HITZE/THE DRY

Ein brillanter Debut-Roman

HITZE (THE DRY, Original erschienen 2016; Dt. 2018) war der erste Roman der australischen Kriminalschriftstellerin Jane Harper, zugleich war es der erste Teil einer Trilogie um den Ermittler Aaron Falk. Für einen Debut-Roman ein erstaunlich reifes Werk, das bereits alle Vorzüge aufweist, die das literarische Schaffen der Autorin ausmachen.

Falk kehrt in die Kleinstadt Kiewarra zurück, wo er aufwuchs und welche er einst gemeinsam mit seinem Vater unter dubiosen Umständen fluchtartig verlassen musste. Sein einstmaliger Freund Luke Hadler, dessen Frau Karen und der gemeinsame Sohn Billy werden beerdigt, nachdem Luke sie alle und sich selbst erschossen haben soll. Wie so viele Farmer in und um Kiewarra soll auch er ein Opfer der extremen Dürre und Hitze geworden sein, die hier seit einiger Zeit herrschen. Da die Farm nicht mehr lief und keine Besserung in Sicht gewesen sei, habe der Mann zum Äußersten gegriffen. Nur Baby Charlotte hat das Massaker überlebt und wurde von seinen Großeltern aufgenommen, die ebenfalls vor Ort leben. Es war Lukes Vater, der Aaron über die Vorkommnisse informiert hatte. Der alte Mann will von Aaron Aufklärung über jene Geschehnisse, die einst dazu geführt hatten, dass die Falks Kiewarra verließen: Der Tod von Ellie Deacon, für den der damals siebzehnjährige Aaron verantwortlich gemacht wurde. Nun hat Lukes Vater, der immer ahnte, dass das Alibi, welches sein Sohn seinem besten Freund gegeben hatte, nicht stimmt, wissen, ob Luke wirklich zu Töten imstande wäre? Aaron Falk, der eigentlich sehr schnell wieder zurück nach Melbourne will, wo er lebt und arbeitet, erklärt sich bereit, dem örtlichen Polizeichef zu helfen, der ebenfalls seine Bedenken gegen die Selbstmordthese hegt.

Das ist die Ausgangslage, die Harper entwirft, um ihren Ermittler einzuführen, den Leser*innen dessen Geschichte und Verhältnisse zu vermitteln. Der Mann selbst bleibt hier – ganz seinem Äußeren entsprechend – noch etwas blass, obwohl wir viel von ihm erfahren, von seiner Vergangenheit, seinen Verlusten und seinem Schmerz. Er hat keine Beziehung, lebt vergleichsweise abgeschieden in Melbourne, nahezu ohne persönliche Bindungen, was er auf die Erlebnisse in Kiewarra zurückführt, wo er Freunde hatte und erleben musste, wie fragil die noch so beständig erscheinende Verbindung zu anderen in Wirklichkeit ist. Doch werden die zu guter Letzt sehr dramatischen Ereignisse, mit denen er nun konfrontiert wird, dazu führen, dass er vielleicht erstmals seit seinen Jugendtagen jemanden als Freund bezeichnet – jemanden, den er tatsächlich erst seit wenigen Tagen kennt. In jenem Moment, in dem Aaron Falk einen ihm im Grunde Fremden als Freund bezeichnet, schärft sich die Kontur seines (literarischen) Charakters schlagartig. Auch dies ein Ausweis des Könnens der Schriftstellerin Jane Harper.

Harper gelingen grundlegend zwei Aspekte herausragend gut, die für die Literatur generell, für die Kriminalliteratur im Besonderen wesentlich sind: Sie erzeugt enorme Spannung – und zwar ab der ersten Seite – und, vielleicht noch wichtiger, sie kreiert eine Atmosphäre, die die Leser*innen die Hitze, den Staub, die hier alles beherrschende Dürre und die dadurch hervorgerufene depressive Stimmung der Bewohner der Stadt und des Umlands nachempfinden lässt. Wie Mehltau liegt diese Stimmung über allem: Den Läden, derer es immer weniger gibt, den verlassenen Farmen, die teils wie Mahnungen in der Landschaft stehen, die sichtbare Armut der Stadt, die sich in den vernachlässigten öffentlichen Gebäuden ausdrückt, vor allem in der Schule, die Jahr für Jahr um Almosen bei Wohltätigkeitsorganisationen betteln muss, um auch nur das Nötigste anzuschaffen, das für einen halbwegs normalen Unterrichtsbetrieb gebraucht wird. Für Falk, der seine Heimatstadt Jahrzehnte nicht gesehen hat, ist die Erkenntnis, wie hart sie durch die klimabedingten Veränderungen getroffen wurde, ein Schock. Und durch seinen Blick, seine Wahrnehmung, wird dieser Schock glaubhaft an die Leser*innen weitervermittelt.

Hinzu kommt eben die Spannung, die Lesende dazu treibt, Seite für Seite durch diese Geschichte zu hetzen, weil man einfach wissen will, wie es weitergeht, welche Geheimnisse noch aufgedeckt werden, welche Leichen in welchen Kellern welcher Einwohner liegen und der Entdeckung harren. Dabei übertreibt Harper es nie, ihre Story artet nie zur Kolportage aus, weder überdramatisiert sie, noch mutet sie ihrem Publikum unglaubwürdige Entwicklungen zu. Im Gegenteil – eher kommt das alles mit einer gewissen Ruhe, gar still daher, einer schon bedrohlichen Stille, durch die die Gewehrschüsse, die hier allenthalben zu hören sind, umso deutlicher das Gewebe des Alltäglichen zerreißen. Jeder hier ist bewaffnet und nahezu jeder macht Jagd auf die Kaninchen, deren Bestand zu einer wahren Plage ausgeartet ist. Doch sind die Echos der Schüsse weit zu hören über die lautlosen Ebenen und ein jeder kann Unheil bedeuten.

Die Figuren, die der Roman präsentiert und mit denen Aaron Falk es zu tun bekommt – die Eltern seines ehemals besten Freundes; Gretchen, die gemeinsam mit Aaron, Luke und Ellie einst ein Freundesquartett bildete; der Rektor der Schule Scott Whitlam und dessen Frau, Zugezogene, die sich mit dem Leben in der Provinz erst einmal arrangieren müssen; der Polizist Greg Raco, zu dem Falk nach und nach Vertrauen fasst; aber auch Grant Dow und dessen Onkel Mel Deacon, Vater der verstorbenen Ellie, die Aaron immer noch für deren Mörder halten – sind glaubwürdig in den Nöten, die der Alltag ihnen aufzwingt, aber auch den Ängsten und Sorgen, die sich aus den Tiefen ihrer Vergangenheit speisen. Sie alle umgibt eine gewisse Trägheit, wodurch einmal mehr die drückende Hitze und die Lähmung durch die Dürre vermittelt wird. Sie alle umgibt aber auch eine gewisse Traurigkeit, was den Grundton des Romans setzt, einfängt und trägt.

Einziger wirklicher Kritikpunkt ist vielleicht die Tatsache, wie Harper sich genötigt sieht, nicht nur den Mord an den Hadlers aufzuklären, sondern auch noch eine Erklärung für alle die Geschehnisse um Ellies Tod nachzuschieben. Vielleicht hätte sie den Mut aufbringen sollen ihre Leser*innen einfach im Dunkel zu belassen. So wirken die Lösungen für das, was da vor Jahrzehnten geschah, ein wenig nachgeschoben, zumal die Lösung des gegenwärtigen Falls sich als vollkommen eigenständig und von der Vergangenheit unabhängig erweist. Trotz all der Hinweise, das eine könne mit dem anderen zu tun haben, einander gar bedingen.

Doch sollte man keine Kritteleie betreiben. HITZE ist ein herausragendes Romandebüt und ein echter Pageturner. Man will schnell die Folgefälle von Aaron Falk lesen und natürlich auch die weiteren Werke der Autorin verfolgen. Ein echter Stern am Firmament des Kriminalromans.

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