DAS ATTENTAT/L´ATTENTAT

Yves Boisset liefert einen ebenso eindringlichen wie zynischen Politthriller

Sadiel (Gian Maria Volonté), ein afrikanisch-arabischer Oppositionspolitiker, der in Genf im Exil lebt, möchte in sein Heimatland zurückkehren. Westeuropäische und amerikanische Geheimdienste möchten dies jedoch verhindern, da sie in dem betreffenden Land vor allem militärische Interessen haben und Unruhe nicht gebrauchen können. So bittet ein in Paris stationierter CIA-Agent (Nigel Davenport) französische Kollegen um Beistand, um Sadiel auszuschalten.

Es wird ein Komplott zwischen dem Verteidigungsminister des betreffenden Landes, Colonel Kassar (Michel Piccoli), der CIA und dem SDECE, dem französischen Auslandsgeheimdienst gesponnen. Dieser wendet sich an den Anwalt Lempereur (Michel Bouquet), dessen Klient, der Journalist François Darien (Jean-Louis Trintignant), ein enger Freund Sadiels ist. Da Darien als Vertreter des linken, aufklärerischen Journalismus während des Algerienkriegs Nachrichten weitergegeben hatte, ist er nun erpressbar geworden.

Lempereur wendet sich an Pierre Garcin (Philippe Noiret), den Chef einer großen TV-Anstalt, der selbst ein Interview-Format im Fernsehen leitet, und entwickelt mit diesem die Idee, eine mehrteilige Serie über politische Opposition in der 3. Welt zu entwickeln. Dafür, so der Plan, soll auch Sadiel interviewt werden, Darien soll den Kontakt herstellen.

Nach anfänglichen Skrupeln, da er um die Gefahr für seinen Freund weiß, entschließt sich Darien – auch mit Unterstützung seiner Freundin Edith Lemoire (Jean Seberg), die zunächst der Meinung ist, Sadiel solle sichtbarer sein, was seiner Sache helfen könnte – nach Genf zu fahren. Er kann Sadiel sogar überzeugen, nach Paris zu kommen und das Interview zu geben.

In Paris arrangiert Darien aber ein alternatives Treffen in einem Bistro, zu dem er seinen amerikanischen Kollegen Michael Howard (Roy Scheider) hinzubittet. Dieser vertritt ein eher linkes amerikanisches TV-Programm, arbeitet aber auch mit Garcin zusammen. Er soll das, was Sadiel zu sagen hat, mitschneiden und damit sicherstellen, dass die Aussagen des Politikers nicht verfälscht werden. Darien glaubt, Sadiel so besser schützen zu können, da er mittlerweile ahnt, dass mehr hinter dem Ganzen steckt als lediglich ein TV-Feature.

Doch es kommt nie zu dem Treffen. Sadiel wird kurz, nachdem er in Paris eingetroffen ist, entführt und in die Villa von Antoine Acconetti (Daniel Invernel) verbracht. Der ist ein bekannter französischer Gangster und ehemaliger Nazi-Kollaborateur. In der Villa trifft Sadiel auf Colonel Kassar, der ihn foltert.

Doch auch Darien findet sich hier ein, weiß er doch durch Lempereur von dem Vorhaben, Sadiel in der Villa unterzubringen. Die beiden sehen sich kurz, doch Darien schreitet nicht ein und sieht lediglich zu, wie Sadiel in den Keller der Villa verbracht wird. Er selbst kann fliehen und versteckt sich zunächst bei Edith.

Die informiert den Anwalt Vigneau (Bruno Cremer), der sich lange schon für Menschenrechte einsetzt. Dieser seinerseits geht zur Polizei und kann Kommissar Rouannat (François Périer) überzeugen, die Villa zu durchsuchen. Selbstredend findet die Polizei hier keine Hinweise mehr auf den Verbleib Sadiels. Der Politiker ist und bleibt verschwunden.

Darien nimmt ein Tonband mit seiner Geschichte auf. Er legt Zeugnis von der gesamten Verschwörung ab, deren Teil er ungewollt gewesen ist. Dann ruft er Howard an, dieser solle Das Band an sich nehmen, außer Landes bringen und veröffentlichen. Doch als Howard auftaucht, entpuppt auch er sich als Teil der Verschwörung. Er tötet Darien, tauscht die Bänder aus, und lässt das Ganze wie einen Selbstmord wirken.

Kommissar Rouannat wird zwar mit der Aufklärung des Falles beauftragt, ist der Selbstmordthese gegenüber aber ausgesprochen kritisch, was da zu führt, dass er von weit oben im Staatsapparat gebeten wird, nicht allzu genau hinzuschauen.

 

Drei Jahre nachdem Constantin Costa-Gravas mit Z (1969) einen – wenn nicht den – definitiven Polit-Thriller über politischen Mord und Attentate vorgelegt hatte, drehte Yves Boisset mit L´ATTENTAT (1972) einen ebenfalls spannenden und aufschlussreichen, wenn auch nicht ganz so relevanten Beitrag zum Thema. Interessanterweise durfte Boisset auf die Mithilfe desselben Autors wie Costa-Gravas zurückgreifen: Der Schriftsteller Jorge Semprún nahm sich des Drehbuchs von Ben Barzman und Basilio Franchina an und überarbeitete es. Wie Costa-Gravas zuvor, nahmen auch Boisset und Semprún Bezug auf einen realen Fall. War es im älteren Film der Mord am griechischen Oppositionellen Grigoris Lambrakis im Jahr 1963, beschäftigte sich das Script zu L´ATTENTAT mit der Ermordung des marokkanischen Politikers Mehdi Ben Barka, der im Oktober 1965 auf offener Straße in Paris entführt und kurz darauf umgebracht wurde. Hier lag der Skandal, abgesehen vom eigentlichen Mord natürlich, vor allem darin, dass die Entführung und Ermordung eines im Exil lebenden Oppositionellen aus der damals sogenannten 3. Welt mitten in der Hauptstadt Frankreichs vonstattengehen konnte – und die einheimischen Dienste offenbar involviert waren. Der Fall artete in Frankreich zu einer Staatsaffäre aus, in die einige Honoratioren verwickelt waren.

Anders als Costa-Gravas, dessen heute zu den Klassikern des Genres zählender Film als Parabel ebenso funktioniert wie auch als konkrete Fallstudie, die sich umfassend mit der Struktur von Macht und Machtmissbrauch beschäftigt und eine tiefgreifende Analyse bietet, sich dabei aber auch deutlich positioniert – und als solche Positionierung auch durch die Mitwirkung von persönlich Betroffenen wir Irene Papas oder Mikis Theodorakis, aber auch des politisch engagierten Yves Montand geadelt wurde – funktioniert L´ATTENTAT deutlicher als Spannungsfilm. Allerdings zeigt der Film keine Ermittlung, wie es bei Costa-Gravras zumindest in der zweiten Hälfte des Films der Fall war, vielmehr wird hier die Planung und Durchführung des Attentats von den ersten Überlegungen über die Ausführung hin zur anschließenden Vertuschung verfolgt. Boisset zeigt seinem Publikum die Eiseskälte, mit der westliche Politiker, Geheimdienstler und alle dazwischen ihre Machtansprüche definieren, wie sie gnadenlos ihren Vorteil suchen und skrupellos über Leichen gehen, um zu sichern, was sie glauben sichern zu müssen. Anders als Costa-Gavras, dessen Film zumindest durch seine formale Machart noch einen Schimmer der Hoffnung anbietet, wenn auch nur einen sehr schwachen, kann Boissets Film in seiner Aussage eigentlich nur als zynisch bezeichnet werden. Hier drücken sich tiefe Resignation und die Abkehr vom Glauben an westliche Werte und die der Demokratie aus.

Das Drehbuch ist trotz Semprúns Mitwirken ein wenig reißerisch angelegt, verengt die wahren Begebenheiten auf eine stringente Handlung, lässt allzu komplizierte Verwicklungen außen vor und verdichtet den Fall im Kern auf ein Freundschaftsdrama zwischen dem korrumpierbaren Journalisten François Darien – gespielt von Jean-Louis Trintignant – und dem von Gian Maria Volonté dargestellten Politiker Sadiel, der nach Jahren im Exil in seine Heimat zurückkehren will. Dieser Plan stört die Amerikaner in Gestalt eines windigen CIA-Mitarbeiters, der zu Beginn des Films seine Überlegungen mit französischen Kollegen teilt und erklärt, weshalb man Sadiel aus dem Weg räumen möchte. Dessen oppositionelle Politik würde Unruhe in sein Heimatland bringen, was wiederum die Kreise der Amerikaner stören könnte, die ihre militärische Präsenz dort auszubauen gedenken. Solche Überlegungen zeigen natürlich, dass ein Film wie dieser auch auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges entstanden ist, der Manöver wie dieses zumindest denkbar scheinen ließ. Doch wie schon eine ausgesprochen kritische Besprechung des Films im SPIEGEL erläutert: Die CIA als Bösewicht war schon im Jahr 1972 zum Klischee erstarrt[1]. So wirkt die ganze Anlage des Films etwas klischeehaft – obwohl die Wirklichkeit, je mehr die Hintergründe zum Attentat auf Ben Barka aufgedeckt wurden, zu bestätigen schien, was sich Boisset und Semprún als Linke angeblich ausgedacht hatten.

Boisset stand mit Jorge Semprún nicht nur ein zumindest bei den Linksliberalen sehr renommierter Autor zur Seite, er konnte für seinen Film auch auf ein erlesenes Schauspiel-Ensemble zurückgreifen. Neben den bereits erwähnten Jean-Louis Trintignant und Gian Maria Volonté traten in größeren und kleineren Nebenrollen Schwergewichte des europäischen Kinos wie Michel Piccoli, Philippe Noiret, Jean Seberg, Michel Bouquet oder Bruno Cremer auf. Den Soundtrack steuerte Ennio Morricone bei. Anhand dieses Aufwands vor und hinter der Kamera lässt sich ablesen, dass L´ATTENTAT durchaus eine große, auf kommerziellen Erfolg ausgelegte Produktion gewesen ist. Für den Regisseur war es erst sein fünfter Spielfilm, bisher hatte Boisset vor allem Kriminalfilme gedreht, auch später kehrte er immer wieder in dieses Metier zurück. Jedoch sind diese immer politisch konnotiert gewesen, war sein Kino immer schon in einer Grauzone zwischen Krimi und Polit-Thriller angelegt, nutzte er häufig die Regeln des einen, um dem andern Vorschub zu leisten. So ist auch L´ATTENTAT strukturell als Kriminalfilm angelegt. In gewisser Weise erinnert er sogar an die Heist-Filme der 50er Jahre, die minutiös die Planung von Bank- oder Raubüberfällen nachvollzogen. Jules Dassins DU RIFIFI CHEZ LES HOMMES (1955) oder Stanley Kubricks THE KILLING (1956) wären hier als Referenzen zu nennen. Nur geht es eben nicht um einen Überfall, sondern um die Entführung und Ermordung eines Politikers.

Es ist vor allem Trintignants Schauspielkunst zu verdanken, dass L´ATTENTAT mehr Tiefgang hat, als man zunächst meinen könnte. Denn es gelingt ihm, der Figur François Darien – einem Konglomerat zweier realer, am Komplott gegen Ben Barka beteiligter Personen – etwas Tragisches zu verleihen. Zunächst wirkt der Mann einfach wie ein zynischer, ausgelaugter früherer Idealist, der Linken nahestehend, der sich – es wird immer wieder angedeutet – einst hat korrumpieren lassen und dadurch erpressbar ist. Lange glaubt er, tatsächlich dabei helfen zu können, Sadiel die Rückkehr in sein Heimatland zu ermöglichen, spät erst erkennt er, dass und wie er missbraucht wird. Dann aber ist es zu spät und als er eingreifen könnte, wenn auch unter Risiko, tut er es nicht. Die Vielschichtigkeit dieser Figur findet tatsächlich nur in Trintignants Spiel, in seinem Ausdruck, seiner Mimik statt, nie wird sie explizit, nie wird tatsächlich thematisiert und auch nur selten verbalisiert, was diesen Mann in seinem Innern umtreibt. Nur seine Freundin, die von Seberg gespielte Edith Lemoine, verweist mehrfach auf die ältere Geschichte und darauf, dass Darien vielleicht die Möglichkeit hätte, begangenes Unrecht wieder gut zu machen.

Wie zynisch Boissets – und letztlich auch Semprúns – Perspektive auf die Welt und die politischen Vorgänge zu Beginn der 70er Jahre tatsächlich gewesen sein muss, beweist das Ende des Films. Darien hat in dem Rechtsanwalt Lempereur, von Michel Bouquet als Grandseigneur und jovialen, manchmal herablassenden väterlichen Freund gibt, einen Vertrauten, der ihn jedoch von Beginn an hintergeht. Lempereur weiß um Dariens frühere Verfehlungen und ist bereit, sie sofort gegen seinen vermeintlichen Schützling auszuspielen, sobald der nicht pariert. Dass Lempereur etwas im Schilde führt, ahnen wir von Beginn an, sind aber dennoch umso erschütterter, wenn wir ihn bei einem Diner mit Pierre Garcin sehen. Der wiederum ist offiziell ein Fernsehmoderator, zudem Chef einer TV-Anstalt; angeblich will er mit Sadiel ein Feature über dessen politisches Schaffen drehen, ist aber tatsächlich als inoffizieller Mitarbeiter der geheimen Dienste in das Komplott verwickelt. Philippe Noiret gibt ihm eine schmierige Note, man misstraut diesem Menschen schon im ersten Moment, da er auf der Leinwand erscheint, bevor man auch nur ahnt, wozu er fähig ist.

All diese Figuren sind in dramaturgischem Sinne ebensolche Funktionsträger, wie es ihre realen Vorbilder politisch waren. Doch sind sie als solche im Jahr 1972 auch bereits zu Stereotypen geronnen. Anders als in Costa-Gavras Film, sind sie aber mehr als Metaphern, sie sind mit Geschichten und Geschichte ausgestattet, sie verfügen über Namen und sind identifizierbar. Das lässt sie dann allerdings auch – leider auch durch die jeweilige Darstellung, mag sie im Einzelfall auch noch so gut sein – umso mehr wie Klischees wirken. Vor allem für die eben erwähnten Figuren des Anwalts Lempereur und den Journalisten Garcin gilt das. Besonders verwerflich wirkt der Amerikaner Michael Howard, ein vermeintlich links angehauchter amerikanischer Journalist und in dieser Funktion ein Vertrauter Dariens. Er wird es schließlich sein, der für die amerikanischen Dienste die Dreckarbeit übernimmt und Darien tötet und dies wie einen Selbstmord aussehen lässt. Roy Scheider spielt diesen Michael Howard als zwar freundlichen, allerdings professionellen und in dieser Funktion auch harten Hund, der aber an Dariens Sache interessiert scheint und daran glaubt, dass guter, ehrlicher Journalismus etwas verändern könne. Umso bitterer ist es, wenn gerade dieser Mann sich als Verräter entpuppt.

Verrat ist also das eigentliche und zugrundeliegende Thema des Films. Darien ist schon ein Verräter, als wir ihn kennenlernen. Und er wird erneut verraten, auch wenn er dies noch nicht weiß, als er als Köder eingespannt wird. Darien wird allerdings in mehrfacher Hinsicht selbst verraten. Und er verrät „die Sache“ an sich, was ihn in der Linken, an die sich ein Film wie dieser im Jahr 1972 richtete, an sich desavouiert. Sadiel ist vielleicht der einzige Beteiligte hier, der keinen direkten Verrat begeht, doch gibt es eine Szene, in der einer seiner Vertrauten ihn fragt, ob er wirklich heimkehren müsse, da dies nur mit Kompromissen gegenüber der herrschenden Macht möglich sei. Und dies wäre dann sein Verrat – die Bereitschaft zum Kompromiss. Diese Bereitschaft wird er bitter bereuen, wenn er sich in der Villa von Antoine Acconetti – seinerseits ein Verräter, weil einst Kollaborateur des Nazis (auch diese Figur ist historisch verbürgt) – Colonel Kassar, von Michel Piccoli wahrlich auf diabolische Weise bedrohlich gespielt, gegenübersteht und dieser keinesfalls zu Verhandlungen bereit ist, sondern seinerseits Verrat begeht und Sadiel foltert. Allerdings begreifen wir schon in den wenigen Szenen zuvor, in denen wir diesem Colonel Kassar begegnen, dass es ihm nie um etwas anderes ging, als Sadiels habhaft zu werden.

Boisset wurden etliche Steine in den Weg gelegt, er musste um Gelder, um Drehgenehmigungen und Veröffentlichung des Films kämpfen und war selbst der Meinung, dass nur das Aufgebot an Stars, die bereit waren, am Film mitzuwirken, ihn vor Zensur geschützt habe. Der Film und mehr noch seine Macher wurden massiv angegriffen – einerseits von behördlicher Seite, die ihnen vorwarf, sich ungebührlich mit dem französischen Staat auseinanderzusetzen, andererseits aber auch von der Linken, die ihnen zu große Abweichung von dem realen Geschehen um die Ermordung des Politikers Ben Barka vorwarfen. So musste sich Boisset – wie zuvor auch Costa-Gravras – des Vorwurfs erwehren, den politischen Skandal mit Mitteln des Unterhaltungskinos aufzuarbeiten, was im Kern nicht möglich sei. Eine alte und immer wieder geführte Diskussion, die ein Autor oder Regisseur wohl letztlich mit sich selbst ausmachen muss. Einen Königsweg wird es in Fragen wie diesen nie geben. Yves Boisset jedenfalls hat zu den Mitteln des Spannungsfilms gegriffen, um einen der großen politischen Skandale der französischen Nachkriegszeit aufzugreifen und das Wirken geheimer Kräfte einem breiten Publikum vor Augen zu führen. Die Kontroversen um den Film könnte man als Beleg dafür nehmen, dass ihm dies auch gelungen ist.

 

[1] Vgl. „Von oben gedeckt“; SPIEGEL 46/1972. Hier findet man auch eine recht genaue Beschreibung der gesamten Affäre.

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