INS DUNKEL/FORCE OF NATURE
Der zweite Fall für Aaron Falk
Nachdem ihr Debutroman HITZE (2016) ein enormer Erfolg war, legte Jane Harper mit INS DUNKEL (FORCE OF NATURE, Original erschienen 2017; Dt. 2018) nach und lieferte den zweiten Fall für Aaron Falk.
Der – Ermittlungsbeamter bei den australischen Finanzbehörden – wird mit gemeinsam mit seiner Kollegin Carmen Cooper in die Wälder östlich von Melbourne geschickt. Dort ist eine Gruppe Frauen während einer teambildenden Trekking-Tour ihrer Firma verloren gegangen. Nun sind vier der fünf Vermissten wieder aufgetaucht, eine jedoch – Alice Russell – bleibt verschwunden. Ausgerechnet sie ist es, die von den Ermittlern unter Druck gesetzt worden war, um ihnen gewisse Unterlagen aus der Firma zu besorgen. Denn die steht unter Verdacht, seit Jahrzehnten Steuerbetrug zu betreiben. Doch je länger die beiden Ermittler vor Ort sind, desto komplizierter wird der Fall, kommen doch allerhand persönliche Verwicklungen der Verschwundenen untereinander ins Spiel und schließlich sind sich Falk und seine Kollegin nicht mehr sicher, um was es bei dem Ganzen eigentlich wirklich geht…
Harper konstruiert einen interessanten Fall, bei dem sie konkrete Gefahrensituationen, den eher abstrakten Fall um Finanzfälschungen und eine bedrückende Geschichte um Mobbing unter Schülern – dabei handelt es sich um die Kinder der Frauen, die da im Urwald verschwunden sind – miteinander vermengt und weitestgehend klug arrangiert. Sie versteht die Spannungsbögen gut auszubalancieren und die Leser*innen in diesem Geflecht immer auf die Fährte zu setzen, welche die Handlung vorantreibt, ohne dass sich die unterschiedlichen Ebenen gegenseitig allzu sehr in die Quere kommen und ohne die Lösungen all der verschiedenen Rätsel und Geheimnisse, die sich da nach und nach auftun, allzu schnell preiszugeben. Allerdings tritt der Fall, der Falk und Kollegin Cooper bearbeiten und der eigentlich dafür verantwortlich ist, dass sie überhaupt in die Suche nach den Frauen, bzw. der letzten verschwundenen Frau, hineingezogen werden, recht schnell in den Hintergrund. Sobald den beiden Agenten – und mit ihnen auch den Leser*innen – klar wird, dass das Verschwinden von Alice Russell wahrscheinlich nichts mit dem erzwungenen Auftrag zu tun hat, dienen die Ermittlungen eher dazu, die Situation der beiden Beamt*innen und den Druck zu erklären, der von anonymen Vorgesetzten auf sie ausgeübt wird.
Eher in den Vordergrund treten die Beziehungen innerhalb der Survivalgruppe und die Geschehnisse um die Töchter und Söhne der Frauen. Teils kennen die sich ebenfalls untereinander, wie auch einige der Frauen schon Jahre miteinander bekannt sind, weil sie, wie Alice und Linda, gemeinsam auf eine Schule gingen. Das erklärt weshalb sie über Kenntnisse im Überlebenstraining verfügen, waren sie doch einst gezwungen, an einem einjährigen Camp der Schule teilzunehmen, wo man genau diese Survival-Trainings zu absolvieren hatte. Nun, verloren im Dschungel, kommen ihnen die nicht nur zugute, sie geben zumindest Alice auch eine gewisse Macht, da sie ihren Wissensvorteil zu nutzen versteht. Bree und Beth, zwei weitere Mitglieder der Gruppe, sind Zwillinge, wobei ihre jeweilige Entwicklung äußert unterschiedlich verlaufen ist. Während Bree sich bemüht, es im Leben zu etwas zu bringen, ist Beth dem Alkohol verfallen und erst dabei, wieder auf die Füße zu kommen. Jill, die fünfte im Bunde, ist die Chefin der anderen, sie und ihr Bruder, der zeitgleich zu den Frauen mit einer Männergruppe unterwegs ist, stehen im Fokus der Ermittlungen. Eine jede der fünf und mindestens der Chef selbst haben, wie sich im Laufe der Handlung herausstellt, ganz unterschiedliche, teils persönliche Motive, Alice Russell möglicherweise etwas anzutun.
Da Harper irgendwann dazu übergeht, die Handlung auf zwei Zeitebenen zu erzählen, ihrem Publikum also einerseits von den Ermittlungen selbst und auf dieser Ebene vor allem von Falk und Cooper berichtet, andererseits aber auch in teils langen Rückblicken von den Tagen, die die Gruppe im Urwald verbringen musste, treten die Beziehungen der Frauen untereinander stark in den Vordergrund. Leider tritt dadurch aber auch die innere Konstruktion des Romans überdeutlich hervor, wird immer durchschaubarer. Es ist ja das grundlegende Problem aller Kriminalliteratur – ihre Konstruiertheit. Hier sind es vor allem die persönlichen Verbindungen der Frauen untereinander, die weit über das Berufliche hinausgehen, dann sind es die Verbindungen der Kinder und die Verwobenheit der beiden Ebenen, der Generationen miteinander, die hervorstechen. Die Geschichte funktioniert eben nur so. Genau so. Und zu allem Überfluss wird auch noch eine Geschichte um einen Serienmörder in das ganze Konstrukt hineingewoben, um die Spannung zu steigern, was eigentlich unnötig wäre, würde die Autorin auf die Reibung, die Konflikte vertrauen, die ohne jeglichen Zusatz schon aus eben den oben geschilderten Beziehungen entstehen. So suchen Lesende bald nur noch nach Verbindungen, die sie ausschließen können und nach solchen, welche Sinn ergeben und auf die Lösung des Falls hindeuten. Diese Lösung – auch dies folgt eben den Konventionen der Kriminalliteratur – ist dann natürlich eine, auf die man am allerwenigsten käme.
Auf der Habenseite des Romans stehen dafür einerseits die einmal mehr beeindruckenden Naturbeschreibungen, die die Autorin hier liefert. Wie es ihr schon im Vorgängerroman gelang extreme Hitze, Einöde und Einsamkeit zu vermitteln, gelingt es ihr hier, die Leser*innen die Undurchdringlichkeit der Wälder spüren zu lassen, in denen die Frauen sich verlaufen haben. Die Kälte des australischen Winters, die Verlorenheit in den immer dämmrigen Baum-Kathedralen des Urwalds, die Bedrohlichkeit einer Umgebung, die man nicht versteht, die man nur bedingt lesen kann und in der sich allerhand potentiell Gefährliches verbergen könnte werden hier brillant vermittelt. Andererseits ist es die Figur des Ermittlers Aaron Falk, die hier ausgearbeitet und vertieft wird. Er trägt noch die Spuren der Verbrennungen, die er im Vorgängerband HITZE erlitten hatte; wir lernen mehr über seine Beziehung zu seinem Vater, von der wir bisher nur wussten, dass sie aufgrund der Vorkommnisse in Falks Jugend – Vorkommnisse, die seinen Vater veranlassten, die Heimatstadt Kiewarra Hals über Kopf zu verlassen – immer angespannt gewesen ist. Wir verstehen besser, weshalb Falk ein so zurückhaltender Mann geworden ist. Doch gesteht Harper ihm hier ein oder zwei emotional eindringliche Momente zu, bspw., wenn er merkt, dass er sich zu seiner kurz vor ihrer Hochzeit stehenden Kollegin hingezogen fühlt. Für die Leser*innen wird dieser Mann dadurch greifbarer, menschlicher, auch sympathischer.
Allerdings sind weder die Frauenfiguren noch Falk frei von Klischees. Der Ermittler ist mit Problemen ausgestattet, wie man sie bereits von etlichen Ermittlern, Polizisten und Detectives der Kriminalliteratur kennt; die Frauen sind zu offensichtlich auf ihre jeweilige Funktion im Konstrukt des Romans hin angelegt, als dass wirkliche, authentische Charaktere entstehen könnten. Zugutehalten muss man Harper, dass es ihr gelingt, diese Gruppe nicht hilflos wirken zu lassen. Weder sind die Gründe, weshalb sie sich verlaufen, geschlechtsspezifisch, noch ist ihr Verhalten während der Tage im Dschungel sonderlich töricht. Dass außer der verlorenen Alice Russell keine der Frauen sonderlich Urwald-tauglich ist, stellt die Autorin als eher normal dar. Und dass keine der Frauen, auch Alice Russel nicht, sonderliches Interesse an einer Wandertour unter verschärften Bedingungen hat, wird ebenfalls als ein für Großstädter eher normales (und nachvollziehbares) Verhalten dargestellt. Harper versteht es vielmehr, betriebsbedingte Teambuilding-Maßnahmen lächerlich wirken zu lassen und dabei in Frage zu stellen, ob sie in irgendeiner Weise zu einem verbesserten Betriebsklima beitragen können. Gespiegelt wird dieser eher misslungene Versuch in jenem Druck, der auf die Ermittler ausgeübt wird. Die sprechen abwechselnd telefonisch mit ihren Vorgesetzten, damit sie diesen Druck gerecht untereinander aufteilen, ansonsten machen sie sich milde darüber lustig, was von ihnen verlangt wird. Eine Teambuildingmaßnahme ganz eigener – und völlig ungewollter – Natur.
Anders als im Vorgängerband, gelingt es Harper bei INS DUNKEL auf den Punkt zu einem passenden Schluss zu kommen, sie will nicht mehr als nötig erklären, um die Geschichte zu einem runden Abschluss zu bringen. So fällt der Roman nur ein wenig gegenüber dem ersten Teil der (bisherigen) Trilogie um den Ermittler Aaron Falk ab, da es sich hier stärker um einen reinen Kriminalfall handelt, Falk weniger involviert ist. Zwar wird die Figur Aaron Falk durch den enormen Druck Ergebnisse liefern zu müssen, deren Sinn nicht immer nachvollziehbar ist, realistischer und authentischer, doch wird er eben auch zu einem herkömmlichen Ermittler in einem Kriminalroman. Dennoch – man darf auf den dritten Teil gespannt sein und darauf, ob Jane Harper weitere Bände folgen lassen wird. Denn eines ist dieser Aaron Falk allemal – sympathisch. Und die beiden bisherigen Romane HITZE und INS DUNKEL sind auch deshalb eher ungewöhnlich im Feld der Kriminalliteratur, weil sie vergleichsweise unaufgeregt daherkommen und die australische Natur jeweils auf eine Art und Weise eingeflochten wird, die packend und literarisch fesselnd beschrieben ist.