WEITES LAND/THE BIG COUNTRY – Der erste Antiwestern?

William Wyler erklärt den Weste(r)n für beendet

Kapitän und Reederssproß Jim McKay (Gregory Peck) reist gen Westen, um seine Verlobte im Kreise ihrer Familie zu heiraten. Patricia ‚Pat‘ Terrill (Carroll Baker) ist die Tochter des mächtigen Großgrundbesitzers und Ranchers Major Henry Terrill (Charles Bickford).

Kaum in dem kleinen Städtchen irgendwo in der Weite der Prärie angekommen, macht McKay die Bekanntschaft der Brüder Hannassey, rauflustige und ausgesprochen ungehobelte Söhne des alten Rufus Hannassay (Burl Ives), ebenfalls Besitzer einer Ranch, ebenfalls Rinderlord und Major Terrill ein Blutsfeind. Beide nutzen das Wasser der ‚Big Muddy‘, einer alten Ranch, die der Lehrerin Julie Maragon (Jean Simmons), Pats bester Freundin, gehört. Wie ihr Großvater ist auch Julie um Ausgleich bemüht. Sie läßt beide Herden von ihrem Wasser trinken, allerdings meint der Major immer wieder, er habe Sonderrechte, weil die Lehrerin seiner Familie freundschaftlich verbunden ist.

McKay, der sich nicht gegen die Provokationen der Hannassay-Brüder wehrt und damit bei den Cowboys der Ranch, allen voran Steve Leech (Charlton Heston), Vorarbeiter und Ziehsohn des Patriarchen, auf Unverständnis stößt, merkt schnell, daß er mitten in eine brutale Familienfehde geraten ist. Da er die Methoden, die der Major und Leech favorisieren, ablehnt, zudem auf keine der ihm angetragenen Herausforderungen eingeht, ist er schnell als Feigling abgestempelt.

Schließlich entfremdet er sich auch von Pat, die seine Haltung nicht versteht und letztlich als Tochter ihres Vaters auch verachtet. McKay steht also allein in diesem riesigen Land unter einem unendlichen Himmel und fragt sich, wie er den drohenden Ausbruch von Gewalt verhindern kann. Seine einzige Verbündete ist schließlich Julie, die seine Haltung teilt…

Es gibt ja diese Filme, die man einfach liebt, die einen enormen Erfolg beim Publikum haben (in Deutschland meist noch durch das Fernsehen verstärkt) und von denen man dennoch weiß, daß sie „objektiv“ nicht wirklich funktionieren, aus den unterschiedlichsten Gründen. William Wylers vermeintliches Pazifismusmanifest gehört genau in diese Kategorie. Inhaltlich wie produktionstechnisch ambitioniert, mit teuren Stars, teurem Stab und großem Aufgebot, entspricht THE BIG COUNTRY (Originaltitel) jenen A-Produktionen, mit denen Hollywood Ende der 1950er Jahre der Abwanderung des Publikums an die Bildschirme des neuartigen „Heimkinos“ entgegenwirken wollte. Heraus kam ein Edelwestern, der sich nie entscheiden kann, ob er Fisch oder Fleisch sein will, ein überlanges Familien-, Liebes-, Generationen- und Farmlanddrama, das im Grunde in kaum ein Genre wirklich einzuordnen ist, werden doch alle möglichen Genreregeln unterlaufen, ignoriert und verworfen. Dies soll ein Versuch sein, zu ergründen, warum man einem solchen Film dennoch erliegt und ihn liebt und jährlich mindestens einmal gesehen haben will…

Da der Film nun einmal im Westen spielt und es Pferde, ein, zwei Schlägereien und eine Schießerei gibt, ist er offiziell immer in der Kategorie ‚Western‘ eingeordnet worden, obwohl vieles daran den Westernkonventionen eher widerspricht. Man kann an THE BIG COUNTRY eine Frage festmachen, die für einen Film wie den 22 Jahre jüngeren HEAVEN`S GATE (1980) von Michael Cimino lebenswichtig gewesen wäre – nämlich die, ob jeder Film, der im Westen spielt und in dem eine Schlägerei vorkommt, ein Western ist. Für HEAVEN`S GATE war es tödlich, als solcher vermarktet zu werden. THE BIG COUNTRY hat es hingegen nicht geschadet, so anders zu funktionieren als seine Genrekollegen und 165 Minuten lang seine eigenen Wege zu gehen. Vielleicht war die Zeit damals erstmals wirklich reif, auch im strengen Hollywood die Regeln zu hinterfragen, neue Wege zu beschreiten, wollte man sich gegen das Fernsehen durchsetzen. Regisseure wie Otto Preminger, Elia Kazan oder auch Robert Aldrich nutzten diese Freiheiten und letztlich auch der Veteran William Wyler, der mit ROMAN HOLIDAY (1953), THE DESPERATE HOURS (1955) und FRIENDLY PERSUASION (1956) drei veritable Erfolge in vollkommen unterschiedlichen Genres in vier Jahren gefeiert hatte und sicherlich eine gewisse künstlerische Freiheit genoß, als er sich seines Großprojekts annahm. Hier legt er es auf eine 1958 durchaus politisch zu verstehende Botschaft an, eine pazifistische Botschaft, die er auch schon im direkten Vorgänger FRIENDLY PERSUASION vertrat, da jedoch eng an religiöse Ansichten angelehnt (Quäkerglaube). In THE BIG COUNTRY wird die Frage danach, wie ein Mann sich zur Frage der Gewalt zu verhalten habe, wie Vernunft über rohe Gewalt siegen kann und wie sich Zivilisation gegen das Recht des Stärkeren durchsetzt, anhand des Gegensatzes von (zivilisierter, weil europäisch geprägter) Ostküste und dem ‚Wilden Westen‘ gestellt.

Wenn man den Western als jenen mythischen Ort betrachtet, an dem die Narrative einer Nation entstehen, wo die gemeingültigen Erzählungen, die Selbstversicherungen gespeichert und verinnerlicht werden; wenn die Geschichten, die der Western transportiert, im Kern die Grunderzählungen von Liebe und Hass, Eros und Thanatos, von Rache, Vergebung und dem Weg hin zu jener Stadt auf dem Hügel, dem neuen Jerusalem sind – dann könnte man THE BIG COUNTRY fast als ersten Antiwestern in der Geschichte Hollywoods betrachten. McKay steht da – eine der wenigen wirklichen Schwächen des Drehbuchs ist seine Eindimensionalität, die Peck so gut abfängt, wie es irgend geht, man muß ihm hier eine wirklich sehr gute schauspielerische Leistung attestieren – als vollkommener Vertreter einer neuen Zeit, neuer Werte, neuer Ideale. Der Film läßt nie einen Zweifel an McKays (mindestens moralischer) Überlegenheit zu. Er steht für Vernunft, Besonnenheit und die Kraft des Arguments. Der Westen, wie THE BIG COUNTRY  ihn erzählt, ist ein Hort des Rückständigen, hier herrscht das Recht des Stärkeren, hier ersetzt die Waffe den Buchstaben des Gesetzes, hier verortet William Wyler den virulenten amerikanischen Faschismus, mit dem sich Ende der 50er Jahre viele Intellektuelle in Amerika auseinandersetzten. Mut, wie Terrill, Leech oder auch Rufus Hannassay ihn definieren, wird durch den Film denunziert und letztlich als meist großmäulige Camouflage für Feigheit entlarvt. Da man im Verhältnis zur Länge des Films auch nur wenig von der Arbeit auf einer Ranch zu sehen bekommt, wird die Härte der Männer, der raue Umgangston und die permanente Gewaltbereitschaft nicht zwingend mit dem Leben draußen auf den Weiden erklärt, es wird kein sozialer Rahmen geboten, kein gesellschaftliches Narrativ, daß uns die Verhältnismäßigkeit des Handelns von Männern wie Leech erklärt – was McKay antrifft ist schlichtweg eine als primitiv gekennzeichnete, rückständige Machokultur.

McKay und Julie Maragon bilden ein Paar, das stellvertretend für die Entwicklungen steht, die das Land generell nehmen soll, vielleicht sogar nehmen muß, will es sich selber treu bleiben. Durchaus eine zeitgenössisch gemeinte Aussage, kann man annehmen. THE BIG COUUNTRY erzählt eben nicht von der Landnahme, er erzählt nicht von der Großartigkeit, den Leiden und Opfern der Siedler, er erzählt nicht von Heldentaten und Männern, die schier Unmenschliches leisten, sich und das Land besiegend – aber THE BIG COUUNTRY bezieht sich ununterbrochen auf diese vermeintlich amerikanischen Tugenden. Und sie werden hier als etwas Reaktionäres dargestellt, als eine Basis, die unbedingt zu überwinden ist. Dabei rekurriert der Film nicht einmal auf eine mythische Vergangenheit, in der Typen wie Terrill oder Leech eben gebraucht wurden, um dieses Land zu erkunden und zu erobern – eine Haltung, die der späte John Ford seinen alternden Helden wie bspw. Tom Doniphon in THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE (1962) meist zuteilwerden ließ. Stattdessen fällt Wyler ein Urteil, ein grundsätzliches: Die Art von Gewalt, die hier virulent ist, die sich hier wie ein Geschwür ausbreitet und die das soziale Leben auch Unbeteiligter bestimmt, ist Teil des amerikanischen Charakters. Es braucht eine neue Art von Held, um diese innere Grenze zu überwinden, nachdem die äußeren bezwungen sind. Diese Art Held symbolisiert McKay. Edel, hilfreich und gut.

Ein Western zeichnet sich meist durch eine überschaubare Anzahl Handelnder aus, ebenfalls durch eine überschaubare Anzahl von Handlungssträngen, er erzählt meist gradlinig eine einfache Geschichte, seine Stärken liegen oft in den Nuancen, den Details, der Art und Weise, wie er etwas erzählt, weniger, was genau er erzählt. Der Western der 1950er Jahre fügte dem den gebrochenen Helden hinzu, die Geschichten wurden ambivalenter, die Risse zogen sich durch die einzelnen Personen, die Psychologie hielt Einzug. Eine Entwicklung, die vielen nicht gefiel, verwässerte sie doch die Idee des Mythos. Die Western des Gespanns Anthony Mann/James Stewarts, ein Film wie Henry Kings THE GUNFIGHTER (1950) oder WARLOCK (1959) von Edward Dmytryck sind Paradebeispiele des sogenannten erwachsenen, psychologischen Westerns. THE BIG COUNTRY flechtet nun ein derart kompliziertes und komplexes psychologisches Gewebe, daß er darin nicht nur an eine antike Tragödie erinnert, sondern mit Fug und Recht auch den Königstitel in der Kategorie „psychologischer Western“ für sich in Anspruch nehmen darf. Das Buch von James R. Webb, Sy Bartlett, Robert Wilder und Jessamyn West ist hervorragend. Es versteht in kürzester Zeit, Spannung aufzubauen und diese trotz der epischen Länge des Films aufrecht zu erhalten. Dicht erzählt sind die Konstruktionen der Story derart kompliziert, daß sie das Format des herkömmlichen Western sprengen. Dabei sind die Autoren aber sehr genau in diesen Konstruktionen. Ob die verzogenen Pat Terrill, ihr Vater, der Major – diese beiden sind neben McKay sicher die flachsten Charaktere, am ehesten entsprechen sie Stereotypen – , Steve Leech oder Julie Maragon auf der einen, Rufus Hannassay und zumindest sein ältester Sohn Buck Hannassay auf der anderen Seite – alle diese Figuren sind glaubwürdig und in den meisten Fällen auch vergleichsweise vielschichtig angelegt, erst recht für einen Hollywoodfilm dieser Größenordnung in dieser Zeit. Sie sind psychologisch überzeugend, ihre Handlungen, Ängste und Motive nachvollziehbar. Ganz besonders trifft das auf den von Burl Ives gegebenen Rufus Hannassay zu, der im Kontext der Väter als Patriarchen weitaus besser weg kommt, als der rachsüchtige und durchaus diktatorisch gezeichnete Major Terrill. Grausam sind sie beide, doch wo Terrill machtgierig und manchmal gar sadistisch wirkt, hat Rufus immerhin eine gewisse Würde. In ihm läßt sich noch am ehesten der Typ jenes Mannes erkennen, der einst allein und furchtlos gen Westen zog. Der Film scheut sich allerdings nicht, die ganze Familie Hannassay als noch primitiver darzustellen, als es die Terrills schon sind. Als habe man es mit drei Stufen des Zivilisationsprozesses zu tun, an dessen Enden Rufus und McKay stehen. Terrill ist ein Zwischenwesen, doch hat er sich verlaufen, verloren in Machtphantasien und berauscht an sich selbst. Mitten im nichts – sein beeindruckendes Haus steht vollkommen verloren mitten auf einem Plateau – installiert er eine Art Hof, wo er Audienz hält, aber auch Gericht. Es ist dieses Mittelwesen, das der Film deutlich verurteilt. Als erblicke Wyler hier jenen Typus, der auch zeitgenössisch immer noch die typische amerikanische Kleinstadt beherrscht. Vor einem Mann wie Rufus zeigt der Film durchaus Respekt, wenn auch den Respekt vor etwas Vergehendem, Terrill wird als Kleingeist, engstirnig, vorurteilsbeladen und autoritär beschrieben. Rufus ist es, der McKay als den Mann erkennt, der er ist, es ist aber auch Rufus, der ihn schließlich zum „Großmaul“ abstempelt und damit als einzige Figur des Films eine Kritik an ihm übt, die zumindest einen Kern Wahrheit enthält. Denn in gewisser Weise könnte man behaupten, daß ein latenter Streit, der der Konflikt um die ‚Big Muddy‘ ist, mit McKays Auftauchen virulent wird. Sicher ist McKay nicht schuld an den Ereignissen, doch seine manchmal herablassend-arrogante Art, seine moralische Überlegenheit, die er wie ein Schild führt, zeigen wenig Respekt für die Eigenarten jener Welt, in die er da eintritt. Und die er bis zu einem gewissen Punkt offenbar als Folklore betrachtet.

Wyler gibt seinen Figuren Raum, sich zu entwickeln, sich zu verändern, er gibt aber seinen Darstellern auch den Raum, diese Figuren auszuprobieren und wirklich darzustellen. So trägt das Konstrukt aus äußerem Konflikt, der den Konflikt innerhalb der Familie anfacht, welcher wiederum die Konflikte in den einzelnen Protagonisten anstacheln, über die Laufzeit, man folgt dem gebannt, läßt sich forttragen in dieses weite Land, das Wyler und sein Kameramann Franz Planer atemberaubend in den Weiten und auf den Höhen Arizonas eingefangen haben. Hier entfaltet sich ein klassisches Drama, das den Zuschauer gefangen nimmt, sich zuspitzt und uns dem Finale entgegenfiebern läßt. Wobei wir gnadenlos auf der Seite McKays und also einer friedlichen Lösung stehen. Auch das ist eher ungewöhnlich für einen Western.

Es bleibt interessant, wie Wyler die Konventionen und Regeln des Genres ein ums andere Mal unterläuft. Das fängt bei der überlangen Form an, das zieht sich durch die Darstellung der Menschen des Westens, es wird überdeutlich in der Lösung der Konflikte und Krisen, die es zu bewältigen gilt. Es ist ein eindeutiger Sieg des zivilisierten Ostens, Europas, über den ungehobelten, barbarischen Westen, der – sogar als Idee – schlicht zu überwinden ist. Doch dann geschieht eigenartiges, McKay beweist sich und zumindest dem Publikum dann eben doch, was ein Mann zu tun hat: Er muß das Pferd, dessen Ritt er coram publico ablehnt, allein bezwingen, nur für sich, sein einziger Verbündeter Ramón (Alfonso Bedoya), Stallknecht auf Terrills Ranch. Und die Keilerei mit Leech, die McKay in Anwesenheit der Cowboys, des Majors und auch Pats ebenfalls verweigert, holt er nachts nach, wenn es niemand sieht und niemand mitbekommt, außer Leech selbst. Da passt eigentlich in der Dramaturgie etwas nicht mehr zusammen. McKay vertritt also doch einen Machismo, der dem eines Steve Leech nicht wirklich nachsteht. Ein Mann muß tun, was ein Mann tun muß. Von den ehernsten Gesetzen kann auch Wyler nicht lassen. Ja, McKay ist ein Gentleman, er entstammt einer höheren Klasse, er ist elitär, er ist Ostküste, er ist reich – aber er ist auch Kapitän, er hat Schiffe befehligt, er kennt die Unbilden der See. Er weiß, was Härte bedeutet. Er weiß aber auch, was es bedeutet, sich der Mittel der neuen Zeit zu bedienen. Im entscheidenden Moment hat er den Vorteil, sich auch im Ozean des Präriegrases zurecht zu finden, weil er einen Kompaß lesen und nutzen kann, ein Gerät, welches die Männer auf der Ranch nicht einmal kennen. Auch hier wir McKays Überlegenheit ausgespielt. Der Film behauptet es als folgerichtig, daß sich seine Ideen durchsetzen. Der Westen, wie wir ihn kennen, ist überholt, der Westen, wie wir ihn kennen, ist rückständig, der Westen, wie wir ihn kennen, steht für Ideen, die der Moderne nicht mehr gerecht werden – Wyler läßt an seiner Haltung keinen Zweifel aufkommen.

Doch ist man erstaunt, wenn McKay und sein neu gefundenes Glück schließlich zur ‚Big Muddy‘ reiten, daß der Film wirklich an sein Ende gelangt, daß fast drei Stunden vergangen sind, seit die Postkutsche, die James McKay gen Westen trug, in das kleine namenlose Städtchen irgendwo im Nirgendwo eingefahren kam. THE BIG COUNTRY vergeht wie ein Rausch, trotz all seiner Anliegen, und nimmt einen eben auch mit auf einen idealistischen Trip – einen Trip, der dazu dient, seinem Publikum alles in allem der Großartigkeit des Landes, der Nation und auch seiner selbst zu versichern. Filme wie dieser entsprechen der These, daß Amerika groß wurde, weil es in der Lage sei, seine Fehler zu korrigieren. Man mag das so sehen oder auch nicht, gerade in Zeiten wie diesen kann man durchaus daran zweifeln. Die humanistischeren Filme Hollywoods sind zumindest immer wieder kurze Erinnerungen an die „bessere Seite unseres Charakters“. Darf man ja auch mal genießen.

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