DER SCHAKAL/THE DAY OF THE JACKAL (Roman)

Frederick Forsyth´ erster und, vielleicht, bester Roman

Nachdem er als Journalist u.a. der BBC etliche Auslandseinsätze absolviert hatte und zugleich – nach eigener Aussage, wohl aber verifiziert – im Dienst des MI6, des britischen Auslandsgeheimdienstes, stand, reüssierte Frederick Forsyth 1971 mit seinem ersten Roman DER SCHAKAL (THE DAY OF THE JACKAL, Original 1971, Dt. 1972). Der Polit-Thriller schlug sofort ein, avancierte zum Bestseller nicht nur in Großbritannien, sondern weltweit und wurde bereits 1973 unter gleichem Namen von Fred Zinnemann verfilmt.

Schon hier vereint der Autor all jene Merkmale und stilistischen Besonderheiten, die sein Schreiben künftig ausmachen sollten. Die Detailverliebtheit ebenso, wie die den Fluss der Erzählung gelegentlich störenden Erklärungen von Abläufen in Organisationen und institutionellen Hierarchien, die genauen Personenbeschreibungen oder die zeitliche Akribie, die die Leser*innen selten über das Datum, meist auch die Uhrzeit im Unklaren lässt. Forsyth erzielt aber eben genau damit jenen Effekt, der sein Schreiben, seinen Stil, unter den Autoren seiner Zunft herausstechen lässt. Diese Literatur – obwohl eindeutig der Spannungs- und auch Unterhaltungsliteratur zuzuordnen – wirkt enorm authentisch, fast dokumentarisch, oftmals hat man den Eindruck, ein Sachbuch, das Ergebnis einer genauen Recherche zu lesen oder dieser gar beizuwohnen. Dazu trägt bei, dass viele seiner Romane auf einem schmalen Grat zwischen Wirklichkeit und Fiktion angesiedelt sind, Forsyth gern und oft der Öffentlichkeit bekannte Personen, meist Politiker, auftreten lässt und seine Geschichten zudem häufig an reale Begebenheiten anlehnt und mit diesen verknüpft. Gerade hier, in DER SCHAKAL, aber vor allem auch im Nachfolger DIE AKTE ODESSA (THE ODESSA FILE, Original 1972; Dt. 1973) wird dieses Prinzip weit vorangetrieben.

In diesem Fall ist der titelgebende Schakal ein Profi-Killer, der von der OAS (Organisation de l´armée secrète) beauftragt wird, den französischen Präsidenten Charles de Gaulle zu töten. Nachdem das historisch verbürgte Attentat auf de Gaulle in Petit-Clamart im August 1962 fehlgeschlagen ist und die führenden Köpfe der Organisation verhaftet und abgeurteilt wurden, Oberstleutnant Jean Bastien-Thiry gar hingerichtet wurde, beschließen im Buch die verbleibenden Köpfe der OAS, dass es ein Außenstehender richten muss, ein Profi. Da die Organisation unterwandert sei, dürfe niemand außer ihnen erfahren, worum es ginge und wie man vorgehen wolle. Im Grunde wollen nicht einmal sie wissen, wie vorgegangen werden soll, damit absolut keine Möglichkeit besteht, das Attentat zu verhindern.

Auf den nun folgenden gut 440 Seiten beschreibt Forsyth minutiös die Vorbereitungen des Killers und die Versuche der französischen Sicherheitsbehörden, seiner habhaft zu werden. Im Grunde verzichtet der Autor auf eine kohärente Geschichte und bietet wirklich nur die genaueste Beschreibung der Vorbereitungen. Der Schakal sucht – dabei halb Europa durchquerend – verschiedene Experten auf, um sich exakt das Geweht bauen zu lassen, welches er für sein Vorhaben braucht, und sich diverse Papiere – Pässe und Führerscheine – auf verschiedene Namen herstellen zu lassen. Wir werden Zeugen seiner Kalkulationen, seiner Planungen hinsichtlich der unterschiedlichen Identitäten und den dazu nötigen Schritten, wir lernen, wie er sich Decknamen besorgt und welche Tricks und Kniffe er anwendet, um auch brenzligen Situationen, in denen er entdeckt werden könnte, zu entgehen. Und wir begreifen nach und nach, dass dieser Mann wirklich eiskalt ist. Als der Dokumentenfälscher entgegen der Absprachen den Schakal zu erpressen versucht, hat sein letztes Stündlein geschlagen. Und auch später, wenn der Killer begreift, dass seine Deckung(en) aufgeflogen sind und man ihm auf die Schliche gekommen ist, müssen die, die sich ihm entgegenstellen – oder ihm auch nur im Wege sind – ihr Leben lassen. Dabei geht er nie brutal vor, der Schakal ist kein Sadist. Immer tötet er schnell, leise und effizient.

Ebenso akribisch beschreibt Forsyth die Ermittlungsarbeit der Behörden. Nachdem die Chefs der verschiedenen Dienste mehrfach getagt haben, beschließt man, dass im Grunde nur ganz einfache, klare Polizeiarbeit hilft: Es muss ein Name ermittelt werden, dann das dazu passende Gesicht und schließlich kann man den Mörder möglicherweise in einer landesweiten Fahndung dingfest machen. Diese Aufgabe wird Kommissar Lebert übertragen, dem der Roman nun folgt, wenn es um die Polizeiarbeit geht.

Forsyth schneidet beides – die Vorbereitungen des Killers und die Ermittlungen der Polizei – fast filmisch gegeneinander, wodurch der Roman trotz aller Abschweifungen in den Details immer spannend bleibt. Allerdings – es wurde ja bereits angedeutet – darf man bei Forsyth nicht Spannung in dem Sinne erwarten, dass er Action bieten würde oder bewusst auf Thrill und Suspense angelegte Situationen beschreibt. Die Spannung seiner Romane bezieht sich eher aus der politischen Situation, die sich durch das Beschriebene ergibt. Weshalb es auch im besten Sinne Polit-Thriller sind, die hier entstehen. Gerade die nüchterne Erzählweise, der sachliche Stil, den Forsyth nur selten durchbricht und der, wenn einmal aufgegeben, eher peinlich wird – hier sind es vor allem die amourösen Abenteuer, die der Schakal sich gönnt und die immer mal wieder in platte erotische Beschreibungen münden – ist es, was diese Romane ausmacht. Es ist der Bezug auf eine Wirklichkeit, an die sich im Jahr 1971, als der Roman erschien, ein erwachsenes Publikum gut erinnern konnte.

Die frühen 60er Jahre waren eine politisch aufgewühlte Zeit. Die afrikanischen und südamerikanischen Befreiungsbewegungen bekämpften die letzten Zuckungen des europäischen Kolonialismus und gerade was Frankreich und seine Kolonien betraf – Indochina in den 50er Jahren und Algerien in den 60ern – wurden diese Kämpfe im In- und erst recht vor Ort, also im Ausland, mit einer Härte ausgefochten, die heute oftmals unbeschreiblich wirkt. De Gaulle, der Held des 2. Weltkriegs, der am 25. August 1944 in Paris einmarschierte, war eben auch der Mann, den viele für einen Verräter hielten, als er sich bereit erklärte, den Freiheitsbestrebungen der damals so genannten Dritten Welt, wenn auch widerstrebend, nachzugeben. Die OAS war eine Organisation ehemaliger Soldaten, Algerienkämpfer und Söldner, die sich verraten und verkauft fühlten. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Organisation weit rechts stand und bereit war, eine Militärdiktatur zu errichten. Ihre Mitglieder waren zumeist kampferprobt, was gerade im Falle der Algerienkämpfer bedeutete, sie hatten gefoltert und teils fürchterliche Verbrechen auch an der Zivilbevölkerung begangen.

Das politische Attentat, bzw. der Umsturz, war damals ein durchaus gängiges Mittel politischer Einflussnahme. So töteten die Geheimdienste der USA, auch die französischen, ihnen unliebsame Anführer in den ehemaligen Kolonien. Das berühmteste Beispiel dafür dürfte Patrice Lumumba sein, der zwar durch Aufständische in Katanga – ein international nie anerkannter Staat auf dem Gebiet des Kongo – getötet wurde, doch war dies durch anwesende Offiziere belgischer Einheiten gebilligt. Zudem gibt es allerhand Beweise, dass die CIA schon 1960 von oberster Stelle die Erlaubnis erhalten hatte, gegen Lumumba vorzugehen. Aber auch de Gaulle war nachweislich mehrfach Ziel von Anschlägen gewesen. Und noch im Jahr 1963, in welchem die Handlung des Romans spielt, starb bekanntlich der amerikanische Präsident John F. Kennedy bei einem Attentat in Dallas. In dieses Klima hinein platziert Forsyth seine Story. Und tut dies eben sehr, sehr gut informiert. Seine Informationen – davon kann man getrost ausgehen – gingen auch über das herkömmliche tagespolitische Geschäft, wie man es in den Zeitungen verfolgen konnte, hinaus. Er wird seine Quellen bis in die einschlägigen Dienste hinein gehabt haben, und dieses Insiderwissen wird sicherlich in seinen Text eingeflossen sein.

DER SCHAKAL, auch das muss erwähnt werden, ist weitaus besser gealtert, als andere Romane des Autors. Wahrscheinlich weil das Thema eher zeitlos ist. Viele seiner Romane spielen ganz bewusst auf die Aktualität des Kalten Krieges an, und der ist nun unwiederbringlich vorbei. Doch ein Szenario, wie es in diesem Roman entworfen wird, ist durchaus auch heute denkbar. Natürlich unter anderen Vorzeichen und in einem vollkommen anderen Tempo, dennoch: Es ist vorstellbar.

Das damalige Tempo und die Zeitläufte werden von Forsyth wiederum hervorragend eingefangen. Seine akribische Art der Beschreibung lässt ihn dann eben auch jede internationale Telefonverbindung genauestens beschreiben. Und man erinnert sich, wenn man denn das entsprechende Alter hat, wie das so war, damals, mit dem Telefonieren. Wie teuer es war und dass man zu Beginn der 60er Jahre selbst als Kommissar mit einem eiligen Anliegen Telefongespräche beim Amt anmelden und dann durchaus mal eine halbe Stunde warten musste, bis die Verbindung zustande kam. Es sind diese Beschreibungen, die einen Roman wie DER SCHAKAL auch zu einem echten Zeitdokument machen. Gleiches gilt für die Beschreibungen der genutzten Autos, der Innenstädte von Paris, London, Brüssel, Marseille oder Genua. Man liest sich hier auch durch eine hervorragende Beschreibung eines Europas, das noch nicht so international war, wie es dann in den 70er und 80er Jahren wurde, dem man aber bereits anmerkte, wie diese Bewegung einsetzt, wie es anfängt zu vibrieren. Der Schakal reist als Tourist über die italienisch-französische Grenze nach Frankreich ein und bedient sich damit des aufkommenden Massentourismus als Deckung.

So kann man den Roman auch heute noch gut lesen, sieht sich dabei allerdings immer wieder recht unangenehmen Wahrheiten ausgesetzt. Zum einen ist da die extrem distanzierte Haltung, die eben auch mit Forsyth´ Stil einhergeht. Selbst in den Beschreibungen der Folter, der einer der OAS-Schergen von staatlicher Seite unterzogen wird und an deren Folgen der Mann stirbt, beschreibt Forsyth kühl und als zweckmäßig zu betrachten. Das könnte man noch als Mittel verstehen, welches den Staat letztlich als mindestens ebenso kalten Spieler in einem undurchsichtigen und vor allem vollkommen unpersönlichen und somit auch unmenschlichen Spiel beschreibt. Doch gibt es hier und da Momente im Buch, in denen Forsyth seine scheinbare neutrale Haltung aufgibt. Manchmal sind es Halbsätze, die dann doch eine Wertung erkennen lassen. Und diese Wertungen erscheinen dem heutigen Leser gelegentlich fragwürdig.

Denn nicht nur dringt da doch auch immer eine gewisse Bewunderung für die angewandte Härte und Gewalt durch, sondern auch eine zumindest indifferente Haltung gegenüber der ideologischen Haltung der OAS. Sicher, diese Momente sind selten im Buch und sie deuten auch eher etwas an, als dass sie zur Beweisführung wider den Autor wirklich taugen, aber doch sind sie vorhanden. Da spiegelt sich womöglich eben auch die Haltung eines einem einstigen Kolonialreich Entstammenden, der versteckte Sympathie für das untergegangene Reich einer anderen europäischen Kolonialmacht hegt. Vielleicht der stille Glaube, dass die alte Zeit nicht immer gut war und durchaus ihre Schwächen hatte, die alte Ordnung jedoch zumindest Stabilität und Ordnung barg.

In diese Richtung weist in gewissem Sinne auch die Charakterisierung – oder, genauer, die Nicht-Charakterisierung – des Schakals. Er ist das moderne Individuum schlechthin: Entwurzelt, geschichts- und damit traditionslos, er wechselt mehrfach die Persönlichkeit und ist damit nicht mehr zu fassen. Das bedeutet aber auch, dass er, politisch betrachtet, ohne Ideologie ist, stets die Seiten wechseln kann und auch wechselt, wie es gerade passt, und somit auch keine Werte mehr vertritt. Dazu passt die Schilderung als alerter, charmanter, auch erotisch interessanter Mann, der keine Probleme hat, eine Baronesse zu verführen, dem dies aber eben auch nichts bedeutet. Als sie ihm gefährlich wird, tötet er sie.

Nun sind Polit-Thriller selten politisch korrekt und ihre Autoren müssen auch keine Anhänger der Befreiungsbewegungen der Unterdrückten und Geknechteten sein. Zudem – das darf man gerade in diesem Fall nicht vergessen – datiert der Roman aus einer gänzlich anderen Zeit, wurde unter anderen Vorzeichen und unter anderen politischen Eindrücken geschrieben. DER SCHAKAL ist ein immer noch packender Roman, wenn man bereit ist, sich auf die Forsyth-typische Erzählstruktur einzulassen, und er ist, es wurde bereits erwähnt, tatsächlich gut gealtert. Vor allem aber ist er ein Zeitdokument, welches gerade europäischen Lesern einen kleinen Einblick gibt, wie dieser Kontinent, zumindest politisch betrachtet, zu dem wurde, der er heute ist.

 

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