckert herum und legt sich sofort mit dem erstbesten anderen Gast an, als er hört, daß Rose die Stadt verlassen musste auf Drängen der „besseren“ Damen der Gesellschaft. Schließlich erhebt er nur zaghaft seine Stimme, um gegen das Lynchen zu sprechen. Und er tut nichts Heldenhaftes, um das Hängen aufzuhalten. Diese Figur ist für so einen frühen Western der klassischen Ära erstaunlich differenziert und v.a. diffizil. Er ist kein Held, er ist nicht unbedingt sympathisch und das einzige, was sich schließlich zu seiner Ehrenrettung sagen läßt, ist, daß er aus dem Erlebten so viel lernt, daß es ihn nicht nur beschämt, sondern er auch der Meinung ist, etwas tun zu müssen – und sei es eben nur, den Brief zur Witwe des unschuldig Gehängten zu bringen. Fonda spielte über zehn Jahre später in Sidney Lumets Debut als Regisseur 12 ANGRY MEN (1957) einen Mann, der in einem Indizienprozeß zunächst allein gegen elf andere steht und als einziger nicht bereit ist, den Angeklagten so ohne weiteres für schuldig zu erklären und somit in den Tod zu schicken. Fast mutet es an, als hätten wir es mit einer gereifteren, geläuterten Version dieses Cowboys Gil zu tun, der aus einem einmal begangenen Fehler gelernt hat und zu einem aufgeklärten, verantwortungsvollen Staatsbürger geworden ist.

THE OX-BOW INCIDENT transportiert also eine ganze Menge und man könnte meinen, daß darunter ein moralinsaurer Film entstanden sei. Doch genau das ist nicht der Fall. Der Film funktioniert. Er funktioniert als Lektion in Staatsbürgerkunde, er funktioniert als Anklage gegen Selbstjustiz, er funktioniert als über sich selbst hinausweisende Mahnung, daß wir niemals bereit sein dürfen, unsere Demokratie, unser Rechtswesen, das dieser zu Grunde liegt, aufzugeben, daß Rache schlichtweg nicht der Movens unserer Handlungen sein darf, wenn wir in einem zivilisierten Gemeinwesen leben wollen. Aber der Film funktioniert AUCH als Western mit einer dramatischen Handlung. Und das macht ihn überhaupt erst zu etwas Besonderem. Es stimmt, was immer wieder gesagt wird: Das Drehbuch neigt zum Monologisieren. Immer wieder werden uns schwerwiegende Pros und Contras dargeboten. Doch die Kamera macht das wett, sie schafft es, genug Dynamik in die Bilder zu bringen, um noch den moralischsten Moment mit Dramatik aufzuladen. Exemplarisch ist dafür die gesamte Szene vor dem Saloon. Wenn der Major angeritten kommt und den Männern erzählt, er wüsste, wer die Mörder sind und dann Mr. Davies sich bemüht, an des Majors Bürgerpflicht zu appellieren, zeigt uns die Kamera den mächtigen Mann in seiner Uniform, die ihm Autorität verleiht aus Untersicht, er ragt über uns auf und wirkt bedrohlich. Und während Davies ihm zuredet und dabei seine Rechte auf den Unterarm legt, ist es ein Blick des Majors nach unten, die die Hand zurückziehen läßt. Es sind diese kleinen Gesten und v.a. die Blicke, die immer wieder das Gesagte unterstreichen, bzw. unterwandern. Nie wird einfach deklamiert, immer werden Gesichter herangeholt, werden Reaktionen gezeigt, steht noch der moralischste Monolog in Kontrast zu der Wirkung, die er erzielt. Wenn die Männer dann losreiten und der Richter ihnen nachbrüllt, daß das nicht ginge, was sie da machten, dann fährt die Kamera aus Obersicht auf ihn zu und holt schließlich sein Gesicht, gezeichnet von Wut und Angst, sehr nah an uns heran.

Wir haben es hier insofern mit einem untypischen Western zu tun, als daß es wenig Action gibt. Um so erstaunlicher ist es, daß er spannend ist und bleibt. Es ist die eben schon erwähnte Ökonomie der Erzählung, die nicht ein Jota mehr berichtet als nötig, damit die Narration in Bewegung kommt und bleibt. Anders als mancher, denke ich, daß selbst die Episode um Rose, der der Mob unterwegs begegnet – sie reist mit ihrem gerade geehelichten Gatten Richtung San Francisco – der Narration unbedingt nützlich ist. Einmal erzählt sie uns etwas über Wellmans Art der Inszenierung: Dreimal geht Rose an Fonda vorbei, jedesmal blicken sie sich an und kein einzige Wort fällt zwischen ihnen, dennoch wissen wir, was zwischen diesen beiden gewesen sein muß (was uns am Anfang erzählt wurde, als Fonda im Saloon auftaucht, bekommt jetzt Konturen, wird wahr und stark). Blicke als Mittel der Narration werden exemplarisch genutzt. Zum andern – und das ist wichtiger – wird hier erzählt, daß dieser Gil jemand ist, der es nicht drauf ankommen läßt. Anders als jeder Westernkerl, läßt er sich von Rose‘ Gatten demütigen und scheint nicht bereit, um die Frau zu kämpfen. Sicher: Sie ist bereits verheiratet, doch wissen wir, wie ein John Wayne oder Gregory Peck bereit gewesen wären, sich für ihre Liebe stark zu machen. Innerhalb der Regeln des Genres ist dies ein starker Moment, wird doch der – folgt man den Credits, klar definierte – Held der Erzählung als schwach definiert. Insofern wird anhand dieser wenigen Augenblicke (im wahrsten Sinne des Wortes) im Film sehr viel erzählt über den Mann, der nominell unsere Identifikationsfigur ist. Ein drittes Muster kommt hier allerdings ebenfalls zum Ausdruck: Mit der Zivilisiertheit, die der Film einfordert, kommt eben auch etwas anderes in die Gesellschaft: Die Bigotterie, das Spießertum. Rose, die aus der Stadt verjagt wurde, ist erst eine „anständige“ Frau, wenn sie verheiratet ist. Der Barkeeper hat Gil (und uns) erzählt, daß „die Frauen“ der Stadt dafür gesorgt hätten, daß Rose gehen mußte. Nun ist aber die einzige Frau, die wir außer Rose zu sehen bekommen „Ma“, eine Frau, die gackernd mit den Männern reitet, die ein Gewehr trägt, die unerbittlich für das Hängen der drei vermeintlichen Täter eintritt. Indem der Film uns Rose zeigt, bekommt sie eine Wahrhaftigkeit. Sie wird zu einem Symbol – einerseits dafür, daß Recht und Gesetz eben auch eine Schattenseite mit sich bringen (wenn auch eine zivilisiertere als das Lynchen, wurde Rose schließlich „nur“ vertrieben), daß es aber möglicherweise eben genau die Menschen sind, die der Selbstjustiz frönen, die auch jene aus ihrer Mitte vertreiben, denen sie fehlenden „Anstand“ attestieren.

Der Film wurde weder ein Kassenschlager, noch war er sehr beliebt, als er erschien. 1943 stand Amerika mitten im Krieg gegen das faschistische Deutschland, da wurde man ungern daran erinnert, daß auch die USA diesen Typus Mensch hervorbringen konnte. Und der Typus des faschistoiden Feiglings, der nur in der Menge aufgehend stark ist, der nur allzu gern bereit ist, sich einem Führer anzuschließen und ebenso schnell bereit ist, diesen wieder fallen zu lassen, wenn sich ein anderer anbietet, diesen Typus zeichnet Wellman übergenau. Und immanent zeigt er auch den Rassismus, den faschistisches Gedankengut immer trägt, ist doch einer der drei „Täter“ ein Mexikaner, was ihn dem Mob erst recht verdächtig erscheinen läßt.

So wenig erfolgreich der Film in seiner Zeit gewesen sein mag, heute hat man es hier nicht nur mit einem Klassiker des Genres „Western“ zu tun, nein, heute hat man es mit einem Klassiker des Hollywoodfilms an sich zu tun.

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