YORAM

Eine deutsch-jüdische Liebesgeschichte im späten 20. Jahrhundert

Wir meinen uns zeitlich immer weiter von den Ereignissen in der Geschichte zu entfernen und merken manchmal nicht, wie sie immer näher an uns heranrücken.

So ergeht es Carla, die uns die Geschichte ihrer Liebe zu Yoram erzählt, den sie in den frühen 70er Jahren in Israel kennen lernt. Die Geschichte, die so spezifische Geschichte, die die Deutschen und die Juden miteinander verbindet, aneinander kettet(?), soll nicht zwischen ihre Liebe treten. Sie nehmen diesen Kampf auf gegen die Bedenken ihrer Umgebung, ihrer Familien und schließlich – und davon erzählt Ulrike Kolb meisterlich – ihrer selbst, denn die Jahre, die Erkenntnisse, das Altern bringen zunehmend weitere Zweifel mit sich. Neue Beweise, oder Scheinbeweise?, zur Täterschaft der eigenen Familie, lassen Carla zunehmend verzweifeln, tiefer und tiefer dringt sie ein in die Materie. Zugleich muß sie erleben, wie sie sich von ihrer Tochter immer weiter entfernt, denn die hat ihre ganz eigenen Probleme, Probleme, die Menschen am Anfang ihres Erwachsenseins haben: Liebe und deren Scheitern, Berufswahl und die Frage danach, wer man eigentlich ist. Und diese Fragen werden umso drängender, wenn ein junger Mensch merkt, daß sein Umfeld selbst nicht so genau weiß, wer man ist, wer überhaupt was ist in dieser Familie.

Ulrike Kolb nutzt eine einfache, meist nüchterne Sprache, um dem Leser ihre Protagonisten näherzubringen. Die Icherzählerin erlebt man dabei sehr nah, Carla wird dem Leser sehr plastisch. So ergeht es einem auch mit einigen anderen der vorgestellten Personen – mit Vered, der Tochter und Aliza, der Mutter Yorams, des Ehegatten. Dieser bleibt dem Leser – trotz daß sein Name Titelgeber des Buches ist – seltsamerweise eher fern.

In dieser kurzen, prägnanten Prosa, die Kolb nutzt, entsteht ein Panorama der 70er und 80er Jahre vor uns, daß noch einmal ein Schlaglicht wirft auf das, was die 68er und diejenigen, die ihnen auf dem Fuße folgten, wollten, wie sie Aussöhnung verstanden. Zugleich, gerade in der fortschreitenden Geschichte des Buches, rückt jedoch die Vergangenheit immer stärker in den Mittelpunkt und dem Leser wird verdeutlicht, daß wir uns von denen, die uns verließen, nicht frei machen können, schon gar nicht, wenn das Verlassen nicht freiwillig war. Fast spiegelbildlich wird die Erinnerung von Yorams Mutter Aliza an ihren Bruder, der sie noch bat, ihn in den Kibbuz mitzunehmen, in den sie mit 8 Jahren geschickt wurde und aus dem sie nie mehr zurückkam bis lange nach dem Krieg, mit der Erinnerung von Carla an ihren Vater, der Lazarettarzt im Krieg an der Ostfront war, verbunden. Albert, der verschwundene Bruder, der so viel zu erzählen gehabt hätte und der Vater, der nicht erzählen wollte – 2 die Handelnden bestimmende Figuren, die dennoch nur in den Erinnerungen selbiger existieren. So wird Aliza in ihren Erinnerungen an den zurückgelassenen Bruder auch die heimliche Hauptfigur dieses Romans und Vered, die Tochter, übernimmt schließlich, im Epilog, die Erzählstimme. Wir werden Zeugen, wie Geschichte und ihre Vermittlung passieren und sich verschieben, wie eine Generation von der vorherigen übernimmt.

Diese deutsch-jüdische Liebe im späten 20. Jahrhundert müht sich, nicht an den ganz großen Themen zu zerbrechen, muß sich gegen die Unbilden des herkömmlichen Alltags wehren und bestehen und sich schließlich doch den ganz großen Themen stellen.

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