WER

Neues aus der Werwolfwerkstatt

In einem abgelegenen Département  bei Lyon wird eine amerikanische Familie Opfer eines fürchterlichen Massakers. Lediglich die Mutter überlebt schwer verletzt. Sie berichtet von einem Ungetüm, riesig und haarig, das sie und ihre Liebsten angegriffen habe. Die in Frankreich lebende amerikanische Anwältin Kate Moore (A.J. Cook) übernimmt mit Unterstützung ihres Assistenten Eric Sahin (Vik Sahay) und ihres früheren Geliebten, des Zoologen Gavin Flemyng (Simon Quaterman) die Verteidigung des schnell als Täter ausgemachten Talan Gwynek (Brian Scott O´Connor), eines aus Rumänien stammenden Mannes, dessen extrem behaartes Erscheinungsbild bei einer enormen Körpergröße ihn als Außenseiter stigmatisiert. Schnell finden Kate und Gavin heraus, daß Talan eigentlich nicht in der Lage sein dürfte, die Morde, von denen es verwaschene Handyaufnahmen gibt, begangen zu haben, leidet er doch an einer außergewöhnlich seltenen Krankheit, die ihn, tritt sie stoßweise auf, nahezu bewegungsunfähig macht. Allerdings kann er sich an die Zeiten, wenn ein Schub auftritt, nicht erinnern. Während einer Untersuchungsreihe wird einer seiner Anfälle ausgelöst und nun wissen Kate, Gavin und Eric, daß sie es bei Talan Gwynek definitiv mit keinem eindeutig menschlichen Wesen zu tun haben. Doch nun ist der vermeintliche Mörder frei und die Bevölkerung in Gefahr…

Der Werwolf – eigentlich eine der ältesten Mythenfiguren, in vielen verschiedenen Kulturen in unterschiedlichen Ausprägungen anzutreffen – ist im Laufe der Jahrhunderte und erst recht durch die Verwertung in Filmen in ein recht enges Korsett gesteckt worden: Ein Mann, der bei Vollmond das Tier raushängen läßt. Kann man dem Vampir die Finessen der Erotik, der Verführung und der damit einhergehenden Subversion unterstellen, bricht sich im Wolf der reine Trieb Bahn und fordert sein Recht, wird zugleich aber durch ein strenges Sexualdogma im Zaum gehalten[1]. Der Trieb ist Bedrohung und wird selbst zum Teil der „Krankheit“, des Infekts. Wird man angesteckt mit dem Wolfsfluch – durch einen wirklichen Bann oder einen Infekt – ist man diesem ausgeliefert; geht man – was die Mythologie ebenfalls zuläßt – einen Pakt mit bösen Mächten ein, um sich jederzeit in das Tier wandeln zu können, ist man Gefangener dieses Paktes und ebenfalls ein einsam Getriebener. Die Macht, die den Wolf umgibt, ist immer auch der Fluch der Einsamkeit, ist immer auch das Trennende zur Gemeinschaft hin. Der Wolf ist mächtig, weil er Angst macht, aber er symbolisiert auch die Einsamkeit des Außenseiters, des Fremden, den die Gemeinschaft fürchtet und also vernichten will.

Doch läßt die Werwolf-Figur über den Rand dieses Themenkomplexes hinaus nicht viel zu. Was sicherlich einer der Gründe ist, weshalb er weitaus seltener aufgegriffen wird, als Vampire, Zombies oder der „moderne Prometheus“, also der Neo-Mythos des verrückten Wissenschaftlers, der sich Gott gleich stellen will. Der Schöpfer. Dabei ließe sich aus der Figur mancherlei herausholen. Erfreulicherweise gelingt dem Team um Regisseur William Brent Bell genau dies sowohl inhaltlich wie formal.

Mit einer gehörigen Portion schwarzen Humors, teils brachialer Action, momentweise durchaus beeindruckenden Splatterszenen und formal zwar nicht gerade neuen, aber gut eingesetzten Mitteln sowohl der Mockumentary als auch des Found-Footage-Subgenres (wenn man es denn nun so nennen darf), gelingt Bell ein moderat modernen Bedürfnissen angepasster Werwolf-Film. Zunächst als Anwaltsdrama aufgezogen, schnell gewandelt zu einer Kriminalhandlung, die immer wieder mit vermeintlich dokumentarischem Material aufgepeppt wird, bietet WER gute Unterhaltung durch ein relativ hohes Tempo, Spannung, durchaus auch Momente echter Verstörung und glaubwürdig installierten Konflikten zwischen den Anwälten und der Polizei einerseits, andererseits in der Gruppe um Kate selbst. Ohne die privaten Verhältnisse zu sehr zu strapazieren, ergibt sich ein hohes Konfliktpotential, das die Spannung zusätzlich aufbaut und hoch hält, nicht zuletzt, weil alle Rollen überzeugend, weil zurückhaltend gespielt sind.

Dem Buch gelingt eine Gratwanderung zwischen (post)moderner Aufarbeitung und Dekonstruktion des Mythos, indem wissenschaftlich nachvollziehbare Begründungen für Talans Veränderung beigebracht werden, die Macher von WER es sich aber nicht nehmen lassen, ihr Werk mit allerlei Anspielungen auf den klassischen Mythos auszustatten. Da ist einerseits Talans rumänische Abstammung, womit jenes im Mythischen verortete Land im Spiel wäre, das nur aus Karpaten besteht, immer im Nebel versinkt und dem geneigten Leser schon die Legenden von Vlad Dracul, dem Pfähler, und seinem literarischen Wiedergänger, dem Grafen Dracula, geschenkt hat; andererseits dreht das Buch die Gemengelage geschickt so, daß der dem Werwolf-Mythos auch innewohnende romantische Aspekt bedient wird. Ohne zu viel zu verraten, sei immerhin erwähnt, daß die wissenschaftsgläubigen Junganwälte und ihr zoologischer Experte Gavin schmerzhaft lernen müssen, daß es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als man gemeinhin erwarten würde.

Im Wust einer neuen Welle harter Horrorfilme auch aus den U.S.A., sticht WER deutlich hervor. Ohne Schnörkel inszeniert, gradlinig, seine Schocks wie seinen Humor pointiert setzend, weiß WER zu überzeugen. Hier kann man sich genüßlich zurücklehnen, das Popcorn bereitstellen und sicher sein, daß man fast 90 Minuten lang bestens unterhalten wird. Dem Werwolf-Subgenre weiß der Film zwar nichts wirklich Neuartiges hinzuzufügen, sieht man einmal von den genetischen Erklärungenn ab, doch schafft es der Film, leidlich zu bannen. Ein leicht überdurchschnittlicher Horrorfilm mit recht hohem Blutfaktor.

 

[1] Man bedenke, daß der Werwolf im klassischen amerikanischen Horrorfilm meist nur Auftritte als Side-kick in Ensemblefilmen wie HOUSE OF FRANKENSTEIN (1944) zugestanden bekam und nur selten zur Hauptfigur gereichte wie in THE WOLF MAN (1941), jenem Film in dem Lon Chaney jr. seinen klassischen Werwolf gab. So trug Hammers erst 1961 und also spät entstandener THE CURSE OF THE WEREWOLF (1961) viel zur Typologie des Leinwandwerwolfs bei. Und dort wird das Untier deutlich sexualisiert und triebhaft dargestellt, was eine züchtige katholische Gesellschaft, in der das Drama angesiedelt ist, umso stärker trifft.

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