KEIN GANZER MANN/THE NOTHING MAN

Wann ist ein Mann ein Mann?: Jim Thompson stellt die entscheidenden Fragen

Kein ganzer Mann ist, wer nicht mehr über jenes entscheidende Teil verfügt, das so dringend benötigt wird, um zu beweisen, was und wer man(n) ist…zumindest sieht das Clinton Brown so, der durch einen Befehl seines Vorgesetzten im Krieg in ein Minenfeld gelaufen ist und eben jenes Teil verloren hat. Nun arbeitet er bei einer Lokalzeitung in der kalifornischen Provinz und piesackt seinen ehemaligen Vorgesetzten, der leitender Redakteur bei eben dieser Zeitung ist und unter schrecklichen Gewissensbissen leidet. Clinton erfährt durch Sheriff Stukey, daß seine Frau, Ellen, erneut in der Stadt aufgetaucht ist und ihn zu sehen wünscht. Sie liebt ihn nach wie vor. Sie logiert auf einer kleinen Insel, der Stadt vorgelagert, wo Clinton sie während eines Sturms aufsucht, bittet, sich endlich von ihm fernzuhalten, mit zunehmendem Suff jedoch die Kontrolle über sich verliert und sie schließlich erschlägt und anzündet. So zumindest meint er. In den darauffolgenden Tagen und Wochen verdächtigt ihn Stukey des Mordes an seiner Frau, doch gelingt es Clinton immer wieder, die Verdachtsmomente von sich abzulenken. Die Ereignisse überschlagen sich, als nicht nur seine Geliebte, die praktisch nur darauf gewartet hatte, daß Clinton „frei“ sei, auftaucht. Ihrer entledigt er sich auf ähnliche Wiese, wie Ellens, später auch einer Erpresserin. Doch mehr und mehr verliert der ununterbrochen trinkende Clinton die Übersicht darüber, was er nun wirklich getan hat, was er halluziniert haben könnte und auch die Lücken in seiner Erinnerung wollen sich nicht schließen. Als ihm auffällt, daß Stukey, den er fortwährend verhöhnt und dessen Ambitionen auf das Amt des Bezirksrichters er zu torpedieren sucht, da der Sheriff durch und durch korrupt ist, mittlerweile jedweden Verdacht, der auf Clinton fällt, nahezu desinteressiert vom Tisch fegt, dämmert ihm, daß Stukey ganz Anderes mit ihm im Schilde führt…

1954 während einer seiner literarischen Hochschaffensphasen verfasst, ist THE NOTHING MAN (Originaltitel) ein gutes Beispiel, an dem man bei Jim Thompson ein Gefälle zwischen den brillanten und den guten Romanen ausmachen kann. Nimmt man THE KILLER INSIDE ME oder POP. 1280, so hat man es mit der Spitze dessen zu tun, was dieser Ausnahmeautor der ‚hard boiled novel‘ zu leisten imstande war. Die dortigen Icherzähler – ein Psychopath der eine, ein durch und durch verkommenes Subjekt der andere (wenn nicht gleich der Teufel selbst) – treiben uns beim Lesen den Angstschweiß auf die Stirn und lassen uns in unserem Glauben an das Gute im Menschen sehr, sehr schwach werden. Clinton Brown nun wiederum gehört zu den eher „menschlichen“ Figuren in Thompsons Universum. Anders als Lou Ford in THE KILLER INSIDE ME oder Nick in POP. 1280, der einfach keine Lust hat, sich anzustrengen und deshalb bereit ist, seine Position mit allen Mitteln zu verteidigen, hat man es bei Browns Verbitterung durchaus mit einer nachvollziehbaren zu tun. Er steht für die Millionen, die an Körper und/oder Seele versehrt aus dem Krieg in Europa und/oder dem Pazifik zurückkehrten und sich wieder in eine Zivilgesellschaft einfinden mussten, die wenig bis kein Verständnis für die spezifischen Probleme aufbrachte, die diese Männer hatten. Thompson greift in gewisser Weise etwas vor, das 25 Jahre später anhand der aus dem Vietnamkrieg Zurückkehrenden virulent wurde: Das Problem der unter posttraumatischen Belastungsstörungen Leidenden. Allerdings wird aus Clinton Brown eben ein Misanthrop allererster Güte, der sich an Gott und der Welt und den Frauen v.a., die ihm nachsteigen und die er nicht mehr zu beglücken in der Lage ist, rächen will.

Der englische Titel ist dabei ein hinterhältiges Wortspiel, denn THE NOTHING MAN kann nicht nur der Nicht-Mann (in Ermangelung wesentlicher Teile eines Mannes) bedeuten, sondern auch „das Nichts Mensch“. Und genau dieses Nichts Mensch ist es, das in den Kriegen verheizt wurde, der Blick auf das „Nichts Mensch“ ist ein kalter und vergällter und Clinton Brown nimmt seine Umgebung genau so wahr: Er ist umgeben von Typen, die eben dieses Nichts an Mensch verkörpern: Feige, durchtrieben und korrupt, ein jeder und eine jede nur auf den eigenen Vorteil bedacht, kann er keinen Grund mehr erkennen, sich dieser aller nicht zu bedienen um seinem Hass auf die Welt zu frönen.

Das ist immer noch guter Stoff und wäre sicher 4 Sterne wert, doch hat Thompson auch im Aufbau und der Motivik Überzeugenderes geschrieben. Für Einsteiger in Thompsons Kosmos  lohnt sich vielleicht gerade dieses Werk, da es dem Leser eine nicht vollkommen düstere Welt und einen nicht vollkommen unmoralischen „Helden“ vorführt. Fortgeschrittene sollten allerdings zu anderem, härterem Stoff greifen.

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