AGENTEN DES BÖSEN

Von Verschwörungsideologien und ihrem politischen Nutzen

Am Anfang war der Teufel. Er und der Gott des Alten Testaments gehen eine Wette ein auf Hiob wieviel ist er bereit zu ertragen, der Mensch? Und wird er seine Frömmigkeit verlieren, wenn Gott ihm nimmt, was er ihm einst gab? Dieser Gott und Satan sind sich nicht ebenbürtig und sie sind dem Menschen nicht nah. Nein, sie verschwören sich GEGEN einen Menschen, um ihn auf die Probe zu stellen. Es ist das Neue Testament, das einen Gott ebenbürtigen Widerpart braucht, da der Gott des Neuen Testaments selbst Mensch geworden, zumindest diesem gleich ist nun verschwört sich der Teufel nicht nur gegen den Menschen, sondern er verschwört sich gegen Gott. Und schnell werden ihm Helfer zur Seite gestellt die Juden, die in Jesus angeblich Gottgetötet hätten.

Wolfgang Wippermann, Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin, beginnt eben mit diesem Fakt, um seine Geschichte der Verschwörungstheorien darzulegen. Am Anfang war der Teufel und recht schnell hatte die erste, grundlegende Verschwörungstheorie schon DEN Beisatz, der sich seitdem durch fast jede ernstzunehmende Verschwörungstheorie zieht: Irgendwo, an irgendeinem Ende sind (fast) immer die Juden mit verschworen und beteiligt. Anders als Karl Hepfer in seiner philosophischen Kritik der Unvernunft[1], der die wissenschaftstheoretischen und philosophischen Grundlagen, Strukturen und Schemata von Verschwörungstheorien untersucht und nur begrenzt auf deren Absichten und Wirkung eingeht (obwohl er auch das tut), widmet Wippermann sich den politischen Aspekten von Verschwörungstheorien, ihrem Nutzen: Wem nutzen sie und warum? Wozu haben sie geführt? Wie haben sie sich durch die Geschichte ausgebreitet? Wie haben sie ihren Charakter verändert? Wie haben sie wem geschadet?

Der Autor geht chronologisch durch die Jahrhunderte seit Luther und beschreibt die verschiedenen Verschwörungstheorien, wie sie auf einander fußen, wie sie sich bedingen und eine aus der andern entsteht: Wie aus den oben beschriebenen, sehr fundamentalen Verschwörungen nach und nach die spezifischeren, uns auch heute noch bekannten Theorien hervorgehen: Vom Teufel über die Juden zu den Hexen der frühen Neuzeit; mit dem Zeitalter von Humanismus und Aufklärung dann die säkularisierten Verschwörungstheorien, die sich um die Illuminaten und die Freimaurer ranken; mit dem 19. Jahrhundert schließlich die auch heute noch vitalen Verschwörungstheorien um Sozialisten und Kommunisten, die sich ja auch im 20. Jahrhundert, gerade im Westen noch nach 1945, ausgebreitet haben. Wippermann untersucht aber genauso auch die Verschwörungspropaganda der Kommunisten und stellt sowohl in der ehemaligen Sowjetunion als auch in der damaligen DDR durchaus antisemitische Verschwörungstheorien fest, die eine gewissen rassistische Kontinuität gerade in Deutschland auch nach dem Dritten Reich bedeuten. Der Antisemitismus zieht sich wie ein roter Faden durch die 13 Kapitel. Selbstredend wird den fiktionalen doch ausgesprochen wirkungsmächtigen Protokollen der Weisen von Zionein eigenes Kapitel gewidmet, denn dieser Text steht symbolisch für den Übergang eines religiösen zu einem rassistischen Antisemitismus und entfaltete sein Gift in ganzer Stärke im 20. Jahrhundert, obwohl es in Stil, Aufmachung und Denkschemata ein Text des 19. Jahrhunderts ist.

Es ist dieser Übergang, der Wippermann eher von Verschwörungsideologien, als von Verschwörungstheorien sprechen läßt. Da Verschwörungstheorien in den allermeisten Fällen angenommene, vermutete, eingebildete Konstrukte sind, sieht Wippermann den Tatbestand der Ideologie im Wortsinne erfüllt. Und gerade das komplett erfundene Pamphlet über die jüdische Weltverschwörung auf einem Prager Friedhof markiert aufs trefflichste, was damit gemeint ist. Danach waren die Juden nicht einfach nur die Christusmörder und Brunnenvergifter verschwörungstheoretische Vorwürfe, die Jahrhunderte lang als Begründung für Pogrome, Brandschatzungen und Massaker herhalten mussten – , sondern sie waren auch noch für den Bolschewismus, den internationalen Finanzkapitalismus (wie das zusammenhängtes muß wohl Dialektik sein) und so ziemlich jede Schweinerei verantwortlich, die nach Sündenböcken schrie.

So nimmt es nicht Wunder, daß uns der Antisemitismus nach 1945 nicht nur auf der extremen Rechten begegnet, wo von der totalen Leugnung des Holocaust, der Auschwitzlüge, bis zum genauen Gegenteil, dem Vorwurf, die Juden würden den – eigentlich ja nie geschehenen – Holocaust ausschlachten und weiterhin zur Industrie aufblähen, alles dabei ist, sondern durchaus auch auf der Linken. Die ergriff gern Position für die Unterdrückten dieser Erde und daß sie die Palästinenser als eben solche ausmachen konnte, unterdrückt vom Staate Israel, bot seit den 1970er Jahren allerlei psychoanalytischen Deutungen Raum und Argument. Bedenkt man, daß ein selbsternannter Revolutionär wie Dieter Kunzelmann seine Genossen ernsthaft fragen konnte, wann bei ihnen der Kampf gegen die heilige Kuh Israel begänne und ihnen einen Judenknax unterstellte [2], dann kann man diese Deutungen nur allzu gut verstehen. Es besteht schon eine interessante und durchaus beunruhigende Kontinuität von den Eltern zu den Kinder, die sich, älter geworden, auch noch selbst bestätigen, eigentlich die Kämpfe der Eltern mit anderen Mitteln weiter gekämpft zu haben [3]. So deutet schon einiges in der Geschichte von 68ff. auf einen ausgeprägten Linksantisemitismus hin. Den hatte es zuvor allerdings auch schon an allerhöchster Stelle gegeben: Stalins Antisemitismus prägte sich in seinen späten Jahren immer stärker aus, zumal er sich ununterbrochen von Verschwörern und Verschwörungen umgeben sah. Wippermann geht soweit, zu unterstellen, daß es der Tod des Diktators im März 1953 war, der einen brutalen Genozid an den in der Sowjetunion eh nie gut gelittenen Juden verhinderte.

Die Postmoderne lernt nun eine ganz neuen Art von Terrorismus, Bedrohungen und also auch Verschwörungstheorien kennen. Der neue Terrorismus ist viel schwerer erfassbar, weil weitaus primitiver als der Linksterrorismus der 70er Jahre, der oft mit enormen logistischen Aufwand eher Räuber-und-Gendarm-Spielen glich und oft eher symbolische Erfolge erzielte, während man es heute mit einem in seiner Primitivität höchst effektivem Terrorismus zu tun hat, der es versteht, wirklichen Terror zu verbreiten, weil er ihn mit Bomben, Schnellfeuergewehren und einem hohen Maß an Brutalität direkt in die Gesellschaften hineinträgt und nicht lediglich symbolische Ziele angreift. Zugleich aber ist dieser postmoderne Terrorismus auch viel komplizierter, in seiner Bedrohung vielschichtiger, kennt er doch mediale Möglichkeiten, Verbreitungswege, damit einhergehend aber auch Möglichkeiten von Propaganda und (Fehl)Information, wie es sie zuvor nie gegeben hat. Als am 9. September 2001 die Flugzeuge in die Türme des World Trade Center (WTC) in New York krachten und explodierten und diese Einschläge schließlich beide Hochhäuser einstürzen ließen, da war der Terrorismus endgültig in der Postmoderne angekommen. Ohne auch nur einem Opfer der Anschläge auch nur ein Gran des Leids absprechen zu wollen der eigentliche Effekt waren nicht die wahrscheinlich mehr als 3000 Opfer, der Effekt waren die Bilder. Jean Baudrillard war es, der, ganz im Sinne des von ihm erfassten Simulakrums, postulierte, es habe nie einen wahren Angriff gegeben, lediglich die Idee davon eben in jenen Bildern eingefasst, die damals Stunden, Tage, Wochen in Endlosschleife über die TV-Schirme und Rechner-Monitore flimmerten. Und so intellektuell stimulierend solche Überlegungen sein mögen, schlummert in ihnen doch auch schon wieder der Ansatz zur nächsten Verschwörungstheorie.

9/11 wurde zur Chiffre einer Zeitenwende, man muß es wohl so sehen. Doch die begleitenden Theorien darüber, wer eigentlich hinter den Anschlägen stecke, brachten dann doch wieder nur die alten Bekannten hervor: Der CIA, der dem Präsidenten unbedingt eine Vorwand liefern musste, eine Art Blankoschein für alle möglichen, geheimen Hintermännern und anonymen Konglomeraten versprochenen, militärischen Abenteuer; das ging allerdings nicht ohne die Hilfe des Mossad, des israelischen Auslandsgeheimdienstes, der ja, wie wir alle wissen, seit spätestens 1960 seine Finger in allen dreckigen Machenschaften stecken hat. Dabei fällt auf, daß sich mit solchen Thesen häufig eher dem linken Spektrum zuzurechnende Journalisten hervortun. Die Postmoderne verwischt halt alle Gewißheiten, feiert die Ambivalenz und führt zu immer eindeutigerer Uneindeutigkeit. Auch diese Tendenzen spiegeln sich in Verschwörungstheorien. Allerdings ist es erschütternd, daß die Stereotype, die hinter all dem virtuellen Brimborium hervorlugen, uralte sind. So wird das dem Verschwörungstheoretiker heilige cui bono? erstaunlich phantasielos mit dem Ressentiment des spekulierenden und wuchernden Juden beantwortet: Das WTC gehörte einem Juden, angeblich seien in den Hochhäusern eingemietete jüdische/israelische Firmen Wochen zuvor unterrichtet gewesen und einige Schlaumeier meinten allen Ernstes die genaue Anzahl der jüdischen Opfer benennen zu können, die ihnen dann erstaunlich gering vorkam. Der dem zugrunde liegende Gedankengang ist es wert, bewundert zu werden in der Schönheit seiner grausigen Perfidie: Da wird ein Beweis gegen die Juden aus der Tatsache gestrickt, daß nicht genug Juden zu Tode gekommen sind. Doch, man sollte sich dieses Gedankenkonstrukt sehr genau betrachten, denn es verrät dem unvoreingenommenen Beobachter sehr viel darüber, wie Verschwörungstheorien funktionieren.

Wippermann kommt zum Ende seiner historischen Betrachtung gewisser verschwörungstheoretischer/ideologischer Thesen und Theorien zum Ausgangspunkt zurück. Im aus den Twin Towers aufsteigenden Rauch, kurz bevor der erste der Türme zusammenbrach, meinten Viele die Fratze des Leibhaftigen erkannt zu haben. Und wirklich: Betrachtet man das auch in Wippermanns Buch abgedruckte Foto, entdeckt man eindeutig das Gesicht eines ausgesprochen schlecht gelaunten Herrn mittleren Alters. Und auch die Ansätze von Hörnern kann man erkennen. Und man versteht, daß dieses Wesen nur böse werden konnte, wenn es bei all seiner satanischen Macht lediglich die durchschnittliche Visage eines miesepetrigen Mittfünfzigers verpasst bekam. Man will ja schließlich auch was hermachen. Es ist nur folgerichtig, daß Wippermann auf den letzten Seiten seines Buches satanistische und esoterische Verschwörungstheorien bespricht. Denn Spaß beiseite die Zeiten ändern sich und wir erleben, wie im Namen der Aufklärung etwas geschieht, was man durchaus Antiaufklärung nennen kann. Und mitten in den Falschmeldungen, den verkürzten Argumenten, den offen vorgetragenen Lügen und all der Indifferenz, können auch die hässlichsten aller Verschwörungstheorien erneut ihr Gift in die öffentlichen Diskurse träufeln. Solange es um die Frage geht, ob es Bielefeld gibt oder in Area 51 tote Aliens gehortet werden, ob die Mondlandung stattgefunden hat oder lediglich in einem Studio in der Wüste von New Mexico nachgestellt wurde – solange können Verschwörungstheorien sogar Spaß machen, sind einige doch derart abstrus, daß es einfach ein Gaudi ist, sich mit ihnen zu beschäftigen. Solange soll man sie ruhig Theorien nennen. Doch wenn sie ihr Wesen dahingehend verändern, Risse durch die Gesellschaft zu treiben, diskriminierend und spalterisch zu wirken und ganze Gruppen Juden, Zigeuner, Homosexuelle, Muslime oder Christen zu stigmatisieren, sollte man Wippermann folgen und durchaus von Ideologien sprechen. Als Historiker interessiert sich Wippermann weniger für die komischen Aspekte, mehr für die politischen. Will man verstehen, wie Verschwörungstheorien im Innern funktionieren, sollte man unbedingt auf Hepfers Buch zurückgreifen. Doch in der Doppellektüre mit Wippermann versteht man umso besser, was sie im Zweifelsfall immer gefährlich macht. Erst für die anderndann.

[1] Hepfer, Karl: VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN. EINE PHILOSOPHISCHE KRITIK DER UNVERNUNFT. Bielefeld, 2015.

[2] siehe auch: Kraushaar, Wolfgang: WANN ENDLICH BEGINNT BEI EUCH DER KAMPF GEGEN DIE HEILIGE KUH ISRAEL?MÜNCHEN 1970: ÜBER DIE ANTISEMITISCHEN WURZELN DES DEUTSCHEN TERRORISMUS. Reinbek, 2013.

[3]siehe dazu: Aly, Götz: UNSER KAMPF. 1968 EIN IRRITIERTER BLICK ZURÜCK. Frankfurt a.M.; 2008.

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