ZWÖLFHUNDERTACHTZIG SCHWARZE SEELEN/POP. 1280

Ins Herz der Finsternis: Jim Thompsons 'way down'...

1964 erschienen, gehört POP. 1280 (Originaltitel) deutlich zum späteren Werk des Misantrophen, Zynikers und Erkunders der dunkleren Seiten der amerikanischen Seele Jim Thompson. Vergleicht man es mit früheren Großwerken wie THE KILLER INSIDE ME (so auch im Deutschen – 1952) oder AFTER DARK, MY SWEET (s.a.i.D. – 1955), fällt schon auf, daß Thompson immer verbitterter wurde, seine Sicht auf die amerikanische Gesellschaft immer düsterer und sein Wille, dies auf die ihm eigene Art zu dokumentieren, immer – ja, was? – dringlicher? Bis hin zu den letzten Widerlichkeiten in KING BLOOD (DER KING-CLAN – 1973), sind es von hier aus nicht mehr allzu viele Schritte. Der vorliegende Band zeichnet sich durch einen oft überdrehten Humor aus, einen nicht mehr sarkastischen sondern längst zynischen Humor, mit dem die Ungeheuerlichkeiten, die Thompson dem Leser auftischt, erträglicher werden – der Leser muß sich aber der Tatsache stellen, daß er bereit ist, der Erzählung Nick Coreys, Sheriff in einem kleinen texanischen Kaff namens Pottsville zu Beginn des 20. Jahrhunderts, oft schmunzelnd zu folgen. Und diese Erzählung hat es in sich.

1964 erschienen, gehört POP. 1280 (Originaltitel) deutlich zum späteren Werk des Misantrophen, Zynikers und Erkunders der dunkleren Seiten der amerikanischen Seele Jim Thompson. Vergleicht man es mit früheren Großwerken wie THE KILLER INSIDE ME (so auch im Deutschen – 1952) oder AFTER DARK, MY SWEET (s.a.i.D. – 1955), fällt schon auf, daß Thompson immer verbitterter wurde, seine Sicht auf die amerikanische Gesellschaft immer düsterer und sein Wille, dies auf die ihm eigene Art zu dokumentieren, immer – ja, was? – dringlicher? Bis hin zu den letzten Widerlichkeiten in KING BLOOD (DER KING-CLAN – 1973), sind es von hier aus nicht mehr allzu viele Schritte. Der vorliegende Band zeichnet sich durch einen oft überdrehten Humor aus, einen nicht mehr sarkastischen sondern längst zynischen Humor, mit dem die Ungeheuerlichkeiten, die Thompson dem Leser auftischt, erträglicher werden – der Leser muß sich aber der Tatsache stellen, daß er bereit ist, der Erzählung Nick Coreys, Sheriff in einem kleinen texanischen Kaff namens Pottsville zu Beginn des 20. Jahrhunderts, oft schmunzelnd zu folgen. Und diese Erzählung hat es in sich.

Seinem Bruder im Geiste, dem Deputy Lou Ford aus dem viel älteren Roman THE KILLER INSIDE ME, in nichts nachstehend, weniger einem Drang, also einer Determination folgend, sondern eher dem Lustprinzip verpflichtet, weiß dieser Kerl sich grundsätzlich dümmer zu stellen, als er ist, was ihm meist den Vorteil bringt, mehr zu wissen als alle anderen. Und dieser Überschuß an Information (die durchaus auch mal aus Nichtinformation bestehen kann, so z.B. wenn er wilde Gerüchte über etwaige Kontrahenten streut, nein, nicht einmal das: Er berichtet einem nahen Vetrauten schlicht, es gäbe da Gerüchte – allein das reicht, um eine soziale Vernichtungsmaschine in Gang zu setzen) gibt ihm nicht nur den entscheidenden Vorteil im Handeln, oftmals löst er Coreys Probleme, und zwar final. Anekdotisch erzählt uns der Sheriff davon, wie er sich seine Wiederwahl zu sichern gedenkt, denn – so erklärt er dem verdutzten Leser ganz unverblümt – er könne nichts, weshalb lediglich ein Job in Frage käme, bei welchem er eben nichts tun müsse, was nunmal nur der Job des Sheriffs im Profil zu bieten hat; er erzählt uns aber zugleich auch, wie er sich Respekt verschafft, indem er nicht nur jene Zuhälter über den Haufen schießt, die ihn schlecht behandelt haben, davon, sondern auch, wie es ihm gelingt, den Verdacht auf eben jenen Mann zu lenken, der ihm erstmal den Tipp gegeben hatte, daß und wie er sich zu wehren habe; und last but not least berichtet Corey dem Leser von der Problematik, mit einer Furie, die einen übers Ohr gehauen hat, verheiratet zu sein, deshalb bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit derer besten, weil einzigen Feundin das Bett zu teilen und dabei EIGENTLICH jener Frau hinterher zu schmachten, die man hatte heiraten wollen, wäre da eben nicht die Furie dazwischen gekommen…Nick Corey, so teilt er uns recht beiläufig mit, hat einen Schlag bei den Damen.

Nick Coreys gewaltiger Vorteil bei alldem ist, daß er über kein Gewissen verfügt, keine Skrupel kennt, wenn es für ihn eng wird. Er hat einen wachen Blick: Er sieht, daß die Schwarzen hier vollkommen unterdrückt werden, er weiß, daß er es mit einer verlogenen und bigotten Gesellschaft zu tun hat. Er verachtet diese Gesellschaft, zutiefst, verändern will er sie nicht. Er betrachtet sich lediglich als deren perfekte Ausgeburt: Er weiß sich alles zunutze zu machen, v.a. die „öffentliche Meinung“, wie ein Fisch schwimmt er in den Untiefen seelischer Abgründe – allerdings denen der anderen. Ob es die EItelkeiten eines Machos sind, die Gutgläubigkeit einer Frau, die Vorurteile seiner Bekannten oder das Wissen darum, wie man jemand bestimmtes dazu treibt, einem die Drecksarbeit abzunehmen – der scheinbar so einfältige, dumme, faule und – das vor allem! – feige Sheriff spielt mit den Eigenarten der andern, wie ein Marionettenspieler seine Puppen tanzen läßt. Thompson breitet das mit einer Konsequenz aus, die einen bei allem szenischen, v.a. dialogischen Humor immer wieder frösteln läßt.

Stilistisch ist das elegant, es gleitet diese Story an uns vorbei mit einer Leichtigkeit, die dann eben durch manchmal ultrabrutale Schocks zerrissen wird. Doch gerade in dieser Eleganz, in der Leichtigkeit, der Beiläufigkeit, die Corey als Ich-Erzähler anschlägt, verbirgt sich der Fallstrick für den Leser, denn wir lassen uns durch eben diese Facetten des Textes mindestens so einlullen, wie es den von Corey becircten Damen, Bürgern und Kollegen passiert. WIr gehen ihm lesend auf den Leim, was dem Roman einen perfiden doppelten Boden verpasst. Thompson will uns nicht nur etwas vorführen, er will uns durchaus einen Spiegel vorhalten.

Man merkt dem Roman die tiefe Verbitterung seines Autors an. Dadurch, daß er die Geschichte um 1905/1910 spielen läßt, ist die Nähe zu dem, was später „der wilde Westen“ genannt wurde, schon hergestellt, um so einfacher fällt es ihm, der selber aus dem staubigen Südstaat Oklahoma stammte, eine Gesellschaft zu skizzieren, die ‚Recht und Ordnung‘ eigentlich nur vom Hörensagen kennt, die brutalisiert ist, allein schon durch eine lebensfeindliche Umwelt, die sengende Sonne, die flirrende Luft, eine Gesellschaft, die sich eines Menschheitsverbrechens schuldig gemacht hat und nicht davon lassen kann – und all das überträgt Thompson ziemlich eindeutig auf seine Gegenwart. Nick Corey ist letztlich das perfekte Endprodukt dieser Gesellschaft: beliebt, von den Frauen umschwärmt, freundlich und manierlich, dabei extrem individualisiert, brutal und ohne Empathie. Und von einer bestialisch aufblitzenden Intelligenz beherrscht, die ihn das richtige – in seinem Sinne – im richtigen Moment tun läßt.

In einer der ergreifendsten, gewalttätigsten und wahrhaftigsten Szenen in Thompsons Werk erschießt Corey einen Schwarzen, der, gefangen in den Fallstricken seiner sozialen Rolle, die Leiche eines Weißen nicht auf der Straße liegen lassen kann, weil ‚man‘ das als Schwarzer nicht tut, er darf aber auf keinen Fall mit der Leiche eines Weißen erwischt werden. Also lädt er sie vor der Tür der Ehefrau des Toten ab und kommt damit Coreys Plänen in die Quere. Und so erklärt Nick dem zitternden Mann, der den Sheriff kennt seit der ein Kleinkind war, der ihm traut und glaubt, in ihm einen der wenigen Verständigen für das Los der Schwarzen gefunden zu haben, warum er einen Dreck wert ist – oder auch nicht, daß es aber auf jeden Fall vollkommen gleich ist, schlicht, weil er ein Schwarzer ist und es niemanden kümmert, wenn ein Schwarzer umgebracht wird und daß solange die einen die anderen eben einfach nicht der menschlichen Gattung zuordnen, deren Wert schlicht einen Dreck darstellt. Es kommt darauf an, wer die macht hat, zu definieren, wer wieviel Wert besitzt. Zu glauben, nur weil jemand BEGRIFFEN hätte, daß das Unrecht ist, dieser jemand auch anders handeln würde, sei einfach dumm. Dann drückt er ab.

Jim Thompson hatte einen scharfen und sezierenden Blick. Er sah genau, wo diese ach so freie und demokratische Nation ihre dunklen Flecke hatte. Und wenn man liest, was der Mann schrieb, was er ausdrücken musste, fragt man sich, ob es in dem ganzen Dreck auch irgendwo einen sauberen Ort gibt? Etwas Lichtes? Wahrscheinlich nicht.

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