THEATER/JULIA, DU BIST ZAUBERHAFT/THEATRE

Ein Bühnenroman von William Somerset Maugham

Bevor der Arzt, Spion, Dramatiker und Schriftsteller William Somerset Maugham als Autor sowohl leicht zu lesender, als auch literarisch anspruchsvoller Romane Weltruhm erlangte, hatte er bereits als Verfasser einiger Theaterstücke Erfolg im Londoner West End. Er kannte also den Theaterbetrieb recht gut, als er seinen Roman THEATRE (THEATER/JULIA, DU BIST ZAUBERHAFT) schrieb und 1937 veröffentlichte. Die Erlebnisse und Erfahrungen, die er hinter der Bühne, unter anderem auch als Dramaturg, gemacht hatte, flossen also in dieses als unterhaltsames Melodram daherkommende Werk ein.

Geschildert wird die Geschichte der Julia Lambert, ihr Aufstieg zu Londons führender Schauspielerin an der Seite ihres Gatten Michael Gosselyn, dessen Traum es ist, ein eigenes Theater zu eröffnen und zu leiten. Selbst ein lediglich mittelmäßiger Schauspieler, der aber über erstaunliche Schönheit verfügt und aufgrund seines Aussehens reüssieren kann, entpuppt Michael sich als bescheidener, fast langweiliger Mann, der der Leidenschaft Julias wenig entgegen zu setzen hat. Sie liebt ihn abgöttisch, doch sobald der gemeinsame Sohn Roger geboren wird, vergeht diese Liebe und das Paar konzentriert sich auf seine Arbeit und den künstlerischen Erfolg. Als der junge Revisor Tom Fennel Julia kennenlernt, sich als Verehrer entpuppt und in leidenschaftlicher Liebe zu der Mimin entflammt, fühlt Julia sich  zunächst geschmeichelt, lässt sich dann auf eine aus ihrer Sicht vorübergehende Affäre ein, bevor auch sie merkt, daß sie sich verliebt hat. Daraus entstehen eine Reihe von Verwicklungen, Intrigen und Eifersüchteleien, bis die Schauspielerin ihren Gefühlshaushalt konsolidiert, die Dinge aufs rechte Gleis setzt, sich der Angriffe jüngerer Kolleginnen erwehrt und schließlich, nach einem in einem gesetzten Alter eher ungewöhnlichen Erfolg ihren angestammten Platz unter Englands führenden Bühnendarstellerinnen wieder einnimmt.

Maugham versteht das alles mit der ihm eigenen Ironie, gelegentlich auch mit beißendem Sarkasmus, vor allem aber mit leichter Hand zu erzählen. Die Eitelkeit, Egozentrik und Verletzlichkeit fängt er ebenso ein, wie die Hinterhältigkeit, mit der Konkurrenz ausgestochen, dem eigenen Gefühl gefrönt und jeder, der dafür in Frage kommt, ausgenutzt wird. Es ist der distanzierte Blick dessen, der sich aus dem Metier verabschiedet hat und in ein anderes Fach  gewechselt ist, sich jedoch Hochachtung und viel Wärme für die frühere Wirkungsstätte bewahrt hat. So wird er nie bösartig, im Gegenteil, man spürt die große Zuneigung des Autors zu seinen Figuren, zumindest zu den Hauptfiguren, und ihrer Profession. Und mehr noch spürt man, daß der ganze Theaterkosmos wahrscheinlich nur so laufen kann, wie er hier geschildert wird. Das ist gelegentlich brutal, wenn Meister des Fachs Novizen deren ganzes Unvermögen vor Augen führen, wenn junge Menschen bis zum Äußersten getrieben werden, um höchste Leistungen aus ihnen heraus zu kitzeln. Ebenso weiß Maugham aber auch die Früchte harter Arbeit zu schildern: Wie Julia nicht nur an Selbstsicherheit und monetärem Reichtum gewinnt, sondern auch an sozialem Prestige, wie aus dem jungen Mädchen von der Insel Jersey, deren Vater Tierarzt war, was in London schlecht beleumundet ist und von Michael gern kaschiert wird, indem er seine Verlobte als Tochter eines Arztes vorstellt, eine angesehene Dame der Upper Class wird. Und diese Frau weiß es durchaus zu schätzen, von einem Tom Fennel, der seinerseits bescheideneren Kreisen entstammt, umgarnt zu werden, ihn auszuhalten und damit auch in eine Abhängigkeit zu drängen, die Macht verleiht. Und auch diese weiß Julia zu schätzen.

Maugham war ein durchaus gewiefter Psychologe, seine Kunst besteht auch und gerade darin, sehr glaubwürdige Figuren zu entwerfen – heute oftmals kopiert und dadurch mittlerweile auch zu Klischees erstarrt – , deren Handeln sich nahezu logisch, eben psycho-logisch, erschließt. Das Wechselspiel aus Macht und Abhängigkeit, das sich zwischen jung und alt, zwischen Könnern und Neulingen, aber auch zwischen den Geschlechtern entwickelt, fängt er brillant und mit Eleganz und Leichtigkeit ein. Darüber hinaus gelingt es ihm aber auch, den Beruf – die Berufung? – des Schauspielers leise und vorsichtig zu hinterfragen. In einer langen Szene zwischen Julia und ihrem mittlerweile erwachsenen Sohn Roger, der weder dem Vater noch der Mutter nacheifern will, sondern nach dem tieferen Sinn des Lebens zu suchen wünscht, am liebsten als Priester, wäre er nur gläubig, und damit wie ein entfernter Verwandter der Figur des Larry aus dem sechs Jahre später entstandenen Roman THE RAZOR`S EDGE (1943) wirkt, arbeitet Maugham die Frage heraus, wer sich hinter all den Rollen, die eine Frau wie Julia in ihrem Leben gespielt hat, eigentlich verbirgt? Gibt es einen Menschen hinter der Darstellerin, echte Gefühle, wahre Gedanken hinter der Mimikry?

Und wirklich wird uns immer wieder in den zahlreichen Dialogszenen des Romans mitgeteilt, daß Julia sich, nachdem sie Kluges oder Emotionales geäußert hat, fragt, welchem Stück sie die Zeile entliehen hat oder ob es ein originärer Gedanke ist. Maugham stellt die Schauspielerin nicht bloß, im Gegenteil, er lässt sie sogar eine durchaus existenzialistische Antwort auf die Frage finden, mit der sie selbst hervorragend leben kann. Doch zugleich weist er auf eine Déformation professionelle hin, die einen Regisseur wie Alfred Hitchcock Jahrzehnte später seine ganze Verachtung für seine Darsteller zum Ausdruck bringen ließ, als er darauf hinwies, diese seien schwache Charaktere, die mit den Ideen, ja, der Sprache anderer angefüllt würden. Leere Gefäße, sozusagen. Soweit geht Maugham keineswegs, dennoch gelingt ihm ein eine durchaus interessante Gegenüberstellung des Mimen mit dem – in der Figur Rogers – , der das „wahre Leben“, den „wirklichen Sinn hinter allem“ zu erforschen und zu entdecken wünscht.

Wie viele seiner Romane, Novellen und Short Stories, inspirierte auch THEATRE spätere Verfilmungen. Dreimal wurde der Stoff bearbeitet[1], darunter 1962 mit Lilli Palmer als Julia, zuletzt in einer amerikanisch-europäischen Ko-Produktion mit der wunderbaren Annette Bening in der Hauptrolle. Doch so gelungen die verschiedenen Bearbeitungen sein mögen, den Roman zu lesen, auch Dekaden nach seiner Erstveröffentlichung, bereitet immer noch ein höchst eigenes und seltenes Vergnügen. Wie Joseph Conrad, gilt es auch, W. Somerset Maugham wieder und neu zu entdecken, denn er war nicht umsonst der meistgelesene Autor seiner Zeit und ist bis heute einer der meist gelesenen britischen Autoren der Moderne.

 

[1] JULIA, DU BIST ZAUBERHAFT (D/1962); TEATRIS (Let/1978); BEING JULIA (CAN/US/HUN/GB/2004).

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