DIE ZWEI GESICHTER DES JANUARS/THE TWO FACES OF JANUARY (ROMAN)
Ein Hybrid im Werk der Meistererzählerin
Paul Ingendaay informiert den Leser der TWO FACES OF JANUARY in seinem ausgesprochen lesenwerten Nachwort zur deutschen Neuübersetzung des Romans, daß dies Highsmiths in den Verlagen umstrittenster Roman war. Nicht gesellschaftlich wohlgemerkt. Ihr bisheriger Verleger ‚Harper & Row‘ lehnte das ursprüngliche Manuskript ab und Ingendaay weist auf den Werkstattbericht hin, der uns Aufschluß darüber gibt, was Highsmith da vorhatte. Man kann das schließlich veröffentlichte Buch durchaus darin erkennen, man kann vor allem erkennen, daß einiges, was im vorliegenden Werk angedeutet und auf brillante Art in der Schwebe gehalten wird, ursprünglich, als Groteske geplant, dem Leser geradezu ins Gesicht gesprungen wäre. Highsmith hat zwei weitere Romane geschrieben während der Genese dieses Werks, daß sie schließlich 1964 erst in London, dann, erneut um ca. 40 Seiten gekürzt, auch in den USA veröffentlichen konnte. Wenige ihrer Bücher hatten eine solch komplizierte und eben auch den Auseinandersetzungen mit den Verlagen geschuldete Entwicklungsgeschichte hinter sich. Und man meint, dem Roman das anmerken zu können.
Nun ist grundsätzlich festzuhalten, daß die Highsmith in einer Liga spielt – vergleichbar nur mit wirklichen Größen unter ihren Kollegen – in der Kritik immer nur auf hohem, höchstem, Niveau geäußert wird. Auch ein weniger gelungener Roman der Künstlerin ragt noch haushoch über die Durchschnittsware hinaus. „Weniger gelungen“ – nicht „schlecht“. Schlechte Romane dieser Autorin sind dem Rezensenten bisher keine untergekommen und da sie uns bereits verlassen hat, werden ihm also auch keine mehr begegnen. Dennoch ist – mit den oben beschriebenen Kenntnissen – verständlicher, weshalb THE TWO FACES OF JANUARY seltsam uneinheitlich wirkt. Wie man es von ihren besten Werken – RIPLEY´S GAME, THE CRY OF THE OWL oder EDITH´S DIARY (u.a.) – gewohnt ist, werden mit wenigen aber ungemein feinen Strichen Charaktere umrissen, Beziehungen und ihre inneren Motive nachgezeichnet, Entwicklungen angedeutet. Gewohnt minimalistisch führt uns die Autorin in ein europäisches Setting – Athen, Kreta, Paris sind die wesentlichen Schauplätze – , durch das sich entwurzelte Amerikaner bewegen, die entweder juristische oder moralische Probleme haben. Oder beides.
Ein Trickbetrüger, der in den USA eine Art Schneeballsystem aus sich gegenseitig finanzierenden Aktiengesellschaften aufgebaut hat, seine lebenslustige und sehr viel jüngere Frau und ein junger Mann, der der Konfrontation mit seinem Vater, welcher ihn wegen einer Affäre mit der Cousine angegangen ist, scheut und sogar dem Begräbnis des inzwischen Verstorbenem fernbleibt: Es sind für Patricia Highsmith recht typische Figuren und in dem Beziehungsgeflecht, das hier entsteht, entwickeln sich Konflikte, werden Taten begangen und Tricks angewandt, die uns ebenfalls an andere Highsmith-Figuren denken lassen. Ferne Echos von STRANGERS ON A TRAIN oder auch von Tom Ripleys erstem literarischen Auftritt in THE TALENTED MR. RIPLEY sind zu vernehmen. Und in das Gewebe, das da nach und nach entsteht und dann abrupt und plötzlich auf für den Leser verstörende Art und Weise abgebrochen und praktisch noch einmal neu erstellt wird, sind durchaus auch Anlehnungen an die griechische Mythologie eingeflochten. Chester McFarland, jener Trickbetrüger, der im Laufe der Handlung mehrere Male auf die Hilfe eines Amateurs angewiesen ist, erinnert Rydal Keener, jenen mit seiner noch gar nicht so langen Vergangenheit beschäftigten Jüngling, der sich im Laufe der Handlung als recht abgebrüht erweist, auf eklatante Weise an den Vater, der bei der Vergangenheitsbewältigung eine so zentrale Rolle einnimmt. Es spiegelt sich Vergangenes im Gegenwärtigen, dem Gegenwärtigen wird das Vergangene zum Maß. Der Vater wird im Fremden bekämpft, auch, indem man auf die Avancen dessen sehr viel jüngerer Frau einzugehen erwägt, was beim Älteren wiederum dessen ureigenste Ängste auslöst. Und dieses seltsame Geflecht aus Anziehung, Abstoßen, Liebe, Hass und der Tatsache, daß man, ohne es zu merken, aufeinander angewiesen ist, fast miteinander verwachsen, schicksalhaft aneinander gebunden gar scheint, ähnelt in seiner Kompliziertheit durchaus einem Labyrinth, wie dem von Knossos, wo eine der Hauptfiguren schließlich ihr Leben aushauchen wird.
Das ist alles hervorragend konstruiert und mit der bekannten sprachlichen Finesse ausgeführt. Umso mehr erstaunt es den Leser dann, wenn er momentweise mit ausgesprochen plumpen Beschreibungen der Charaktere und psychologisch arg einfachen Lösungen konfrontiert wird. Und anhand derer die Figuren auch ein wenig ungenau bleiben. Vor allem in der Charakterisierung Chesters, der in diesem Reigen die interessanteste Figur darstellt, treten da manchmal Widersprüchlichkeiten auf, die man lange hinzunehmen bereit ist, die aber schließlich ein unscharfes Bild ergeben, ohne dabei die Figur zu vertiefen, anders zu analysieren oder gar ernsthaft zu brechen. Chester ist eine jener Figuren im Highsmith-Kosmos, die abdriften, immer mehr den sicheren Boden verlieren und schließlich ein äußerst verzerrtes Bild der sie umgebenden Wirklichkeit haben, bis hin zum Wahnhaften, Psychotischen, was in diesem Fall durch den permanenten Alkoholgenuß noch unterstützt wird. Doch Highsmith zeichnet hier auch – man merkt an einigen Stellen, daß das alles einst als Farce, Komödie, ‚comedy story‘ angelegt war – das Porträt eines lächerlichen Mannes. An Colette, seiner Frau – DER Frau in dieser Konstellation – zeigt sich die Autorin deutlich weniger interessiert, sie bleibt uns Lesenden eher oberflächlich das, was sie für die Männer ihrer Umgebung sowieso ist: Eine Projektionsfläche. Highsmith interessieren die Männer und deren Mechanismen. Fast chirurgisch untersucht sie den Kampf zweier Generationen: Den des Sohnes gegen den (symbolischen) Vater, den eines älteren Mannes gegen den Verlust von Macht, Einfluß, Potenz und – was im Laufe der Handlung auf verschiedenen Ebenen immer wesentlicher wird – Deutungshoheit. Und das alles symbolisiert für Chester der junge Rydal. Und wie die meisten Männer, die meinen, ihre Kämpfe immer weiter ausfechten zu müssen, auch wenn sie eigentlich schon keine Gegner mehr haben, wird eben auch Chester dabei zusehends zu einer traurigen Gestalt, mit der man aber kein Mitleid aufzubringen bereit ist, zu windig und opportunistisch, zu kalt und materialistisch ist sein Naturell.
Vielleicht lag es an der langen und wechselhaften Entstehungsgeschichte, vielleicht an der Tatsache, daß Patricia Highsmith dadurch, daß sie sich längst mit anderem, darunter dem Meisterwerk THE CRY OF THE OWL, beschäftigte, nicht mehr die ganz spezifische Kraft und Konzentration, die einem Werk gebührt, aufgebracht haben mag – THE TWO FACES OF JANUARY bleibt in ihrem Ouvre ähnlich zwiespältig, wie die Figuren im Buch. Uneindeutig, mit unsympathischem und dem Leser fernen Personal, unentschlossen ob der eigentlichen Richtung, die es nehmen sollte, könnte, müsste, macht die Autorin dieses Zwiespältige noch im besten Sinne zu einer Tugend und erzählt genau davon: Einem Hin und Her in allen Beziehungen und Zusammenhängen. Keine der Hauptfiguren dieses Romans macht je den Eindruck, wirklich zu wissen, was sie will. Keine macht den Eindruck, sich entscheiden zu können. Selbst der Chester, dem wir anfangs begegnen, bevor die schicksalhaften Ereignisse eintreten, wirkt unsicher und abhängig von Colettes Urteilen und Wünschen, die er zugleich ständig in Abrede stellen muß. Ein Hin und Her aus Anschmiegsamkeit und Autonomiebestrebungen.
So hat man es bei diesem Roman mit einem seltsamen Hybrid zu tun: Alle schriftstellerischen Fähigkeiten, die das Werk der Highsmith so fantastisch, so packend und hintergründig machen sind hier vorhanden, sie bietet uns ein vielschichtiges psychologisches Geflecht eines ungewöhnlichen männlichen Duos. Dennoch gibt es mindestens zweimal den Punkt in der Lektüre, an dem den Leser das Gefühl beschleicht, daß es eigentlich reicht, die Handlung an einem natürlichen Ende angelangt scheint. Und so wirkt das Ende schließlich zu gewollt, da es eine Unbedingtheit behauptet, die der Rest des Textes ununterbrochen unterläuft. Brüche, wohin man schaut. Natürlich ist der Roman trotzdem zu empfehlen, allein, weil es ein Roman der großen Highsmith ist. Eher einer aus der zweiten Reihe, erzählt er aber gerade in dem, was man als seine Fehler wahrzunehmen meint, viel darüber, was diese zeitlebens so unterschätzte Schriftstellerin aber so zeitlos modern und wahrhaftig macht.