BLOOD & SINNERS/SINNERS

Ein wunderbarer Musik- und ein hintergründiger Vampirfilm

Ein junger Mann kommt an einem Sonntagmorgen in eine Kirche irgendwo im amerikanischen Süden. Er trägt einen Gitarrenhals in seiner Hand und wirkt verängstigt. Der Priester nimmt ihn in die Arme und fordert ihn zur Umkehr auf…

24 Stunden zuvor…kehren die Zwillinge Smoke und Stack (beide gespielt von Michael B. Jordan) nach Jahren in der Fremde in ihre Heimatstadt Clarksdale in Mississippi zurück. Die beiden haben im Krieg gedient, sie haben in Chicago eine Menge Geld verdient und wollen nun einen Juke Joint eröffnen; eins jener Lokale, die meist außerhalb der Gemeinden den Schwarzen am Samstagabend bei Tanz und Alkohol ein wenig Unterhaltung und Ablenkung vom harten Leben bieten. Die Brüder haben eine riesige Ladung hervorragendes Bier und ebenso hervorragenden Wein mitgebracht, um die Eröffnung ihres Schuppens gebührend zu feiern. Gekauft haben sie die Location von einem Weißen, der offenbar dem Ku-Klux-Klan angehört. Doch das stört Smoke und Stack nicht.

Um für die gebührende Unterhaltung zu sorgen, engagieren sie nicht nur ihren Cousin Sammie Moore (Miles Caton), sondern auch den bereits betagten Harmonika-Spieler und Pianisten Delta Slim (Delroy Lindo), eine lokale Legende, sowie die junge Barsängerin Pearline (Jayme Lawson), auf die Sammie schon länger ein Auge geworfen hat, obwohl sie verheiratet ist. Mit Hilfe des befreundeten Ehepaars Bo (Yao) und Grace (Li Jun Li) Chow, beide chinesischer Abstammung, die den örtlichen Krämerladen führen, gelingt es, noch am Tag des Kaufs und der Eröffnung die Logistik für das Fest auf die Beine zu stellen.

Smoke trifft seine Frau Annie (Wunmi Mosaku), die nicht nur eine Hoodoo-Priesterin und Heilerin, sondern auch eine hervorragende Köchin ist. Naturgemäß ist Annie nach Jahren, die Smoke verschwunden war, nicht sonderlich erpicht darauf, ihn plötzlich vor ihrer Tür zu erblicken. Smoke verurteilt Annies magische Praktiken und wirft ihr vor, sie habe bei der Behandlung ihrer gemeinsamen Tochter versagt, die Jahre zuvor gestorben ist. Es kommt zu Streit, doch letztlich lieben sich Smoke und Annie nach wie vor, weshalb sie schließlich auch bereit ist, den Abend als Köchin zu begleiten.

Smack trifft derweil seine Ex-Freundin Mary (Hailee Steinfeld), die ihm sein plötzliches Verschwinden nach dem Krieg immer noch nachträgt.

Während all dieser Vorbereitungen auf den Abend, klopft es bei dem Ehepaar Bert (Peter Dreimanis) und Joan (Lola Krike). Ein verängstigter junger Mann namens Remmick (Jack O´Connell) bittet um Einlass. Kurze Zeit später klopft es erneut. Ein Krieger der Choctaw (Nathaniel Arcand) steht vor der Tür und warnt die Eheleute, etwas Böses sei unterwegs und sie sollten vorsichtig sein, wem sie Einlass gewährten. Doch es ist bereits zu spät: Remmick ist ein Vampir und hat Bert und Joan in seinesgleichen verwandelt.

Der Abend nimmt Fahrt auf, der Juke Joint zieht eine Menge Leute an; vor allem Smoke, der der wirtschaftlich denkende der Zwillinge ist, hofft auf Gewinn. Doch bald muss er feststellen, dass die Leute mit den Firmengutscheinen zahlen, die auf den Plantagen ausgegeben werden und im freien Verkehr nichts wert sind. Smoke ist klar, dass er auch Auswärtige einlassen muss, um wirklich zu verdienen.

Derweil hat Sammie seinen Auftritt und der wird magisch: Sein Gitarrenspiel verzaubert nicht nur die Tanzenden, sondern den ganzen Ort, die Geister der Vergangenheit und die der Zukunft treten auf und es kommt zu einem Moment tiefster kultureller Vereinigung aller Zeiten und Ebenen schwarzer Musik und Kultur. Nach dem fulminanten Auftritt kommen sich Sammie und Pearline in einem Hinterzimmer näher und Sammie befolgt Smacks Anweisung, eine Frau immer mit der Zunge zu verwöhnen, wenn man sie wirklich liebt.

Der magische Moment von Sammies Gitarrenspiel zieht allerdings auch Remmick und seine neuen Freunde Bert und Joan an. Letztere waren im Leben Angehörige des Ku-Klux-Klans und es verwundert nun umso mehr, dass sie gemeinsam mit ihrem Anführer Einlass in den Juke Joint begehren. Smoke aber verweigert ihnen genau das. Er bittet den Türsteher Cornbread (Omar Miller), niemanden ohne seine Erlaubnis in den Tanzsaal zu lassen.

Doch Mary, die sich mit Smack gestritten hat, geht vor die Tür und kommt hier mit den drei Vampiren ins Gespräch. Die drei sind mit Banjos ausgestattet und spielen Mary ein Bluegrass-Ständchen, das der jungen Frau gefällt, auch wenn diese Musik weit von dem Blues entfernt ist, der im Joint gespielt wird. So oder so wird Mary das nächste Opfer der Vampire. Als sie zurück in den Tanzsaal geht, trifft sie auf Smack, versöhnt sich mit ihm und zieht sich mit ihm für ein Stelldichein in ein Hinterzimmer zurück. Dort beißt sie Smack und verletzt ihn schwer. Als Smoke hinzukommt und auf Mary schießt, diese aber trotz einer schweren Verletzung entkommt, wissen Smoke und Sammie, dass etwas Ungutes vor sich geht.

Smoke schließt den Juke Joint und alle Anwesenden ziehen sich zurück, um heim zu gehen. Doch draußen fallen sie den Vampiren zum Opfer, die daraufhin zurückkehren. Annie ist es schließlich, die begreift, womit sie es zu tun haben. Sie gibt den Überlebenden Tipps, wie sie sich gegen die Vampire zur Wehr setzen können.

Remmick, frustriert, dass er nach wie vor nicht in den Tanzsaal eindringen kann, da er nicht eingeladen und damit eingelassen wurde, erklärt den im Saal Verbliebenen, dass Vampirismus Freiheit und vor allem Unsterblichkeit bedeute. Hier, auf der „anderen“ Seite, seien alle gleich und es gebe keine Rassenunterschiede mehr. Als diese Lockungen immer noch nicht fruchten, erklärt er gegenüber Smoke, dass der Klan-Führer, von dem die Zwillinge die Scheune gekauft hätten, sie im Morgengrauen anzugreifen gedenke. Doch auch diese Drohung zieht nicht bei Smoke, Sammie und den anderen. Daraufhin droht Remmick damit, die Tochter der Chows in deren Haus in der Stadt anzugreifen und zu töten. Grace öffnet ihm daraufhin verzweifelt die Türen und lässt die Vampire herein.

Es kommt zu einem gnadenlosen Kampf, bei dem Delta Slim, Annie, Grace und Bo getötet werden. Pearline wird von Remmick gebissen und in einen Vampir verwandelt. Smoke kämpft mit Stack und gemeinsam mit Sammie gelingt es ihm, die Vampire solange in einen Kampf zu verwickeln, bis die aufgehende Sonne sie alle tötet. Dann schickt er Sammie weg und stellt sich anschließend dem Kampf mit den Klans-Männern, die er allesamt tötet, bis er schließlich selbst tödlich verletzt wird. Im Sterben trifft er Annie und ihre tote Tochter, die er in die Arme nimmt.

Sammie kehrt in die Kirche seines Vaters zurück – mit einem Gitarrenhals in der Hand und völlig verstört. Doch erneut weigert er sich, die Warnungen seines Vaters vor dem Blues, der Musik des Teufels, anzunehmen. Stattdessen bricht er in sein eigenes Leben auf und geht nach Chicago.

Sechzig Jahre später spielt Sammie (Buddy Guy) in seinem eigenen Club einen Gig. Anschließend genehmigt er sich einen Drink an der Bar, als späte Gäste einkehren: Es sind Stack und Grace, immer noch vampirisiert. Stack erklärt, dass Smoke ihn einst habe leben lassen, wenn dieser verspräche, seinerseits Sammie in Frieden leben zu lassen. Doch wolle er ihm nun, da Sammie alt sei, die Ewigkeit anbieten. Doch Sammie lehnt ab. Ein langes Leben habe ihn vieles sehen lassen, es reiche ihm. Dann spielt er den Blues. Als seine Besucher sich anschicken, zu gehen, erklärt Sammie, dass, sähe man einmal von der Gewalt in jener Nacht ab, es der schönste Moment seines Lebens gewesen sei. Smack stimmt ihm zu und sagt, es sei nicht nur das letzte Mal gewesen, dass er Smoke und die Sonne gesehen habe, sondern auch der einzige Moment, in dem sie alle, gemeinsam, frei gewesen wären. Dann gehen er und Grace.

Wohl wissend, dass es einige geben wird, die einen Film wie diesen ablehnen, weil er ihnen zu sehr Hybrid, zu wenig eindeutig, zu sehr oder zu wenig Genrefilm, zu sehr oder zu wenig intellektuell oder zu woke – oder eben nicht woke genug – ist, will man sich auf eine Seite schlagen und muss sich entscheiden: Will man Ryan Cooglers SINNERS (2025) mögen oder lehnt man einen Film wie diesen rundweg ab? Schließlich entscheidet man sich und steht dann direkt vor der nächsten schwierigen Entscheidung, nämlich der, kaum zu wissen, wo und an welchem Ende man beginnen soll, wenn man dieses kleine Meisterwerk von einem Film preisen will! Und das muss man, um diesem Film gerecht zu werden.

Sollte man also zunächst betonen, dass dies ein brillantes Beispiel dafür ist, den Siegeszug der afrikanischen Musik als originären und prägenden Bestandteil der U.S.-amerikanischen Kultur zu feiern? Oder sollte man hervorheben, wie es hier gelingt, dem Sub-Genre des Vampirfilms eine weitere, sehr gelungene Variante hinzuzufügen? Sollte man zunächst noch einmal darauf eingehen, wie gerade das Genrekino immer wieder dazu taugt, gesellschaftliche und kulturelle Zustände, Bedingungen, auch Probleme und vor allem Veränderungen zu analysieren, darzustellen und manchmal, in seltenen Fällen, Gerechtigkeit gegenüber der Geschichte, der Gesellschaft, den herrschenden Bedingungen walten zu lassen?

Weil man wirklich nicht weiß, wo beginnen mit all dem Loben und Preisen, sollte man vielleicht als allererstes festhalten, dass SINNERS eben nicht nur ein gelungener Horrorfilm, sondern vor allem ein hervorragender Musikfilm ist. Oder andersherum? Vor allem ist SINNERS einfach ein hervorragender Film! Ja, man kann, man muss, wie eingangs ja schon angedeutet, sogar in den Chor derer einstimmen, die SINNERS zu einem Meisterwerk erklären. Also, noch einmal: SINNERS ist ein Meisterwerk!

Coogler, der zuvor zwei Filme der neuen Rocky-Generation (CREED/2015; CREED III/2023) gedreht hatte, vor allem aber als Regisseur der im Marvel-Universum beheimateten BLACK PANTHER-Filme (BLACK PANTHER/2018; BLACK PANTHER: WAKANDA FOREVER/2022) aufgefallen ist[1], zeichnete bei SINNERS für die Regie, die Produktion und das Drehbuch verantwortlich. Coogler war aufgrund seiner Expertise also kein aufstrebendes Talent mehr, sondern bereits in Hollywood etabliert. Das dürfte geholfen haben, die Finanzierung für ein nicht ganz typisches Projekt wie SINNERS auf die Beine zu stellen. So ist dies im besten Sinne des Wortes tatsächlich ein Autoren-Film, angesiedelt auf der Grenze zwischen historischem Sozialdrama und einem packenden Genre-Beitrag. Als solcher wird er seinen Ahnen durchaus gerecht, ohne dass Coogler es auf allzu viel Schocks, Blut und Gewalt anlegt. Auch verzichtet er weitestgehend auf die im momentan angesagten Horrorfilm so beliebten Jump-Scares. Doch verzichtet er auch nicht vollends auf die herkömmlichen Ingredienzien eines Genrefilms; er weiß durchaus, was er dem Metier und dessen Gemeinde schuldig ist.

Nach all der Lobhudelei steht man nun wieder am Anfang: Auf welche Art und Weise soll man einen Film wie diesen loben? An welchem Ende der Skala beginnen? Vielleicht sollte man sich an die Chronologie des Films selbst halten und dessen ureigenen Pfaden folgen. Dann hat man es – nach einem kurzen Prolog, der eigentlich bereits der Epilog ist, denn von einem Sonntagmorgen aus wird die Geschichte rückblickend auf die vorausgegangenen 24 Stunden erzählt – zunächst mit der Geschichte eines jungen schwarzen Mannes zu tun, der im Jahr des Herrn 1932 in Clarksdale, Mississippi, als Sohn eines Predigers in einer schwarzen Gemeinde aufwächst. Der Vater nimmt es dem Sohn übel, dass dieser an Samstagabenden in einem der berüchtigten Juke Joints Gitarre spielt. Einem jener Treffpunkte also, in denen sich die schwarze Landbevölkerung trifft, um bei Blues-Musik ihren ausgesprochen harten Alltag zwischen Arbeit, Armut und dem Hass in einer Gegend zu vergessen, in welcher der Ku-Klux-Klan sein Unwesen treibt. Also beginnt die Lobhudelei damit, dass man die Mise en Scene des Films hervorheben muss: Ob nun durch exaktes und detailgetreues Set-Design oder vielleicht doch teils durch CGI: Dieses Clarksdale und seine Umgebung, in der der Film spielt, sieht verführerisch echt aus, das Bild des Südens, welches hier heraufbeschworen wird, wirkt authentisch.

Natürlich evoziert die Ausgangssituation des begnadeten Bluesmusikers die Erinnerung an eine der klassischen Blues-Legenden: Einst soll sich der vielleicht berühmteste aller Blues-Musiker (ganz sicher der bekannteste seiner Generation) Robert Johnson an eben jener Kreuzung, die dann zum Gegenstand und Titel seines Blues-Standards Cross Road Blues wurde, mit dem Teufel selbst getroffen, diesem seine Seele verkauft und dafür die Fähigkeit erlangt haben, wie kein zweiter die Gitarre und damit den Blues zu spielen. Und der Blues – das muss auch Sammie Moore, unser junger Blues-Man begreifen – gilt gerade rechtschaffenen Männern wie dem Prediger als die Musik des Teufels!

Coogler begeht nun aber nicht den Fehler, seine Story einfach an alte Legenden anzulehnen, zumal Walter Hill bereits in den 80er Jahren seinen Film CROSSROADS (1986) um genau diese Legende herum aufgebaut hatte. Nein, Coogler reicht es, dass sein kundiges Publikum solche Verbindungen ganz von allein herstellt und sie eigenständig weiterdenkt. Er entwirft stattdessen lieber seine ganz eigene Mythologie und schlägt mit seinen Film eine vollkommen andere und unerwartete Richtung ein. Denn unverhofft tauchen nun an diesem Wochenende, welches die Film-Zeit umfasst, die Zwillinge Smoke und Stack in Clarksdale auf. Die waren einst ausgezogen, im Weltkrieg zu kämpfen, danach haben sie in Chicago viel Geld mit allerlei Geschäften legaler wie illegaler Art gemacht und wollen nun in ihrer Heimatstadt ihr eigenes Etablissement, ihren eigenen Juke Joint eröffnen. Dafür heuern sie unter anderem ihren Cousin Sammie Moore an, dessen Gitarrenspiel sie goutieren. Gemeinsam mit anderen Musikern soll er dafür sorgen, dass die abendliche Unterhaltung unvergesslich wird.

Die Art, wie Coogler die schnell als Hauptfiguren seines Films etablierten Männer Smoke und Stack – beide furios und äußerst exakt von Michael B. Jordan gespielt; das Lob geht aber an das gesamte Ensemble, der Film ist durchgehend hervorragend besetzt – im Jahr 1932 in dieser Südstaatengemeinde auftreten lässt, kann man durchaus als kulturelle Selbstermächtigung, als die weiter oben beschriebene Gerechtigkeit gegenüber der realen Historie bezeichnen. Eine Art der Ermächtigung, eine Richtigstellung, die so – wenn überhaupt – nur der Kunst gelingen kann, die wahrscheinlich auch nur die Kunst für sich in Anspruch nehmen darf. Das erinnert daran, wie Quentin Tarantino drei Mal in seinem filmischen Schaffen in die Geschichte eingriff: Am Ende von INGLOURIOUS BASTERDS (2009) lässt er Adolf Hitler samt Gefolge bei einem Kinobesuch in Paris durch ein Attentat sterben; in seinem bisher letzten Film ONCE UPON A TIME IN HOLLYWOOD (2019) darf Sharon Tate das Massaker, welches Angehörige der sogenannten Manson-Family reell im Jahr 1969 an ihr und ihren Freunden begingen, überleben; wesentlich im Zusammenhang mit SINNERS allerdings ist die Art, in der Tarantino Jamie Foxx als schwarzen Rächer in DJANGO UNCHAINED (2012) präsentierte.

Da durfte ein ehemaliger Sklave durch einen a-historischen Süden ante bellum streifen und sich, seiner Familie und letztlich allen seinen schwarzen Leidensgenossen Gerechtigkeit widerfahren lassen, indem er brutal und meist ebenso skrupel- wie mitleidslos seine weißen Peiniger über den Haufen schoss. Das löste im Publikum meist Begeisterungsstürme aus und Jamie Foxx gab diesem Mann eine ungeheure Coolness, doch änderte Tarantinos gut gemeinte Geste eben weder etwas an der historischen Wirklichkeit, in der ein Mann wie dieser Django – dessen Namen allerdings auf die medialen Vorbilder und den sich daraus ergebenden Referenzrahmen verweist – kaum eine Meile weit gekommen wäre, ohne an einem Baum aufgeknüpft zu werden, noch änderte diese gut gemeinte Geste etwas an der gesellschaftlichen Wirklichkeit in den USA, wie die vielen, vielen rassistisch motivierten Morde der vergangenen Jahre beweisen. Es war eben nur eine Geste. Und als solche wirkte sie gönnerhaft.

Cooglers filmische Geste – wenn man den Film denn als solche betrachten will, was ihm sicherlich nicht gerecht wird – weist ihrerseits aber weit über Tarantinos selbst-entschuldigende, etwas weinerliche und letztlich vor allem selbstmitleidige Intention hinaus. Denn wo Tarantinos Film – der Film eines weißen, privilegierten Bürgersohns – eben bestenfalls gut gemeint, gewollt devot und letztlich eben ein gönnerhafter Kniefall vor dem von Weißen an Schwarzen begangenen Unrecht gewesen ist, ein Kniefall, der in seiner prätentiösen Demut schlicht vom Falschen kam, wird Cooglers Geschichte von jemandem erzählt, der mit jeder Faser seines Wesens weiß, was Rassismus bedeutet. Allein, weil er schwarz ist, auch wenn das vielen weißen Menschen nicht in den Kram passt, fällt eine solche Aussage heutzutage ja unter den Verdacht, „woke“ zu sein. Was sie ja auch ist – und zwar zurecht. Auf dieser Ebene ist SINNERS nämlich ein Beitrag zu genau dieser Diskussion um Rassismus, historischer Schuld und den historischen Umgang mit dieser Schuld. Wie wichtig die Auseinandersetzung damit ist, beweist der Umgang des aktuellen amerikanischen Präsidenten bspw. mit der Kunst in den Museen des Landes, denen er vorschreiben möchte, wie sie sich mit der amerikanischen Geschichte auseinanderzusetzen haben und dabei die dunklen Seiten dieser Geschichte gefälligst außen vorlassen sollen. Und mit „dunkler Seite der Geschichte“ ist nun einmal die Geschichte der Sklaverei gemeint. Die – das wird mittlerweile auch von Historikern so gesehen und anerkannt – in ihrer schieren Maßlosigkeit und der Gewalt, die hier systematisch Menschen angetan wurde, dem Menschheitsverbrechen der Shoah vielleicht nicht gleichzusetzen ist, diesem aber durchaus entspricht.

Coogler lässt seine beiden Helden bewusst als harte Hunde auftreten, er stattet sie mit einem Selbstbewusstsein aus, das eher an die Gangsta-Rapper der 90er und Nuller-Jahre erinnert, als an schwarze Männer in einer ihnen durch und durch feindlich gesinnten Umgebung, wie es der amerikanische Süden der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts vor allem in einem Staat wie Mississippi gewesen ist. Coogler lässt also zwei gegenwärtige Typen in das Zeitkolorit jener Jahre eindringen und dort aufräumen, was damit beginnt, dass sie die Location, in der sie ihr Geschäft aufziehen wollen, einem erklärten und offensichtlichen Klan-Mitglied abkaufen. Der und seine Kumpane haben auch längst beschlossen, dem Treiben der Schwarzen im Morgengrauen ein Ende zu setzen, was Coogler die Möglichkeit bietet, den überlebenden der Zwillinge ein Massaker Trantino´schen Ausmaßes an seinen weißen Gegnern zu verüben. Es wird sowohl dem Regisseur als auch seinem Hauptdarsteller ein Anliegen gewesen sein, diesen ebenfalls a-historischen Gewaltakt stellvertretend für Generationen von gepeinigten schwarzen Menschen ausüben zu können, doch so weit kommen sie der Geschichte dann eben doch entgegen (und auch das unterscheidet sie dann maßgeblich und grundlegend von Tarantino): Smoke, der die Nacht überlebt hat, wird in diesem Feuergefecht selbst so schwer verletzt, dass er den Schüssen, die seinen Körper durchdrungen haben, erliegt.

Es ist also die ganz reale Gewalt weißer Männer an Schwarzen, die schlussendlich das Schicksal dieses mutigen Schwarzen besiegelt. Doch musste der sich, gemeinsam mit seinen Freunden und seinem Zwillingsbruder, eben nicht (nur) der herkömmlichen, rassistischen Angriffe erwehren, sondern im Laufe der Nacht werden sie einer ganz anderen Gefahr gewahr und ausgesetzt, die in der Logik des Films der herkömmlichen jedoch verwandt ist, ihr womöglich sogar entspricht: Der Gewalt der Vampire. Es tauchen einige weiße, offensichtlich am Bluegrass orientierte weiße Musiker – eine Frau und zwei Männer – vor der Scheune auf, wo Smoke und Stack ihre Bar eingerichtet haben, und bitten um Einlass. Man wolle ja nur, als Musiker, am allgemeinen Spaß teilhaben. Doch die Zuschauer*innen wissen zu diesem Zeitpunkt des Films bereits, dass es sich bei den Dreien um Vampire handelt. Denn zuvor wurden wir Zeugen, wie einer der beiden Männer an die Tür des Hauses des Paares klopft und um Einlass fleht. Kurz darauf kommt ein Trupp Indianer und warnt die Bewohner des Hauses vor einem Eindringling, der etwas Böses mit sich brächte – doch da ist es schon zu spät, der Mann ist ein Vampir und hat bereits zugeschlagen. Coogler nutzt also die Konventionen herkömmlicher Vampirgeschichten, wo er sie braucht. So müssen diese Wesen eingeladen werden, sie dürfen ein Haus nicht ohne „Genehmigung“ betreten. Doch Coogler weiß genau, was er tut und es geht ihm keineswegs darum, hier einfach nur das Gleiche erneut zu erzählen; dazu ist der Vampirmythos mittlerweile auch zu abgenutzt. Nein, er nutzt den Topos des Vampirs, um eine weit über das Grauen eines Horrorfilms hinausweisende Geschichte zu erzählen. Und genau an diesem Punkt wird SINNERS komplex und sehr intelligent. Noch viel intelligenter, als er es bisher schon gewesen ist.

Dass sich Vampire für alle möglichen Allegorien, Metaphern und Vergleiche eignen, ist eigentlich eine Binse. Gleich ob als ebenso unheimliches wie verführerisches Wesen aus unbekannten Gefilden, ob als diktatorischer und grausamer Herrscher über ganze Landstriche, ob als fast schon bemitleidenswerter Untoter, der über die Räume der Zeit und die Verlorenheit in selbiger philosophiert, als ebenso romantischer wie melancholischer Philosoph der Ewigkeit und ihrer Verluste oder ob als Träger eines tödlichen – oder eben nicht-tödlichen – Virus: Vampire eignen sich für etliche Subtexte, die in Genre-Geschichten oftmals besser verhandelt werden, denn in „anspruchsvollen“ Texten, die oft trocken und unzugänglich sind. Coogler fügt der sicherlich noch lange nicht vollständigen Liste vampirischer Sub-Texte nun eine neue Bedeutungsebene hinzu. Denn die Vampire hier sind zwar verführerisch, wenn sie etwas von Gleichheit in der und durch die Musik und von der Brüderlichkeit unter den Rassen faseln, zugleich aber mit ihren Banjos und ihrem die Country-Musik vorwegnehmenden Gesang eine schwarze Kultureinrichtung okkupieren wollen. Was sie hier anstreben, ist – um im Duktus des momentan herrschenden Diskurses der race studies zu bleiben – eine kulturelle Aneignung. Denn sie stehen draußen, im Dunkeln, allein, während in der Bar gesungen, gefeiert und geliebt wird. Da, wo die Schwarzen in diesem Film sind, da tobt das Leben. Die meist aschfahlen Weißen wirken hier von allem Anfang an ausgeschlossen von allem, was das Leben lebenswert macht.

Nun verwahren sich aber sowohl die Betreiber als auch die Musiker im Juke Joint dagegen, dass diese Weißen eintreten und ihre Musik hier spielen. Auf der rein historischen Ebene ist dies vor allem eine Verteidigungshaltung, da es schweren Ärger bedeutet hätte, wenn Schwarze und Weiße sich in jenen Tagen vermischt hätten. Und sei es nur für ein paar Stunden des gemeinsamen Musizierens, der Unterhaltung und des Vergessens. Auf der Meta-Ebene nimmt Coogler allerdings eine klare Haltung im momentanen Diskurs ein: Es ist zu spät für diese Art der gut gemeinten (im Film aber eben als gefährlich, weil hinterhältig konnotierten) Verbrüderung. Erst muss sich die Black Community auf sich selbst besinnen, erst muss eine klare Definition des Eigenen, der eigenen Kultur und der eigenen Errungenschaften her, erst muss eine eigene Identität ausgebildet worden sein, bevor auch nur daran zu denken ist, mit den Weißen, die Schwarze als Ware versklavt, ver- und gekauft und behandelt haben, in deren Bewusstsein Schwarze lediglich als Waren, als Sachen, als Dinge eingetreten sind, gemeinsame Sache zu machen. Ganz gleich in welchem Zusammenhang.

Coogler bietet in einer der schönsten und aufregendsten Szenen, die man lange auf der Kinoleinwand betrachten durfte, und diese Sequenz ist eine eindeutige Definition dieses eben angesprochenen Eigenen. Eine Sequenz, in welcher die Zuschauer*innen Zeugen werden, wie der Blues als Quintessenz, Ausgangs- und Endpunkt einer originären schwarz-amerikanischen Kultur gelten muss. Denn als Sammie Moore, unser junger Blues-Man, dessen Vater ihn so angefleht hat, bloß abzulassen von der Musik des Teufels, als welcher der Blues eben immer schon galt, als Sammie also seinen Auftritt hat – eine Szene, die Kameramann Autumn Durald Arkapaw in einem One-Take (nicht dem einzigen des Films) über Minuten hinweg, durch den Tanzsaal gleitend, verschiedene Protagonisten umkreisend, immer wieder zu den Musikern zurückkehrend, einfängt – da materialisieren sich die Geister und Ahnen dieser Musik ebenso, wie es ihre Nachkommen tun.

Da materialisieren sich die Geister des afrikanischen Erbes wie aus dem Nichts, es stampfen schemenhaft schamanische Tänzer durch den Staub, da wirbeln rhythmisch, als Sklaven kenntliche Feldarbeiter zwischen den Tanzenden, neben einer ganzen Galerie von Blues-Musikern tritt in schriller Kleidung eine Mischung aus Jimi Hendrix, George Clinton und Prince ins Rampenlicht und bietet ein Gitarrensolo für die Ewigkeit – und es wird deutlich, wo diese Musik herkam und wo sie hinführte, hinführen wird. Von den Gesängen afrikanischer Stämme über die Field Hollers der Sklaven, ja, auch die Gospel-Gesänge wurden vereinnahmt, bevor sich der Blues dafür entschied, gänzlich auf die vermeintlich dunkle Seite zu wechseln und anders als die kirchlichen Lieder nicht Gott zu preisen, sondern von den düsteren Wegen des weltlichen Lebens zu erzählen. Nur um sich dann mit dem Soul – jener Spielart, die aus der Kirchenmusik entstand und diese doch hinter sich ließ – wieder zu vereinen. Selbst die Rap-Musik lässt Coogler nicht aus, selbst an die Größen dieser vielleicht bisher letzten Variante originär schwarzer, den Gettos entstammender Musik erinnernde Musiker mischen sich in dieser wahnwitzigen, ja wahnsinnigen Sequenz dieses ebenso wahnwitzigen wie wahnsinnigen Films unter die wie Derwische Tanzenden.

In diesen paar Minuten Leinwandzeit wird die Geschichte amerikanischer Musik afrikanischer Prägung vielleicht besser und deutlicher zusammengefasst und erzählt, als in allen gutgemeinten Dokumentationen à la THE BLUES (2003), auch wenn dies ein Projekt des großen Martin Scorsese gewesen sein mag – eines Mannes, der tatsächlich mehr vom Blues versteht, als so manch andere, die sich für berufen halten. Doch hier, in diesen Minuten dieses Films, wird diese Geschichte poetisch und vor allem musikalisch verarbeitet, spür- und fühlbar gemacht in ihrer ureigenen Diktion. Das ist ebenso wunderbar, wie es beeindruckend ist – und atemberaubend in seiner technischen Perfektion. Die auch durch CGI und KI möglich ist, zwei technische Neuerungen, die, so wie hier, durchaus zielführend eingesetzt werden können. Es ist, wie gesagt, ein großartiger Leinwandmoment, wie es so nicht mehr viele gibt.

Bleibt die Frage, wie Coogler mit dem Erbe des Vampirfilms einerseits und dem der Musik andererseits umgeht? Die letzten Minuten dieser denkwürdigen Nacht, nachdem immer mehr der Gäste des Juke Joints den vor der Tür rumlungernden Vampiren zum Opfer gefallen sind und das zwiespältige Versprechen des ewigen Lebens, wenn auch in einem Zwischenreich, sie mürbe gemacht und korrumpiert hat – darunter auch einen der beiden Zwillinge – sind dem Kampf gegen die Höllenbrut gewidmet. Das ist dann relativ konventionelle Horrorware und bleibt mit seinen Anklängen an Kultklassiker wie Roberto Rodriguez´ FROM DUSK TILL DAWN (1996) auch hinter Erwartbarem eher zurück. Doch ist es Coogler sichtlich nicht darum zu tun, an dieser Front neue Maßstäbe zu setzen. Er bringt den Vampirteil seiner Story – vorerst – zu einem brauchbaren Ende. Wichtiger ist der Epilog, der uns den gealterten Sammie Moore in der Gestalt des großen alten Blues-Man Buddy Guy zeigt, der nach einem Set von seinen alten Freunden besucht wird – denjenigen, denen der Tod nichts anhaben kann. Sie haben einst einen Deal geschlossen, dass sie Sammie verschonen – und sie haben sich daran gehalten. Doch nun wollen sie ihm die Unsterblichkeit anbieten. Doch Sammie lehnt ab. Er habe genug gesehen im Leben und es sei gut, wie es ist.

Ein ebenso versöhnlicher wie verstörender Schlusspunkt eines großartigen Films, der sich in der Gemeinde der Aficionados sicherlich nicht allzu viele Freunde machen wird, der aber beweist, wie klug man auch und vielleicht gerade heute Genrekino nutzen kann, um Wesentliches aus einem Land zu erzählen, dass zusehends wie die Hölle selbst wirkt.

 

[1] Bemerkenswert am ersten der beiden Superhelden-Verfilmungen war, dass es gelang, einen Blockbuster mit nahezu ausschließlich schwarzer Besetzung zu einem der umsatzstärksten Filme aller Zeiten in den USA zu machen. Darüber hinaus fand der Film aber auch künstlerische Anerkennung, was nicht unbedingt typisch für Verfilmungen von Superhelden-Comics ist.

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