KONKLAVE/CONCLAVE (Roman)
Robert Harris liefert einen Polit-Thriller im Kirchengewande
Man denke an gewisse Filme, die im amerikanischen Militär spielen: Oftmals werden einzelne kritisch dargestellt – korrupte Offiziere, sadistische Kameraden, dümmliche Befehlsgeber und -empfänger – selten bis nie jedoch wird die Institution selbst in Frage gestellt. So in etwa muss man sich die Ausgangslage in Robert Harris´ Roman KONKLAVE (CONCLAVE, Original erschienen 2016; Dt. 2016) vorstellen.
Harris, ein Meister des politischen Romans, gleich ob er seine Geschichten in der Antike oder in jüngerer Vergangenheit ansiedelt, berichtet hier aus dem Innersten des Vatikan, von der Wahl eines neuen Papstes. Es beginnt in der Nacht, in der der Heilige Vater das Zeitliche segnet und erzählt über einige Tage hin die Geschichte des Konklaves, wie die Papstwahl benannt ist. Dabei geht es – und da ist Harris ganz bei sich, weil er im Grunde einen Polit-Thriller erzählt – um Intrigen, darum, wer wen auf seine Seite ziehen kann, es geht um geheime Berichte und offenkundige Anmaßungen und schlussendlich auch darum, wie wenig man von einander weiß und versteht, wenn man unterschiedlichen Kontinenten entstammt, auch wenn man unter dem Dach ein und derselben Kirche versammelt ist. Der Hauptprotagonist des Romans, Kardinal Lomeli, ist der Dekan des Kardinalkollegiums und muss in dieser Funktion das Konklave leiten. Er muss für einen reibungslosen Ablauf sorgen und dafür, dass sich von den Anwesenden niemand benachteiligt fühlt, aber auch, dass niemand Informationen nach außen weitergibt. Und er muss dafür Sorge tragen, dass es letztlich der richtige Mann ist, der Gottes Stellvertreter auf Erden sein wird.
Harris bereitet es sichtlich Spaß, all die Vorgänge rund um das Konklave gelegentlich minutiös zu beschreiben. So folgt man den Gebeten und Andachten, die gehalten werden, hält den Atem an während der schlussendlich acht Wahlgänge, man wohnt hier und da sich über Seiten hinziehenden Ritualen des Bekleidens und Entkleidens bei, deren Reihenfolge peinlich genau eingehalten werden müssen, da sie der Abfolge des Gebetes entsprechen, und immer wieder sind es vor allem Lomelis derweil stattfindende Selbstbefragungen hinsichtlich seiner Glaubensfestigkeit, die den Leser*innen mitgeteilt werden. Denn Lomeli ist sich seiner eigenen Standfestigkeit hinsichtlich der Kirche und auch des Glaubens an sich keineswegs mehr so sicher wie einst. Deshalb hatte er den Papst nicht lange vor dessen Ableben um seine Demission gebeten, was der jedoch ablehnte. Mit gutem Grund, wie Lomeli nun zu wissen glaubt, denn während des Konklaves muss er nach und nach mit Hilfe einiger Vertrauter, die aber selbst nicht zum Konklave zugelassen sind und so seine Verbindungsnaht zur Außenwelt darstellen, sowie derer von Schwester Agnes, die hier schließlich eine wegweisende Rolle einnehmen wird, verhindern, dass die Falschen gewählt werden und die Richtigen ins Hintertreffen geraten. Lomeli selbst betet derweil ununterbrochen, dass es am Ende nicht er sein wird, auf den die Wahl trifft. Hatte der verstorbene Heilige Vater ihm doch bescheinigt kein Hirte, sondern eher ein Manager zu sein. Eine Kränkung. Lomelis Auffassung nach braucht es nun einen wahren Hirten auf dem Stuhl Petri. Einen Mann, der in der Lage ist, der Komplexität der modernen Welt Rechnung zu tragen und zugleich die Kirche in ihren Grundfesten zu verteidigen. Und auch diese Fragen nach Toleranz versus Traditionalismus werden also hier immer wieder berührt, leider nie wirklich in letzter Konsequenz erörtert.
Harris erzählt das alles behäbig, er lässt sich in etwa die Zeit, die eine Institution, die mittlerweile über 2000 Jahre währt, sich herausnehmen darf, um ihre Dinge zu ordnen. Das bekommt einem Unterhaltungsroman allerdings nicht adäquat gut. Natürlich zieht der Autor, seiner Profession folgend, einige Linien zur Spannungssteigerung ein – u.a. wird Rom während der Tage des Konklaves von einer Reihe von Anschlägen heimgesucht, für welche man Islamisten verantwortlich macht; die Kirche steht also nicht nur von innen, sondern durchaus auch von außen unter Druck, was zusätzliche Verwerfungen zwischen den „Liberalen“ und den „Traditionalisten“ unter den Kardinälen zur Folge hat – und schließlich wartet er mit einem wahren Clou für das Ende seiner Story auf. Den allerdings kann erahnen, wer aufmerksam liest.
Dass Harris Sympathie definitiv den liberalen Kräften der Kirche gehört, steht völlig außer Frage. Lomeli ist der Sympathieträger, die ganze Geschichte wird nahezu ausschließlich aus seiner Perspektive erzählt, seine Unterstützung für Kardinal Bellini, der als Anführer der Liberalen gilt, steht ebenfalls von Beginn an fest. Kardinal Tedesco, der seinerseits für die althergebrachten Traditionen eintritt, bis hin zur Wiedereinführung der lateinischen Liturgie, wird von Harris als Karikatur gezeichnet. Er ist ein bäuerlicher Typ, seine Manieren lassen zu Wünschen übrig, wenn sein Essgebaren beschrieben wird, muss man automatisch daran denken, wie ehemalige Gefängnisinsassen in amerikanischen Kriminalfilmen beschrieben werden, wenn sie mit allen Mitteln zu schützen suchen, was auf ihren Tellern liegt. Die restlichen Kardinäle charakterisiert Harris weitestgehend funktional. Der Nordamerikaner Tremblay ist ein eloquenter, gutaussehender Dandy, der sich auf jedem Parkett zu bewegen weiß, der Afrikaner Adeyemi wird als – auch körperlich – ausgreifender Typ beschrieben, der als erster dunkelhäutiger Papst ein echtes Novum in der Geschichte der Kirche wäre, dennoch zu eher konservativen Ansichten vor allem zur Homosexualität neigt und schließlich Opfer des, wie er an einer Stelle im Buch selbst zugibt, „mit der afrikanischen Kultur nicht zu vereinbarenden Zölibats“ wird. Eine Stelle übrigens, der man durchaus recht unverhohlenen Rassismus unterstellen könnte.
Doch soll es darum an dieser Stelle ausnahmsweise nicht gehen. Harris bemüht Klischees, das ist das eigentliche Thema. Er bemüht Klischees in der Figurenzeichnung und darüber hinaus begeht er den – um im Jargon des Buchs zu bleiben – Kardinalfehler eines Thrillers jedweder Couleur: Er langweilt. Zu langatmig sind die Passagen, in denen die Messen und Gebete geschildert werden, zu breitgetreten die Beschreibungen der Rituale, zu vorhersehbar andererseits die Entwicklungen während des Konklaves. Es reicht letztlich nicht, all die religiösen Abläufe und die Thriller-Elemente mit der Alltäglichkeit zu konterkarieren, die eben auch im Vatikan herrscht. Und dabei handelt es sich tatsächlich oft um die besseren Passagen des Romans. Da ist das Essen mittelmäßig bis schlecht, das Hotel, in welchem die Kardinäle untergebracht sind, entspricht eher einer Mittelklasseabsteige, immer wieder werden uns die profanen Abläufe eines vollkommen normalen Alltags geschildert: Es wird gekocht, geputzt, es müssen Rechnungen geschrieben und beglichen werden und Schwester Agnes arbeitet an einem herkömmlichen Rechner. Es macht Spaß, sich den Vatikan, diese Machtzentrale einer Weltreligion, als einen ganz normalen Konzernbetrieb vorzustellen, wo es eine Kantine gibt, die Rechnungsstelle und wo Putzkolonnen lautlos durch die Gänge streifen und hinter den hohen Herren aufräumen und den Dreck wegwischen. Davon wäre mehr vielleicht wirklich mehr gewesen, hätte dem Roman etwas beschert, woran es ihm zu allem Elend eben auch gebricht: Humor.
Stattdessen also Kabale. Jene, denen Lomeli das Handwerk legen muss – wobei man allerdings darüber nachdenken könnte, ob die Verwerfungen, ob ihre Taten wirklich so schrecklich sind in Anbetracht dessen, was sich die Katholische Kirche tatsächlich zu Schulden hat kommen lassen; gemeint sind hier die Ignoranz gegenüber den Missbräuchen an Schutzbefohlenen und die Versuche der Verschleierung – haben so ziemlich genau das „verbrochen“, was man von ihnen erwarten durfte: Kinder gezeugt, Gelder unterschlagen oder sich als etwas ausgegeben, was sie nicht sind. An dieser Stelle wagt sich Harris an die wirklich heißen Eisen nicht heran, bleibt im Vagen, konstruiert sehr weltliche Verfehlungen, die sicher eines Papstes unwürdig sind, in Anbetracht dessen, womit sich die Katholische Kirche in den vergangenen zwanzig Jahren jedoch konfrontiert sah, eher marginal wirkt.
Und so gelangt man schließlich wieder am Ausgangspunkt an. Lomeli und die Vertreter der liberalen Fraktion sind Sympathieträger, sie sind Zweifler und natürlich wissen sie, dass das Amt, um das es geht, ein schweres ist. Keiner will es haben, was selbstredend die beste Voraussetzung dafür ist, Papst zu werden. Man muss die Bürde des Amtes schon zu würdigen wissen. Und natürlich zweifeln diese Männer auch an sich und ihrer Berufung. Wie ein Film à la A FEW GOOD MEN (1992) in dem von Jack Nicholson so brillant dargestellten Colonel Nathan R. Jessup ein besonders widerliches Exemplar eines Militärs und Kommisskopps vorzustellen versteht, sind es hier die der Tradition verpflichteten Kardinäle; und wie in einem Film wie A FEW GOOD MEN zwar der Colonel und seine Methoden in Frage gestellt werden, nie aber die Institution des Militärs an sich, die solche Verhaltensweisen möglicherweise zwangsläufig hervorbringt, so stellt KONKLAVE nicht einen Moment die Kirche als solche in Frage. Es gibt Momente, in denen es so scheinen mag, der Clou am Ende mag ebenfalls so wirken, als würde der Kirche, gerade der katholischen, ein Schnippchen geschlagen, doch im Grunde bleibt der Roman immer im institutionellen Rahmen. Dieser wird nicht gesprengt. Solange es Männer wie Lomeli oder Bellini gibt, so scheint der Subtext hier zu vermitteln, solange wird die Kirche auch dauern und ihre Berechtigung haben und – was das eigentlich Wichtige scheint – reformfähig sein. Was zu beweisen wäre…
So ist KONKLAVE letztlich der Beweis, dass mittelmäßige Literatur oftmals als gute Vorlage für hervorragende Filme dienen kann. Denn 2024 erschien der gleichnamige Film, der sich erstaunlich eng an Harris´ Buch hält und in dem u.a. Ralph Fiennes einmal mehr beweisen darf, welch ein großartiger Schauspieler er ist. Und dieser von dem österreichisch-schweizerischen Regisseur David Berger realisierte Film beweist dann auch, dass das, was im Buch doch so langatmig wirkt – die Rituale, die ritualisierten Bewegungen und Abläufe – auf der Leinwand, ins rechte Licht gerückt und in den richtigen Bildern eingefangen, unglaubliche Wirkmacht entfalten kann. So bleibt ausnahmsweise nur zu sagen: Schaut den Film, das Buch….na ja.