PANIK IM NEEDLE PARK/THE PANIC IN NEEDLE PARK

'New Hollywood' par excellence: Dokumentarisch, authentisch, 'on location' gedreht und von sozialem Bewußtsein geprägt

Nach einer illegalen Abtreibung erholt sich Helen (Kitty Winn) bei einem Freund. Dort lernt sie Bobby (Al Pacino) kennen, ein Kleindealer, der im Bezirk Needle Park in New Yorks West Side rumhängt, mit kleinen Zockereien seinen Lebensunterhalt verdient, dealt, aber auch selber Heroin drückt – angeblich aber nicht abhängig ist. Da er freundlich zu Helen ist und sich um sie bemüht, verliebt sie sich in ihn. Nachdem sie anfänglich eher mitläuft bei ihm und seinen Freunden, die alle in verschiedenem Masse Drogen konsumieren, nimmt sie schließlich selber Heroin und wird süchtig. Der Film folgt nun hauptsächlich Bobby und Helen bei den diversen – heute fast schon klischeehaften – Versuchen Geld, einen Schlafplatz und Drogen aufzutreiben, zeigt, wie sie immer mehr bereit sind, sich aufzugeben, wie Helen anfängt sich zu prostituieren, wie sich die Abhängigen gegenseitig betrügen und übers Ohr hauen, sich erniedrigen, wenn sie Freunde und Verwandte um Geld anbetteln. Schließlich auch, wie sie versuchen, sich den Zugriffen der Polizei zu entziehen, wobei vor allem Helen immer wieder von Detective Hotch (Alan Vint) angegangen wird, der in ihr eine Schwachstelle unter den Abhängigen ausgemacht zu haben scheint. Und er behält recht: Einmal wirklich in die Ecke gedrängt, krank und auf Turkey, verrät Helen Bobby. Der Film endet damit, daß er aus der Haft entlassen wird und vor den Toren der Anstalt Helen auf ihn wartet. Bobby geht wortlos an ihr vorbei, sie folgt ihm. Er bleibt stehen, sie holt auf, immer noch wortlos blickt er sie an, dann nickt er ihr zu und gemeinsam – wenn auch leicht zueinander versetzt – gehen sie in eine vollkommen ungewisse Zukunft.

Gerade die Filme der frühen Phase dessen, was heute unter dem Sammelbegriff ‚New Hollywood‘ subsumiert wird, beschäftigten sich ausgiebig mit jenen gesellschaftlichen Bedingungen, denen viele ihrer Macher entstammten – denen der Gegenkultur, der counterculture, jenen Kreisen junger Menschen, die nicht mehr bereit waren, die ebenso muffigen wie reaktionären Haltungen ihrer Altvorderen widerspruchslos hinzunehmen. Allerdings waren nur die wenigsten dieser Filme Verherrlichungen des Aufbruchs dieser Jugend. Zu deutlich konnte man schon in den „guten“ Jahren dessen, was heute gern „68“ genannt wird, sehen, daß das Scheitern immer sehr nah liegt, wenn eine Bewegung, so inkohärent sie auch sein mag, zerbricht, zerfasert, sich verliert. Eine der Sollbruchstellen gerade der Hippiebewegung mit ihrer ungebändigten Lust auf Erfahrungen auch im Rausch, war zweifelsohne die Drogensucht, die jene, die ihr verfielen, oft vollkommen hilflos zurückließ, verloren in einem grausigen Kreislauf aus Rausch, Ernüchterung, sogenannter Beschaffungskriminalität, Entzugserscheinungen und jenen psych(ot)ischen Zuständen, die den Junkie schlimmstenfalls Freund und Feind vergessen lassen, um irgendwie an Nachschub zu kommen.

Einer der ersten Filme, die sich mit dem Phänomen Drogensucht und vor allem den sozialen Verwerfungen, die sie mit sich bringt, beschäftigte, war Jerry Schatzbergs THE PANIC IN NEEDLE PARK. Unter anderem von der großen Autorin und Essayistin Joan Didion geschrieben, ist der Film bereit, zugunsten der Authentizität große Risiken hinsichtlich der Zuschauergewohnheiten einzugehen und recht schonungslos zu zeigen, wohin gerade Heroinsucht führt. Zugleich markiert der Film den Beginn einer der ganz großen Karrieren des (post)modernen Hollywoodfilms – die von Al Pacino, der neben Robert de Niro, Harvey Keitel, Gene Hackman, Bruce Dern oder Jack Nicholson zu den originär dem New Hollywood entstammenden Schauspielern zählt. Schon hier kann man Pacinos enorme Leinwandpräsenz sehen, schon hier seine Fähigkeit, den unterschiedlichsten Charakteren Leben einzuhauchen. Allerdings sei schon an dieser Stelle angemerkt, daß er mit Kitty Winn eine kongeniale Partnerin an seiner Seite hat, die für ihre Leistung 1971 bei den Filmfestspielen von Cannes ausgezeichnet wurde.

Es wurde oben angedeutet: Inhaltlich erstaunt der Film den heutigen Betrachter dadurch, daß er im Grunde bereits 1970/71 all das zeigt, was bundesdeutschen Filmgehern spätestens seit den Erzählungen von Christiane F. geläufig ist. Man wundert sich also, daß seit nunmehr 40 Jahren darüber diskutiert und beraten wird, wie man dem „Drogenproblem“ begegnet, seit mindestens 30 Jahren Sozialarbeiter und Streetworker sich bemühen, das Leben für Junkies erträglicher zu machen und sich im Grunde schlicht nichts geändert hat. Die Droge bleibt, was sie ist: Ein Versprechen, das anfangs kurzzeitig, später nie mehr eingelöst wird, zugleich aber aus denen, die darauf hereinfallen, körperliche, seelische und eben auch charakterliche Wracks macht. Schatzberg und seinem Team kommt das Verdienst zu, all dies exemplarisch und schonungslos darzulegen, wobei nicht auf – zumindest damals – wirklich schockierende Momente verzichtet wird. Wir sehen in Großaufnahme – das bedeutete 1971: leinwandfüllend – wie Nadeln in Venen versenkt werden, wir werden Zeuge, wie jemand fast an einem „goldenen Schuß“ stirbt, wie die Droge auch das Äußere eines Menschen zerstören kann. Kitty Winn ist hier gesondert herauszuheben, bringt sie doch den Mut auf, ungeschminkt, in manchen Szenen nahezu aufgedunsen, Helen so glaubwürdig wie nur irgend möglich zu spielen. Auf der inhaltlichen Ebene ist THE PANIC IN NEEDLE PARK schonungslos offen, hart und somit gnadenlos realistisch. Allerdings – und das macht den Film außergwöhnlich gerade in seiner Zeit – enthält er sich jedes Urteils. Er stellt dar, manchmal (auch wegen des Verzichts auf musikalische Untermalung) fast dokumentarisch, wie der Weg in die Hölle führt.

Formal – und das macht den Film neben seinem Thema zu einem so deutlichen Vertreter des Neuen Hollywood – gehen Schatzberg und sein Kameramann Adam Holender für damalige Zeiten ungewöhnliche Wege, indem sie die Handkamera exzessiv einsetzen. Unerträglich nah geht sie teils an die Protagonisten heran, läßt uns Pickel und offene Stellen, Hautunreinheiten und Leberflecke sehen, zeigt uns schlechte Zähne und die schon erwähnten Einstiche der Nadeln. Sie folgt Bobby und Helen durch die Straßen von New Yorks Westside, sie fängt das Nachtleben ein, die Stricher und Huren in den Nebenstraßen ebenso, wie das billige Neonlicht, das die New Yorker Nächte erhellt, sie folgt den beiden in runtergekommene Absteigen, schaut ihnen über die Schulter und wirft dabei Blicke in schreckliche Abgründe menschlichen Daseins. Auch und gerade diese Stilmittel tragen dazu bei, daß der Film dokumentarischen Charakter erhält. Es entsteht dadurch ein Gefühl von Unmittelbarkeit, manchmal auch von Desorientierung. Diese wird verstärkt durch eine gewagte Montagetechnik: Schatzberg erzählt elliptisch, wobei er eben nicht nur Handlungsmomente ausläßt – manchmal mitten in scheinbar schon laufende Szenen hinein, dann wieder aus noch nicht ausgespielten Szenen herausgeht, Zeit wird ebenso gedehnt wie gerafft – sondern auch in den Anschlüssen vollkommen offen läßt, wo wir uns eigentlich zeitlich gerade befinden. Ein Schnitt kann hier ebenso zu einer direkten Fortsetzung der gerade gesehenen Szene führen, wie er Wochen und Monate bedeuten kann, die vergangen sind. Oftmals können wir das erst in der Anschlußszene anhand der Dialoge feststellen. Dies hat zweierlei Folgen: Wir erfahren das Leben der Abhängigen einerseits als extrem eintönig, nichts scheint Tag A von Tag Z zu unterscheiden, wir könnten sozusagen überall auf der Zeitachse dieser Leben ein- und wieder aussteigen; aber zugleich hebt diese Schnitt- und Montagetechnik auch die Desorientiertheit in Zeit und Raum hervor, die der Junkie im Rausch erfährt.

Dieses Aufbrechen konventioneller Erzählmethoden, die Desorientierung des Zuschauers, die offene Anschlußmontage usw. weisen THE PANIC IN NEEDLE PARK als einen der innovativsten Vertreter des ‚New Hollywood‘ aus. Doch wie so vielen Filmen dieser Ära und gerade dieser „Bewegung“ (zu inkohärent und programmatisch zu uneinheitlich waren die diversen Regisseure, Autoren und Filme, als daß man wirklich von einer einheitlichen Bewegung sprechen könnte) hat der Film wenig Positives zu bieten. Er wirft einen klaren und ehrlichen Blick auf ein Zeitphänomen, das so, in dieser Form, neu war, das originär aus der counterculture kam und eine eigene Subkultur hervorbrachte, die nicht mehr viel von den romantischen, manchmal ebenso kitschigen wie lebensfremden utopischen Idealen der Hippies zu transportieren vermochte, sondern einfach nur Verlierer hervorbrachte. So verherrlicht der Film die Drogen keinen Augenblick lang. Anders als noch in einem Film wie THE TRIP (1967), haben Drogen hier weder einen bewusstseinserweiternden noch irgendeinen glamourösen Anschein. Sie machen den User fertig, sie töten – ebenso physisch, wie psychisch und sozial. Dies aufzuzeigen ist das große Verdienst des Films, seiner Macher und Autoren.

So kann man von heute aus natürlich behaupten, daß das alles nun mal nicht mehr neu sei. Das stimmt natürlich. Doch deshalb wird der Film ja nicht weniger eindringlich. Und will man sich über die Genese des modernen Films – nicht nur in Hollywood – kundig machen (Bsp: Einsatz der Handkamera), wird man an diesem Meilenstein nicht vorbei kommen. Es bleibt ein inhaltlich wie formal gewagter und innovativer Film, der weit über seine Zeit hinausweist.

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