DER TALENTIERTE MR. RIPLEY/THE TALENTED MR. RIPLEY (Roman)
Patricia Highsmith´ Geschenk an die Weltliteratur
Tom Ripley betrat erstmals in Patricia Highsmiths erst vierten Roman DER TALENTIERTE MR. RIPLEY (THE TALENTED MR. RIPLEY, Original erschienen 1955; Dt. erstmals 1961, hier 2002, übersetzt von Melanie Walz) die Bühne der Weltliteratur und begann seine unvergleichliche Karriere als Mörder und Berufsverbrecher. In vier weiteren Romanen zwischen 1970 und 1991 erkundete die Autorin ihren unmoralischen, doppelbödigen, skrupellosen und für andere meist tödlichen Antihelden noch genauer, doch ohne Frage ist der erste Teil dieser Serie der Klassiker schlechthin.
Tom Ripley wird von Mr. Greenleaf Mitte der 50er Jahre in New York angeheuert, in seinem Auftrag nach Europa, genauer: nach Italien zu reisen und dort seinen Sohn Richard, genannt „Dickie“, aufzustöbern und sanft aber bestimmt zu überreden, von seinem Wunsch, Maler zu werden, abzulassen und endlich nachhause zu kommen. Wo er in Papas Firma, eine Schiffswerft, als Juniorchef eintreten soll. Tom trifft Dickie nahe Neapel, in dem Örtchen Mongibello. Dort verlebt der verhinderte Künstler ebenso ruhige wie freie Tage mit Marge, einer Amerikanerin, die er in Italien kennen gelernt hat und die weitaus stärker in ihn verliebt ist, als er in sie. Schnell gelingt es Tom Ripley, Dickies Vertrauen zu gewinnen, ebenso schnell erkennt Tom aber auch, wie sehr er den anderen um dessen Leben beneidet. Er ist und hat scheinbar alles, was der arme, verwaiste und unter der Fuchtel einer übergriffigen Tante namens Dottie stehende Tom Ripley nicht hat, aber ersehnt: Geld, Freiheit, Kultur. Zwischen den beiden Männern entspinnt sich eine freundschaftliche Beziehung, die von Marge bald als eine homosexuelle eingeschätzt wird, was beide auf ihre je eigene Art von sich weisen. Tom gelingt es zusehends, Dickie von Marge und anderen zu separieren. Schließlich, als die beiden gemeinsam einen Ausflug nach San Remo unternehmen, kommt es während eines Bootsausflugs zu einer Auseinandersetzung, während der Dickie Tom mitteilt, dass er Abstand bräuchte und erstmal allein sein wolle. Tom, zutiefst getroffen, ja verletzt, auch wenn er den Vorwurf, schwul zu sein, erneut abstreitet, greift zu einem Ruder und erschlägt den Freund. Schnell übernimmt Tom die Rolle von Dickie und stellt fest, dass ihm nicht nur dessen Kleider perfekt passen, sondern auch, dass er Dickies Unterschrift, ja, seine Handschrift, nahezu perfekt nachahmen kann. Immer neue Talente der Täuschung entdeckt Tom an sich während er sich auf ein immer verzwickteres Katz-und-Maus-Spiel erst mit Marge einlässt, dann mit Freddie Miles, einem Freund von Dickie, schließlich mit der italienischen Polizei…
Dieser Tom Ripley ist eine unfassbar vielschichtige und komplexe Figur, nur oberflächlich betrachtet ist er einfach nur ein eiskalter Mörder. Auch das ist er, zweifellos, denn nicht nur Dickie erschlägt er, sondern später auch einen von dessen Freunden. Und mehr als einmal denkt er darüber nach, dass er morden könnte, um Hindernisse zu überwinden oder sich unliebsame Gegner vom Hals zu schaffen. Doch schon mit diesen Überlegungen und später mit den Reflektionen über seine Taten, beginnt die Verwirrung: Denn Tom Ripley will nicht nur kein Mörder sein, sondern er erschrickt auch über seine Taten, wenn er sie auch nicht wirklich bereut. Es gelingt ihm – und auch darüber reflektiert er genauestens – die Taten nahezu vollkommen von sich abzuspalten; ja, so fällt ihm bei Gelegenheit auf, momentweise gelingt es ihm sogar, sie zu vergessen.
Tom Ripley verachtet sein eigenes Leben. Er hält sich in seiner Heimatstadt New York mit kleinen Gaunereien über Wasser, wobei er sich im Laufe des Buchs eingestehen muss, dass nicht einmal diese wirklich funktioniert haben, denn seine Versicherungsbetrügereien haben ihm überhaupt nichts eingebracht, im Grunde begeht er sie aus reinem Nervenkitzel. Er lebt von den Zuwendungen der ihn gängelnden Tante Dottie. Früh im Buch wird uns mitgeteilt, dass Tom gern Schauspieler geworden wäre, dafür aber nicht das nötige Talent mitgebracht habe. Welch eine Fehleinschätzung! Denn genau als das entpuppt sich Tom Ripley – als perfekter, überzeugender und in seiner Rolle absolut aufgehender Schauspieler. Denn er übernimmt nicht einfach nur Dickie Greenleafs Identität, er übernimmt gleichsam dessen Leben. So überzeugend, dass es ihm zu einem späten Zeitpunkt im Roman gelingt, einem Capitano der italienischen Polizei als Tom Ripley entgegen zu treten, dem er sich zuvor als Dickie Greenleaf präsentiert hatte. Er wird – durch andere Kleidung und eine moderate Veränderung von Stimmlage, Gestik und Mimik – zu einer anderen Persönlichkeit. Er stellt sie nicht einfach dar – er eignet sich den anderen schlichtweg an.
Immer mehr derartige Talente entdeckt Tom an sich und so kann er, wenn auch vor allem schriftlich, sowohl Marge als auch Mr. Greenleaf in Briefen, die er als „Richard Greenleaf“ schreibt, täuschen. Darüber hinaus muss er ein unfassbar kompliziertes Gewebe aus Lügen und Halbwahrheiten im Auge behalten, um zwischen all jenen, denen er mal in der einen, mal in der anderen Identität begegnet ist, lavieren zu können. Vielleicht ist das – aus heutiger Sicht, siebzig Jahre, nachdem der Roman erschienen ist – sogar der größte Schwachpunkt des Buchs: Ständig muss man nachhalten, wem Tom wann erzählt hat, wo er als Tom, mehr aber, wo er wann als Dickie Greenleaf aufgetreten ist. Es ist ein wenig ermüdend. Doch hat man es bei seinen Fähigkeiten, den Überblick zu behalten, mit einem weiteren seiner vielfältigen Talente zu tun.
Eine der meistdiskutierten Fragen hinsichtlich dieser Figur war immer die nach der Motivation. Ist Tom neidisch? Ja, er ist neidisch. Ist er in Dickie verliebt? Ja, Patricia Highsmith – selbst eine lesbische Frau, selbst immer wieder unglücklich verliebt und ob dessen auch bereit, eigene Hassgefühle einzugestehen – spielt zumindest mit dieser Möglichkeit und lässt ihre Figuren in einem Roman, der Mitte der 50er Jahre erschienen ist, erstaunlich offen über diese Möglichkeit reden. Er sei kein „Homo“, so entgegnet Tom an einer Stelle der Handlung gegenüber Dickie, der ihn mit dem durch Marge erhobenen Vorwurf konfrontiert. Vehement weist Tom dies von sich, vielleicht zu vehement, wie jemand, der sich ertappt fühlt, sich möglicherweise aber nicht eingestehen möchte, dass etwas dran sein könnte an einer damals gesellschaftlich, moralisch verwerflichen Tatsache.
Highsmith erklärte in einem späteren Interview, dass sie an dieser Figur vor allem interessiert habe, wie ihr jedwedes Verständnis von Gut und Böse abhandengekommen sei, dieser Tom Ripley ein solches Verständnis möglicherwiese überhaupt nie besessen habe. Dass Highsmith zu einer Zeit, da Homosexualität in jedweder Hinsicht nicht nur gesellschaftlich geächtet, sondern sogar noch juristisch verfolgt wurde, auch aus diesem Widerspruch eigenen Empfindens – nämlich Liebe zu einer Frau – und einer politischen Lage das Verhältnis von Gut und Böse in Frage stellt, ist interpretatorisch durchaus zulässig und ist sicherlich zum Teil auch richtig. Doch sollte man nicht übersehen, dass in dieser Figur mehr angelegt ist, als ein verkappter Schwuler, der sich seine Gefühle nicht eingestehen will oder kann, und der ob dessen zu einem Mörder wird, weil er durch innere wie äußere Widerstände und Zwänge zur Tat getrieben wird.
Die Interpretation, es sei reiner Neid auf Dickie Greenleaf, der Tom Ripley zum Mörder werden lässt, scheint ebenfalls naheliegend. Doch kommt aufmerksamen Leser*innen dabei das literarische Genie der Patricia Highsmith in die Quere. Und hier beginnt jedwede Betrachtung des Romans dann erst wirklich spannend zu werden. Denn es gelingt der Autorin mit scheinbar sehr einfachen Mitteln – bspw. in kleinen Nebensätzen oder scheinbar aus dem Zusammenhang der aktuellen Szene gerissenen, kurzen Hauptsätzen – immer wieder, ihr Publikum zu irritieren. Derart zu irritieren, dass es immer schwieriger wird, den „eigentlichen“, den „echten“ oder „authentischen“ Tom Ripley zu erfassen. Denn dieser Mann scheint das amerikanische Äquivalent zu Robert Musils MANN OHNE EIGENSCHAFTEN zu sein. Ist es beim österreichischen Romancier der junge Ulrich, ein sich in ewiger Reflektion und Selbstzweifeln ergehender Jungintellektueller, dessen Dasein mehr und mehr erstarrt, so ist es bei Highsmith – amerikanisch, weil rein handlungsbasiert – der vermeintlich untalentierte Mr. Ripley – unscheinbar, naiv und blass – der sich in eine ebenfalls vermeintlich aussichtslose, starre Situation manövriert. Und sich dann mit immer neuen Finten, aber auch mit viel Glück und vor allem dem Unverständnis der anderen, aus dieser Situation herauszuwinden versteht. Und genauso, wie seine Bewegungen uns immer wieder erstaunen, auch die Chuzpe, die er dabei an den Tag legt, so verwundern uns eben auch immer wieder seine reflexiv geäußerten Vermutungen und Ansichten hinsichtlich des eigenen und des Tuns anderer. Ein weiteres Talent, das dabei zu tage tritt, ist seine sehr genaue Beobachtung anderer und sein Verständnis für deren Verhalten. Tom kann dieses oftmals antizipieren und somit weiß er, wie er sich zu verhalten hat.
Tom ist nicht einfach neidisch auf einen anderen, der vom Schicksal scheinbar begünstigt wurde. Tom will aus dem eigenen Leben – für dessen Unzulänglichkeiten er ununterbrochen andere verantwortlich macht, ihnen geradezu die Schuld am eigenen, so empfundenen Elend gibt – aussteigen. Er will nicht einfach Dickies Geld, er will nicht einfach nur Reichtum, materielle Güter, die Annehmlichkeiten, die ein sorgloses Leben mit sich bringt. Er will vielmehr Dickie sein. Oder vielleicht sogar eine bessere Version Dickies, sieht er doch eben auch dessen Schwächen und Marotten, seine Egozentrik und das herablassende verhalten anderen gegenüber. Tom will über Dickies Bildung, seine Kultur und Zivilisiertheit verfügen und sie verfeinern, letztlich besser nutzen, als Dickie es getan hat. Tom, das wird in den wenigen Hinweisen auf sein früheres Leben in New York immer wieder deutlich, bewegte sich durchaus in Kreisen, in denen auch Dickie verkehrt hat. Es sind Künstler- und Bohème-Typen, die aber aufgrund ihrer familiären Hintergründe zumeist über Geld verfügen. So erkennt Tom durchaus, wer wirklich Geschmack hat, wer etwas von Kunst versteht, wer gar in der Lage ist, wirklich Kunst zu produzieren. Dickie bspw. ist es in seinen Augen nicht. Doch zugleich fühlt Tom sich all diesen Menschen gegenüber unterlegen. Er leidet unter enormen Minderwertigkeitskomplexen und Selbstzweifelns. So bietet sich Tom mit Dickie Greenleaf schließlich die Möglichkeit, schlichtweg das eigene Leben zu verlassen, eine Auszeit vom eigenen Ich zu nehmen.
Tom wird – zumindest vorübergehend – zu Dickie Greenleaf und als solcher liebt er also nicht in vermeintlich homosexuellem Verlangen einen anderen, sondern vielmehr lernt er in narzisstischer Weise sich selbst zu lieben. Nur eben in der Rolle, der Identität eines anderen. Er muss gleichsam eine ihm fremde, ent-äußerte Identität annehmen, um zu sich selbst zu finden. Erst mit dem Urlaub von der eigenen Identität kann Tom reifen und wachsen und seine eigentlichen Möglichkeiten und – eben – Talente entdecken. So gesehen ist DER TALENTIERTE MR. RIPLEY nicht nur eine Art Entwicklungsroman, sondern auch eine Parodie auf den Reisewahn, der Mitte der 50er Jahre immer stärker einsetzte. Highsmith führt hier die damals typischen jungen Amerikaner vor, die nach Europa reisen und dort alles an Kultur mitnehmen, was sich ihnen bietet: Antike Bauten und Ruinen, klassische Musik, die „alte Literatur“, Malerei und Architektur (sie greift all diese Motive in DIE ZWEI GESICHTER DES JANUAR erneut auf); doch nehmen sie all das wahllos in sich auf, oberflächlich. Und sie bewegen sich fast ausschließlich unter ihren Landsleuten, in ihrer Blase, wie man heute sagen würde.
Und auch, wenn Tom sich müht, in die Tiefe vorzudringen, so bleibt doch auch er zunächst an der Oberfläche der Dinge. Sein Glück ist es, dass er auf eine Umwelt trifft, auch in Europa, die ihrerseits nicht mehr genau hinschaut. Denn es gelingt ihm – siehe weiter oben – mit geringfügigen Änderungen an der Oberfläche des eigenen Erscheinungsbildes sogar die Polizei zu täuschen. Die Polizei in Person eines Capitano, der sich den Amerikanern für überlegen hält und dies immer wieder in kleinen Äußerungen und Hinweisen auf die europäische Kultur zum Ausdruck bringt. Der aber auch den eigenen Vorurteilen erliegt, die ihn eben nicht genau genug hinsehen lassen. Tom Ripley seinerseits ist der moderne, fast schon postmoderne Typus des schnell Reisenden, der sich für eine gewisse Weile eine Auszeit vom eigenen Leben gönnt. Nur anders als die meisten andern kehrt er nicht nach ein paar Tagen oder Wochen zurück ins traute Heim, zurück ins eigene Leben, sondern für Tom Ripley wird dies der Aufbruch in ein vollkommen anderes Leben, wenn auch nicht, wie zunächst erhofft, in eine andere Identität. Er kehrt am Ende des Buchs in seine Identität als Tom Ripley zurück. Doch hat er eine Metamorphose durchschritten, er ist ein anderer. Er ist ein Mörder. Und nun ist er auch Tom Ripley. Endgültig.
Was aber macht diesen Roman und seine Haupt- und Titelfigur so einzigartig, so bedeutsam, so einflussreich? Was macht ihn zu einer literarischen Figur von Weltrang? Es ist natürlich die absolute Amoralität, die Skrupellosigkeit, die scheinbare Kälte, die er ausstrahlt. Wann beginnt Tom ernsthaft zu planen, Dickie Greenleaf zu töten? Wirklich erklären kann man es nicht. Sicher, es gibt eine Stelle im Buch, da er erstmals ernsthaft überlegt, wie ein solches Unterfangen vonstattengehen könnte, doch als es soweit ist, scheint es doch eher eine Affekttat zu sein. Und auch hier greift wieder das literarische Genie der Patricia Highsmith, der es gelingt, genau diese Fragen – wie zuvor auch die nach der eigentlichen Motivation – offen zu lassen. Es gibt diese und es gibt jene Möglichkeit und keine wird eindeutig be- oder widerlegt. So vieles bleibt offen in und an dieser Figur. Nur eines ist klar: Tom Ripley ergreift Möglichkeiten, wenn sie sich ihm bieten und er bereut sie zwar, wenn sie „böse“ sind, doch ändert dies nichts an seinem Verhalten. Diese Reue führt bei ihm immer nur zu Selbstmitleid, sieht er sich doch geradezu gezwungen zu handeln, wie er es tut. Gezwungen von einer Wirklichkeit, die ihm vorenthält, was er begehrt.
Highsmith siedelt ihre Geschichte nicht umsonst im Europa des Dolce Vita an der wunderschönen Riviera und des leichten Lebens zehn Jahre nach dem Krieg an. Nicht von ungefähr muss diese Geschichte so, wie sie erzählt wird, hier erzählt werden. Ein Mensch wie Tom Ripley hätte auch in New York, Los Angeles oder Miami Beach töten können. Doch erst in diesem sonnendurchfluteten Italien und Südfrankreich zehn Jahre nach dem Ende des größten Massenschlachtens, das die Welt bis dato gesehen hatte, nach der Erkenntnis, wozu Menschen fähig sind, wenn man ihnen unbegrenzte Macht gibt – eine Lektion, die die Lager der Nazis die Welt gelehrt hatten – und nachdem im Namen und Gebaren des moralisch Überlegenen das eigene Land zweimal eine Waffe eingesetzt hatte, die auf einen Schlag, in Sekundenschnelle, Hundertausende Menschen nicht nur auslöschen, sondern gleichsam in Schatten verwandeln kann, nur so kann deutlich werden, dass der Mensch womöglich keinen Anspruch mehr auf moralische oder gar ethische Vollkommenheit erheben kann. Alles Gute und Böse hatte sich in den Erfahrungen der dem Roman vorgelagerten 15 Jahre aufgelöst. Alle Gewissheiten waren abhandengekommen. Und auch, wenn Highsmith nie von den Zerstörungen erzählt, die es 1955 noch überall in Europa zu sehen gab, so kann man gewiss sein, dass die zeitgenössischen Leser den historischen Hintergrund und Rahmen dieser Erzählung durchaus verstanden.
Tom Ripley ist in gewisser Weise eine zentrale Figur des 20., er ist die Quintessenz dieses fürchterlichen Jahrhunderts, in welchem der Mensch, der sich aufgeklärt wähnte, erkennen muss, dass er sogar im Namen eben dieser Aufklärung in der Lage ist, die furchtbarsten Handlungen zu vollziehen. Und sich dann selbst zu vergeben. Tom Ripley ist das Endprodukt genau dieser Geschichte. Und wie viele Deutsche (und im Übrigen auch Italiener, deren Verhältnis zur eigenen, faschistischen Geschichte nicht sonderlich geklärt war und ist), die in den ersten Dekaden nach dem Krieg vor allem sich selbst als Hitlers erste Opfer betrachteten und die eigene Schuld verdrängten, verdrängt auch Tom Ripley die eigene Schuld, blendet sie aus und wenn sie ihn in seinen schwachen Momenten dann doch einmal einholt, dann bemitleidet er sich selbst, da ein fürchterlich ungerechtes Leben, es wurde ja nun schon mehrfach erwähnt, ihn schrecklich benachteiligt hat.
Und so wird Tom Ripley in der manchmal durchaus zynischen Diktion der Patricia Highsmith nicht nur zum Sinnbild des Nachkriegsmenschen, nein, er wird gleichsam zur Apotheose dieses Menschen des 20. Jahrhunderts, der sich selbst bemitleiden, sich selbst verzeihen und vergeben muss, da ihm sonst wahrscheinlich nur das übrigbliebe, was all die, die in diesem Roman nach Dickie Greenleaf suchen, irgendwann von dem Verschwundenen annehmen: Dass er Selbstmord begangen hat.
DER TALENTIERTE MR. RIPLEY ist nach heutigen Maßstäben kein besonders packender Thriller. Vielleicht aber war dieser Roman auch nie als solcher gedacht, ungeachtet all dessen, wofür die Autorin Patricia Highsmith gemeinhin auch stehen mag. Doch ist dies ein großartiger und vor allem großer Roman, der sehr, sehr viel über die Moderne in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu erzählen hat. Ein Roman, der trotz seiner Schwächen, die er zweifelsohne aufweist, immer noch und immer wieder lesenswürdig ist. Und er führt eine der wesentlichen literarischen Figuren ein, die die moderne Weltliteratur zu bieten hat. Ohne diesen Tom Ripley wären etliche heute vielleicht sogar geläufigere Figuren – bspw. der von Bret Easton Ellis in seinem postmodernen Schocker AMERICAN PSYCHO (1991) eingeführte Patrick Bateman – nicht denkbar. Es lohnt also, immer mal wieder zu Patricia Highsmith´ nicht einmal besten, jedoch relevantesten Roman zu greifen. Man kann daran das literarische Können dieser Schriftstellerin bewundern, aber auch eine Entwicklung der vergangenen 70 Jahre nachvollziehen, die auch uns Heutigen einiges über uns selbst zu erzählen weiß.