THE WILD BUNCH

Dekonstruktionen einer Gesellschaft der Gewalt

1913. Pike Bishop (William Holden) und seine Männer überfallen die Filiale einer Eisenbahngesellschaft, wobei sie in eine üble Schießerei verwickelt werden. Bishops alter Kumpel Deke Thornton (Robert Ryan) wurde von der Bahngesellschaft angestellt, der Bande das Handwerk zu legen und hat dafür einen Hinterhalt gelegt. Bei dem Gefecht nimmt niemand Rücksicht auf Passanten oder andere Zivilpersonen. Es werden Frauen, Kinder, Unbeteiligte erschossen. Bishop und seine Leute können fliehen und setzen sich über die Grenze nach Mexico ab, immer gefolgt von Thornton und dessen Männern. In Mexico angelangt, bietet ihnen der General Mapache (Emilio Fernández) einen gut bezahlten Job an, der für Pike und seinen engeren Kumpel Dutch (Ernest Borgnine) der letzte sein soll. Sie spüren, daß die „neue Zeit“, die anbrechende Moderne, die technische Neuerungen wie das Auto, den Telegraph und bereits auch das Telefon mit sich bringt, ein Leben, wie sie es führen – frei, ungebunden, niemandem verpflichtet – unmöglich macht. Für sie ist kein Platz mehr in einer Welt, die längst kartiert, klassifiziert, rechtsstaatlich geordnet und also eingehegt ist. So willigen sie ein, einen Zug des US-Militärs zu überfallen und die Waffen Mapache zur Niederschlagung revolutionärer Umtriebe in seinem Bezirk auszuliefern. Mit der Belohnung wollen sie sich zur Ruhe setzen. Der Coup gelingt, auch dank der schlechten Organisation der den Zug begleitenden Kavallerieeinheit. Angel (Jaime Sánchez), jüngster im wilden Haufen (‚wild bunch‘) um Bishop und Dutch, stammt aus einem der armen Dörfer, wo die Bauern sich gegen das unterdrückerische Feudalsystem mexikanischer Prägung auflehnen. Er kann die Männer im Haufen davon überzeugen, wenigstens einen Teil der Waffen seinen Leuten auszuhändigen, um ein wenig Waffengleichheit herzustellen. Mapache, alles andere als erfreut, läßt Angel, der zu allem Überfluß in der Dame an Mapaches Seite seine Jugendliebe wiederfindet, festsetzen und foltern. Der Bunch entkommt. Als sie Mapaches Garnison hinter sich haben, hält Pike inne und entscheidet, zurückzugehen und Angel zu befreien. Von seinen Leuten sind es am Ende nur ein paar, die bereit sind, sich der Übermacht Mapaches zu stellen. Sie dringen in das Fort ein und es kommt zu einem fürchterlichen Gemetzel, bei dem es Bishops Männern gelingt, den Großteil der Streitmacht auszuschalten. Allerdings gerät dabei ein Maschinengewehr – eines von Mapaches neuen Spielzeugen, das, bereits auf seinem Dreifuß thronend, von dessen Stolz und seiner militärischen Potenz kündet – derart außer Kontrolle, daß praktisch jeder – ob Mann, Frau oder Kind – der oder die in sein Schußfeld gerät, getötet wird. Schließlich finden auch Pike Bishop, Dutch Engstrom und der Rest des wilden Haufens ihr Ende im Kugelhagel. Als alles vorbei ist, reitet Thornton in die Stadt ein, allein setzt er sich unter einen Torbogen und betrachtet die Trümmer des Schlachtfelds.

Sam Peckinpah hatte bereits einige Folgen der Westernserie THE RIFLEMAN und immerhin drei Western in Eigenregie gedreht, als er 1968/69 erneut die Gelegenheit erhielt, einen Film nach eigenem Gusto zu realisieren. Die Geschichten der Streitereien zwischen Peckinpah und den produzierenden Studios sind Legion und nach seinem letzten eigenen Film MAJOR DUNDEE (1965) war er in Hollywood vier Jahre auf Eis gelegt worden. Nun trat er mit seiner Stock Company, also jenem Stamm von Schauspielern, die immer wieder wesentliche Rollen bei ihm spielen und mit seinem Stammkameramann Lucien Ballard an, ein Meisterwerk abzuliefern, das genrebezogen eine ganze Ära prägen sollte, das darüber hinaus aber auch einen Bruch, eine Wasserscheide im amerikanischen Film markierte und definierte. Der Mainstream veränderte sich hernach deutlich, eine ungekannte Härte wurde ins Kino getragen, die zudem metatextuell den Western „sichtbar“ machte, also aus den meist sauberen Regionen der geordneten 50er Jahre herausführte und sichtbar werden ließ, was im klassischen Western eher verborgen blieb. THE WILD BUNCH ist zudem sicherlich einer der wesentlichen Filme, wenn man einen Kanon jener Werke aufstellen wollte, die das Filmische selbst untersuchen, sowohl auf einer technischen (Slowmotion), wie einer formalen (Montage) und einer inhaltlichen Ebene. Wobei diese letzte noch einmal aufgeteilt werden könnte in die Ebene der Narration – Freundschaft; die „alte“ gegen die „neue“ Zeit; Technologie und Fortschritt als Tod freiheitlicher Bestrebungen – und eine Metaebene, die darüber sinniert, wie man am Ende einer Ära erzählen kann, wie man an einem Genre festhalten kann, ohne es zu verraten oder lächerlich zu machen und dennoch modern zu bleiben, nicht knöchern und veraltet und zwangsläufig reaktionär zu erzählen, sondern angemessen in Reaktion auf die zeitgenössische Gegenwart. All das ist Peckinpah in THE WILD BUNCH gelungen. Und damit hatte auch der Regisseur selbst einen großen Schritt gemacht. Man sieht den Filmen davor an, wozu Peckinpah fähig sein könnte – seine volle Meisterschaft entfaltet er aber erst in diesem Film. Hier werden seine Themen zusammengeführt, findet er die richtigen, weil stimmigen Bilder und das rechte Verhältnis der Geschichte, der Figuren und der inneren Konflikte der Narration zueinander. Und er findet eine Geschichte, die sich wie selbstverständlich zusammenfügt, um all diesen Aspekten fast leichtfüßig Rechnung zu tragen.

Das zentrale Thema des Films, so wird immer gern festgestellt, ist der Konflikt zwischen einem bestimmten Typus Mann – und Peckinpah ist sich der Ambivalenz seiner Figuren von allem Anfang an klar, nicht umsonst läßt er sie Outlaws, Verbrecher und dezidiert brutal sein [1] – und der „zivilisierten“ Welt, des Rechtsstaats, der Zivilgesellschaft, die bereits Gesetze kennt und in der Lage ist, Gesetz und Ordnung auch durchzusetzen – wenn auch, wie es der Film zeigt, mit drastischen Mitteln. Mit dem Voranschreiten der Geschichte, die zunehmend eine Geschichte des technischen Fortschritts ist im 20. Jahrhundert, und dem Aufkommen der industriell-seriellen Herstellung fast aller Produkte, die schließlich die Massengesellschaft hervorbringt, geht der Raum – sowohl der physische, als auch der psychische und erst recht der mythische Raum – verloren, in dem sich dieser Typus Mann ausbreiten, verwirklichen kann. Möglicherweise – und diese Möglichkeit deutet Peckinpah verschiedentlich in den Gesprächen, die die Männer untereinander führen, an – war dieser Raum eh immer nur eine Phantasmagorie, eine reine „mind landscape“, eine Projektionsfläche männlicher Träume und Selbstvergewisserung. Doch in dem Moment, wo dieser Raum durchmessen ist (im Gegensatz zum „durchmessen wird“, wofür durchaus Männer wie Pike Bishop stehen und auch gebraucht wurden), erkannt, erfasst, erforscht wurde, tritt die Geschichte/Historizität auf den Plan. Der Held wird darin aber nicht mehr gebraucht, im Gegenteil: Er wird in dem Moment, in dem die Gesellschaft sich konsolidiert, zur Gefahr, werden doch mit einem Mal jene Tugenden, jene Härte, die es brauchte, eine gewaltige Landnahme durchzuführen, eine feindliche Natur zu bezwingen und sich den Gefahren und Bedrohungen eines vollkommen unbekannten Landes zu stellen, zur Bedrohung der Gesellschaft. Flinke Hände und ausgezeichnete Waffenkenntnis sind in der Wildnis unabdingbar, führen in der Zivilgesellschaft meist jedoch zu Konflikten mit dem Gesetz. Dem trägt der Film durchaus Rechnung, denn daß die Männer um Pike Bishop immer Gesetzlose gewesen wären, steht keinesfalls fest. Doch können diese Männer niemals in einer Zivilgesellschaft ankommen und sich darin eingliedern. Das setzt Peckinpah geradezu axiomatisch voraus. So werden sie von denen, die sie möglicherweise einst geholt haben, den Treck, die frühe Siedlung, die Farm zu beschützen, schließlich verdrängt, kriminalisiert und somit stigmatisiert. Eine Entwicklung, die John Sturges in THE MAGNIFICENT SEVEN (1960) zum Anlaß nahm, die Überlebenden SEINES wilden Haufens recht romantisch über Wohl und Wehe des Revolvermannes sinnieren zu lassen. Auch da sind diese Männer über die Grenze geflohen, auch da können sich letzte Machophantasien in Mexico ausleben lassen. Doch anders als Sturges, dessen Söldner noch durchaus in einem mythischen Raum (und keineswegs mit solch störenden historischen Fakten wie einer Revolution befasst) agieren, setzt Peckinpah seine dem Wesen nach mythischen Revolverhelden in sowohl zeitlich-chronologisch verortete Räume, wo sie zudem aber auch den Unbilden sozialer Entwicklung und Geschichte (Revolution) ausgeliefert sind. Und in der Geschichte sind andere Kräfte am wirken, als im Mythos; erst recht in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Indem Peckinpah auf den im Italowestern bereits gängigen Topos des Revolutionswesterns zurückgreift, die Geschichte des WILD BUNCH mit eben jenen Fragen verzahnt, die die sozial(istisch)en Revolutionen in diesem blutigen Jahrhundert aufgeworfen haben – Fragen nach sozialer Gerechtigkeit, nach Demokratie und dem Recht der Massen – legt er eine Klammer um den Film, die diesen wiederum mit zeitgenössischen Fragen der unmittelbaren Gegenwart des Zuschauers 1969 verzahnt. Die zeitliche Nähe zum Ersten Weltkrieg – 1913/14 ist die im Film angegebene Zeit – ist dabei nur ein weiterer Hinweis auf die Moderne und darauf, daß die Zeit dieser Typen vorbei ist, daß die Zeit militärischer Kollektivierung eingetreten ist, daß das 20. Jahrhundert vollkommen andere Formen des Kampfes und des Krieges hervorbringen wird. Die historische Zeitlichkeit ist in THE WILD BUNCH niemals zu unterschätzen, es ist einer der wesentlichen Punkte, die diesen Film zu dem Meisterwerk machen, das er ist.

Die Verzahnung mit der unmittelbaren Gegenwart des Films am Ende der 60er Jahre eben dieses blutigen 20. Jahrhunderts, besteht natürlich in der Koppelung an den (Kolonial)Krieg in Südostasien, sprich Vietnam. Der gerade in den Jahren der Produktion heftig tobende Vietnamkrieg ist überall in THE WILD BUNCH spürbar. Mehrmals zeigt der Film Konfusion, wenn Armeeeinheiten sich anschicken aufzusatteln, sich zu formieren. Jene Szene, in der die Kavallerie die Pferde aus dem Zug entlädt und alles nach und nach in einem Chaos endet, in dem die Tiere kreuz und quer stehen, keiner mehr weiß, welches Tier zu welchem Reiter gehört und Kamera und Montage dieses Durcheinander durch Schwenks und Zooms, durch herbe Ransprünge und scheinbar „falsche“ Anschlüsse unterstützen, ist dabei der deutlichste Verweis auf eine militärische Großmacht, die nominell und materiell dem Gegner haushoch überlegen ist, den gewaltigen Apparat des ‚militärisch-industriellen Komplexes‘ [2] jedoch längst nicht mehr unter Kontrolle hat. Auf die Spitze getrieben wird diese Metapher in der Schlußszene des Films. Als THE WILD BUNCH 1969 in die Kinos kam, löste er heftige Debatten über Fragen zur Darstellung von Gewalt aus, darüber, wie drastisch gezeigt werden darf, was Gewalt wirklich anrichtet. Es hatte zuvor keine Bilder wie diese in einem amerikanischen Genrefilm, der ein breites Publikum ansprechen sollte, gegeben. Menschen, die praktisch in Stücke geschossen werden, Todestänze im Geschoßhagel, dargeboten in extremer Verlangsamung, die uns – oft multiperspektivisch – die Wunden, das Blut, den Austritt einer Kugel und die Wucht, die der Aufprall einer solchen Kugel auf den menschlichen Körper hat nahezu spüren, auf jeden Fall genauestens beobachten läßt. Auf der inhaltlichen Ebene war der Hinweis auf das, was das Fernsehen dem Durchschnittsamerikaner allabendlich aus Südostasien – gerade in den Jahren 1965 ff. – ins traute Heim lieferte, nicht zu übersehen. Peckinpah bestätigte dies auch bei verschiedener Gelegenheit. Ein vollkommen außer Kontrolle geratener Militärapparat kam auf dieses winzige Land nieder, verwüstete schlicht alles und bediente sich dabei einzelner Maßnahmen, die jedes Maß vergessen ließen. Womit sich ein weiterer Kreis schließt, denn wie in der Elegie PAT GARRETT AND BILLY THE KID (1973) nimmt der Romantiker Peckinpah letztlich Stellung für seinen wilden Haufen aus Einzelgängern. Er weiß um die Vergänglichkeit dieser Männer, er hasst die Gewalt, die von ihnen ausgeht, aber er verehrt sie auch für ihr Individualismus, ihren Freiheitsdrang, ihren unbedingten Willen zur Selbstbestimmung (worüber zu streiten wäre). Und zugleich stellt er der gegenwärtigen Zivilisation ein schlechtes Zeugnis aus. Wenn der Film vom Ende einer „wilden Zeit“ berichtet, so sehen die Amerikaner 1968/69 vielleicht bereits schon wieder das Ende jener Zivilisation, die Männer wie die des Bunch einst verdrängte und stigmatisierte, wenn in ihrem Namen geschehen darf, was in Vietnam geschieht? Vielleicht sind diese Männer ehrlicher? Immerhin stellen sie sich ihren Kämpfen direkt. Und sie sind sich der selbstmörderischen Aktion, die sie da betreiben, durchaus bewußt. Pike, Dutch und die anderen gehen am Schluß des Films in ihren sicheren Tod – und sie wissen das. „Suicide is painless“ heißt es in Robert Altmans ein Jahr später erschienenen Satire auf den Krieg: „Painless“ ist der Selbstmord keineswegs, wie THE WILD BUNCH zeigt, aber unausweichlich, das könnte er sein, selbst für eine Supermacht wie die USA.

So laufen in THE WILD BUNCH und seinem speziellen Setting in der symbolträchtigen mexikanischen Revolution die unterschiedlichsten thematischen Stränge ineinander: Imperialismus/Kolonialismus; asymmetrische Kriege einer militärischen Supermacht; der Verlust individueller Freiheiten in der Moderne; der Versuch an ritterlichen Werten festzuhalten und der dem 20. Jahrhundert scheinbar immanente Todes- und Destruktionswunsch des Menschen – und einige andere. Peckinpah spiegelt Amerika und er nutzt dazu jenes Genre, welches das uramerikanische Genre schlechthin ist: Den Western. Jene Gattung, die es dem WASP männlicher Prägung (und seinem Supplement, also seiner Frau) immer wieder möglich gemacht hat, sich seiner selbst zu vergewissern. Der Western ist wie kein anderes Genre des Hollywoodfilms national bindend und bildend. Er schafft dem weißen Amerika eine geschlossene Narration, ein Mythensystem, das es erlaubt, auch die weniger glorreichen Aspekte der eigenen Geschichte so zu erzählen, daß zumindest ein erträgliches Konstrukt entsteht. So wurde der Indianer zu einem Teil einer zunächst feindlichen und übermächtigen Natur, die bezwungen werden muß. Es dauerte lange, bis er ein Subjekt wurde und ein Wesen eigenen Rechts. Es dauerte, bis er nicht mehr „der Wilde“ war, sondern ein Mensch, der dieses Land lange vor den Weißen und deren Regeln bewohnte – durchmaß ist wohl ein besserer Ausdruck. Allerdings interessiert sich Peckinpah kaum je für diesen Aspekt der amerikanischen Geschichte und ihrer mythologischen Verarbeitung. Er sieht, was das „Wilde“ im Sinne von „Barbarismus“ angeht, ganz klar seine weißen Landsleute vorn. Ihn interessiert der Moment, in dem Mythos in Zeit übergeht – ein Moment, den sein Übervater John Ford bereits mehrmals gestreift, in THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE (1962) dann klar thematisiert hatte – und sich somit Brüche in der homogenen Narration auftun; sich die Risse zeigen, die die Kluft zwischen den Ansprüchen, die man an (s)ein Leben stellt und einer Wirklichkeit, die dies immer weniger zuläßt, immer weiter auseinandertreiben. Peckinpah erkennt die Gewalt als das Gleit- wie Bindemittel dieses Moments. Sie ist der Sprit des Fortschritts, sie ist der Motor spezifisch der amerikanischen Geschichte. Es ist die Gewalt, die die amerikanische Gesellschaft geprägt hat, es ist die Gewalt, die das Land aufbauen half, die in den entscheidenden Jahren der Konsolidierung das Recht des Stärkeren durchsetzte und schließlich genutzt wurde, um das Recht des Staates durchzusetzen. Daß dies oftmals gerade in den schlecht kontrollierbaren Weiten des Westens mit dem Recht des Kapitals in eins fiel, verdeutlicht THE WILD BUNCH ebenfalls. Eine kapitalistische Gesellschaft, da scheint sich Peckinpah sicher und mit den linken Theoretikern seiner Zeit einig zu sein, muß zwangsläufig auf Gewalt zurückgreifen. Wie er darüber denkt, ob er dies verurteilt – Peckinpah zeigt seine tiefsitzenden Gefühle hinsichtlich dieser Frage selten. Was er will, ist, daß man sich mit der Frage der Gewalt auseinandersetzt. Er will den Zuschauer schockieren und damit konfrontieren, daß Gewalt, wirkliche Gewalt, wie sie durch die USA massiv in den Spätkolonialkriegen wie dem in Vietnam ausgeübt wurde, eben keine saubere Sache ist. Indem er sie in Zeitlupe und hyperrealistisch ausstellt, unterwandert er die herkömmliche formale Narration des Westerns. Klassisch fällt jemand einfach um, getroffen von einer unsichtbaren Kugel. Natürlich hatte es auch zuvor bereits gewisse Härteüberschreitungen gegeben, doch Peckinpah zeigt erstmals deutlich, wie diese Kugel in einen Körper einschlägt, ihn durchdringt und wieder austritt. Erst bei Peckinpah kommt die Gewalt sozusagen zu ihrem ureigenen Recht. Das war oben bereits angedeutet, als gesagt wurde, Peckinpah mache den Western sichtbar. Die meisten Western der klassischen Periode zwischen 1939 und den frühen 60er Jahren zeigen eben nicht jene zentralen Auswirkungen der Gewalt, die aber immer zentrales Thema und zentraler Punkt des Plots im herkömmlichen Western ist. Sie sind unehrlich, wobei diese Unehrlichkeit Programm ist, in gewissem Sinne ein propagandistisches Programm. Damit räumt Peckinpah gnadenlos auf. Und er schafft es, dies – anders als der Italowestern, der letztlich auch deswegen in eine Sackgasse führt, weil er lediglich überharten Zynismus ausstellt und damit zum Comic verkommt – so ernsthaft zu tun, daß man spürt, es hier eben nicht einfach mit einem Bastardsohn oder einem Bilderstürmer zu tun zu haben, sondern mit einem ernstzunehmenden Künstler, der sich seines Genres, seiner Thematik und dem subtextuellen Hintergrund dieser Thematik nicht nur bewußt ist, sondern sie kritisch zu durchdringen vermag. Sam Peckinpah war der einzige amerikanische Filmemacher, der das Westerngenre ernsthaft weiterführen konnte, ihm ernsthafte neue Impulse geben konnte und den sogenannten Spätwestern fast im Alleingang etablierte.

Mit der Sichtbarmachung der Gewalt als Vorgang, als Akt, der ja auch in der Wirklichkeit so niemals erfassbar ist, wie es der Technik möglich ist, erreicht Sam Peckinpah eine Metaebene der Darstellung, die 1969 eben nicht nur inhaltlich vollkommen neu und aufregend war. Plötzlich ist der Hollywoodwestern im Kunstkino angekommen. Da wird eine Ästhetik sichtbar, eine Ästhetik des Todes, der reinen Agonie, derer man sich so zuvor nicht bewußt werden konnte. Zugleich jedoch wird eine Härte und Brutalität sichtbar, daß der herkömmliche klassische Western – siehe oben – , bzw. seine herkömmliche Art, den Show Down, den Moment des Duells oder des Shoot-outs zu inszenieren, unterlaufen wird. Peckinpah zwingt dem Publikum sowohl die Erkenntnis auf, daß der durchschnittliche „saubere“ Western der 50er Jahre eben jene Manipulationsmaschine gewesen ist, die den Mythos des sauberen, schmerzfreien Tötens/ Todes hervorgebracht hat. Es war einfach, sich in diese mythischen Geschichten und mythologischen Systeme zu begeben, sich darin verlieren zu können, dort, wo man sich der „wirklichen“ Geschichte nicht stellen musste, zugleich aber auch der eigenen Wirklichkeit, einem vielleicht langweiligen, möglicherweise bedrückenden Alltag entfliehen konnte. Entfliehen in Traumwelten, wo es gelang, der eigenen Mediokrität zu entkommen in Heldentaten, bei denen schon die Art der Erzählung, die Erzählweise selbst eine sichere Spur, einen klaren Weg durch die Narration vorgaben. Nach THE WILD BUNCH ging das nicht mehr. Peckinpah, wohl wissend, wo er stand, was er dem Western zu verdanken hatte, macht sich daran, mit einigen Mythen aufzuräumen, macht sich auf, uns einerseits noch einmal eine gnadenlos romantische Sicht auf jene Männer, die Helden sein könnten und doch nur Verbrecher und Söldner sind, zu bieten, diese Sicht aber andererseits im selben Moment, da er sie etabliert, zu zerstören. Wenn diese Männer ihren Werten treu bleiben wollen, dann – siehe erneut oben – werden sie dafür in den Tod gehen müssen. Und dieser Tod wird kein heroischer, sauberer, schmerzfreier, nein, es wird ein extrem dreckiger, blutiger und schmerzvoller Tod sein. Und es wird auch nicht DIE eine Kugel sein, es werden eine Menge Kugeln das Fleisch durchdringen und zerreißen und es wird fürchterlich sein.

Fürchterlich grausam, fürchterlich schmerzhaft und fürchterlich schön anzuschauen. Peckinpah führt uns Bewegung vor, er erkundet die Bewegung des Todes selber. Sie wird bei ihm zu einer Bewegung der Zivilisation selbst. Da sie nur so, auf diese Art, in der Zeitlupe sichtbar ist – das Wesen der Zeitlupe ist ein unergründliches – fügt Peckinpah mit seinem Zeitlupentod dem Westerngenre eine neue Erkenntnis- und Bedeutungsebene hinzu. Da ist eine Schönheit im Schrecken und er ist ihr auf der Spur und er nimmt uns mit und weiß uns zu verzaubern. Die Wirklichkeit des realen Krieges wird abstrakt? Dann muß der Film reagieren und die Bilder selbst abstrahieren, die scheinbar die Erzählung transportieren und stützen. Doch wie bei einigen seiner europäischen Kunstverwandten, obsiegt bei Peckinpah das Bild letztlich über die Narration. Die Story tritt zurück hinter dem Riß in der Wirklichkeit, den diese extremen Verlangsamungen realiter schneller Bewegungen und Augenblicke (im wahrsten Sinne des Wortes) erzeugen. Ein schmaler Grat, den Peckinpah da beschreitet und es gelingt ihm vielleicht nie mehr so wie hier, das Prinzip der Verlangsamung in der Zeitlupe sinnig anzuwenden, zu einer im Kontext DIESER spezifischen Narration sinnvollen Technik des Erzählens werden zu lassen.

Was sich da schließlich technisch, formal und inhaltlich zusammenbraut, ist eine Moritat. Sie erzählt uns mit den ureigenen technischen Mitteln des Mediums Film von unserer Schuld, davon, wie wir schuldig werden und wie wir uns in dieser Schuld – auch formal – einzurichten wissen, wenn wir uns anhand unserer eigenen Narrationen und der Art des Erzählens einzurichten wissen in der begradigten Geschichte des Mythos [3]. So gelingt Sam Peckinpah mit THE WILD BUNCH eine wahre Dekonstruktion nicht nur inhaltlicher Natur, sondern auch des formalen Aufbaus und der formalen Narration des Westerns. Und ganz nebenbei gelang es ihm, den Western noch einmal auf die Höhe der zeitgenössischen Gegenwart zu heben und dort mit seinen Mitteln und durch seine Mittel eine relevante Aussage treffen zu lassen. Nach ihm kam nur noch Clint Eastwood, dem man ähnliche Verdienste anerkennen muß. Und doch bleibt auch bei diesen intellektuellen Vertretern des Genres deutlich, wo die Sollbruchstellen sind. Immer werden die im Western tradierten und ausgestellten Männlichkeitsbilder und -werte fragwürdig bleiben. Immer werden die behaupteten Konflikte und Konfliktlösungen gewalttätig und somit ebenfalls fragwürdig bleiben. Intelligente Filmemacher, wie die eben Genannten, wissen darum und sie wissen auch, daß man immer versuchen kann, in die Risse und Räume ein- und vorzudringen, die sich in diesen Darstellungen auftun, daß man die Widersprüche aber niemals wird widerlegen, einigen oder „bereinigen“ können. Das macht diese Arbeiten so unendlich spannend, ambivalent und dauerhaft.

Wenig verwunderlich, daß Sam Peckinpah in seinen nächsten Filmen zunächst eine eher romantische Komödie ablieferte, die den Untergang des alten Westens noch einmal, jedoch weitaus friedlicher und tragikomischer nacherzählte (THE BALLAD OF CABLE HOGUE – 1970), sich dann jedoch mit STRAW DOGS und JUNIOR BONNER (beide 1971) der Gegenwart zuwandte und zunächst einen fragwürdigen (und nicht wirklich gelungenen) Thriller um einen Amerikaner in der Fremde vorlegte, der meint, seine amerikanischen Werte mit aller Gewalt (sic!) durchsetzen zu müssen, um dann mit einem Film über einen Rodeoreiter einen der intelligentesten Filme seiner Karriere überhaupt, aber auch generell zum Thema des Weste(r)ns, seiner Mythologie und Rezeption zu drehen. Peckinpah, künstlerischer Bastardsohn John Fords, gehört zu jenen Neuerern des amerikanischen Kinos der 60er und 70er Jahre, denen es gelang, fast mühelos die Kluft zwischen dem erzählenden Hollywoodkino klassischer Prägung und dem damals seit ca. 20 Jahren sich ausbreitenden europäischen Kunstkino zu schließen. Für einige wenige glückliche Momente, waren Hollywood und die Kunst vereint.

[1]“If they move…kill ´em all!“ ist die klare Anweisung zu Beginn des Films an einen der Männer des Bunch, der die Geiseln in der Filiale bewachen soll.

[2]Dieser heute zu einer eher abgegriffenen Phrase verkommene Begriff sei hier erlaubt, war er 1969 noch sehr viel frischer (Eisenhower hatte ihm erst 1961 Popularität verschafft) und die in ihm enthaltenen Warnung sehr viel gegenwärtiger; zumal er zum Standard der 1969 sehr aktiven und lauten gegenkulturellen Protestler des SDS u.a. gehörte.

[3]Zu allen im Text aufgeworfenen Fragen zum Mythos, zu mythologischen Systemen und der Art der Einsetzung mythischer Narrative siehe: Barthes, Roland: MYTHEN DES ALLTAGS und Tepe, Peter: MYTHOS & LITERATUR: AUFBAU EINER LITERATURWISSENSCHAFTLICHEN MYTHOSFORSCHUNG. In letzterem finden sich auch zahlreiche wesentliche weiterführende Hinweise.

2 thoughts on “THE WILD BUNCH

  1. Monty Burns sagt:

    Hi Gavin!

    Ah, nun geht’s ja wieder. Dann kann ich ja kurz meinen Senf abgeben. Meine Erinnerung an den Film, den ich bislang erst einmal gesehen habe, ist allerdings nicht mehr ganz frisch.

    Ehrlich gesagt war ich ein bisschen hin und her gerissen. Einiges hat mich begeistert, manches aber auch etwas genervt. Sehr oft fühlte ich mich an andere Filme erinnert, was sicher darauf zurückzuführen ist, dass dieser Film extrem einflussreich war und ist. Sergio Leones „Giù la testa“ beispielsweise, der wenige Jahre später entstand, erscheint mir ganz sicher massiv von diesem Film beeinflusst. Wie ich die Nähe zu Leone sowieso, auch in den opulent ausgestatteten und gefilmten Bildern, für unverkennbar halte. Aber ich denke, dass selbst Michael Manns „Heat“ massive Einflüsse von Peckinpah bezogen hat. Aber auch an ältere Filme ließ der Film hier und da denken. „Vera Cruz“ beispielsweise, oder „The magnificent Seven“ (hattest Du ja schon erwähnt). Interessant fand ich auch so gewisse mehr oder minder unterschwellige Tendenzen, wie insbesondere dieses offenen Auges in den Untergang gehen, wegen der Zeitenwende, was man, glaube ich, in etlichen Filmen gerade dieser Ära findet. U.a. auch in „Butch Cassidy and the Sundance Kid“. Kann man wohl unter „Zeitgeist“ verbuchen. Interessant auch, wie konsequent Peckinpah seine Sympathien den Outlaws schenkte, während er die Schergen der Bahngesellschaft als total verkommenes Gesindel (geradezu Orks) zeichnete. Imgrunde auch sie Outlaws, aber eben mit Wirtschaftsmacht im Rücken. Gesetzesvertreter kamen interessanterweise gar nicht vor.

    Was mich persönlich an diesem Film nicht so ganz überzeugt hat war, dass ich ihn teils dramaturgisch ein bisschen holprig und unrund fand. Vielleicht auch ein bisschen überladen und überambitioniert. Da wurde zum Teil viel angerissen, aber dann nicht richtig ausgearbeitet (was bei der Fülle der Charaktere aber auch nicht verwundert). Da verpuffte einfach öfter mal die Wirkung einer Szene, weil ihr nicht das Gewicht eingeräumt wurde, das sie benötigt hätte um sich zu entfalten. Hier und da hatte der Film auch ein paar Längen, finde ich.

    Auf der anderen Seite war er klasse besetzt, steckte voller beziehungsreicher Ideen (z.B. die Sache mit den Skorpionen und den Ameisen am Anfang des Films) und wartete mit satten, teils geradezu monumentalen Bildern auf. Bin auf jeden Fall froh den endlich mal gesehen zu haben, nachdem ich schon soviel darüber gehört und gelesen hatte.

    Sei herzlich gegrüßt
    M.B.

  2. Gavin sagt:

    Hallo M.B.,

    dank Dir für den Kommentar. Daß THE WILD BUNCH enorm einflußreich war und ist, ist klar. Daß diese Einfluß bis in die 90er reichte, denke ich auch. Michael Mann vedankt – wie viele aus seiner Generation – Peckinpah vieles, nicht nur die Ballerei in Zeitlupe ;-): Die Art, wie er Themen gesetzt hat, die Melancholie, fast Resignation, die viele seiner Helden befällt, ihre – Du hast es erwähnt – fast fatalistische Haltung zum Tode und dazu, wie man ihn annimmt, den Tod. Auch Freundschaft, Männerfreundschaft, wie er sie darstellt, wurde danach ähnlich rezipiert. Daß dieser Todestrieb, wenn man so will, in jener Zeit so häufig thematisiert wurde – ich denke neben dem von Dir erwähnten BUTCH CASSIDY… auch an M*A*S*H und seinen Titelsong „Suicide is painless“ – dürfte zwar dem Zeitgeist geschuldet sein, verdankt sich aber vor allem dem Vietnamkrieg, der in all diesen Filmen subtextuell mitverhandelt wurde. Bei THE WILD BUNCH sogar explizit, wie Peckinpah mehrfach betont hat.

    Daß der Film durchaus Schwachpunkte aufweist, seine Dramaturgie etwas holpert und er im Mittelteil ein wenig lang wirkt, all das stimmt. Zudem sind die Bilder der Gewalt/Action (denke gerade an die zusammenbrechende Brücke mit den Reitern drauf) derart stark, daß sie nahezu alle andern Bilder zu überdecken drohen. Dennoch bin ich mir nicht ganz so sicher, ob Peckinpah das nicht genau so wollte? Wieder so ein Punkt, über den man herrlich streiten kann…

    Ich freu mich, wieder von Dir zu lesen,
    sei gegrüßt,
    Gavin

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